Kapitel 43
»Adieu, Siziliens weißer Strand, adieu du Bach und Tal, kein schottischer Soldat wird jemals aufhören, um euch zu weinen und zu trauern«, summte Alex aus dem Gedächtnis und dachte voller Inbrunst an ein großes Blondes, das er sich genehmigen wollte, sobald sich die Flotte sicher von allem entfernt hatte, was auch nur annähernd an den Altai-Cluster erinnerte.
Ohne etwas Bestimmtes zu suchen, hörte er in verschiedene öffentliche Kanäle hinein, die von den Imperialen Welten gesendet wurden. Nebenan war Sten auf dem Sessel des befehlshabenden Offiziers der Victory zusammengeklappt, und keiner hatte ihn darum gebeten, sich gefälligst woanders hinzulegen. Beide trugen noch immer ihre zerfetzten und dreckigen Kampfanzüge.
Auf der Kommandobrücke war fast nichts zu hören wahrscheinlich weil niemand ernsthaft daran geglaubt hatte, daß sie es doch noch schaffen würden.
»Sport«, murmelte Kilgour, der wieder einen neuen Sender gefunden hatte. »Ich weiß wirklich nicht, was so toll daran sein soll, ein kleines Ledersäckchen von einem Kreidestrich zum anderen zu schlagen.
Erinnert mich an frühere Zeiten«, sagte er zu Freston, der in der Nähe saß, »als ich versuchte, diesen verdammten Sport namens Cricket zu spielen. Erst dachte ich, das ist ja verrückt, die sind ja -«
Und dann verschlug es ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache.
Keiner konnte sich später daran erinnern, was genau der Sprecher auf dem Bildschirm gesagt hatte, aber es war absolut unmißverständlich: Ungnade ... ehemaliger Held der Tahn-Kriege ...
Generalgouverneur ... höchste Strafe... Ian Mahoney.... Name wird aus allen Dokumenten gestrichen und von allen Monumenten entfernt... Verräter ...
Sten stand neben ihm. Sein Gesicht war kalkweiß.
»Jetzt ist das Maß voll«, flüsterte er.
Kilgour wollte etwas sagen, schüttelte dann aber nur den Kopf. Er schluckte.
Hinter sich hörte er den Wachoffizier, der schneidend sagte: »Schauen Sie auf Ihre Bildschirme, Mann. Was war das gerade für eine Nachricht?«
»Äh ... Tut mir leid ... ist chiffriert.«
»Das sehe ich auch«, sagte der Wachoffizier. »Für wen ist sie? Von wem?«
»Sir ... ich glaube ... von der Erstwelt. Und sie ... sie ist für die Caligula bestimmt... glaube ich.«
»Nicht glauben, Mann. Wissen.«
»Sir, wir haben diesen Code nicht. Er ist nicht auf unserer Liste.«
Sten zwang sich, den Schock und die Wut über den Mord an Mahoney beiseite zu schieben.
»Was ist das für ein Signal?«
»Wissen wir nicht, Sir. Von der Erstwelt an die Caligula, Sir.«
»Soviel habe ich auch mitgekriegt. Stellen Sie mich zu Mason durch!«
»Jawohl, Sir.«
Caligula, hier ist die Victory, over.
Hier ist die Caligula, over.
Hier ist die Victory Was für eine Nachricht haben Sie eben erhalten?
Warten Sie einen Moment... wird gerade dechiffriert.
»Verdammt noch mal«, schimpfte Kilgour, dessen Nackenhaare sich sträubten. »Haben die etwa den Code und wir nicht?«
»Sir! Die Caligula hat den Kontakt abgebrochen.«
»Kontakt wiederherstellen!«
Caligula, hier ist die Victory, over. Caligula, hier ist die Victory. Können Sie unsere Nachricht empfangen ?«
»Sir, die Caligula sendet eine Nachricht.«
»Weiter.«
»Nicht an uns, Sir. An ihre Begleit-Zerstörer. Übertragung geplatzt. Nichts zu machen.«
Sten versuchte sich vorzustellen, was um alles in der Welt da drüben vor sich ging. Dann fiel sein Blick auf den Hauptmonitor.
Die Caligula war gemeinsam mit ihren vier Zerstörern, die normalerweise das große Schlachtschiff abschirmten, aus der Flotten-Formation ausgebrochen. Sie hatte einen neuen Kurs eingeschlagen.
»Wohin führt der neue Kurs der Caligula?«
»Moment, Sir ... Er verläuft fast in entgegengesetzter Richtung zur Flotte. Direkt zurück nach Jochi - schätze ich.«
Überraschtes Gemurmel.
»Ruhe auf der Kommandobrücke!«
Sten zwang sich zu konzentriertem Nachdenken. »Was zum Teufel ist da eigentlich los?« Er stellte fest, daß er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.
