»Simbala?«, schlug Corin vor. »Um die Ecke gibt es eine nette kleine Gaststube.«
»Ich sollte lieber wieder nach Hause fahren«, sagte Pyrgus wenig überzeugend.
»Ein kleiner Absacker?«
Pyrgus grinste. »Oh, na gut, meinetwegen! Aber nur einer und nur, wenn ich zahle.«
»Einverstanden«, sagte Corin.
Sie verließen das Hauptquartier der Gesellschaft durch eine Hintertür und traten auf eine Gasse hinaus, die stark nach Abfall roch.
»Bitte entschuldige«, sagte Corin. »Der Gestank hält die Leute davon ab, das Gebäude auf dieser Seite allzu genau in Augenschein nehmen zu wollen – das ist billiger als Schutzzauber. Halt einfach die Luft an, gleich haben wir es hinter uns.«
»Wie ist denn nun die politische Lage?«, fragte Pyrgus. »Werdet ihr immer noch so massiv verfolgt?«
Corin zuckte fatalistisch mit den Schultern. »Mehr denn je. Es ist ja gar nicht so, dass die Zauberer irgendetwas speziell gegen Tiere hätten – sie behandeln sie nur einfach wie ihr Eigentum. Es ist die übliche Einstellung aus den alten Schriften. Wenn jemand glaubt, dass ihm die Welt gehört, dann hält er es auch für sein gottgegebenes Recht, Tiere so zu behandeln, wie es ihm gerade passt, sie auszubeuten oder was auch immer. Angeblich empfinden sie ja nicht einmal Schmerz, also kann man sie auch nach Belieben aufschneiden und sezieren, ohne sich schuldig fühlen zu müssen.«
»Na ja«, sagte Pyrgus. »Das ist nicht nur in Creen so. Die gleiche Einstellung herrscht auch bei uns. Vielleicht nicht ganz so weit verbreitet, aber …«
Sie kamen aus der Gasse und gingen eine kleine Straße entlang.
»Das ist eigentlich gar nicht mehr das Problem«, sagte Corin. »Ich meine, wir haben seinerzeit doch einige Fortschritte erzielt. Nicht so viel, wie wir uns gewünscht hätten, aber doch einige. Wir hatten eine gute Propagandamaschinerie. Die Leute fingen sogar an zuzuhören. Wer weiß, wohin das vielleicht noch geführt hätte.« Er fasste Pyrgus am Ellbogen. »Da lang.«
Sie überquerten die Straße und traten auf den gegenüberliegenden Bürgersteig. Corin blieb neben einer engen Wendeltreppe stehen, die in ein verborgenes Kellergeschoss hinunterführte. »Nein, das echte Problem ist die Tafel der Sieben. Die Götter wissen, dass der alte Zaubererrat schon schlimm genug war, um nicht zu sagen bis ins Mark korrupt, aber die Sieben sind noch zehn Mal schlimmer.«
Sie stiegen die Treppe hinab, wobei Corin vorausging. »Ich dachte, die Sieben wären gegen Korruption?«, sagte Pyrgus zu Corins Hinterkopf. »Ich dachte, alle haben die Revolution begrüßt?«
»Oh, das haben wir auch. Um die Wahrheit zu sagen, Pyrgus, und ich schäme mich, das zuzugeben, aber ich habe die Tafel sogar unterstützt. Nur ein Rädchen im Getriebe, keine Frage, aber trotzdem … Damals wurde sogar von Rechten für Tiere gesprochen. Die Sache war die, sobald die Sieben an die Macht gekommen waren, stieg sie ihnen zu Kopfe.«
»Passiert häufig.« Pyrgus nickte.
Sie erreichten den Fuß der Treppe und gelangten in einen kleinen, gepflasterten Innenhof. Corin steuerte auf eine schmale Holztür hinter einem Torbogen zu. »Sie wollen alles unter ihre Kontrolle bringen, und wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Du musst doch festgestellt haben, wie streng die Bestimmungen jetzt sind, wenn man ein- oder ausreisen will.«
»Ja«, sagte Pyrgus, ohne es näher auszuführen.
