Elf

Auf dem Nachhauseweg machte ich bei H&H Carwash Halt und genehmigte mir ein Abendessen. Der Autowaschanlage ist ein kleines Café angeschlossen. Die Autowäsche wird hier erledigt wie in den Fünfzigerjahren, also nicht durch Maschinen, sondern von Männern mit Hochdruckreinigern, Schwämmen und Lederlappen. Das Café bietet die besten huevos rancheros der Welt an. Selbst Julia Child war anlässlich ihres einzigen Besuches in El Paso voll des Lobes. Und während man isst, kann man sich für zehn Dollar den Wagen außen und innen reinigen lassen. Normalerweise mache ich um fettes, kalorienreiches mexikanisches Essen einen großen Bogen, aber diese huevos rancheros sind leicht wie Luft. Die papierdünnen Tortillas zergehen auf der Zunge. Dem Gericht fehlen die typische Lava aus geschmolzenem Cheddarkäse und die in Fett gebratenen Bohnen. Die Kartoffelecken werden in leichtem Öl frittiert und die Salsa ist eine genießbare Variante von Napalm. Ab und an esse ich hier, wenn ich der Ansicht bin, etwas Gutes verdient zu haben, oder wenn ich mal wieder richtig ins Schwitzen kommen muss. Der Nachmittag bei Sam und Maggie hatte die Voraussetzungen für beides geschaffen.

Anschließend sah ich im DMZ vorbei, hoffte, Güero anzutreffen, und wollte seine Meinung zu Sams Wahnvorstellungen und Jesajas Haltung, den Dingen ihren Lauf zu lassen, einholen, doch er war nicht da und auch sonst kaum jemand. Dennoch bestellte ich eine Margarita – ein weiteres redlich verdientes Vergnügen – und fuhr dann hinüber zum Baron Arms.

Jillian Rensellers Mercedes stand auf dem Parkplatz. Ich parkte daneben und stieg aus. Die beiden Vordertüren des Mercedes öffneten sich. Jillian kletterte auf der Beifahrerseite heraus, eine halslose Masse Muskeln in einem zerknitterten Walmart-Anzug zwängte sich hinter dem Lenkrad hervor.

Jillian trug schwarze Leggings, Sandaletten mit zehn Zentimeter hohen Absätzen und einen Cardigan aus rotem Kaschmir, der, zur Hälfte aufgeknöpft, viel von ihrem Dekolleté zeigte. »Sie sind spät dran«, begrüßte sie mich. »Gehen wir gleich hoch in Ihr Apartment. Wir haben einiges zu regeln.« Ihre Aufmachung war heiß, sie selbst gab sich geschäftsmäßig.

Ihr Fahrer war an die zwei Meter groß und hatte die Ausmaße eines Kühlschranks. Sein langer, rechteckiger Schädel war übersät mit Warzen. Sollte der Kerl Kumpel haben, nannten die ihn hinter vorgehaltener Hand mit Sicherheit Kartoffelkopf. Er lehnte an der Motorhaube des Mercedes und spannte derart die Muskeln an, dass sich sein billiger Anzug wie ein Heißluftballon aufblähte. Er sah in mir wohl einen gleich gesinnten Muskelprotz und wollte mich beeindrucken. Ich war alles andere als beeindruckt. Er hatten von allem zu viel – zu viel Bauch, ein Zuviel an tierischem Fett auf dem Ernährungsplan, ein Zuviel an Dummheit in den Augen. Und dann die Frisur, frisch aus dem Salon: oben Bürste, die Seiten lang und mit Gel zurückgekämmt, keine Koteletten. Am Hinterkopf dann kam es richtig dick: ein Keil. Weißblond gefärbt und steif von Haarspray, hingen die Haare über seinem Kragen wie eine geschlossene Heckklappe. Sein Friseur hatte Humor. Jillian machte uns nicht miteinander bekannt, also musste er irgendein Handlanger sein.

»Welche Rolle spielt der?«, fragte ich.

Mr. Kartoffelkopf unternahm den Versuch, mir mit seinen ausdruckslosen, eng beieinander stehenden Augen Löcher in den Schädel zu brennen. Er war größer als ich und hatte mehr Gewicht, aber er war in miserabler Form. Ich konnte buchstäblich sehen, wie die Fettränder unzähliger Steaks seine Hauptschlagader verklebten. Sein Atem ging schwer, als bereite sich der Typ auf eine körperliche Anstrengung vor. Ich sah auf seine Hände. Sie wirkten gewaltig, doch eher durch die walnussgroßen Knöchel, die aussahen, als wären sie mehrmals gebrochen worden.

