Sechs

Maskiert oder nicht, auf keinen Fall wollte ich mein Bild in der Zeitung sehen. Und ich wollte nicht mit Clive Rensellers ›natürlichem‹ Tod in Verbindung gebracht werden. Mona und Jillian versicherten mir, dass es kein Nachspiel gebe, wenn ich ihnen helfen würde, Clive nach Hause zu schaffen. Jillian hatte vor, am nächsten Morgen ihren Hausarzt anzurufen und ihm aufzutischen, sie habe Clive in seinem Schlafzimmer tot aufgefunden. Clive nahm drei verschiedene Medikamente – einen Betablocker gegen hohen Blutdruck, Digoxin gegen Herzrhythmusstörungen, Nitroglycerin für die Herzkranzgefäße. Der plötzliche Tod eines Mannes in seinem Alter und mit seiner körperlichen Verfassung dürfte eigentlich niemanden überraschen, meinte sie.

Für die Prellungen, für die Beulen und aufgeschlagenen Lippen allerdings müsse sie, Jillian, die Verantwortung übernehmen. Unter Tränen wolle sie dem Arzt beichten, dass Clive nur im Zusammenhang mit abartigen Sexpraktiken zu einer Erektion und zum Erguss habe kommen können und dass sie ihm dementsprechend nachgegeben habe. Dann und wann, so wollte Jillian erklären, habe sie ihn hart rannehmen müssen, um ihn in Fahrt zu bringen, und letzte Nacht sei es ein wenig wilder als gewöhnlich zugegangen. Brutalen Sex habe sein angeschlagenes Herz jedoch nicht verkraften können. Für den Arzt, einen alten Freund der Familie und Weggefährten, sei ihr Wunsch nach Diskretion nachvollziehbar. Er werde mehr als einverstanden sein, den Totenschein auszustellen, ohne Clives Liebeslaster zu erwähnen. Dessen war sich Jillian sicher.

Der Plan klang durchaus vernünftig. Er klang noch vernünftiger, als Jillian fünfhundert Dollar in Aussicht stellte, wenn ich bei der Sache mitmachte. Schwierig war nur, Clive aus der Duschkabine herauszubekommen. Die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt. Ihn jetzt hochzuheben war, als hebe man einen Sack aus Gummi hoch, der mit hundert Liter Wasser gefüllt war. Ich kann ordentlich viel Gewicht stemmen – Eisenscheiben, die am Ende einer Stange fixiert sind –, doch Clive bedeutete Gewicht ohne festen Schwerpunkt. Ich zog ihn an den Armen aus der Kabine und brachte ihn in eine sitzende Position. Jerry half mir, ihn aufrecht zu stellen. Als wir ihn halbwegs in der Vertikalen hatten, drückte ich meine Schulter in seinen Bauch und hob ihn hoch. Clive wog mehr als hundert Kilo, vielleicht um die hundertzehn.

Ich spürte einen stechenden Schmerz im unteren Rücken, eine Art Ermahnung: Vor einigen Jahren hatte ich mir einen Bandscheibenvorfall zugezogen, und zwar bei dem Versuch, im Rahmen einer Kraftprobe mit meinem Trainingspartner Ray Fuentes im Y gute 200 Kilo stoßen zu wollen. Die Stange hatte sich ungefähr auf Höhe meiner Brust befunden, als ich die Bandscheibe hatte knacken hören. Ein Knacken wie bei brennendem Holz. Mein unterer Rücken hatte sich sofort verkrampft, als ein glühend heißer Schmerz, einem Schraubstock gleich, ihn in die Zange genommen hatte. Die Hantel war meinen Händen entglitten und ich brüllend zu Boden gefallen, Fuentes’ grinsendes Gesicht über mir. »Du schuldest mir zehn Dollar, Kumpel!« Soweit sein Kommentar. Wir sind sehr gute Freunde.

Nachdem ich Clive endlich auf dem Rücksitz des Mercedes untergebracht hatte, war mein Rücken im Arsch. Mit äußerster Vorsicht setzte ich mich auf den Beifahrersitz. Ich atmete tief durch, hielt die Luft an und biss dabei die Zähne zusammen. Gut möglich, dass ich sogar leicht aufstöhnte. Clive vom Auto in sein Haus zu schaffen würde kein Vergnügen werden. Fünfhundert waren dafür nicht annähernd genug.

