Kapitel 31

Nur wenige Sozialhistoriker würden bestreiten, daß der Ewige Imperator auf dem Höhepunkt seiner Herrschaft mehr Macht in Händen hielt als jedes andere Lebewesen vor ihm.

Seine Bewunderer, an denen es ihm nie gemangelt hatte, wiesen darauf hin, daß er die meiste Zeit über von dieser Macht keinen Gebrauch machte. Die Zyniker meinten, daß darin der Grund für seine lange Regentschaft zu suchen sei: Bei unzähligen hitzigen und blutigen Auseinandersetzungen war der Imperator die ideale Drittlösung.

Kurz gesagt: Man übertrug ihm die Macht, weil sie in seinen Händen am sichersten schien.

Als der Imperator sich daran machte, immer noch mehr Macht auf sich zu vereinen und sie gegen seine Feinde ins Feld zu führen, sah er sich einer gewaltigen Aufgabe gegenüber. Er wußte, daß sich ihm sowohl Despoten als auch Demokraten entgegenstellen würden, sobald seine Absichten offensichtlich wurden.

Er war sich auch darüber im klaren, daß sich seine Opponenten zuallererst auf seine Regierungskompetenz einschießen würden. Der Imperator war viel zu versiert auf dem politischen Parkett, als daß er nicht gewußt hätte, daß alle seine Vorzüge auch eine Kehrseite hatten.

Die triumphale Rückkehr des Imperators nach seinem Tod hatte Milliarden seiner Untertanen begeistert. Über zwei Jahre lang wurden Ehrenparaden und öffentliche Spektakel abgehalten. Er war ein Held jenseits allen Heldentums.

Doch jede Parade hat einmal ein Ende; meist in einer schäbigen Seitenstraße, wo die bunte Staffage zerrissen in die große Mülltonne wandert. Die Begeisterung über den Sieg schlägt schon bald in Enttäuschung über den vergleichsweise langweiligen Alltag um. Und letztendlich setzt der Sieg einen Standard für Problemlösungen, der unter normalen Umständen unmöglich zu erreichen ist. Der durchschnittliche Untertan ist maßlos davon enttäuscht, daß seine persönlichen Probleme nach wie vor ungelöst sind.

Für gewöhnlich kommt er dann rasch zu der Überzeugung, daß seine politischen Anführer sich einfach nicht genug um ihn kümmern. Dieser Aspekt wird von Sozialhistorikern oft und gerne vernachlässigt. Es handelt sich hier nämlich um eine der grundsätzlichen Wahrheiten, die ihrer Wissenschaft den Stuhl unter dem Hintern wegziehen. Deshalb steht der Historiker nichts mißtrauischer gegenüber als der Wahrheit.

Um diesem gewichtigen politischen Negativum

gegenzusteuern, mußte der Imperator Erfolge vorweisen. In normalen Zeiten hätte er das Ausmaß und den finanziellen Aufwand aller seiner Anstrengungen aufgeblasen. Doch jetzt gab es rings um ihn herum nichts als Leid und Ruinen. Die Ruinen konnte er einwandfrei dem Krieg gegen die Than zuschreiben; das Leid hatte erst unter den Exzessen des Privatkabinetts sein gegenwärtiges verheerendes. Ausmaß angenommen.

Leider waren beide Ursachen inzwischen, um es mit den Worten jenes mythologischen Politikers Erdrutschjohn zu sagen, als Sündenböcke ziemlich abgenudelt.

Der Imperator brauchte keine Entschuldigungen. Er brauchte positive Ergebnisse.

Mit dem Tod des Khaqans sah er seine Gelegenheit gekommen. Da lag also ein ganzer Cluster in Scherben. Aber es waren Scherben, die sich wieder zusammenfügen ließen.

Sobald alles repariert war, ließ sich der Cluster hervorragend als Miniaturausgabe des gesamten Imperiums verkaufen: Menschen und Nonhumanoide lebten und arbeiteten im warmen Licht des Imperialen Wohlwollens glücklich und zufrieden zusammen.