»Forbes ist mein Fahrer«, erwiderte Jillian. »Ich fahr ungern allein in diesen Teil der Stadt, vor allem am Wochenende. Der Mercedes ist zu auffällig.«

Forbes? Ein angeheuerter Gehilfe mit dem Namen eines der fünfhundert reichsten Männer. Ich nickte Forbes zu. Er erwiderte das Nicken nicht, statt dessen verhärtete sich seine Kiefermuskulatur.

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Ich schloss die Tür auf und bat Jillian herein.

Sie sah sich in meinen vier Wänden um, sah den kleinen Herd, den kleinen Kühlschrank, den großen Fernseher, der die Kommode, auf der er steht, winzig aussehen lässt. Sie betrachtete die Motel-Kunst an der Wand hinter dem Bett: Möwen über mit Schaumkronen besetzten grünen Brechern, zirka 1950. Ein gutes Jahr für VulgärImpressionismus. Niemandem war es bisher eingefallen, es abzuhängen. Dann fiel ihr Blick auf mein Schwarzenegger-Poster – ein Foto vom jungen Arnold am Muscle Beach, eine nackte Blondine auf den Schultern und die riesigen Hände um ihre Schenkel gelegt. Jillian schmunzelte. »Nett haben Sie’s hier«, meinte sie.

»Mir gefällt’s«, sagte ich.

»Kein Grund, gleich in die Defensive zu gehen.«

»Wenn jemand deine Wohnung als nett bezeichnet, gehst du automatisch in die Defensive.«

»Aber es ist nun mal nett hier. Die kleine Küche, die Kunststoffmöbel, die herrlich geschmacklosen Bilder. Das hat was. Manchmal wünschte ich, ich könnte in dieser Einfachheit leben, ohne diesen prahlerischen Luxus.«

»Nichts leichter als das«, sagte ich. »Spenden Sie Ihr ganzes Geld der Wohlfahrt. Ohne prahlerischen Luxus zu leben ist ein Vorzug der Armut.«

Sie legte die Hand auf meinen Arm. Ich spannte an.

»Nur ist das nicht so leicht, wie Sie denken«, sagte sie.

»Was? Einfach zu leben oder das Geld weggeben?« Ihre Nägel gruben sich jetzt in meinen Arm, fest genug, um ein Kribbeln zu erzeugen.

»Geld ist eine Leine. Je mehr man hat, desto kürzer wird sie. Sie glauben nicht, wie sehr große Vermögen ihre Besitzer beherrschen.«

Das alles war eine Art Ouvertüre für irgendetwas. Doch ich hatte es nicht eilig, die Sache auf den Punkt zu bringen. Jillian verschränkte die Arme und besichtigte meinen knapp 28 qm großen Palast. Sie öffnete den kleinen Kühlschrank und musterte meine Auswahl an Raps-, Oliven- und Leinöl. Sie begutachtete den Tofu, die Gemüsebratlinge und die Freilandeier.

»Was ist das für ein Zeug?«, fragte sie, die Flasche mit dem Noni-Saft in der Hand.

»Das ist aus Hawaii. Ein Heilmittel.«

»Ein Heilmittel? Sind Sie unpässlich, mein Lieber?«

»Reine Vorbeugung. Das hält einen gesund und munter.«

»Sie machen einen absolut gesunden und munteren Eindruck«, sagte sie.

Sie betrachtete die Lebensmittel auf den Regalen, schaute in den offenen Kleiderschrank, testete mit der flachen Hand das Bett. »Oh, das Bett ist schrecklich«, sagte sie. »Sicher haben Sie ständig Rückenschmerzen.«

»Wenn ich’s mir leisten könnte, würde ich mir eine Posturepedic kaufen.«

»Sie können es sich leisten, mein Lieber«, erwiderte sie.

»Sie haben zweitausend Dollar und es kommt noch was hinzu.«

»Genau darüber sollten wir uns unterhalten, nicht wahr?«

»Nein, sollten wir nicht. Lösen Sie einfach die Schecks ein. Das Geld gehört Ihnen, so wie wir es vereinbart hatten.«

»So hatten wir es nicht vereinbart.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns auf fünfhundert die Woche verständigt haben.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht so war.«

Sie setzte sich aufs Bett. »Okay, nehmen wir mal an, dem war nicht so. Wo liegt für Sie das Problem, Geld anzunehmen, für das Sie nicht gearbeitet haben?«

»Man muss immer arbeiten, um Geld zu bekommen.«

»Ich habe Sie nicht gebeten, etwas dafür zu tun. Was mich betrifft, ist dieser Teil der Abmachung erledigt.«

Sie nahm meine Hand und zog mich zu sich hinunter. Ich wartete auf keine weitere Einladung, sondern küsste sie. Es war ein gieriger Kuss.

