Das automatische Sicherheitssystem steuerte Pyrgus’ Flieger sanft auf das reservierte Flugfeld des Creen International Airport hinunter, entwaffnete dann, Kaiserlicher Prinz hin und her, seine Maschine, konfiszierte eine Reihe seiner persönlichen Gegenstände, sprühte ihn ein, um jegliche Mikroorganismen zu zerstören, führte eine internistische Untersuchung durch, um zu überprüfen, ob er einen Wangaramus-Wurm im Unterleib hatte, prüfte seine Ausweispapiere, fotografierte seine Tätowierungen und verlangte die Beantwortung einer endlosen Liste von Fragen, deren erste lautete: »Haben Sie vor, sich an irgendeiner Aktion zu beteiligen, die absichtlich darauf zielt oder die Wahrscheinlichkeit birgt, die rechtmäßig bestellte Regierung von Haleklind zu stürzen?« Pyrgus widerstand der Versuchung, darauf mit einem »Ausschließlicher Grund für die Einreise« zu antworten und wurde von einer Ansage belohnt, die ihm mitteilte, dass die Armaturen seines Luftfahrzeugs nicht mehr blockiert seien und er nun aussteigen könne, ohne befürchten zu müssen, dass man ihn zu Staub zermahlte.
Ohne Eile zog er sich die übliche blaugraue Pilotenuniform an, wählte eine riesige Brille mit dunklen Gläsern, die ihn als Nachtelf kennzeichnen würde, stülpte sich eine schwarze Lockenperücke über, befahl seinen Elementargeistern für eine passende Rampe zu sorgen, öffnete die Kabinentür und trat hinaus, um sich dem unvermeidlichen Empfangskomitee zu stellen.
Das Empfangskomitee war eine Übung in angewandter Heuchelei. Die Haleklinder wussten natürlich, dass Kronprinz Pyrgus Malvae ihren Mantikor gestohlen hatte – ein Verbrechen, für das er damals gehängt worden wäre, wenn man ihn erwischt hätte –, aber da sein Flieger die kaiserlichen Insignien trug, waren sie protokollarisch gezwungen, das Verbrechen zu ignorieren und ihn als Würdenträger auf Staatsbesuch zu behandeln.
Der Anführer der Delegation war der örtliche Bürgermeister, nach der imposanten Amtskette zu urteilen. Pyrgus marschierte eilig auf ihn zu und salutierte zackig. »Seine Kaiserliche Hoheit darf nicht gestört werden«, teilte er dem Bürgermeister mit. »Er schläft gerade.« Er hielt dem Blick des Mannes stand und fügte mit so leiser Stimme hinzu, dass nur der Bürgermeister ihn hören konnte. »Schläft sich aus, Euer Ehren.« Er nickte ganz leicht und zwinkerte kaum merklich.
Der Bürgermeister beugte sich vor. »Schläft sich aus, Pilot?«, wiederholte er in schockiertem Flüsterton.
»Das alte Problem.« Pyrgus nickte. Er wartete.
»Alkohol?«, fragte der Bürgermeister. »Sie versuchen mir nicht gerade mitzuteilen, dass Seine Hoheit« – er räusperte sich – »trinkt?«
»Wie ein Schluckspecht«, sagte Pyrgus. »Hat niemand Sie vorgewarnt?«
Der Bürgermeister schüttelte den Kopf. »Niemand.«
Pyrgus stieß einen ostentativen Seufzer aus. »Diplomaten. Man fragt sich, wofür wir sie bezahlen. Man hätte es Ihnen zu dem Zeitpunkt sagen müssen, als dieser Besuch vereinbart wurde. Sie hatten wirklich keine Ahnung?«
Pyrgus kam noch ein bisschen näher. »Schauen Sie, es tut mir leid für Sie, wirklich. Typisches Benehmen, so geht das die ganze Zeit. Fing schon an« – er sah sich um, um sicherzugehen, dass ihn niemand anderes hören konnte – »wissen Sie« – er machte ein glucksendes Geräusch in der Kehle –, »kurz nachdem wir die Hauptstadt verlassen haben. Ich soll ihn daran hindern, aber was soll ich tun? Er ist schließlich ein Prinz des Elfenreiches und er versteckt seinen Nachschub. Als wir den Luftraum über Creen erreichten, sang er gerade die Nationalhymne und fiel in seine Suppe. Dann beschloss er, dass er Haleklind den Krieg erklären würde. Gott sei Dank hat er kurz vor der Landung das Bewusstsein verloren, sodass uns wenigstens ein unangenehmer internationaler Zwischenfall erspart geblieben ist.«
»Ja, aber was machen wir denn jetzt?«, fragte der Bürgermeister. Er sah panisch aus und hörte sich auch so an.