Deshalb hatte er Dr. Iskra auserwählt. Der Mann hatte seine Aufgabe als Territorialgouverneur bieder, aber zur Zufriedenheit erledigt. Seine Bücher waren politisch korrekt, sein Charakter ausgeglichen. Und er kannte sich hervorragend im Altai-Cluster aus. Außerdem wurde sein Name, sobald er auf der Liste der möglichen Regenten auftauchte, sofort von allen Beteiligten favorisiert.

Bei den Jochianern stand er an erster Stelle. Bei den Torks kam er nach Menynder gleich auf Platz zwei, so wie er auch bei den anderen Spezies, den Bogazi und den Suzdal, gleich hinter ihren jeweiligen Lieblingssöhnen - ein alter Ausdruck, der sich inzwischen nicht mehr auf Geschlecht oder Spezies bezog - auf dem zweiten Platz rangierte.

Iskra schien die Nummer Sicher zu sein. Doch kaum hatte der Imperator auf diese Nummer gesetzt und sie kurz darauf im ganzen Imperium verkündet, geriet er in Schwierigkeiten.

Natürlich war auch Sten nicht aufgrund seiner unangefochtenen Fähigkeit, Askorbinsäure in ein leckeres Erfrischungsgetränk zu verwandeln, in den Altai-Cluster entsandt worden. Seine Verdienste waren so groß, daß allein sein Name für Aufmerksamkeit bei den Medien sorgte, sowohl bei Profis als auch bei all den anderen kleinen Schmierfinken.

Als nächstes rief der Imperator eine ausgeklügelte, wenn auch dem Zweck entsprechend plumpe Werbekampagne für Iskra selbst ins Leben.

Tiefgründige Artikel wurden auf die ersten Seiten der anspruchsvolleren Zeitungen lanciert, in denen das Anliegen der Bürger des Altai-Clusters analysiert, auf die bislang bestehenden Querelen zwischen den unterschiedlichen Spezies hingewiesen und die Ursache dafür dem senilen Khaqan in die Schuhe geschoben wurde. Im Gegensatz dazu wurde Professor Iskra in diesen Artikeln in den höchsten Tönen gelobt. Man entblödete sich noch nicht einmal, Iskra des öfteren als »Heiler der alten Wunden« zu titulieren.

Die Boulevardblätter fütterte man mit dem üblichen Gesülze. Iskra wurde als Hirn mit Herz porträtiert, als kluger Mann, der sich einem spartanischen Leben verpflichtet hatte, um seinem Volk mit gutem Beispiel voranzugehen. Seine eigenartigen Ernährungsgewohnheiten wurden in herausgehobenen Rubriken als Rezepttips abgedruckt, und es gab eigene Kolumnen, die seine Lebensführung als sicheren Weg zu einem gesunden und langen Leben auswalzten.

Der Lärm der PR-Kampagne hinsichtlich Iskra war so laut, daß man schon ein totaler Idiot und obendrein ein einsiedlerischer Idiot sein mußte, damit einem nicht auffiel, daß im Altai-Cluster für den Imperator sehr viel auf dem Spiel stand.

Mit dem Bombenattentat auf die Imperiale Kaserne von Rurik wurde schließlich mehr zerstört als das Gebäude sowie Leben und Gesundheit der vielen Opfer. Jetzt liefen seine eigenen Pläne Gefahr, sich im gleichen Rauch aufzulösen.

Er hatte zwar noch seinen großen Wachhund Mahoney in der Hinterhand, doch den konnte er jetzt noch nicht von der Leine lassen. Zunächst galt es, sehr viel politischen Boden zu bereiten.

Der Imperator brauchte dringend eine Sofortlösung.

Er reagierte unverzüglich. Die Lösung bestand in einer völligen Nachrichtensperre.

Ranett war eine Reporterin der alten Schule, eine von der Sorte, die alles, worüber sie berichtete, selbst erlebt haben mußte. Sie war zugleich eine legendäre Frontberichterstatterin, die den Krieg gegen die Tahn stets aus der ersten Reihe verfolgt hatte. Während der Regierungsjahre des mörderischen Privatkabinetts hatte sie tunlichst den Kopf eingezogen, dabei jedoch nicht darauf verzichtet, ihre Beobachtungen niederzuschreiben. Nach der Rückkehr des Imperators hatte sie diese Beobachtungen in eine aufregende Livie-Dokumentarserie umgewandelt, in der die unglaublichen Machenschaften des Privatkabinetts aufgedeckt wurden.