»Was haben Sie?«, fragte Jillian, während sie rückwärts die Auffahrt hinunterfuhr.

»Rückenprobleme«, sagte ich.

»Sie? Ein Muskelmann wie Sie hat Probleme mit dem Rücken?«

»Als wir von den Bäumen gehüpft sind, waren unsere Körper dafür noch gar nicht ausgelegt. Der Rücken hatte nicht genug Zeit, um sich anzupassen. Das Gleiche gilt für die Knie. Ohne eine Phase dazwischen wurde aus uns der Homo erectus. Eigentlich sollten wir immer noch Bananen essen, uns gegenseitig Nissen aus dem Fell holen und eine aufrechte Haltung nur dann annehmen, wenn es um ein Wettpissen geht.«

»Sie sind ein witziger Kerl«, bemerkte sie mit verkrampftem Lächeln. Verkrampft oder nicht, es wirkte sympathisch, hellte ihre Miene auf.

Die Rensellers wohnten in einer Gegend, die auch Motiv für die Umschlaggestaltung eines Märchenbuches hätte sein können. Dieses Gelände gehörte nicht in die Wüste. Eine Felsbank von zwanzig Morgen, herausgehauen aus einem öden Sandsteinhügel, der sich mitten in der Wüste erhob. Man hatte die Felsbank mit Mutterboden aufgefüllt, um einen kleinen Wald anzulegen, Nadelhölzer aus dem Nordwesten und Laubbäume. Durch großzügige Rasenflächen und Strauchwerk erschien das Ganze üppig wie ein vom Regen bevorzugtes Gebiet.

Der Zugang zum Grundstück erfolgte über ein großes Tor aus Schmiedeeisen, das Jillian per Knopfdruck, vom Armaturenbrett ihres Mercedes aus, öffnen konnte. Bis wir das Haus erreicht hatten, vergingen nochmals mehrere Minuten. Verglichen mit diesem Haus wirkte das der Farnsworths wie ein Geräteschuppen. Es war im Stil viktorianischer Landhäuser gebaut, dreigeschossig, mit mehreren Giebeln. Ich zählte vier Kamine. Rund um das Gebäude standen Schatten spendende Ulmen und Eichen. Die Rensellers mussten über eine eigene Wasserleitung zum Colorado River verfügen, um ihren Besitz in diesem Zustand zu erhalten. Er wollte sich so gar nicht in das Bild südwestlicher Wüstenfauna und -flora einfügen. Im Grunde schien das Anwesen der Rensellers nur geschaffen worden zu sein, um jegliche Verbindung mit der trostlosen Realität, die es umgab, zu leugnen. Ich fragte mich, wie sie mit Klapperschlangen, Skorpionen und den gelegentlichen Sandstürmen fertig wurden.

»Nette Gegend«, bemerkte ich.

»Ich weiß, was Sie denken«, sagte sie. »Sie betrachten es als anmaßend, als ignorant, etwas Derartiges mitten in die Wüste zu setzen.«

Ich erwiderte nichts darauf.

Sie wusste mein Schweigen richtig zu interpretieren. »Nun, Sie haben Recht. Vor fünf Jahren bin ich nur widerwillig von Oregon hierher gezogen. Also haben wir ein Stück Umgebung von Portland geschaffen, nur für uns. Clive nannte es Oak Grove am Rio Grande. Inzwischen schäme ich mich fast ein wenig dafür. Vermutlich verbrauchen wir Tag für Tag mehr Wasser als halb Juárez.«

»Der Grundwasserspiegel sinkt.«

»Dank Leuten wie uns.« Ich schielte nach hinten, um nach der anderen Hälfte von ›uns‹ zu sehen. Clive machte nicht den Eindruck, als interessiere er sich noch ernsthaft für Wüstenökologie.

Jillian fing an zu weinen. Doch ihre Tränen galten wohl kaum dem sinkenden Grundwasserspiegel. Ihre Tränen galten ihr.