»Sir?« Das war Freston. »Ich glaube, ich kann es mir vorstellen!«
»Ein Lichtstrahl. Sprechen Sie!«
»Ähh ... Sir, bevor ich für Sie arbeitete, war ich Nachrichtenoffizier auf der Churchill. Der Käpt'n hatte einen eigenen Code, in dem er seine Befehle übermittelt bekam. In dem Safe des Schiffs befand sich noch eine Kopie, die dem Ersten Offizier oder demjenigen, der den Befehlshabenden im Ernstfall ersetzte, übergeben wurde.«
»Weiter. Warum, verdammt noch mal, hat die Caligula oder Mason - einen Code, den wir nicht haben? Wir sind doch das Flaggschiff.«
»Richtig, Sir. Aber wir führen keinen Planetenzerstörer mit uns.«
Natürlich. Das Imperium gab nur ungern zu, daß es über Waffen verfügte, die einen ganzen Planeten vernichten konnten. Aber so war es. Planetenzerstörer wurden niemals eingesetzt, nicht einmal auf dem Höhepunkt der Tahn-Kriege.
Diese Entscheidung hatte für den Imperator nichts mit Moral zu tun. Massenmörder sind miese Politiker, pflegte er zu sagen. Jedenfalls war das bisher immer eine seiner Grundüberzeugungen gewesen. Offensichtlich, so dachte Sten grimmig, hatte der Ewige Imperator seine Einstellung jetzt geändert. Vielleicht war es für ihn auch niemals wirklich eine moralische Frage gewesen. Aber es war ganz sicher eine moralische Frage für Sten.
»Antwortet die Caligula?« fragte Sten.
»Negativ, Sir.«
»Kommandant, ist eines der Einsatzschiffe startbereit?«
»Selbstverständlich.«
»Ich brauche ein Schiff. Ausgerüstet mit einer Kali. Und den besten Piloten der Victory. Abflug, sobald ich im Einsatzschiff - Hangar ankomme.«
Kilgour war schon auf den Beinen und marschierte Richtung Schott.
»Alex! Ich will, daß du hier auf der Kommandobrücke bleibst. Ich werde vom Einsatzschiff aus Funkkontakt aufnehmen, aber ich will, daß die Verbindung über die Victory läuft.«
»Dafür brauchst du mich ja wohl nicht.«
»Und ich brauche ein virtuelles Bild, das echt genug wirkt, um irgendwelchen Analysen standzuhalten.«
»In Ordnung. Hab' verstanden. Hau schon ab, alter Knabe.«
Sten rannte los, zum Hangar der Victory.
Das Einsatzschiff jagte aus der Hangarschleuse der Victory und ging noch gefährlich nah am Mutterschiff auf vollen AM2
Schub.
»Wie lange bis zum Kontakt?«
La Ciotat mußte dafür nicht auf den Bildschirm schauen.
»Dreiundfünfzig ... Einundfünfzig Minuten, Sir.«
»Gut.« Sten saß auf dem Platz des Waffenoffiziers und paßte den Kontrollhelm seiner Kopfgröße an.
»Jetzt die Aufgabe. Die Caligula fliegt nach Jochi zurück.
Sie soll einen Planetenzerstörer abwerfen.«
La Ciotat, deren ganzer Stolz ihr undurchdringliches Pokerface war, konnte ihre Erregung diesmal nicht verbergen.
»Wieso ... Meutert Admiral Mason, oder was -«
»Das müssen Sie nicht wissen. Ich möchte, daß Sie direkt auf die Caligula zufliegen und daß Ihr Funker mit der Victory in Verbindung bleibt. Wenn wir uns der Caligula bis auf ... fünf Minuten genähert haben, geben Sie mir Bescheid.
Irgendwelche Probleme mit diesen Anweisungen?«
»Nein, Sir.«
»Sorgen Sie dafür, daß uns die Zerstörer nicht erwischen.
Ich bin ziemlich sicher, daß sie Befehl kriegen, uns aufzuhalten.«
»Darüber machen wir uns erst mal gar keine Sorgen, Sir.«
Sten lächelte beinahe. Es hörte sich so an, als sei La Ciotat wirklich scheißgefährlich.
»Caligula, hier spricht die Victory. Admiral Mason, hier spricht Sten, over.«
»Immer noch keine Antwort.«
»Caligula, hier spricht Sten, over. Schalten Sie mich auf Kanal Sechs. Dies ist ein Befehl, over.«
»Noch sieben Minuten, Sir.«
»Verflucht noch mal...«
Plötzlich erhellte sich der Bildschirm des Einsatzschiffs, und Sten sah Masons Gesicht.
Mason sah jetzt - jedenfalls hoffte das Sten - eine Computersimulation, ein virtuelles Abbild Stens auf der Kommandobrücke der Victory. Der Admiral würde somit nicht damit rechnen, daß Sten so sehnell reagiert hatte und sich in Wirklichkeit bereits an Bord eines Einsatzschiffs in wenigen Minuten Entfernung von der Caligula befand.