Die letzte Folge flimmerte gerade zu der Zeit über die Bildschirme, als Iskra die Macht in Altai-Cluster übertragen wurde. Die Sendung wurde von Milliarden Zuschauern verfolgt. Es wäre zynisch zu behaupten, daß allein darin der Grund zu suchen war, daß der Imperator darauf bestand, ihr in einer kleinen Zusatzsendung vor der letzten Ausstrahlung persönlich zu danken.

Ranett nahm dieses Lob von allerhöchster Stelle auf die für sie typische Art und Weise entgegen. Sobald die Vidkameras ausgestellt waren, wandte sie sich an den Imperator und fragte:

»Euer Majestät, was hat es eigentlich mit diesem Clown Iskra auf sich?«

Sofort verflüchtigte sich das Lächeln auf den Zügen des Imperators. Er tat so, als habe er ihre Frage nicht gehört und müsse sich jetzt wichtigeren Staatsangelegenheiten widmen.

Bevor Ranett die Frage wiederholen konnte, hatten die Leibwächter des Imperators ihren Boß. zur Tür des Studios hinausgeschoben.

Also beschloß Ranett, die Antwort auf ihre Frage selbst herauszufinden. Ihr Redakteur war nicht sehr angetan von dieser Idee.

»Mir kommen die Berichte über den Altai-Cluster und die Lobhudeleien über diesen Iskra schon zu den Ohren raus.

Warum noch mehr von diesem Kram, Ranett? Außerdem lassen sich mit guten Nachrichten keine guten Einschaltquoten erzielen.«

»Ich glaube nicht, daß es sich hierbei um gute Nachrichten handelt«, erwiderte Ranett. »Sonst hätte ich nicht darum gebeten.«

»Das ist doch ein Haufen Mist, Ranett. Alles, was sich in diesem Cluster ereignet, ist eine gute Nachricht. Die sind schon so lange tief unten, daß ihnen alles wie die Erleuchtung vorkommen muß. Nein, was wir für dich brauchen, ist ein netter kleiner Krieg, über den du berichten kannst. Mit jeder Menge Blut.«

»Ich glaube, wenn du mich in den Altai-Cluster schickst, finde ich dort mehr Blut, als dir lieb ist«, sagte Ranett.

»Wie kommst du darauf -

abgesehen von deinem

Reporterinstinkt?«

Ranett sah ihren Redakteur nur mit beredtem Schweigen an.

Dann zuckte sie die Achseln, was soviel hieß wie: Ich habe nichts außer meinem Instinkt, doch der ist mehr wert als Gold auf der Bank. Der Redakteur starrte zurück. Sein Schweigen war in dieser Routineschlacht des Willens nicht weniger beredt: Bist du sicher, bist du dir absolut sicher? Ranett zuckte erneut die Achseln.

Der Redakteur seufzte. »Du hast gewonnen. Zieh schon los.«

Ranett machte sich ohne viel Aufhebens auf die Reise. Sie nahm eine überzählige Kabine auf einem Frachter. Die einzigen, die von ihrer Reise wußten, waren ihr Redakteur, der Angestellte, der die Vorschüsse bearbeitete, und der Frachterkapitän, ein verläßlicher Trunkenbold.

Ranett gehörte zu den Personen, die sich instinktiv zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufhielten. »Ich habe in dieser Hinsicht einfach Glück«, beruhigte sie stets ihre Kollegen in der Pressekneipe. Sie glaubten ihr nie. Sie stellten ihre hervorragende Arbeit gerne als Ergebnis von »Lügen, Bestechung und gutem Aussehen« hin. Ranett log nicht und ließ lieber eine gute Geschichte sausen, als daß sie jemanden schmierte, und ihr Aussehen war eher durchschnittlich.

Zwei E-Tage vor der Ankunft im Altai-Cluster schlug ihr Glück erneut zu. Sie fingen Nachrichten von dem Desaster auf Rurik auf. Während sie den konfusen Funksprüchen am Empfangsgerät des Schiffes lauschte, schnaubte sie vor Genugtuung. Sie war weit und breit die einzige wichtige Reporterin, die vor Ort über den Zwischenfall und seine häßlichen Nachwirkungen berichten konnte.