»Wenn guten Menschen Böses widerfährt«, sagte ich. Sie sah mich kurz von der Seite an, um zu sehen, ob ich den Klugscheißer raushängen ließ. Einerseits tat ich es, andererseits nicht. Redewendungen enthalten immer eine Portion Wahrheit. Und Jillian war mir nicht unsympathisch, sah man vom Dissens in Sachen Ökologie mal ab. Sie hielt unter einer Porte Cochère. Die erschaffene Illusion vom nördlichen Landhausstil des 19. Jahrhunderts in all seiner Opulenz war beeindruckend. Beim Aussteigen erwartete ich geradezu die feuchtkalte Luft des Nordwestens, doch der heiße Wüstenwind war kräftig genug, um unsanft durch die nach Wasser dürstenden Ulmen zu fahren. Ein aufkommender Sandsturm lag buchstäblich in der Luft.

Ich öffnete die hintere Wagentür. Clive Renseller sah aus, als hätte er eine lange, ermüdende Fahrt hinter sich und döse jetzt. Der Sicherheitsgurt hielt ihn im Sitz. Jerry und ich hatten versucht, ihm Hemd und Hose anzuziehen, es dann aber aufgegeben. Niemand bekäme ihn unterwegs zu sehen und zu Hause müssten Jillian und ich ihn irgendwie in den Schlafanzug stecken. Jillian hatte den Mercedes in die Garage der Farnsworths gefahren, während ich Clive durch die Küchentür hinausgetragen hatte, um ihn anschließend auf den Rücksitz zu verfrachten und anzuschnallen. Doch jetzt, unter der Porte Cochère, waren wir völlig ungestört. Wir wären auch ungestört gewesen, wenn ich ihn vom Tor hinauf zum Hauseingang getragen hätte, doch von hier aus waren es nur wenige Schritte bis zum Hauseingang.

Jillian stand neben mir. Wir blickten hinunter auf Clive. Erstaunlich, wie gelassen er wirkte. Tot sah er besser aus als lebendig. Nicht mehr so gerötet, nicht mehr so angestrengt, aus jeglicher sexuellen Verstrickung gelöst. Ein solider Blutdruck von 0/0, keine Herzrhythmusstörungen, keine Angst. Wir blickten hinunter auf ihn, unfähig oder nicht bereit, etwas zu sagen. Schweigen schien angemessen.

»Armes Schwein«, entfuhr es mir schließlich.

Jillian berührte meinen Arm. »Danke«, sagte sie. »Das werden vermutlich die einzigen ehrlichen Worte sein, die man über ihn fallen lassen wird.« Ihre Stimme klang ziemlich emotionslos. In ihrer Ehe – da legte ich mich ganz einfach fest – waren die Gefühle seit geraumer Zeit erkaltet. Das kam mir absolut bekannt vor.

Ich beugte mich in den Wagen, löste den Sicherheitsgurt und hockte mich dann vor die offene Tür. Als ich Clives Arm packte, kippte der Körper in meine Richtung. Ich veränderte die Position seiner Beine, so dass sie aus dem Wagen hingen. Dann lud ich Clive auf meine Schulter, verlagerte mein Gewicht auf die Füße und drückte mich aus der Hocke hoch, Oberschenkel angespannt, den Rücken kerzengerade.

Jillian ging voran, Richtung Haus. »Wir bringen ihn gleich in sein Schlafzimmer«, sagte sie. »Es ist im zweiten Stock. Keine Bange, wir haben einen Fahrstuhl.«

Vom Haus bekam ich nicht allzu viel mit. Ich hielt meinen Blick auf den Boden gerichtet. Nur ein Stolpern und ich hätte Clive nicht mehr auf die Schulter bekommen. Ich sah Perserteppiche, eine Menge davon, dann den Boden des Fahrstuhls. Oben angekommen, ging es über noch mehr Perserteppiche in Clives Schlafzimmer.

Nachdem ich ihn auf sein Himmelbett hatte fallen lassen, fühlte ich mich irgendwie schwerelos. Ich hatte das Gefühl, gen Decke schweben zu können wie ein Luftballon. Um mein Gleichgewicht zu halten, griff ich nach Jillians Schulter. Damit hatte Jillian nicht gerechnet. Ihre Knie gaben nach und sie geriet ins Schwanken.