Pyrgus sah sich wieder um, rückte noch näher an den Bürgermeister heran und richtete seine Worte an das erwartungsvolle Ohr. »Meiner Erfahrung nach wird er den Rest des Tages und den größten Teil der Nacht bewusstlos sein. Ich schlage vor, dass Sie das Empfangskomitee morgen am späten Nachmittag wieder zusammentreten lassen, um ganz sicher zu sein. Bis dahin sollte er für den Besuch wieder fit sein.«
»Aber was passiert, wenn er früher aufwacht? Wäre er denn nicht beleidigt, wenn dann niemand hier ist, um ihn zu begrüßen?«
»Das könnte schon sein«, sagte Pyrgus. »Passen Sie auf, wir machen es so: Ich schließe den Flieger ab. Drinnen ist er in Sicherheit. Ich schaue mich ein wenig um, besuche ein paar alte Freunde und bin rechtzeitig wieder zurück zum offiziellen Empfang morgen Nachmittag. Und wenn er früher aufwacht – ich glaube das nicht, aber falls es so wäre –, dann bin ich derjenige mit dem Schlüssel und niemand anders kann ihn rauslassen. Es ist also vollständig meine Verantwortung, und da ich Ihnen auch nicht exakt gesagt habe, wo ich hingehe, können Sie mich gar nicht finden.« Pyrgus schenkte ihm ein breites Lächeln. »Sie sind völlig aus der Schusslinie, Euer Ehren.«
Der Bürgermeister runzelte die Stirn. »Aber bekommen Sie denn da keinen Ärger? Wenn er früher aufwacht, meine ich?«
Prygus schüttelte heftig den Kopf. »Wir Piloten haben eine sehr starke Standesvertretung«, sagte er. »Außerdem möchte er sich keinerlei Anschuldigung wegen Diskriminierung von Nachtelfen einhandeln – das ist immer noch ein sehr heikles Thema im Reich.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber er wird nicht früher aufwachen, wenn ich meiner Erfahrung auch nur ansatzweise trauen darf. Er schüttet sich das Zeug literweise rein.«
»Gut«, sagte der Bürgermeister entschlossen. »Sie schließen den Flieger ab und ich werde das Komitee für morgen Nachmittag um fünf neu zusammenrufen. Ist Ihnen das recht?«
Pyrgus spielte mit seiner Nachtelfenbrille. »Großartig«, sagte er.
Obwohl er sich einigermaßen sicher war, dass er nicht verfolgt werden würde, nach all dem Unsinn, den er dem Bürgermeister aufgetischt hatte, verließ Pyrgus den Flughafen durch die Toilette für Gästepiloten, wo er sich eine Privatkabine mietete. Sobald die Sicherheitszauber eingeschaltet waren, zog er seine Uniform aus, legte Perücke und Brille ab und verstaute alles in einem unsichtbaren Spind. Dann öffnete er den Faserkoffer im Bund seiner Unterhose und zog den einfachsten der dort aufbewahrten Anzüge heraus. Ohne Brille und Perücke verwandelte er sich automatisch wieder zurück in einen Lichtelf, aber der Anzug machte ihn zu einem unscheinbaren Elfen. Er sah aus wie einer der Handelsreisenden, die jedes Jahr in Scharen durch Haleklind schwärmten und mit Ersatzteilen für Zauberstäbe und aufgefrischten Zaubern hausieren gingen.
Er wühlte in dem Faserkoffer herum und schob sich das Halekmesser hinten in den Gürtel, wo es von der Anzugjacke verdeckt wurde. Er rechnete nicht mit Schwierigkeiten, aber es war immer besser, auf alles vorbereitet zu sein. Hael, wen wollte er eigentlich verschaukeln? Natürlich rechnete er mit Schwierigkeiten. Bei solchen Einsätzen schienen Schwierigkeiten immer schon auf ihn zu warten. Aber das war ein noch besserer Grund, um vorbereitet zu sein.