Ranett kehrte eilig in ihre Kabine zurück, um sich mit neuem Elan ihren Hausaufgaben zu widmen, denn sie hatte sich einen ganzen Koffer voller Fiches über die schmutzige kleine Geschichte des Clusters mitgenommen.

Achtzehn E-Stunden vor der geplanten Ankunft auf Jochi stand der Captain nüchtern und mit beschämtem Gesichtsausdruck vor ihrer Tür. »Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, meine Dame«, sagte er. »Wir müssen umkehren.«

Ranett durchbohrte ihn mit diesem Blick, der berühmt dafür war, daß er weit kräftigere Knie als die seinen zum Einknicken brachte. »Erklären Sie mir das bitte.«

Der Captain schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Der Kontaktmann zu meiner Firma rückte nicht mit Einzelheiten heraus. Er sagte nur: Fracht nicht nach Jochi liefern. Und daß ich meinen Hintern sofort wieder Richtung Soward in Bewegung setzen soll.«

»Dann vergessen Sie die Fracht. Sie können ja mich abliefern.«

»Auf keinen Fall, meine Dame. Tut mir leid.«

»Ich zahle Ihnen einen Bonus. Die doppelte Gebühr. Ach was, ich miete Ihr ganzes verdammtes Schiff!«

Der Captain seufzte schwer. Diese Worte verletzten seine Söldnerseele. »Mein Befehl lautet, unter keinen Umständen auf Jochi zu landen.«

Ranett erhob sich. »Ihr habt einen Vertrag mit meiner Firma geschlossen«, fuhr sie ihn an. »Und ich erwarte, daß er erfüllt wird - in sämtlichen Punkten.«

Sie stieß den Captain mit dem Rücken zur Wand. »Holen Sie mir diesen Schwachkopf von Kontaktmann an die Strippe.

Haben Sie mich verstanden?«

Der Captain hatte sie verstanden.

Sie fing mit dem Kontaktmann an und arbeitete sich bis zum Präsidenten der Spedition hinauf, wobei sie den Raum zwischen dem Altai-Cluster und der Erstwelt gefährlich auflodern ließ.

Es war sinnlos.

Während der Frachter umdrehte und sich auf den Rückweg machte, nahm Ranett voller Verbitterung zwei Dinge zur Kenntnis: Die Spedition war über den Vorfall mindestens ebenso verärgert wie sie selbst, denn an Bord befand sich eine teure, verderbliche Fracht. Und der Befehl kam von außerhalb der Firma.

Was bedeutete, daß es sich um eine politische Entscheidung handelte.

Was bedeutete, daß diese Entscheidung allein gegen sie gerichtet war.

Jemand ziemlich weit oben wollte Ranett davon abhalten, von Jochi aus zu berichten.

Und sie konnte nichts dagegen tun.

Ihr Redakteur war ebenso verärgert. »Auch wenn es keiner zugeben wird, aber die ganze Sache stinkt förmlich nach Imperialer Einmischung«, grollte er über die Verbindung durch den leeren Raum. »Ich habe an allen Strippen gezogen, bis nach Arundel hinauf, aber es hat keinen Zweck. Alle haben Angst.«

»Woher wußten die überhaupt, daß ich unterwegs war?«

fragte Ranett.

»Schnüffler. Wanzen. Was sonst? Ich lasse gerade eben sämtliche Büroräume sorgfältig überprüfen.«

»Was macht unsere Konkurrenz?« erkundigte sich Ranett.

»Das ist die einzig gute Nachricht«, antwortete der Redakteur. »Es betrifft nicht nur uns. Niemand, der auch nur nach Presse riecht, wird in den Altai-Cluster gelassen.«

Trotzdem sickerte noch genug durch, um den Imperator ordentlich in Rage zu versetzen.

WAHRSCHEINLICH NOCH WEITERE OPFER DES

BOMBENANSCHLAGS AUF KASERNE, stand in einer

Bildschirmzeitung zu lesen. Eine andere titelte: SCHÄM

DICH, ALTAI-CLUSTER. Und es gab noch andere: FAMILIEN DER GARDISTEN SCHOCKIERT ...