»Entschuldigung«, sagte ich, »aber ich war gerade etwas unsicher auf den Beinen.«

Sie lächelte. Diesmal spontan. »Ich mach Ihnen gleich einen Drink«, sagte sie, »doch zuerst ziehen wir Clive den Pyjama an und legen ihn ins Bett.«

Als das erledigt war, gingen wir wieder hinunter. Jillian führte mich in einen holzgetäfelten Raum mit Ledermöbeln. Der Teppichboden war so dick, dass man darauf hätte schlafen können, ohne mit schmerzendem Rücken aufzuwachen. An einer Wand befand sich ein Kamin, der aussah, als wäre er noch nie benutzt worden. Über dem Kaminsims hing das Porträt eines älteren Mannes. Auf mich machte er den Eindruck eines wohlhabenden, einflussreichen Mannes, der zu allem fähig war. Jillian öffnete einen Barschrank aus Teakholz, der sogar über ein kleines Spülbecken verfügte. »Was möchten Sie trinken?«, fragte sie.

»Tequila.«

»Igitt! Terpentin. Obwohl … Clive mochte das auch. Wir haben ein paar Flaschen da. Brauchen Sie etwas zum Runterspülen? Farbverdünner, vielleicht?«

»Nur ein, zwei Kurze, ohne alles, bitte.«

Für mich ist Tequila Medizin. Vor allem für den Rücken. Im Gegensatz zu anderen Spirituosen hat Tequila eine muskelentspannende Wirkung. Als ich mich von meiner Rückenoperation erholte, brachte mir Ray Fuentes einen Liter Herradura vorbei, einen guten Tequila, der aus der blauen Agave gemacht wird. »Nichts wirkt besser gegen Rückenschmerzen«, sagte er, »nicht mal Demerol. Aber du musst richtig zuschlagen, dir ’nen ordentlichen Rausch antrinken. Wenn du morgen ohne Schmerzen aufwachst, wirst du zur Kirche pilgern und eine Kerze für die Schutzpatronin der Blauen Agave anzünden wollen.« Ray hatte Recht. Und der Kater war relativ harmlos.

»Sie fragen sich bestimmt, warum Clive und ich getrennte Schlafzimmer hatten«, sagte Jillian. Ich fragte mich das überhaupt nicht. Irgendjemand hat mal gesagt, Reiche seien anders. Ja, sie haben mehr Geld, lautet die bekannte Antwort. Aber vielleicht zwingt einen das Geld, anders zu sein. Es eröffnet Möglichkeiten. Und Reiche haben Möglichkeiten, von denen Arme nicht mal zu träumen wagen. Arme Ehepaare, ob glücklich oder nicht, müssen in einem Raum schlafen; Reiche schlafen, wo sie wollen, wie Katzen.

Sie hatte mir ein Schnapsglas in die Hand gedrückt und eine Flasche Tequila. Die Marke sagte mir nichts. Ich studierte das Etikett, um zu sehen, ob der Tequila aus der Agave azul hergestellt war. Er war es. Ich goss mir einen ein, kippte ihn hinunter und füllte nach.

»Wir hatten schon seit Jahren keine richtige Beziehung mehr«, sagte sie, während sie sich einen Whiskey Sour machte. Dann setzte sie sich zu mir. Wir saßen in Ohrensesseln, einen kleinen Beistelltisch mit Lederplatte zwischen uns.

»Clive war nicht gut im Bett«, fuhr sie fort. »Er bekam ihn nur hoch, wenn ich ihn knebelte, fesselte oder ihm Gewalt androhte. Es ist nicht leicht, so jemanden zu lieben. Man empfindet Mitleid, aber keine Liebe.«

Ich versenkte meinen Kurzen und schickte einen weiteren hinterher. Die therapeutische Wärme des Tequilas strahlte von meinem Magen aus in die Gliedmaßen.

»Die SM-Spielchen machten ihn an, mich stießen sie ab. Deshalb hatte ich nichts dagegen, dass er zu Mona ging. Es machte ihn glücklich.«

»Was macht Sie glücklich?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.