»Admiral Mason, ich glaube, ich kenne Ihren Auftrag«, begann Sten das Gespräch.
»Ich habe Order, meine dienstlichen Anweisungen mit niemandem zu diskutieren.«
»Diskutieren interessiert mich nicht, Mason. Wir sind hier nicht in einem Debattierklub. Ich weiß, daß Sie Jochi vernichten sollen.
Das können Sie einfach nicht machen.«
»Ich habe meine Befehle, Sir.«
»Haben Sie sie überprüft? Mason, wollen Sie wirklich der erste Mann seit - zum Teufel, wer weiß schon wie lange? sein, der einen Planeten einfach auslöscht? Nicht alle da unten sind Spinner, Mason.«
Die Gestalt auf dem Bildschirm erwiderte nichts.
»Ich sehe keinen Grund, dieses Gespräch fortzusetzen«, sagte Mason schließlich mechanisch.
»Mason ... bleiben Sie noch einen Moment dran ...«
Sten schaltete sein Mikrophon ab und zog sich den Kontrollhelm über den Kopf. »Miss La Ciotat, ich feuere jetzt die Kali ab.«
»Jawohl, Sir. Bei vollem Schub erfolgt Kontakt in ... eins Komma drei Minuten ... Schiffskontakt jetzt in zwei Minuten.«
Sten berührte die rote Taste auf der Waffenkonsole - die einzige körperliche Arbeit, die er ausführen mußte.
Der riesige Torpedo wurde aus einer Röhre abgefeuert, die die Wirbelsäule des Einsatzschiffs darstellte. Er war zwanzig Meter lang und trug einen Gefechtskopf mit der tödlichen Vernichtungskraft von sechzig Megatonnen.
Der Torpedo raste aus der Röhre, und Sten dirigierte ihn mit dem Helm auf die sich schnell nähernde, winzige Formation die Caligula und ihre Begleitschiffe - zu, wobei er auf Viertel vor zwölf hielt.
Er öffnete die Augen, und der geisterhafte Mason sah ihn vom Bildschirm aus an.
»Das ist mein letzter Versuch, Admiral Mason. Sie wissen, daß Sie für einen Wahnsinnigen arbeiten. Wir haben gerade gehört, daß ... daß der Imperator Mahoney erschießen ließ.«
Masons Augen zuckten, dann wurde er wieder zum Automaten.
Sten machte noch einen Versuch - obwohl er wußte, daß es zwecklos war. »Mann, möchten Sie Ihren Namen wirklich bis in alle Zeiten besudeln? Mason, der Planetenkiller?«
Plötzlich schien Mason beinahe zu lächeln. »Sten, das ist eben der Unterschied zwischen uns. Du denkst, du hast eine Art gottähnliches Recht, darüber zu urteilen, welchen Befehlen andere Menschen gehorchen sollten und welchen nicht. Das ist aufrührerisches Benehmen, das weißt du ebensogut wie ich.
Vielleicht ist Mahoney genau deshalb exekutiert worden.
Schon mal daran gedacht? Ich folge hier direkten Imperialen Anweisungen, Mister. Nein, Sten, ich werde mich nicht zum Verräter machen. Mason, Ende.«
Der Bildschirm erlosch.
Sten schloß die Augen und wurde selbst zur Kali. Er ging auf volle Beschleunigung.
»Näher ... näher ...«, hörte er wie von ferne La Ciotat. »Sie sind entdeckt worden ... Sie haben einen Verteidigungsschirm durchbrochen ... Ich habe einen Foxabschuß auf dem Schirm ...
näher... kann nicht mehr aufgehalten werden... näher...
Zielkontakt... Ziel getroffen ...«
Stens Welt war nur noch ein einziger großer Feuerball.
Er zog den Kontrollhelm herunter und sah auf dem Bildschirm, daß die Caligula nicht mehr existierte. Ein kurzes Anzeichen einer Explosion - und dann nichts mehr. Es war, als starrte man auf dem Bildschirm in ein großes schwarzes Loch.
Er fragte sich, ob die Kali auch den Planetenzerstörer zur Explosion gebracht hatte.
Er vermutete, daß die Zerstörer der Caligula weiterhin versuchen würden, ihn zu beschießen, falls einer von ihnen überlebt hatte, doch der Bildschirm blieb dunkel.
Es war ihm gleichgültig. Sie abzuschütteln war La Ciotats Aufgabe.
»Das war's, Miss«, sagte er müde. »Zurück zur Victory«
Mason war so gestorben, wie er gelebt hatte - in treuer Erfüllung seiner Dienstanweisungen.
Das war Sten scheißegal.
Aber mehr als dreitausend Menschen waren mit ihm gestorben, und Sten bezweifelte, daß es jemals ein Denkmal für sie geben würde, hier draußen, in der Dunkelheit und Stille des interstellaren Raums.