Sechsundzwanzig
Erst als wir in Deming, New Mexico, waren, erzählte sie mir, was sie getan hatte. Der Einbruch bei den Farnsworths war nicht von Solís angeordnet worden. Er war Jillians Idee gewesen. Sie hatte Forbes – der auf Solís’ Gehaltsliste stand, nicht auf ihrer –hinters Licht geführt und überredet, einzubrechen und die Mitschnitte von Monas und Clives Sadomaso-Sitzungen im Kerker mitgehen zu lassen. Sie hatte Forbes davon überzeugen können, dass es das Beste für seinen jefe sei, aber auch für den Ruf ihres Mannes und natürlich für die Cibola Savings and Loan. Forbes hatte keine Rücksprache mit Solís gehalten. Für ihn hatte festgestanden, dass sie für el jefe sprach, schließlich atmeten Jillian und er dieselbe dünne Luft der Superreichen. Forbes habe nun mal die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen, meinte sie, darüber bestehe keinerlei Zweifel.
Der Einbruch war ein Kinderspiel gewesen. Forbes hatte einen Tag abgepasst, als die Kinder in der Schule und Mona und Jerry auf Einkaufstour gewesen waren. Zwar waren die Bänder unter Verschluss gewesen, doch Jillian hatte genau gewusst, wo. Der Aktenschrank, in dem sie sich befunden hatten, war ziemlich leicht aufzubrechen. Es hatte sich um sechs Bänder gehandelt, alle beschriftet und mit Datum versehen. Forbes hatte sie Jillian übergeben und sie hatte ihm aufgetischt, dass sie die Bänder vernichten wolle.
»Aber ich hab’s nicht getan«, sagte sie. »Ich habe mir ein paar angesehen und von einigen Szenen Polaroids gemacht.«
Wir saßen im Auto, in der Innenstadt von Deming. Die Gegend war dunkel und verlassen. Das Getöse eines einsamen Sattelschleppers drang von der parallel zur Hauptstraße verlaufenden Interstate herüber. Jillian lehnte sich an mich. »Ich hab’s für dich getan«, sagte sie.
»Was getan?« Bisher hatte sich der Sinn ihres Handelns mir noch nicht erschlossen. Für mich gab es keinen Grund, Forbes auf die Bänder anzusetzen. Die Farnsworths konnten nichts gewinnen, im Gegenteil, sie hatten alles zu verlieren, würden die Aufnahmen veröffentlicht. Bei ihnen waren die Bänder absolut sicher gewesen.
»Ich habe die Polaroids an Know It All! geschickt. Das Boulevardmagazin. Anonym.«
Ich stieß sie weg von mir. »Bist du verrückt geworden? Wie zum Teufel soll mir das helfen?«
»Das Geheimnis ist gelüftet, verstehst du? Du stellst für sie keine Bedrohung mehr da.«
Es ergab immer noch keinen Sinn. »Eine Bedrohung für sie? Du gehörst doch auch dazu, Jillian. Welche Rolle spielst du eigentlich?«
»Ich habe nie dazugehört. Genauso wenig Clive. Vielleicht verrate ich dir jetzt nichts Neues, aber Clive war nur Staffage. Der Strohmann für Fernie und seine Hintermänner. Sie haben ihn angeheuert, weil er wie el supergringo aussah. Ihnen war es nur darum gegangen, der Bank einen durch und durch US-amerikanischen Anstrich zu geben. Sie stellen Mexikaner nicht mal als Kassierer ein.«
»Die Bank dient der Geldwäsche«, sagte ich.
