Dreizehn
In der Hoffnung, Jillian würde mal wieder vorbeikommen, um mich zu was Bestimmten zu überreden, löste ich die Schecks nicht ein, auch nicht den, der am nächsten Freitag kam. Die Sorte Überredungskunst, der sich Jillian bediente, barg eindeutig Suchtgefahr.
Samstagvormittag stieß ich im Y auf meinen Trainingspartner Ray Fuentes. »Du wirst langsam korpulent, Alter«, feixte Ray, als er mich in meinen Trainingsklamotten sah.
»Knapp ein Kilo. Das macht einen nicht gleich korpulent.«
Tatsächlich hatte ich in den letzten Monaten gut fünf Kilo zugelegt und wog jetzt einhundertsieben, mein persönlicher Rekord. Aber ich konnte nicht erkennen, wo die fünf Kilo saßen.
Ray entging nicht, dass ich mich in einem Wandspiegel betrachtete. »Es ist dein Arsch«, sagte er. »Du hast den nalgas eines russischen Gewichthebers. Nimmst du wieder Steroide?«
»Leck mich, Ray«, sagte ich, schnappte mir eine mit hundert Kilo beladene Langhantel und machte zehn Curls, um Form vorzutäuschen.
Ich hatte Steroide genommen, vor Jahren, als ich noch Wettkämpfe bestritten hatte. Nachdem der Umfang meines Oberarms nicht über fünfundvierzig Zentimeter hinausgekommen war, hatten ihn Steroide innerhalb weniger Monate auf über fünfzig Zentimeter aufgepumpt. Mit einem Bizepsumfang von über fünfzig wurde aus mir ein Konkurrent. Ich hatte das Zeug so lange genommen, bis Lyle Alzedo, der Footballspieler, an einem bösartigen, vermutlich durch Steroide induzierten Hirntumor erkrankte. Eine rote Karte reichte mir.
»Machst du jetzt Masse, Uri?«, fragte Ray. »Keinen Bock mehr auf Schwerstarbeit?«
Fuentes hatte irgendwann den Titel des Mister West Texas gewonnen. Mit seinen neunzig Kilo, verteilt auf 1,80 Meter, könnte er auch das marmorne Kunstwerk eines alten Griechen sein. Ich bezweifle, dass er auf mehr als drei Prozent Körperfett kommt. Auf der Bank kann er das Doppelte seines Körpergewichtes drücken. Einmal habe ich ihn beobachtet, wie er mit hundertachtzig Kilo zehn Wiederholungen schaffte und dabei nicht mal die Zähne zusammenbiss.
Ich machte hundert Sit-ups, dann trainierte ich eine Stunde an der Kraftstation. Nachdem ich mein Pensum absolviert hatte, verspürte ich Appetit auf huevos rancheros im H&H, doch das verkniff ich mir. Ich musste diese fünf Kilo loswerden. Eitelkeit regiert.
Als ich nach Hause kam, stand Jillians Mercedes auf meinem Parkplatz. Ich nahm drei Stufen auf einmal, doch leider war es nicht Jillian, die vor meinem Apartment wartete, sondern Mr. Kartoffelkopf samt Freund.
Sie saßen auf Klappstühlen aus Segeltuch, die sie vom Rand des nicht mehr genutzten Swimming-Pools mitgebracht hatten. Seit 1973 war kein Wasser mehr im Becken und den Mietern bleibt nur noch ein Sonnenbad auf der Betonumrandung. Als Forbes und sein Kumpel mich kommen sahen, erhoben sie sich. Ich holte meinen Schlüssel hervor, öffnete die Tür und bat sie herein.
»Eigentlich bist du ganz schön dämlich«, sagte Forbes.
»Weil ich euch reinlasse?«, fragte ich.
»Auch.« Er trug denselben Walmart-Anzug, allerdings mit ein paar Knitterfalten mehr und einem Senfspritzer auf dem Ärmel. Sein Schmerbauch erlaubte es ihm nicht, das Jackett zuzuknöpfen. Aus einem Meter Entfernung konnte ich seinen abgestandenen Atem riechen: gestern Nacht Bourbon, heute Pastrami-Sandwich mit Zwiebeln. Seine Stimme überraschte mich; sie war ziemlich hoch, ein sandiger, kraftloser Knabenalt. Sein dicker Hals ließ den Stimmbändern nicht genügend Platz. Sie produzierten lediglich ein hohes, trockenes Quietschen.