TRAGISCHES IMPERIALES FEHLVERHALTEN AUF

RURIK ... Die mehr in die Tiefe gehenden Sendungen wurden sogar noch konkreter: ISKRA FÜR KATASTROPHE IM

ALTAI-CLUSTER VERANTWORTLICH? ... HAT DER

IMPERATOR MIT DEM OBSKUREN PROFESSOR

WIRKLICH DIE RICHTIGE WAHL GETROFFEN?...

ISKRA: DER GELEHRTE TYRANN.

»Beim nächsten Mal verfasse ich eigenhändig ein Dekret«, tobte der Imperator. »Ich will ein Gesetz zur öffentlichen Geheimhaltung, das wirklich etwas taugt! Ich will Gefängnisstrafen. Ich will Erschießungskommandos. Ich will verdammt noch mal Folterkammern!«

Die Frau mit der jungen, verführerischen Figur und den alten Politikeraugen applaudierte ihm. »Dieser Mist wird uns nicht gefährlich werden«, sagte Avri. »Die letzten Umfragen in den Medien zeigten deutlich, daß die Masse noch auf Ihrer Seite steht, Boß. Zehn Prozent halten eine freie Presse für wichtig, fünfundsechzig Prozent meinen, wir sollten diese Störenfriede vom Schlitten treten. Und die restlichen fünfundzwanzig Prozent sind so blöd, daß sie die Abendnachrichten für eine Comedy-Serie halten.«

Die Wut des Imperators verwandelte sich in dröhnendes Gelächter. »Das hat mir von Anfang an an Ihnen gefallen, Avri«, sagte er. »Sie kommen immer gleich auf den Punkt.«

»Ich habe meinen Magister als Skalpjäger auf Dusable gemacht«, sagte sie. »Den Doktor jedoch habe ich mir erworben, indem ich Ihnen bei der Arbeit zuschaute ... Sir.«

Avri betrachtete den Imperator mit unverhüllt bewundernden Blicken. »Mir ist noch nie ein Politiker untergekommen, egal, ob noch amtierend oder schon lange tot, der das erreicht hätte, was Sie erreichen können.«

Der Imperator hüstelte geschmeichelt. »Ich habe nichts erfunden, sondern nur bei den großen Meistern geklaut.« Er schenkte Avri ein wölfisches Grinsen. »Natürlich habe ich die Regeln hier und da ein wenig zurechtgebogen.«

»Allerdings, Sir, allerdings.«

»Laß doch den Sir«, sagte der Imperator. »Natürlich nur, wenn wir unter vier Augen sind. In einem Geschäft, das Friedhöfe zur Wahl heranzieht, ist kein Platz für übertriebenen Respekt.«

Der Imperator hatte Avri auf seinem langen Weg vom Tod zur Wiedererlangung der Imperialen Krone getroffen. Damals auf Dusable war es nötig gewesen, eine Wahl zu manipulieren, und sie hatte den perfekten Kandidaten für den Job präsentiert: einen Hohlkopf mit leeren Händen, der sich setzte und bei Fuß ging und die vielen Stimmen apportierte wie ein braver kleiner, politischer Hund.

Zu jener Zeit hatte er vor allem Avris durchtriebenen Intellekt bewundert. Wenn er sie jetzt aber so vor sich sah, in ihrem enganliegenden schwarzen Bodysuit, fielen ihm noch ganz andere Interessensgebiete ein. Avri war sein Blick nicht entgangen. Sie schenkte ihm ein Lächeln der Marke »Trau dich« und lehnte sich in ihrem Sessel zurück, um ihm einen besseren Ausblick zu gewähren. Der Imperator verspürte eine seltsame Unruhe. Er schob sie sogleich zur Seite. Sie konnte ruhig noch ein wenig reifen.

»Wie entwickeln sich die Dinge im Parlament?« erkundigte er sich.