Creen City war eine seltsame Mixtur. Der Bezirk in unmittelbarer Umgebung des Flughafens war, wie manche meinten, der spektakulärste auf dem ganzen Planeten. Hier hatten die Zauberer gebaut, um Eindruck zu machen, und einige der genialsten Zauber benutzt, die je geschaffen worden waren. Das Ergebnis war, gelinde gesagt, grandios. Da gab es Gebäude, die auf Wolken trieben. Da gab es galoppierende Herden fantastischer Tiere, die aufs Geratewohl auftauchten und wieder verschwanden. Da gab es Werbetafeln, die einen am Arm zupften, wenn man vorüberging, und einen hypnotisierten, sodass man lauter Sachen kaufte, die man gar nicht wollte. Das Bemerkenswerteste waren die riesigen, gespenstischen Statuen der regierenden Tafel der Sieben, die weit über den Dächern freundlich auf einen herablächelten, nicht zu übersehen waren und dennoch so immateriell, dass sie nichts behinderten. Es war alles sehr grell, sehr geschmacklos, genau das, was man von Zauberern erwartete, die mehr Macht als Verstand besaßen.
Aber jenseits des Flughafenviertels, jenseits der Touristenoasen und der glitzernden Phantasiepaläste gab es ein ganz anderes Creen. Pyrgus, der das Land schon vor der Revolution besucht hatte, die die Sieben an die Macht befördert hatte, nahm einen der am wenigsten bekannten Höhen-Fußwege vom Flughafen aus, einen schmalen, schmuddeligen, schlecht beleuchteten Pfad, der bedrohliche Gassen, Simbalahöhlen, Drogengeschäfte, Überfälle und Handtaschenräuber versprach. Aber dieses Versprechen war trügerisch, denn nach einem kurzen Spaziergang über die Dächer schuf eine summende Verzerrung eine Möbiusschleife, die den Pfad zurück zum Ausgangspunkt bog und Pyrgus den erneuten Eintritt gestattete, und nun war der Fußweg eine breite Straße, die in die Altstadt führte.
Die Altstadt reichte zurück bis zur Gründung Creens, beinahe tausend Jahre, und Pyrgus liebte sie. Die Straßen waren schmal, aber die Fachwerkhäuser, die hier aufragten, waren gigantisch – Gebäude, die den Gesetzen der Baukunst mithilfe von Zaubern widersprachen, die so alt waren, dass niemand mehr wusste, wie sie eigentlich funktionierten. Genau im geographischen Zentrum der Altstadt lag ihr Suk, ein riesiges, offenes Labyrinth von Marktständen, die in permanenten Sonnenschein getaucht waren und magische Artefakte anboten: Zutaten, Ersatzteile, Zaubertränke, Pulver, Kleidung, Waffen und Maschinen, die anders als alles waren, was man sonst im Reich finden konnte. Haleklind, seinen Einwohnern unter dem traditionellen Namen Creen bekannt, war das magische Zentrum des Planeten. Creen City war Haleklinds Hauptstadt, Creen Suk ihr schlagendes Herz. Es war in diesem Suk gewesen, wo Pyrgus einst einen kostbaren Besitz erworben hatte, sein erstes Halekmesser. Und es war der Suk, zu dem er jetzt ging.
Er fand den geheimen Fußweg ohne Schwierigkeiten. Doch in dem Menschengewimmel war es fast unmöglich, ihn ungesehen zu betreten, weshalb er beinahe eine halbe Stunde damit verschwendete, so zu tun, als untersuche er eine Sammlung Kupfergefäße, die dazu dienten, Dschinns zu fangen. Aber dann dünnte die Menge plötzlich aus und er wagte den Übergang. Der Fußweg riss ihn mit sich nach draußen, dann nach unten in das unterirdische Labyrinth unter dem Suk. Als er wieder aus dem Untergrund auftauchte, befand er sich außerhalb einer verfallenen Fabrik, die mit Plakaten bepflastert war, auf denen Ungesichertes Gebäude stand.