»Erst als die Gesellschaft Haleklinds zur Bewahrung und zum Schutz der Tierwelt sich weigerte, eine offizielle Regierungsstelle zu werden, hat die Tafel der Sieben uns verboten. Wusstest du das?«
»Nein, wusste ich nicht«, sagte Pyrgus. Er grinste. »Ich dachte, ihr habt sie verärgert, als ihr ihre Vivisektionslabore in die Luft gejagt habt.«
Corin drückte die Tür auf und Hitze und Stimmengewirr überrollten sie wie eine Woge. »Das kam erst hinterher«, sagte er. Er schnaubte zynisch. »Als sie beschlossen, alles für illegal zu erklären, und alles, was nicht illegal war, war obligatorisch. Leichte Übertreibung, aber du verstehst schon, was ich meine.«
Sie gingen in die schummerige Simbalastube. Die Ausstattung war eher elementar. Die Wände waren mit kastanienbraunen Schallgardinen verhängt, während die Auswahl der Flaschen hinter der Bar erkennbar begrenzt war. Aber die Sessel und Sofas waren schön arrangiert und sehr bequem.
»Ist dieses Lokal legal?«, fragte Pyrgus.
»Sei nicht albern«, sagte Corin.
Pyrgus grinste. »Mach es dir irgendwo bequem. Ich hol uns die Musik.«
Er bestellte beim Barmann Gläser für eine halbe Stunde, fand das dann doch zu knickrig und bestellte stattdessen Doppelte. Er trug die summenden Gläser auf einem kleinen Tablett zurück und gab eins davon Corin, der sich bereits auf eine Couch gelegt hatte. Pyrgus zog sich einen Sessel ans Kopfende der Couch, sodass sie plaudern konnten, und nahm den ersten Schluck Simbala. Die Musik lief wie flüssiges Gold seine Kehle hinab. Er lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, während die Symphonie sich sanft in seinem Körper verteilte.
Beiläufig fragte Corin: »Hast du immer noch Kontakte zur Regierung des Elfenreichs?«
Es war eine seltsame Frage und eigenartig formuliert. Pyrgus kniff die Augen zu Schlitzen und sagte: »Kaiserin Blue ist immer noch meine Schwester, wenn du das meinst.«
»Ja, ich weiß. Aber du hast nichts mit Tagespolitik zu tun, seit du abgedankt hast, oder? Ich meine, du bist nicht in regelmäßigem Kontakt mit ihren Beratern oder irgendetwas in der Art?«
»Viele offizielle Berater hat sie gar nicht – sie führt den Laden so ziemlich allein: Sie ist die geborene Rechthaberin. Warum fragst du?« Die Musik umhüllte seine Worte, gab ihnen Melodie und Ton. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Corin den halben Inhalt seines Glases mit einem Schluck herunterschüttete. Der Lärm in seinem Körper musste ohrenbetäubend sein.
»Es gibt Gerüchte, dass die Tafel der Sieben irgendetwas Größeres im Schilde führt. Ich habe mich gefragt, ob Kaiserin Blues Geheimdienst irgendetwas davon mitgekriegt hat.«
»Was soll das denn sein?«
»Ich weiß es nicht. Irgendeine Art von schärferem Vorgehen vielleicht? Ich mache mir natürlich Sorgen wegen unserer Organisation. Aber vielleicht betrifft es gar nicht nur Haleklind. Kurz bevor du gekommen bist, habe ich gehört, dass die Tafel zwei Ausländer festhält, die behaupten, Vertreter des Elfenreichs zu sein.«
»Hochrangige Vertreter? Diplomaten oder eine Handelsdelegation, oder was?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn die Sieben sie in Gewahrsam halten, dann vermuten sie offenbar etwas anderes.«
»Spione?«, fragte Pyrgus. Die Tafel der Sieben war paranoid, aber das bedeutete nicht, dass alle ihre Vermutungen falsch waren: Madame Cardui war durchaus in der Lage, Agenten nach Haleklind zu schicken, obwohl es offiziell ein befreundetes Nachbarland war. Ebenso wie seine kleine Schwester.