»Sehr gut«, erwiderte Avri ein wenig enttäuscht. Aber sie fing sich rasch wieder und begann mit ihrem Lieblingsspiel: dem Sammeln von Jas und Neins. »Tyrenne Walsh übt bereits seit einiger Zeit die Rede, die wir für ihn aufgesetzt haben. Der blöde Idiot versteht kein einziges Wort von dem, was er da sagt

- aber er hört sich wirklich toll an.« Walsh war der Hohlkopf, dem Avri und der Imperator auf Dusable zu seinem Job verhelfen und dabei einen der durchtriebensten und schmutzigsten Bosse im gesamten Imperium vom Thron gestoßen hatten.

Jetzt hatte der Imperator Avri zu sich gerufen, um seinen Plan zu verwirklichen, der vorsah, die unabhängigen Provinzen des Imperiums in Kolonien zu verwandeln, die unter seiner Fuchtel standen.

»Ich habe es folgendermaßen ausgeheckt«, sagte Avri.

»Walsh hält die Eingangsrede, wie Sie es vorgeschlagen haben.

Er fängt mit den hochherzigen Schlagworten an: Pflicht, Loyalität, Patriotismus ... die ganzen Worte eben, die voll auf die symbolische Glocke hauen.«

.

Der Imperator nickte: »Sehr schön. Sehr schön. Und dann läßt er sein dickes Statement los, stimmt's?«

»Das wollen Sie so haben«, antwortete Avri, »aber ich finde, daß Sie damit zu schnell auf den eigentlichen Kern der Sache zu sprechen kommen. Ich meine, wir möchten doch nicht, daß Walsh sich wie Ihre Marionette anhört, oder?«

»Um Gottes willen«, kicherte der Imperator.

»Aber genauso würde es klingen«, sagte Avri. »Es soll sich doch eher so anhören, als wäre er der erste große Boß, der sein System freiwillig in Ihre Imperialen Hände legt.«

»Soll heißen, eines meiner uneingeschränkten Herrschaftsgebiete zu werden«, sagte der Imperator.

»Genau, genau«, bestätigte Avri. »In Walshs Fall spielt das natürlich keine Rolle. Er läuft sowieso an unserem Schnürchen, besser gesagt, an Ihrem Schnürchen. Aber einige von den anderen Typen sind gewohnt, ihre eigenen Dinger zu drehen.

Die kriegen wir nicht so einfach.«

Der Imperator verstand, worauf sie hinauswollte. »Was hast du dir überlegt?«

»Einen Heldensandwich«, sagte Avri. »Wenn wir nur genug Müll zwischen die Brötchenhälften stopfen, merkt keiner, wie dünn die Schinken-und Käsescheiben wirklich sind. Und bevor sie Sodbrennen bekommen, haben sie sich entschieden und sind schon fast wieder zu Hause.«

»Weiter«, forderte der Imperator sie auf.

»Na schön. Wir schwenken also die Flagge so, wie Sie es gesagt haben.« Avri vollführte mit der auf-und abpumpenden geschlossenen Faust eine krude Geste. »Dann packen wir ein bißchen persönliches Leid mit drauf, Sie wissen schon, der Brief von der armen alten Frau, die ihren letzten Credit hergeschickt hat, um dazu beizutragen, daß das Imperium seine Schulden bezahlen kann. Ich habe auch eine Vidpräsentation über hungernde Kinder vorbereitet. Ziemlich gruseliges Zeug, mit orangefarbenen Haaren, geschwollenen Bäuchen, das packt einen richtig.«

»Blut, Schweiß und Kinderurin«, sagte der Imperator. »Das funktioniert immer.«

»Klar. Mit links. Na gut, und dann das hier. Während sie noch bei den vom Schicksal geplagten Kindern mit den Tränen kämpfen, möchte ich sie mit dem Auftritt eines alten Soldaten überfahren, den ich mir selbst ausgedacht habe.«

»Das wird ja immer interessanter«, bemerkte der Imperator.

»Ich würde selbst glatt vier-oder fünfmal für diesen Vorschlag stimmen.«

»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben«, sagte Avri.

»Diese Kröte muß mit ordentlich Wein hinuntergespült werden

... Also: ich habe einen Ihrer alten Generäle ausgegraben, schon über dreißig Jahre in Pension. Der Kerl hat mehr Dreck als Hirn im Kopf. Ich habe ihn aber schon prima auf die, Zitat,

>Pflicht dem Imperium gegenüber<, Zitatende, hingetrimmt.