Sie sah mich lange an, versuchte, meine Beweggründe zu erraten, und sagte dann: »Nicht viel. Glücklichsein wird gemeinhin überschätzt.«

Vielleicht ist es das, dachte ich, vielleicht macht das die Reichen anders. Arme müssen an Glück glauben. Hart arbeiten, sparen, anhäufen, dann ist auch das Glück nicht weit. Reiche haben diesen Vorteil nicht.

Sie schilderte mir Clives Kindheit. Er entstammte keiner wohlhabenden Familie. Leonore, seine Mutter, hatte an einer Psychose gelitten, sein Vater war Alkoholiker gewesen. Seine Mutter hatte in jeder dunklen Ecke ihres Lebens nach dem Übel gesucht und geglaubt, es im kleinen Clive im Überfluss gefunden zu haben. Sie hatte ihn geschlagen, mit dem Gürtel, mit dem Stock, mit ihren Fäusten. Sie hatte so lange auf ihn eingeprügelt, bis er geblutet hatte. Einmal hatte sie ihn sogar mit einem Jochbeinbruch ins Krankenhaus gebracht. Kinderschutz, wie wir ihn heute kennen, hatte es damals noch nicht gegeben, also hatte auch niemand die Misshandlungen unterbunden.

Doch Leonore Renseller war nicht so krank gewesen, um keine Reue empfinden zu können. Nachdem sie ihn verprügelt hatte, tröstete sie den kleinen Clive, setzte ihn sich auf den Schoß, kuschelte stundenlang mit ihm, weinte, bat ihn um Verzeihung und versprach ihm das Blaue vom Himmel. Clive begann, Prügel mit Zuneigung zu assoziieren. Schwere körperliche Misshandlungen wurden zu einer Art Vorbedingung für Liebe. Zwangsläufig konnte sich sein Sexualleben nicht normal entwickeln.

»Er war ein erfolgreicher Mensch, doch im Grunde wollte er nur glücklich sein«, sagte Jillian. »Glück war für den Regenmacher gleichbedeutend mit Mona Farnsworth, wenn sie sich auf sein Gesicht hockte.«

»Regenmacher?«, fragte ich.

»So nennt man ihn in Finanzkreisen. Den Regenmacher. Clive brauchte nur mit den Armen zu wedeln, sozusagen eine Regenzeremonie abzuhalten und schon fielen Anleger und lukrative Investmentgeschäfte vom Himmel wie Mona Farnsworth’ göttliches Wasser – ja, mir ist bekannt, welchen Begriff er bei ihr benutzen musste. Es war Clive, der die Leute von Helmstrom Enterprises an Land gezogen hatte.« Ich war verblüfft. »Die Leute, die den Themenpark im Upper Valley errichten wollen. Es soll der größte östlich von Phoenix und westlich von Houston werden. Clive ist zu ihnen gegangen, hat seine Show abgezogen und sie haben ihm aus der Hand gefressen. Seine Firma, Cibola Savings and Loan, wird die Hälfte finanzieren, für die andere Hälfte konnten sie – gegen eine hübsche Vermittlungsprovision – eine mexikanische Bank gewinnen. So richtig verstehe ich das nicht, muss ich aber auch nicht.«

Sie bemerkte, dass ich das Porträt des alten Mannes betrachtete. Er sah aus wie ein gewissenloser Kapitalist aus dem neunzehnten Jahrhundert. In seinen dunklen Augen brannten Gier und Skrupellosigkeit. »Es ist nur Staffage«, sagte sie. »Clive wollte eine Abstammung, die sich bis in die Zeit des ungezügelten Ausbeuterkapitalismus zurückverfolgen lässt. Unseren Gästen tischte er immer auf, dass der Mann auf dem Bild sein Großonkel Clayton Renseller sei, der Eigentümer der Astoria Shipping Company. Meiner Meinung nach ist es ein Porträt des Waffenschmieds von Teddy Roosevelt.«

Ich hob mein Glas und trank den vierten Tequila auf das Wohl des Waffenschmieds von Teddy Roosevelt. »Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen«, sagte ich.

