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Alban lauschte eine Weile in der Dunkelheit, während die Schwimmgeräusche seines Vaters langsam verklangen. Die Öffnung des Tunnels zum See war gar nicht weit; er würde sie binnen weniger Minuten erreichen. Sein Herz schlug kräftig, und er spürte, dass alle seine Sinne hellwach waren, seine Gedanken ruhig und schnell. Es war das Elektrisierendste, das er jemals getan hatte, seltsam und unerwartet erregend. Jetzt verstand er, was Fischer gemeint hatte, als er davon sprach, man solle die schöneren Dinge wertschätzen. Vor ein paar Jahren hatte Fischer ihn als eine Art Initiationsritus an der Schwelle zum Erwachsensein in den Wald geschickt, bewaffnet nur mit einem Messer, um einen Jaguar zu erlegen. Es war eine bemerkenswerte Erfahrung gewesen. Aber das hier – Jagd auf einen Menschen zu machen, und zwar nicht irgendeinen, sondern seinen Vater –, das war die endgültige Herausforderung.
Alban überlegte, was sein Vater als Nächstes unternehmen würde. Und die Antwort ließ nicht auf sich warten: Er würde nicht auf der Insel bleiben, wo er nichts tun konnte und völlig unterlegen und überfordert wäre. Er würde an Land schwimmen. Und er würde westwärts schwimmen, in Richtung des Lagers der Fehlerhaften. Weil er nach seinem anderen Sohn, Siebenundvierzig, Albans Zwilling, suchen würde. Dem, der jetzt einen Namen hatte: Tristram.
Tristram. Etwas an dem Namen – allein, dass es ihn gab – verärgerte Alban zutiefst.
Er joggte über den Laufsteg zu einer unscheinbaren Metalltür in einer Seitennische. Die schnelle Drehung eines Schlüssels im gut geölten Schloss, und er betrat einen schmalen Tunnel, von dem er wusste, dass er schräg nach oben führte. Einige Augenblicke später trat er durch eine weitere Tür in das nachmittägliche Licht und auf eine bröckelnde steinerne Plattform unmittelbar über dem Seeufer, umgeben von Schilf. Er zwängte sich durch die Vegetation, stieg zehn, zwanzig Meter die Flanke des Vulkanhügels hinauf, seine Füße knirschten auf der Asche. Dann blieb er stehen, drehte sich um und überblickte den See. Fast im selben Moment entdeckte er mit seinem scharfen Blick die Gestalt seines Vater – er schwamm westwärts an Land, genau wie er vermutet hatte.
Er hob das Gewehr und betrachtete seinen Vater durch die Vergrößerung des Zielfernrohrs. Dabei dachte er träge, dass die Entfernung zwar dreihundert Meter betrug, aber an diesem windstillen und schönen Nachmittag und angesichts seiner exzellenten Schießkunst der Schuss sicher tödlich wäre.
Er senkte das Gewehr, ohne geschossen zu haben, und beglückwünschte sich erneut für seinen starken Sinn für Ehre und Gerechtigkeit. Sein Vater war ein bedeutender Mann, der einen guten Tod sterben würde – nicht aus großer Entfernung in den Rücken geschossen. Der Schwimmstrecke betrug ungefähr achthundert Meter, und bei dem Tempo, in dem er mit seiner verletzten Schulter schwamm, würde es mindestens eine Viertelstunde dauern, bis er den Sumpf auf der anderen Seite erreichte. Es blieb also noch viel Zeit, einen gleichberechtigteren, interessanteren Wettkampf zu organisieren.
Er schlang sich das Gewehr über die Schulter und wanderte den ausgetretenen Pfad entlang, der die Insel umkreiste. Binnen weniger Minuten kam ein kleiner Anlegesteg in Sicht, an dem mehrere Boote mit Außenbordmotor vertäut lagen. Er ging zu ihnen, musterte sie eingehend und wählte das leichteste und manövrierfähigste aus: ein viereinhalb Meter langes Fiberglasboot mit flachem Boden und Zweitaktmotor. Er sprang hinein, überprüfte den Benzinstand, startete den Motor und steuerte auf den See hinaus.
Laut aufs Wasser schlagend, fuhr das Boot vom Ufer davon, Alban stand an der Pinne, spähte nach vorn und spürte den herrlich kühlen Luftstrom. Weil er sich so flach über dem Wasser befand, war es schwierig, seinen Vater zu sehen, aber er wusste, wo er sein würde. Und tatsächlich, als er sich der Seemitte näherte, konnte er seine Bewegungen im Nachmittagslicht erkennen: die regelmäßigen Schwimmzüge der Arme, das Aufspritzen der Füße.
Sein Vater sah ihn und tauchte. Alban drosselte die Geschwindigkeit und drehte leicht nach Süden ab. Wenn er tauchte und unter Wasser schwamm, würde sein Vater die Richtung ändern. Aber nein, genau das würde er nicht tun. Das wäre seine Überraschung: weiter in dieselbe Richtung zu schwimmen.
Wie lange konnte er wohl die Luft anhalten?
Erstaunliche zwei Minuten später – Alban konnte es kaum fassen – tauchte er wieder auf, genau dort, wo Alban damit gerechnet hatte, entlang derselben Route fast hundert Meter näher zum Ufer. Alban konnte hundertfünfzig Meter unter Wasser schwimmen, aber hundert war immer noch außergewöhnlich, vor allem für einen Mann im Alter seines Vaters.
Alban steuerte das Boot auf den Schwimmer zu und verringerte die Entfernung rasch. Warum ihn nicht einfach überfahren?
In der Tat, warum nicht? Das wäre ein Spaß. Sein Vater würde natürlich tauchen. Und wieder tauchen. Er drehte das Gas voll auf und hielt direkt auf die Gestalt zu. In letzter Minute tauchte sein Vater unter, und Alban riss die Pinne herum, fuhr eine Wende und steuerte auf die Stelle zu, wo der Flüchtige, wie er wusste, auftauchen würde.
Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, ihn auf diese Weise töten zu können. Aber es würde ihn ermüden, ihn erschöpfen.
Und am besten von allem: Es wäre ein schöner Zeitvertreib – für sie beide.