Sie lachte. »Natürlich, was denn sonst? Bis zu einem gewissen Grad trifft das auf die meisten Banken nahe der Grenze zu. Auf die eine oder andere Art landet das Drogengeld bei ihnen. Bei Cibola verhält sich die Sache etwas anders, weil die Bank einem der wichtigsten Drogenbarone gehört. Das Drogengeld muss nicht erst außer Landes geschmuggelt oder in Beträgen, die niemanden stutzig machen, in U.S.-Banken deponiert werden. Es kann direkt bei Cibola abgeladen werden. Fernie agiert auch für andere traficantes als Broker. Gegen einen fairen Abschlag kauft er ihre Dollars und überweist ihnen Pesos, Euros, englische Pfund, Yen oder was auch immer auf ihre Konten im Ausland. Als Broker verdient Fernie vermutlich mehr Geld als mit dem Drogenhandel.«
Sie ließ den Motor an und rollte die Hauptstraße von Deming entlang. »Mal sehen, ob wir ein Motel finden«, sagte sie. Sie fuhr langsam und blickte an jeder Kreuzung nach rechts und nach links. Dann bog sie in eine Seitenstraße ein und fuhr auf ein blaues Neonschild zu, das freie Zimmer versprach. Sie steuerte in die Auffahrt des Oasis, eines uralten Gasthauses, das noch nicht von einer der großen Motelketten geschluckt worden war. »Ich liebe diese alten Stuckkästen von anno dazumal.«
Ich musterte sie. Nein, tust du nicht, dachte ich. Die Betten sind durchgelegen, in der Wäsche hängt der Geruch längst vergessener Rendezvous und die Bilder – sofern es überhaupt welche gibt – zeigen Palmen auf schwarzem Samt. Sie hatte ihr Leben ernsthaft in Gefahr gebracht, als sie dem Boulevardblatt die Fotos hatte zukommen lassen, und jetzt wollte sie die Nacht in einem rustikalen Motel in Deming verbringen, als wären wir Verliebte, die einen draufmachen wollten. Ich kam zu dem Schluss, dass sie log, hatte aber keinen blassen Schimmer, weshalb.
Sie checkte ein und wir nahmen ein Zimmer am Ende des u-förmigen Innenhofes. Kaum waren wir drinnen, sagte sie: »Zieh dich aus.« Ich tat es. Dann war sie an der Reihe.
Wir gaben uns dem Ritual der Verliebten hin. Es war süß und zart und falsch und es schmeckte nach Betrug. Auf dem Höhepunkt unserer Leidenschaft kam mir die Erkenntnis: Ich war nicht fähig, jemanden zu lieben. Ich wusste nicht mal, was Liebe war. Ich konnte nicht nachvollziehen, dass zwei Menschen glaubten, von nun an wie siamesische Zwillinge durchs Leben gehen zu müssen. Mir schien eher die Angst vor der Einsamkeit das Bindeglied zu sein, das die Menschen als Liebe missdeuteten. Es gab keine Liebe. Liebe war ein Wort, mit dem die Menschen das schwarze Loch im Zentrum ihrer Persönlichkeiten verschließen wollten. Das schwarze Loch war der Tod und all die kleinen Tode, die man im Leben starb, durch Einsamkeit, durch Scheitern oder Selbsthass.
Ich musste unwillkürlich leise lachen und Jillian sah mich an mit einem Blick, der förmlich Gift und Galle spie. Gert kam mir in den Sinn, wie sie meinem Geheimnis auf die Spur gekommen war und wie sie das Ende ihrer Einsamkeit in den Armen eines Rennfahrers gefunden hatte.
Und Jillian war ebenso unfähig zu lieben wie ich. Um so merkwürdiger war ihre Geschichte von Selbstaufopferung. Sollte sie dem Magazin die Polaroids geschickt haben, dann gab es dafür ein anderes Motiv. Ein Motiv, das sie wohl kaum zugeben wollte.
Unter der Dusche sagte sie: »Warum hast du gelacht? Ich bin völlig abgelenkt worden und wäre beinahe nicht gekommen. War diese Gemeinheit Absicht?«
Ich wollte meine Erkenntnis nicht mit ihr teilen. Ich schämte mich dessen. Niemand konnte sich zu so etwas bekennen. Es kam dem Bekenntnis gleich, ein Triebtäter zu sein, der Kinder ermordet.
»Komm schon, erzähl’s mir«, sagte sie und lachte. Sie nahm meine Eier in die Hand. »Du erzählst es mir auf der Stelle oder ich quetsche die kleinen Kerle, bis sie blau werden, ich schwör’s.«
Ich packte sie am Handgelenk und zog ihre Hand weg, dann drängte ich sie gegen die gesprungenen, schimmligen Fliesen. Ich legte meine Hände um ihre Hüften, hob sie hoch und drang in sie ein. Ohne jegliches Feingefühl. Damit sie einfach Ruhe gab.