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Der Mann, der sich Alban Lorimer nannte, ging in die Hocke und wischte sich mit der lederbehandschuhten Hand über die Stirn. Er atmete schwer – eine Leiche von dieser Größe mit den relativ kleinen ihm zur Verfügung stehenden Werkzeugen auszuweiden, war harte Arbeit –, aber er war in guter Form und genoss die körperliche Anstrengung.
Diese Leiche war bislang die beste gewesen. Das Hotel – das Royal Cheshire – war wirklich prachtvoll, das elegante, dezente, ganz in Schwarz und Weiß gehaltene Foyer war wunderschön. Das Hotel verströmte eine intime Atmosphäre, was seine Arbeit zwar erschwerte, aber zugleich auch anspruchsvoller machte. Der Charakter war etwas schwieriger zu beschreiben als bei den beiden vorhergehenden. Ein Mitglied des Hochadels vielleicht, das Produkt zahlreicher Generationen voll Lebensart und Verfeinerung, mit Geld und Stil, ohne das geringste Bedürfnis nach vulgärer Zurschaustellung. Die Suite hier im fünfzehnten Stock war in der Tat geschmackvoll.
Und die junge Frau – er hatte dafür gesorgt, dass es eine junge Frau war – hatte sich als höchst zufriedenstellend erwiesen. Sie hatte sich tapfer gewehrt, selbst dann noch, als er ihr mit dem Taschenmesser die Kehle eröffnet hatte. Im Austausch hatte er ihre Bemühungen belohnt, indem er dieses Mal besonders sorgfältig vorgegangen und die Leichenteile so arrangiert hatte, dass sie an den Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci erinnerten, wobei die verschiedenen Organe an den Kompasspunkten des Kreises angeordnet waren und das Glanzstück behutsam auf der Stirn plaziert war. Jetzt atmete er tief durch, steckte einen behandschuhten Finger in das frische Blut, das sich unter der Leiche gebildet hatte, schrieb eine kurze Botschaft auf den nackten Bauch – Kitzel, Kitzel! – und wischte seine Fingerspitze an einer sauberen Stelle des Teppichbodens ab.
Alban fragte sich, ob er wohl erraten hätte, wer diese Morde beging. Es war eine so köstliche Ironie …
Plötzlich blickte er auf. Alles war still – und doch begriff er sofort, dass ihm nur ein, zwei Sekunden zum Handeln blieben. Rasch sammelte er seine Werkzeuge ein, schlug sie in sein Lederbündel ein, stand auf, huschte aus dem Schlafzimmer der Suite in den Wohnbereich, dann lief er ins Bad und versteckte sich hinter der Tür.
Kurz darauf erklang ein Klicken, als die Tür zur Suite aufgeschlossen, und ein Knarren, als sie geöffnet wurde. Alban hörte den gedämpften Laut von Schritten auf dem Teppichboden.
»Mandy?«, ließ sich eine Männerstimme vernehmen. »Mandy, Liebling, bist du da?«
Die Schritte verhallten, der Mann ging durch den Wohnbereich zum Schlafzimmer.
So leise wie möglich schlich Alban aus dem Badezimmer, öffnete die Tür zur Suite, trat hinaus auf den Flur, und dann eilte er nach kurzem Zögern wieder zurück ins Schlafzimmer und versteckte sich erneut hinter der Tür.
»Mandy …? O mein Gott!« Plötzlich ertönte aus dem Schlafzimmer ein Aufschrei. »Nein, nein, nein!« Ein Schlurfen, ein Aufprall erklang, als würde sich jemand auf die Knie fallen lassen, gefolgt von Keuchen und Schluchzen.
»Mandy! Mandy!«
Alban wartete, während sich das Geflenne im Schlafzimmer erst in hysterische Schreie, dann in Hilferufe verwandelte.
Noch einmal wurde die Tür zur Suite aufgestoßen. »Hotel-Security!«, ertönte eine unwirsche Stimme. »Was ist hier los?«
»Meine Frau! Sie ist ermordet worden!«
Mehrere schwere Schritte, die am Badezimmer vorbeieilten, gefolgt von schwerem Atmen, einem jähen Schwall von Sätzen ins Funkgerät, weiteren lästigen Schreien des Entsetzens und des Unglaubens vom Hinterbliebenen.
Jetzt schlich Alban aus dem Badezimmer, huschte leise zur Tür, öffnete sie, trat auf den Flur, blieb stehen und schloss dann die Tür leise hinter sich. Lässig ging er den Flur hinunter zu den Fahrstühlen und drückte den ABWÄRTS-Knopf. Dann aber, als die Stockwerksanzeige über dem Fahrstuhl anzeigte, dass dieser hinauffuhr, trat er wieder zurück, ging weiter den Flur entlang, öffnete die Tür zum Treppenhaus und stieg zwei Stockwerke hinab, bevor er wieder zum Vorschein kam.
Lächelnd blickte er den menschenleeren Flur hinunter und ging in Richtung Fahrstuhl.
Die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, die behandschuhten Hände tief im Trenchcoat vergraben, verließ er zwei Minuten darauf das Hotel durch den Dienstboteneingang. Und dann schlenderte er lässig die Central Park West entlang, während das frühmorgendliche Sonnenlicht über den Asphalt fiel und in der Ferne Polizeisirenen ertönten.