Sein Freund war eine ganze Nummer kleiner, dafür aber umso zäher. Er stemmte keine Gewichte, doch ich schätzte, er gehörte zu den Schlägern, die nicht viel Muskeln benötigen, um einen richtig aufzumischen. Er war klein, drahtig und sah man von der platten Nase ab, die mehr als einmal gebrochen worden sein musste, hatte er ein fein geschnittenes, hohlwangiges Gesicht. Eine schmale, eng anliegende Sonnenbrille gestattete keinen Blick in die Augen, auf die mit kleinen Narben durchzogenen Brauen hingegen schon. Seine Oberlippe wirkte dunkel durch den seidigen Schnurrbart. Auf dem Kopf saß ein flacher, runder Filzhut à la Frank Sinatra, dazu trug er ein Hawaiihemd, das bei Sonnenschein die Augen bis zur Schmerzgrenze belasten konnte, und Oxfords mit Stahlkappen. Seine weiten Hosen mit den großen Taschen stellten eine Verbeugung vor den glorreichen Zoot-Suit-Tagen dar. Während meiner Armeezeit hatte sich einer meiner Kameraden mit einem Schläger dieses Kalibers eingelassen und es mit einem gebrochenen Schlüsselbein, zertrümmerten Wangenknochen und dem Verlust von vier Zähnen bezahlt. Eine Woche lang hatte er Blut gepisst. Klein bedeutet nicht zwangsläufig schwächlich.
»Das ist ein fetter maricón, Forbes. Ich werde mit seinem Kopf erst mal einen chingazo veranstalten, um den Tanz zu eröffnen«, sagte er und grinste. Seine kurzen Zähne sahen aus wie gehämmertes Zinn. Er gab dem Namen Forbes einen spanischen Klang, indem er ihn ›For-bäs‹ aussprach.
»Piss dir nicht auf die Schuhe, Victor«, sagte Forbes.
»Wir sollten dem Pflaumenlutscher die Chance geben, zu kooperieren. Wir wollen ihn nicht verletzen, wenn’s nicht nötig ist.«
»Doch, das wollen wir, Mann«, sagte Victor. »El jefe hätte keine problemas, seinen chorizito zusammen mit dem Rest von seinem Körper in el desierto verschwinden zu lassen.« Er fuhr sich tastend über die Hosentasche. Dann fügte er sachlich wie ein Nachrichtensprecher hinzu: »La vida en la frontera – es war niemals billiger zu haben.« Allerdings hätte es sich bei dieser Meldung um eine Ente gehandelt: An der Grenze war ein Menschenleben schon immer wenig wert gewesen.
Victor war bereit. Das kleine Vorgeplänkel hatte ihn in Stimmung versetzt. Er war der geborene Schläger und hatte das hinreichend ausgelebt, und zwar mit Passion. Die weißen Narben, die wie schmale Schneisen seine Brauen durchzogen, sprachen Bände: Er war ein ehemaliger Boxer. Ein Weltergewicht, das jetzt Spaß daran hatte, die großen Jungs umzuhauen. Bislang hatte er sich weder bewegt noch Drohgebärden gezeigt, dennoch hob Forbes eine Hand hoch, als müsse er ihn zurückhalten. Victor bereitete mir mehr Kopfzerbrechen als Forbes. Forbes war ein angeheuerter Dummkopf, der den Job der guten Bezahlung und der günstigen Arbeitsbedingungen wegen machte. Victor dagegen hätte diese Art Arbeit auch für eine Fahrkarte mit dem Güterzug erledigt.
»Sie hat die Beine für dich breit gemacht, Mann«, sagte Forbes. »Hast du gar kein Ehrgefühl? Sie hat dich gefickt, damit du die Schecks einreichst. Begreifst du das nicht? ’ne erstklassige Pussy, Geld, und zwar beides für lau – damit hast du ein Problem?« Er grinste, als wäre ihm etwas Amüsantes in den Sinn gekommen. »Hey, du glaubst tatsächlich, deine Scheiße wäre für sie was Besonderes, stimmt’s? Was ist los mit dir, Mann? Tickst du nicht richtig?«
»Ich dachte, sie hat mich gefickt, weil sie geil war«, sagte ich. »Ihr Alter konnte es ihr nicht besorgen. Er zog es vor, ausgepeitscht statt flachgelegt zu werden.«
Mit drohendem Blick machte Forbes einen Schritt auf mich zu. Ein dicker Finger schnellte aus seiner zur Faust geballten Hand hervor und zielte auf mein Gesicht. »Pass auf!«, quakte er und schraubte seine Stimme noch höher.