Pyrgus kletterte auf einige unbenutzte Gewürzfässer, um durch die staubigen Fenster zu spähen. Auch im Inneren war die Fabrik eine verlassene Ruine, bei der das Interessanteste noch ein paar rostende Maschinenteile und die einzigen Zeichen von Leben die Überreste eines Lagerfeuers waren, das vorzeiten irgendwelche Besetzer gewärmt hatte. Er warf ein Steinchen durch ein zerbrochenes Fenster und lauschte, während es auf dem Steinboden widerhallte. Eine kleine Staubwolke rieselte aus Rissen in der Decke.
Er kletterte von den Fässern, blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand ihn beobachtete, lehnte sich dann auf die zerbrochene Säule an der einen Seite des verrammelten Eingangs. Der Zauberbelag erkannte seine DNA und sog ihn nach innen.
Die Rezeptionistin war ein dunkeläugiger weiblicher Dämon, einer der wenigen mit einer Arbeitserlaubnis außerhalb Haels. Sie blickte in die Kristallkugel, die vor ihr auf dem Tresen stand, und lächelte ihn dann an. »Kronprinz Pyrgus«, sagte sie bestätigend. »Was kann die Gesellschaft heute für Sie tun?«
»Lebt Corin noch?«, fragte Pyrgus. Es herrschte ein erheblicher Schwund in der Gesellschaft Haleklinds zur Bestandserhaltung und dem Schutz von Tieren: Die Zauberer jagten ihre Mitglieder ohne Gnade.
»Ja«, sagte die Dämonin freundlich. Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Alles wörtlich zu nehmen war ein typisches Merkmal der Dämonen. Sie schienen überhaupt nicht zu verstehen, worauf man hinauswollte, und dachten nie weiter (jedenfalls nicht, ohne einem in die Gedanken einzudringen, was Blue allerdings verboten hatte).
»Ist er immer noch der Geschäftsführer?«
»Ja, Kronprinz Pyrgus.«
»Ist es möglich, ihn zu sprechen?«
»Ja.«
Nach einer Pause fügte Pyrgus hinzu: »Jetzt?«
»Ja, natürlich, Sir«, sagte die Dämonin enthusiastisch. Ihre lange, anmutige Hand streckte sich nach einem Symbol, das im Tresen eingelassen war.
»Einfach nur Pyrgus Malvae, bitte«, sagte Pyrgus. »Ich führe den Titel nicht mehr.«
»Natürlich, Pyrgus Malvae.« Das Lächeln war sehr hübsch, trotz ihrer scharfen Zähne. Die ausgestreckte Hand berührte das Symbol. »Mögen eure Götter mit euch sein.«
Der Übergang zu Corins Büro geschah augenblicklich. Corin selbst erhob sich hinter seinem Schreibtisch, lächelte breit und streckte die Hand aus. »Pyrgus, mein lieber Junge, wie schön, dich zu sehen! Wie geht es der bezaubernden Nymph? Habt ihr beiden inzwischen Kinder? Nein, natürlich nicht: viel zu beschäftigt für derartige Sachen. So wenig Zeit und so viele Tiere, die in Not sind, stimmt’s? Und ich glaube, du machst inzwischen auch Wein – ein paar ganz ausgezeichnete Jahrgänge, habe ich gehört.«
Pyrgus schüttelte seine Hand und grinste ihn an. »Ich werde dir eine Flasche schicken oder gleich zwölf. Wollte eigentlich eine mitbringen, aber ich bin etwas überstürzt von zu Hause weg. Eine kleine Notsituation, fürchte ich.«
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Corin und deutete auf einen Sessel. Er war ein kleiner, kahl werdender, rundlicher Haleklinder mittleren Alters, der so weit entfernt von allem Heldischen aussah, wie man es sich überhaupt nur vorstellen konnte. Dennoch war er wahrscheinlich der mutigste Mann, den Pyrgus jemals kennengelernt hatte. »Nichts Ernstes, hoffe ich?«
»Mein Mantikor-Weibchen ist entwischt«, sagte Pyrgus rundheraus.