Sie stand auf. »Ich fahre Sie zu Mona zurück. Ich werde die Nacht nicht hier verbringen, nicht solange Clive oben in seinem Schlafzimmer ist.«

»Das kann Ihnen keiner verübeln.«

»Es ist nicht das, was Sie jetzt denken«, sagte sie. »Sie werden vermutlich niemanden treffen, der weniger abergläubisch ist als ich. Ich glaube nicht an Geister, aber ich glaube an Gott. Nicht an den Gott der Christen. Mein Gott ist mehr ein aztekischer Gott oder der Gott der Massai in Afrika. Der alte cholerische Gott der Hebräer kommt meinem nahe. Es ist ein Gott, der die Leute gern verarscht. Er glaubt auch nicht an das Glücklichsein. Er glaubt an Ironie, an den Aufruhr. Er sorgt dafür, dass Ungerechtigkeit herrscht. Erst macht er’s uns in der Hölle gemütlich, dann lässt er die Möbel abholen und wirft uns aus dem Haus. Momentan bin ich die Zielscheibe seines Spotts. Verstehen Sie, würde ich heute Nacht hier schlafen, wäre es genauso wie in all den Nächten der letzten fünf Jahre. Clive liegt drüben in seinem Bett und nimmt mich überhaupt nicht wahr. Alles ginge weiter, wie gewohnt, und das ist es, was mich umtreibt. Nein, ich werde die Nacht über bei den Farnsworths bleiben. Das sind gute, zuverlässige Menschen. Das Salz der Erde.«

Sie war dabei, einen Scheck für mich auszustellen, blätterte dann in den Kontoauszügen und klappte das Scheckbuch zu. »Mist, das Konto ist überzogen. Ich werde Ihnen Bargeld geben.« Sie wühlte in ihrer Tasche und dabei kam alles Mögliche zum Vorschein, nur kein Geld. »So ein Mist, ich habe kein Bargeld mehr. Ich werde Ihnen die fünfhundert Dollar schicken müssen. Es macht Ihnen doch nichts aus, ein paar Tage zu warten, oder?«

Ich zuckte die Achseln. »Ich habe wohl keine andere Wahl.« Ich gab ihr meine Adresse und sagte: »Ihr Gott hat einen Hang zur Ironie.«

Sie sah mich wieder an, mit diesem langen, forschenden Blick, und kam zu dem Schluss, dass Lachen okay sei. Ich musste ebenfalls lachen, dachte aber an ihre Bemerkung, die sie überflüssigerweise noch betont hatte: Clive liegt drüben in seinem Bett und nimmt mich überhaupt nicht wahr. War das etwa eine Botschaft für mich? Brauchte sie jemanden? Ich sah ihr in die Augen und suchte nach Hinweisen, aber die Stahlgitter dahinter waren schon heruntergelassen.

Wir verließen das Haus durch die Hintertür. »Ich wollte Ihnen noch etwas zeigen«, sagte sie und betätigte einen Schalter an der Wand. Hinter einem Labyrinth aus Hecken wurde ein Swimming-Pool von der Größe eines kleinen Sees in Licht getaucht. Er hatte eine ungewöhnliche Form und fasste mehr Wasser als zwei olympiataugliche Schwimmbecken. Rund um den Pool waren Bärengras und Christophskraut gepflanzt und gaben dem Ganzen das Flair eines Bergsees. Fische, auf der Jagd nach Insekten fürs Abendessen, sprangen in die Luft und brachten Bewegung in die Wasseroberfläche. Ein Märchensee.

»Sein Forellenbecken«, sagte sie. »Er ließ den Pool für eine Fischaufzucht umbauen. Ich glaube, das war das Einzige, was er wirklich geliebt hat. Jeden Morgen konnte er hier zum Fliegenfischen herausgehen. Seine geliebten Cutthroat-Forellen. Hier hatte er das Gefühl, wieder im Nordwesten zu sein, dort, wo das Leben einfacher war.« Wir starrten auf die klare Wasseroberfläche, als bekämen wir so Einblick in die verletzliche Seele des Regenmachers.

»Ich werde diese Brühe abfließen und die Fische entfernen lassen«, sagte sie.