»Über Tote lästern – genau dieses dumme Gewäsch macht dich zum Versager. Versager quatschen dumm rum, weil sie meinen, den Durchblick zu haben. Aber einen Scheiß haben sie. Deshalb sind sie auch Versager. Wie bei Catch 22. Je mehr sie zu wissen glauben, desto dämlicher sind sie.« Er mühte sich ab mit dieser Übung in Sachen Logik, dabei erzeugte die schwerfällig arbeitende Maschine in seinem Kopf Falten auf seiner Stirn.
»Da hat aber jemand meinen Lebenslauf gelesen«, sagte ich.
Ich gab mich cool, war es aber nicht. Mein Herzschlag nahm Fahrt auf und meine Hände fingen an zu schwitzen. »Euer jefe ist also stocksauer, weil ich das Geld von Mrs. Renseller nicht angenommen habe, und du willst mir erzählen, warum?«
»Finde es selbst raus«, erwiderte Forbes. »Du bist doch hier der Schlaumeier. Dürfte einem Genie wie dir nicht schwer fallen, dahinterzukommen.«
Ich bewegte mich auf das Bett zu, stellte mich so hin, dass es zwischen mir und den beiden stand. Jillian war nicht ihr Boss, ihr jefe. Es handelte sich um eine andere Person, eine Person, die etwas zu verlieren hatte, wenn ich Jillians Schecks nicht einlöste – was keinen Sinn ergab.
»Ich bin nicht scharf darauf, Anweisungen zu befolgen«, sagte ich. »Vier Jahre Armee und ich hab’s nicht mal bis zum Unteroffizier geschafft. Zweimal wurde ich wegen Insubordination eingelocht, also zweimal innerhalb eines Jahres nach Artikel 15 vors Militärgericht gestellt. Scheint, als hätte ich ein Problem mit meiner Einstellung – es ergeht ein Befehl, ich mach das Gegenteil.«
»Danke für die Erläuterungen«, sagte Forbes, »aber ich glaube kaum, dass jemand eine Serie zur Hauptsendezeit produzieren will, die sich um dein Fehlverhalten dreht.« Er grinste. Er hatte einen Lauf und war sichtlich stolz, wie spontan ihm der Witz über die Lippen kam.
Victor zog das von ihm fortwährend liebkoste Ding aus der Hosentasche, das Geheimnis seines selbstsicheren Grinsens – einen Schlagring. »Dieser pendejo nimmt das Maul ganz schön voll«, sagte er. »Würd ihm das gern austreiben, For-bäs.« Über dem kleinen Finger war der Schlagring mit einer kleinen, sichelförmigen Klinge versehen. Schlagen und Schlitzen. Erst die Knochen im Gesicht brechen, dann das Gesicht aufschlitzen und alles in einer einzigen Bewegung. Forbes war im Begriff gewesen, um das Bett herum zu gehen, blieb jetzt aber wie angewurzelt stehen. »Verdammt noch mal, Victor, ich heiße Forbes. Nicht For-bäs. Meine Güte!«
»No importa«, sagte Victor. »Du bist so verdammt verspannt, Mann. Mach dich locker. Solltest mal Urlaub in mejico machen, camerones in Guymas essen, tampiqueña in Guadalajara, panochita in Puebla. For-bäs klingt viel cooler als Forbes. Forbes, das klingt, als würde ein Hund kotzen. Foh-orbs.« Er würgte das englische O hervor, wieder und wieder. »Foh-orbs, Foh-orbs, Foh-orbs.«
Sein zündender Witz ließ Forbes im Stich. »Sehr komisch, Mellado«, sagte er. »Wie wär’s denn, wenn ich deinen Namen anglomäßig aussprechen würde? Meladu. Klingt viel besser als dieses beschissene May-yahdoe.«
Während sie sich darum stritten, wie man den Namen des anderen aussprechen sollte, bückte ich mich, zog eine Thomas-Inch-Hantel unter dem Bett hervor und warf sie, einem dicken, fetten Dartpfeil gleich, Victor Mellado an den Kopf. Die Wucht von rund sechzig Kilo gusseiserner Masse trieb seinen Schädel gegen die Wand. Der Aufprall hörte sich an wie eine kleine Detonation und Victor sackte zu Boden wie ein Dummy.
Sein Abgang beschäftigte Forbes lange genug, um mir Zeit zu geben, nach der zweiten Hantel zu greifen. Ich zielte auf Forbes’ Kopf, doch der Wurf misslang. Ein Hantelende traf Forbes an der Brust, das zweite traf seinen Magen und presste ihm die Luft aus den Lungen. Er rang nach Atem und fiel auf die Knie. Ich schnappte mir eine Hantelstange und wartete darauf, dass er wieder hochkam, doch er blieb unten. In seinen Augen tanzte die Panik. Er wollte etwas aus seiner Jackentasche holen, doch ich wusste das zu verhindern und versetzte ihm einen Tritt. Er fiel um, seine Lippen formten Worte, doch sein Mund blieb stumm. Ich holte mit der Hantelstange aus und hielt inne. Forbes war außer Gefecht gesetzt, das genügte, außerdem konnte ich eine Leiche in meinem Apartment nicht gebrauchen.
