Einunddreißig

Zuerst ging ich ins Y, das sechs Blocks vom Westin entfernt liegt. Ray Fuentes bearbeitete gerade seinen großen Rückenmuskel an der Kraftstation. Als er mich sah, brach er ab. »¿Que pasó?«, fragte er. »Du siehst aus wie Moby Dick. Wo hast du überhaupt gesteckt?«

»Überall und nirgends«, erwiderte ich.

»Hast dich mit ’ner verheirateten Frau eingelassen, stimmt’s?« Er grinste, das allwissende Grinsen eines sabelotodo. Ein Grinsen, das mich provozierte.

»Bist du unter die Hellseher gegangen?«, fragte ich.

»Du hast diesen gewissen Ausdruck im Gesicht. Der Ehemann ist mit einer .38er hinter deinem Arsch her, doch die Pussy ist viel zu scharf, um die Finger von ihr zu lassen. Diesen Ausdruck kenn ich. Hab ihn selber schon zur Schau getragen. Mehr als einmal. Man hat manchmal keine Chance, den tronco hinterm Reißverschluss in die Schranken zu weisen.

»Es ist leider etwas komplizierter als das«, sagte ich.

»Nichts kann komplizierter sein als das, ése.«

Ich belud eine Hantelstange mit einhundertsiebzig Kilo. Fuentes kam mit an die Bank, doch sobald ich die Hantel auf die Brust abgesenkt hatte, bekam ich sie nicht mehr hoch.

»Na Samson, hat sie dir auch noch einen Haarschnitt verpasst?«, bemerkte Ray und grinste wieder. Er entfernte auf jeder Seite eine Scheibe von zehn Kilo, doch auch mit der leichteren Hantel brachte ich es nur auf sechs Wiederholungen. Ich hatte einen langen Weg vor mir, um wieder in Form zu kommen.

»Zu viel Pussy und dein Vorteil ist dahin«, sagte Ray.

»Nimm Samson zum Beispiel. Er hätte nicht mal ’n Häufchen Scheiße drücken können, nachdem Delila ihm den Saft abgezapft hat. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie ihm den Kopf scheren ließ. Erst nachdem er sich von der Pussy losgesagt hatte, konnte er die Halle der Philister einreißen.«

»Das hab ich etwas anders in Erinnerung, aber tu mir trotzdem einen Gefallen, Ray – keine Bibelgeschichten, okay?«

»In der Bibel gibt es ’ne Menge Beispiele dafür, wie man sich durchs Fremdvögeln selbst ins Aus katapultiert.«

»Hab gar nicht gewusst, dass du so gläubig bist, Ray.«

»Mein Onkel Lino ist nicht umsonst Priester«, feixte Ray.

Ich gab es auf und ging duschen. Danach machte ich mich auf den Weg ins Westin. Die Tür zu Zacks Suite stand weit offen. Ich trat ein.

Er trug Sportklamotten und war mitten in einer Tai-Chi-Übung. »Bin gleich fertig, Uri«, sagte er, »muss nur noch mein Qi in Fluss bringen.«

Er bewegte sich mit der Eleganz eines Tänzers. Jede seiner Bewegungen ging fließend in die andere über, als mache er Musik sichtbar. Sanfte Klänge, bei denen die Atmung den Rhythmus vorgab. Es war von hypnotischer Wirkung.

Ich riss mich los. Diese Tai-Chi-Übung kam mir vor wie ein triumphaler Tanz. Zack hatte Geld, war innerlich im Gleichgewicht und lebensbejahend. Ich hingegen war arm, zögerlich und stolperte ohne Kompass durchs Leben. Ein Felsen im freien Fall, ganz im Gegensatz zu Zack, der sich unbeirrt auf seine Ziele konzentrierte. Der perfekte Kosmopolit, ein Mann für das neue Jahrhundert, der sich überall auf dem Globus zu Hause fühlte. Soweit ich wusste, gab es keine Frau in seinem Leben. Gleichwohl war er nicht einsam, würde es nie sein, denn die Welt da draußen empfing ihn wie einen Prinzen.

Ich trat ans Fenster und ließ meinen Blick über die Stadt gleiten. Cibola Savings & Loan zeigte sich der Welt als erhobener grüner Finger. Als trotziger Du-kannst-michmal-Finger oder als einladend-lockender Finger. Vielleicht sogar beides.

Dann stand Zack neben mir. »Geld«, sagte er, als dächte und sähe er in diesem Augenblick das Gleiche wie ich. »Der Welt Lebenssaft. Es liegt da draußen und ist ganz leicht einzusammeln.«

»Danke«, sagte ich. »Man muss mich immer wieder daran erinnern. Manchmal vergesse ich nämlich, dass ich das schwarze Schaf der Familie wäre, gäbe es Mose nicht. Vielleicht sollte ich das mit seinem Entzug noch mal überdenken.«

»Ich habe über dich und Mose nachgedacht«, sagte er.

»Und danke auch, dass du uns auf eine Stufe stellst.«

»Dein Plan ist eine Schnapsidee, Uri. Dennoch habe ich mich entschlossen, dir das Geld zu geben.«

»Warum dieser Sinneswandel?«

»Du bist der große Bruder, zu dem ich als Kind aufsehen konnte. Ich habe ein Problem damit, deine Bitte abzulehnen, egal, wie idiotisch deine Idee auch sein mag. Ich gebe dir fünf Riesen. Mach damit, was du willst, es interessiert mich nicht. Du willst sie für Moses verschwenden? Gut, Kritik meinerseits hast du im Nachhinein nicht zu befürchten. Obgleich ich wünschte, du würdest das Geld als Anzahlung für einen vernünftigen Wagen verwenden, aber das ist deine Sache, Uri. Schaffst du es, dass Mose einen Monat clean bleibt, stelle ich einen weiteren Scheck aus.«

Er stellte einen Scheck aus und gab ihn mir. »Und jetzt gehen wir was trinken«, sagte er.