Corins Augen weiteten sich. »Der Prototyp? Den du befreit hast?«
Pyrgus nickte. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie war mehr als achtzehn Monate lang absolut glücklich und zufrieden, dann ist sie plötzlich ausgebrochen und abgehauen.«
»Sie wird läufig sein«, sagte Corin. »Sie hat nicht zufällig Johanniskraut gefressen?«
Pyrgus sah ihn überrascht an. »Doch, tatsächlich. Ich weiß allerdings nicht, wer sie damit gefüttert haben könnte.«
»Niemand, möchte ich mal annehmen. Ein ausgewachsener Mantikor kann ein paar Blätter von allem, worauf er gerade Appetit hat, zum Erscheinen bringen – die Zauberer haben ihnen magische Fähigkeiten verliehen. Wenn die Weibchen läufig sind, haben sie auf nichts größeren Appetit als auf Johanniskraut.«
»Das wusste ich nicht: dass sie etwas zum Erscheinen bringen können«, sagte Pyrgus. »Das hat sie noch nie gemacht.«
»Musste sie wahrscheinlich auch nicht. Sie machen das nur, wenn ihnen etwas fehlt. Das kannst du dir hoch anrechnen, Pyrgus. Das zeigt, dass sie bei dir glücklich war und alles hatte, was sie brauchte. Bis sie läufig wurde, natürlich. Dann geht sie ab wie eine Rakete und sucht nach einem Männchen. Und nach noch mehr Johanniskraut.«
Zum ersten Mal, seit Nymph ihm die Nachricht von dem Ausbruch überbracht hatte, fühlte Pyrgus, wie sich in seinem Magen etwas entspannte. Er war in der Hoffnung nach Haleklind gekommen, dass Corin ein paar Leute zusammentrommeln könnte, die ihm dabei halfen, dem Mantikor auf die Spur zu kommen, aber jetzt sah es allmählich so aus, als müsste er das vielleicht gar nicht. »Ich dachte, sie wäre auf dem Weg zum Labor. Dem Ort, wo sie erschaffen wurde.«
»Wozu? Um den Versuch zu machen, sich an den Zauberern zu rächen? Rache für den Schmerz, den sie ihr zugefügt haben?«
»So etwas in der Art«, sagte Pyrgus. »Rachsucht ist eine der ureigensten Eigenschaften des Mantikors.« Er sah Corin nüchtern an. »Eigentlich habe ich mich weniger um die Zauberer als um das Mantikor-Weibchen gesorgt. Wenn sie das Labor angreift, würden sie sie ohne zu zögern töten. Ich dachte, die einzige Chance wäre, sie abzufangen – deshalb bin ich hierhergekommen. Ich hatte die Hoffnung, du würdest mir ein paar Männer leihen.«
Corin schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Ich will dir etwas zeigen.« Er drückte auf eine in seinem Schreibtisch eingelassene Taste, und aus dem Boden hinter ihm fuhr ein Bildschirm hoch. Pyrgus erkannte, dass er eins der neueren Modelle mit dreidimensionaler Immersionskraft war: Die Gesellschaft musste kürzlich ein paar Banken ausgeraubt haben. Corin drückte erneut auf die Tasten, und der Bildschirm leuchtete flackernd auf.
Die Immersionszauber saugten Pyrgus sofort hinein. Er wusste, dass er immer noch in Corins Büro saß, dennoch hatte er das Gefühl, draußen auf einem kleinen, grasbewachsenen Hügel zu stehen, wobei ihm eine Brise das Haar zerraufte, während er auf eine Gebäuderuine in der Ferne herunterstarrte, die ein einziger Schutthaufen war und immer noch ein wenig qualmte.
»Was ist das?«, fragte er.