Er ist jetzt richtig gut rührselig. Am Ende seines Vortrags rappelt er sich auf - ich stelle ihn auf Krücken - und ruft alle Lebewesen des Imperiums auf, an einem Strang zu ziehen.

Er macht das richtig toll, heult Rotz und Wasser. Er sagt, daß das der größte Notfall in seinem Leben ist und daß kein Opfer zu groß ist, blablabla - das alles funktioniert wie eine Beschwörung, dafür garantiere ich. Gestern abend habe ich es bei einer Testgruppe ausprobiert. Kein einziges Auge im Saal blieb trocken. Und das Beste: Das Publikum leerte seine Taschen und wollte sofort dem Imperialen Rettungsfonds spenden. Soviel Spenden pro Kopf haben diese Betrüger noch nie im Leben gesehen.«

»Und dann kommt Walsh mit seinem Vorschlag?« fragte der Imperator.

»Dann kommt Walsh mit seinem Vorschlag.«

»Gut gemacht«, lobte der Imperator. »Doch ich muß deinem Problem noch eine kleine Windung hinzufügen.«

»Als da wäre?«

»Die Erhöhung, die ich bei der AM2-Steuer plane.«

Avri nickte. »Genau. Großartige Idee. Das wird die Unverwüstlichen in Angst und Schecken versetzen. Was ist damit?«

»Ich will die Erhöhung rückwirkend haben. Auf das ganze AM2, das seit dem Ende des Kriegs mit den Tahn geliefert wurde.«

Avri stieß einen Pfiff aus. »Das könnte sie allerdings zu sehr verschrecken.«

»Tut mir leid. Du mußt es irgendwie mit einbringen.«

Avris Augen leuchteten plötzlich auf. »Vielleicht klappt es, wenn der General am Ende seiner Rede stirbt. Ein Zusammenbruch vor laufenden Kameras, etwas in der Art.

Also gehen wir mit den, Zitat, >letzten Worten auf den Lippen eines Sterbendem, Zitatende, in Führung. Er ist ziemlich schwach, ich könnte mir vorstellen, daß ihm die Techs für die Neuaufnahme einen Schlaganfall verpassen können.«

»Schlechte Idee«, sagte der Imperator.

»Stimmt. Jemand könnte uns auf die Schliche kommen, oder es sickert durch.«

»Darüber mache ich mir keine Sorgen«, sagte der Imperator.

»Aber seine letzten Worte würden Walsh übertrumpfen, und er ist schließlich derjenige, der die Sache durchziehen muß.«

Avri folgte seiner Logik. »Deshalb sind Sie auch der Boß«, sagte sie. »Ich lasse mir etwas anderes einfallen, etwas, das problemloser funktioniert.«

Nachdem der geschäftliche Teil des Gesprächs vorüber war, warf Avri dem Imperator noch einmal den gewissen Blick zu und rekelte sich im Sessel. »So sieht jedenfalls mein Plan aus«, sagte sie heiser.

»Von meiner Seite gibt es keine Einwände«, erwiderte der Imperator. »Setz ihn in die Tat um.«

Dann erwiderte er ihren Blick, ließ den seinen über ihren ganzen Körper wandern, wobei er bei den Zehen anfing und sich langsam nach oben arbeitete.

»Gibt es ... vielleicht noch etwas ?« fragte Avri.

Der Imperator ließ sich Zeit. Dann sagte er: »Vielleicht...

später.«

»Habe ich eigentlich schon meine Sekretärin erwähnt?«

erkundigte sich Avri und leckte sich über die Lippen. »Sie hat mir bei... diesen Dingen schon so manchen Dienst erwiesen.«

»Ich werde mich irgendwann bei ihr bedanken müssen«, sagte der Imperator.

»Ich könnte sie ... jetzt gleich herkommen lassen.«

»Dann sag ihr, es handelt sich um eine private Angelegenheit«, sagte der Imperator mit gedämpfter Stimme.

»Genau. Sehr privat sogar. Nur wir drei.«

»Ruf sie an«, sagte der Ewige Imperator.