»Zieh mich aus«, flüsterte sie.

Ich tat es, mit zitternden Händen.

»Bist du normal veranlagt – ich meine, sexuell gesehen?«, fragte sie. Dabei zog sie den Reißverschluss meiner Hose auf und langte hinein.

»Was ist schon normal«, erwiderte ich.

Später, in der Dusche, sagte sie: »Neben dir komme ich mir richtig winzig vor.«

Meine Duschkabine ist größer als meine Küche. Die geräumigen Duschen mit den eingebauten Sitzen waren eine Besonderheit des alten Motels, die mehr Gäste anlocken sollte. Einst hatte man sie auf einem heute nicht mehr vorhandenen Schirmdach als ›Römische Bäder‹ bezeichnet. Die Bäder waren groß genug, um fidele Motelgäste zu einem, wenn auch beschränkten Handballspiel unter der Dusche zu animieren.

Ich fühlte mich wie ein fideler Motelgast, schnappte mir Jillian und setzte sie mir auf die Schultern wie das Mädchen auf dem Arnold-Poster. »Huch!«, sagte sie, als ihr Kopf die Decke streifte.

Dann fickten wir noch mal, dieses Mal im Comanche-Style – wie Pferde – unter fließendem Wasser. Beim Comanche-Style gibt es keinerlei Zärtlichkeit oder Romantik, kein Von-Angesicht-zu-Angesicht verwandter Seelen. Es ist Ficken wie im Steinzeitalter, zwei namenlose, hormongetriebene Körper, gefangen im Auftrag des Fleisches. Sie kam heftig.

Ich fühlte ihre pulsierende Cervix. Jillian schrie auf, der Schrei wurde zu einem Keuchen, und als wir schließlich auf den Bodenfliesen zusammenbrachen, war das Wasser bereits kalt und unsere Knie bluteten.

»Du bist brutal«, sagte sie.

»Tut mit leid. Das war nicht meine Absicht.«

»Nein … ich meine, ich hab mich ja drauf eingelassen. Du hast mich überrascht.«

»Ich bin selbst überrascht von mir«, sagte ich und dachte an ihr Keuchen, das stoßweise gekommen war, und wie es meine erstickten Laute überdeckt hatte. Ich hatte so lange darauf verzichten müssen.

»Du bist ein leidenschaftlicher Mann, Walkinghorse«, sagte sie.

Ich zuckte mit den Achseln. Man wird von anderen charakterisiert. Wenn es Zeit ist, in die Grube zu fahren, ist man ein Bündel angesammelter Urteile. Die nackte Wahrheit wird mit einem begraben.

Ich machte uns einen Kaffee und wir setzten uns an den kleinen Tisch, der vor dem einzigen Fenster des Apartments stand. Ich konnte Mr. Kartoffelkopf auf dem Parkplatz sehen, sah, wie er vor dem Mercedes auf- und abging. Die Nacht war frisch und er blies sich in die Hände, starrte immer wieder hoch zu meinem Fenster und dachte sicher, wie gern er jetzt hier oben wäre, um meinen Kopf gegen den Boden zu schlagen.

Ich winkte ihm zu. Es war ein freundliches Winken. Ich fühlte mich ausgeglichen, nahezu sanftmütig, jetzt, da ich das einzig wirksame Gegenmittel für eine TestosteronVergiftung verabreicht bekommen hatte.

»Dann reichst du also die Schecks ein, Liebling?«, fragte Jillian.

Dieses ›Liebling‹ klopfte mich weich, dieses Echo vertrauter Zuneigung. »Ich versteh zwar nicht, warum das so wichtig für dich ist«, sagte ich, »aber ja, okay, ich werde sie einreichen.« Zu diesem Zeitpunkt hätte ich einen ganzen Koffer voller Geld von ihr akzeptiert.

Ich fühlte mich gekauft.

Doch in meiner momentanen Verfassung war es alles in allem kein unangenehmes Gefühl.

Sie nahm meine Hand und sagte: »Wunderbar«, und ihre Augen waren voller wunderbarer Versprechen, von denen ich hoffte, dass sie sie auch einhielte.