Corins Lächeln wurde breiter. »Das Labor. Wir haben es in die Luft gejagt.«
Pyrgus riss sich aus der Illusion heraus und warf ihm einen überraschten und erfreuten Blick zu. »Davon habe ich gar nichts gehört!«
»Die Sieben haben nichts darüber verlauten lassen: völlige Nachrichtensperre. Schließlich war es ihr zentrales Forschungszentrum. Sehr schlecht für ihr Ansehen, wenn sie zugeben müssten, dass sie es nicht gegen eine Chaostruppe irregeleiteter Elemente wie uns schützen konnten.« Er sah Pyrgus freundlich an. »Worum du dich also nicht mehr sorgen musst, ist, dass dein Mantikor das Labor angreifen wird. Das Labor existiert nicht mehr.« Er schob seinen Stuhl zurück und blickte auch auf den Bildschirm. »Wir haben Null-Energie-Sprengstoff benutzt, sodass sie auf Jahre hin nicht mehr dort bauen können: Für den Rest dieses Jahrhunderts funktioniert Magie dort nicht mehr.«
»Opfer?«
»Oh, komm schon, Pyrgus, du kennst uns doch. Der Angriff fand in der Nacht statt, nachdem das Personal nach Hause gegangen war, und wir haben alle Tiere herausgebracht, bevor wir die Explosion in Gang setzten. Die einzige Person, die verletzt wurde, war einer unserer eigenen Mitarbeiter. Er hat sich an einem ihrer grässlichen Vivisektions-Instrumente in den Finger geschnitten.«
Pyrgus runzelte die Stirn. »Ich denke, sie könnte immer noch dorthin wollen. Ich meine, sie weiß doch nicht, dass ihr es in die Luft gejagt habt.« Er kratzte sich an der Nase. »Ich möchte nicht, dass sie wieder eingefangen wird. Der Himmel weiß, was sie ihr antun würden, selbst ohne das kostbare Labor.«
»Sie wird da nicht hinwollen, wenn sie läufig ist«, sagte Corin. »Glaub mir, Rache ist das Letzte, woran sie jetzt denkt. Und selbst wenn sie nicht läufig ist, ist die Chance nicht sehr groß, dass sie in die Nähe dieses Ortes kommt. Es ist eine Weile her, seit du in Creen warst, oder?«
»Beinahe zwei Jahre – warum?«
»In den zwei Jahren ist eine Menge passiert«, sagte Corin. »Ich will dir noch etwas zeigen.« Seine Finger trommelten einen strammen Marsch auf dem Schreibtisch und das Bild änderte sich.
Für einen Moment fand sich Pyrgus hoch über dem Boden schwebend wieder. Unter ihm befanden sich eine lang gestreckte Ebene und ein Wald. Dann fiel er plötzlich Hunderte von Metern tief, bis er die Ebene genauer sehen konnte. Sie wimmelte von Wild, einer riesigen Herde von … von … »Was sind das für Tiere?« Aber bevor Corin noch antworten konnte, verwandelte sich das Bild in eine Nahaufnahme. »Ihr Götter!«, rief Pyrgus aus. »Das sind ja Mantikore! Dutzende von ihnen!«
»In dieser Herde sind es tatsächlich mehrere Hundert«, sagte Corin ruhig. »Es ist eine der größten.«
»Aber wie?«, fragte Pyrgus. »Als ich meinen gestohlen habe, gab es im ganzen Land nur vier.«
»Die Zauberer haben zwei weitere Prototypen geschaffen und sind dann vom Produzieren zum Züchten übergegangen. Das sind fruchtbare Kreaturen, diese Mantikore. Besorg dir ein Paar, das Nachwuchs hat, und im Nu hast du eine ganze Herde. Der Haufen da zieht durch die Ebene in der Gegend, wo früher das Labor war. Falls sie in der Richtung unterwegs ist, wird sie sich ihnen anschließen – das liegt in ihrer Natur. Und wenn nicht, wird sie sich einer anderen Herde anschließen: Es gibt inzwischen mehrere, über das ganze Land verstreut, ein Dutzend hier, fünfzig da.«
Pyrgus verspürte eine so tiefe Welle der Erleichterung, dass er sich am liebsten zusammengerollt hätte und eingeschlafen wäre. »Also kann ich aufhören, mir Sorgen wegen ihr zu machen?«
»Ja.«
»Ich kann einfach …«, er machte eine erfreute, hilflose Geste mit den Händen, »… nach Hause fahren?«
»Ja.«
Eine Andeutung des früheren Stirnrunzelns zeigte sich allerdings wieder. »Ich möchte absolut sicher sein, dass es ihr gut geht, ich möchte sicher sein, dass sie sich einer Herde anschließt und wieder in der Wildnis lebt.«
»Das übernehmen wir für dich«, sagte Corin. »Wir überwachen die Herden sowieso. Sie sollte nicht schwer zu erkennen sein, da sie ein früher Prototyp ist. Sobald wir sie zu sehen bekommen, benachrichtigen wir dich.«
Pyrgus wollte ihn schon umarmen. »Danke«, sagte er. »Das befreit mich von einer gewaltigen Last. Ich danke dir, Corin.«