»Ich vermute es.«
Trotz der Musik runzelte Pyrgus die Stirn. »Irgendwelche Namen?«
Die Musik musste in Corins Blutkreislauf eingedrungen sein, weil er jetzt ein wenig lächelte, wie jemand, der sich um nichts mehr Sorgen macht. Aber er fing sich schnell wieder und das Lächeln verschwand. »Nur einer«, sagte er. »Habt ihr einen Spion namens Chirotentia?«
Pyrgus schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich kenne auch nicht die Namen all unserer Spione. Also, ich kenne eigentlich fast gar keinen. Selbst als sie mich darauf vorbereitet haben, Kaiser zu werden, habe ich die Identität von Geheimagenten nur erfahren, wenn es unbedingt nötig war.«
»Camelia Chirotentia?«, Corin blieb hartnäckig. »Oder Camelia Kissotentia? Irgend so etwas? Könnte auch Camilius sein. Meine Quelle hat eine Gaumenspalte.«
Wieder schüttelte Pyrgus den Kopf. »Sagt mir gar nichts, aber wie schon gesagt …« Er unterbrach sich, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Das war albern. Sie war zurück im Purpurpalast, und selbst wenn sie es nicht war, war es völlig unmöglich, dass sie sich in Haleklind rumtrieb. Und wenn sie sich doch in Haleklind rumtrieb, dann musste es ein offizieller Staatsbesuch sein mit allen Formalitäten und dem ganzen Drum und Dran. Die Haleklinder würden sie niemals festsetzen. Das würden sie nicht wagen. Das war gegen das Protokoll. Es sei denn, natürlich, dass sie illegal ins Land eingereist war, was einen internationalen Zwischenfall ausgelöst hätte. Wovon er allerdings gehört hätte. Hatte er aber nicht, also war es auch nicht passiert und nicht wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen; dennoch konnte Pyrgus nicht aufhören, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, oder, genauer gesagt, nicht aufhören, über die Dinge nachzudenken, die Blue getan hatte, als sie noch ein Teenager gewesen war. Diese Art von Tollkühnheit wurde oft weitervererbt. Aber was für eine Tollkühnheit würde eine Jugendliche dazu bringen, illegal in Haleklind einzureisen? Und wie würde eine Jugendliche in Haleklind einreisen? Corin hatte ihn doch gerade daran erinnert, wie streng die Grenzkontrollen geworden waren. Nein, das war völlig unmöglich.
»Nein«, sagte er laut.
»Es war nicht Chrysotenchia, oder?«, platzte Pyrgus heraus.
Corin runzelte die Stirn. »Doch, das könnte es schon gewesen sein, denke ich …«
»Culmella Chrysotenchia?«
Abrupt setzte Corin sich auf. »Die Kronprinzessin? Oh, das kann ich mir nicht vorstellen.« Er starrte Pyrgus an. »Das ist doch nicht möglich, oder?«
»Es ist nicht wahrscheinlich …«, sagte Pyrgus. Blue kleidete sich damals immer wie ein Junge und geriet andauernd in alle möglichen Schwierigkeiten. »Aber es ist möglich.« Er packte Corin am Arm. »Los, komm!«
»Wo willst du hin?«
Pyrgus steuerte auf die Tür zu. Der plötzliche Adrenalinstoß hatte fast die gesamte Musik aus seinem System gespült. »Zurück in dein Hauptquartier, damit du deine Quelle fragen kannst, ob er ›Culmella Chrysotenchia‹ gemeint hat. Wenn dem so ist, dann ist meine Nichte, glaube ich, in gewaltigen Schwierigkeiten.«