Ich griff in Forbes’ Jackentasche und nahm ihm die Waffe ab – einen billigen Taschenrevolver Kaliber 32 –, öffnete die Trommel und schüttelte die Patronen heraus, dann warf ich die Waffe aufs Bett. Alles mit zitternden Händen.
»Scheiße, du hast mir das Brustbein gebrochen«, stieß Forbes flüsternd hervor.
»Hätte schlimmer kommen können«, erwiderte ich mit einer Stimme, zittrig wie meine Hände. Vielleicht hatte Güero Recht, was mich betraf. Ich hatte den Drang verspürt, Mr. Kartoffelkopfs Hirn auf dem Boden zu verteilen, und hätte es auch beinahe gemacht.
Victor war noch immer ohnmächtig. Es sah nach einer schweren Gehirnerschütterung aus. Ich streifte den Schlagring von seiner Hand und warf ihn in den Müll.
Dann kümmerte ich mich um Forbes und half ihm auf die Füße. »Kannst du fahren?«, fragte ich.
Er nickte, gab sich kleinlaut wie ein getretener Hund. Ich legte mir Victor über die Schulter, dann gingen wir hinunter zum Mercedes. Während ich Victor auf die Rückbank verfrachtete, zwängte sich Forbes hinter das Steuer, die Hand auf der Herzgegend, als wolle er den Treueschwur gegenüber der Fahne leisten. »Kannst schon mal deine Beerdigung vorbereiten, du Scheißkerl«, flüsterte er. »Du bist so gut wie erledigt.«
»Reg dich ab«, sagte ich. »Wenn du Victor ins Krankenhaus gebracht hast, erzähl deinem jefe, ihr hättet mich überzeugt. Ich werde die Schecks einlösen, am Montag. Ihr habt euren Job hervorragend erledigt. Wer auch immer dein Boss sein mag, sag ihm, ihr habt mir so richtig die Eier poliert. Zwar habt ihr dabei selbst ein paar chingazos hinnehmen müssen, doch am Ende habt ihr es geschafft, dass ich den Schwanz einziehe. Begreifst du, was ich sage, For-bäs? Du kannst auf meine Kosten eine gute Figur machen.«
Er starrte mich an, doch der Effekt verpuffte, so sehr war der Ausdruck in seinen Augen von akuten Schmerzen geprägt. Er ließ den Motor an und irgendwie gelang es ihm, den Wagen vom Parkplatz zu steuern.
Ich ging hoch in mein Apartment. Meine Hände zitterten immer noch – zu viel Adrenalin. Ich nahm die Thomas-Inch-Hanteln und machte so lange Bizeps-Curls, bis meine Arme brannten und meine Hände wieder ruhig waren.
Auf dem Anrufbeantworter waren zwei Nachrichten. Die erste war von Rosie Hildebrand. »Meine Terrine ist schon wieder dicht, du Spezialist. Das Wasser läuft über den Rand. Wie sollen wir das Ding benutzen, wenn das Wasser über den Rand läuft? Vielleicht ist dir ja nach ’ner fetten Klage. Ich hab einen Cousin zweiten Grades, der ist Anwalt, hier in der Stadt. Er heißt Eldon Gary Lofton. Schlag mal die Gelben Seiten auf und du wirst sehen, dass ich keine Witze mache.«
Ich stellte mir vor, wie ich Rosie in ihrer Toilettenschüssel ertränkte, ihren Kopf in die stinkende Brühe drückte, bis ihr Körper aufhörte zu zucken. Ich stellte mir Bill Hildebrand vor, wie er mich zum Dank zu einem Glas Vin Rose einlud.
Die zweite Nachricht war von Jillian. »Bleib heute nicht zu Hause. Es tut mir leid, Liebling, aber sie werden dir sonst was antun. Bitte, bitte, bitte reich die Schecks ein. Ich versuche, sie aufzuhalten.«
Vielen Danke auch, Schlampe, dachte ich.
Ich beruhigte mich wieder ein wenig. Zumindest hatte sie versucht, mich zu warnen.
Vielleicht dachte sie wirklich, meine Scheiße sei was Besonderes.
Vielleicht liebte sie mich.
Mit dieser Vorstellung konnte ich eine Weile leben.