Kapitel 42
Mahoney wartete unter dem großen, neuen Gebäude, dem Hauptquartier der Inneren Sicherheit, in einer Zelle, die ausschließlich für weiterzutransportierende Gefangene bestimmt war. Es war ein kleiner Raum mit Wänden aus weißem Kunststoff, einer Schlafbank, die hochgeklappt werden konnte, und einem Loch im Fußboden für die körperliche Notdurft.
In wenigen Minuten würden sie ihn zu seiner Anhörung vor den Großen Imperialen Gerichtshof bringen. Er trug einen weißen Overall, so, wie es für beschuldigte Kriminelle gesetzlich vorgeschrieben war. Die Farbe hatte symbolische Bedeutung. Weiß ließ auf unschuldig schließen. Außerdem wurde damit gesagt, daß die Aussagen des Gefangenen nicht durch Folter erzwungen worden waren.
Mahoney mußte zugeben, daß letzteres bei ihm tatsächlich zutraf. Bis jetzt. Er war mit rauher, aber professioneller Höflichkeit behandelt worden. Natürlich hatte man ihn geschlagen. Zum ersten Mal, als er auf den Transporter geschafft worden war, der ihn zur Erstwelt gebracht hatte. Aber nur, um ihn auf seine neuen Lebensumstände hinzuweisen
Schrammen und Blut, damit keine Zweifel daran aufkamen, wer hier das Sagen hatte. Hinter diesen Schlägen war keinerlei Gefühl zu spüren gewesen. Es war nichts Persönliches. Dabei war es auch im weiteren Verlauf seiner Gefangenschaft geblieben, während er von einer IS-Gruppe zur anderen weitergeleitet wurde.
Als die Schläge aufhörten, wußte Ian, daß sein Termin zur Anhörung jetzt feststand. Eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme. Um sicherzugehen, daß bis zu seinem öffentlichen Auftritt alles verheilt war.
Mahoney hatte diese Erfahrungen gut überstanden. Nicht, daß er über sein Schicksal philosophierte. Er weigerte sich, überhaupt darüber nachzudenken. Über den niederträchtigen Verrat nachzugrübeln, würde ihn nur seiner Widerstandskräfte für den wahrscheinlich unvermeidlichen Gehirnscan berauben..
Statt dessen dachte er an alte Abenteuer. An Freunde.
Geliebte. Er dachte nie an Essen. Mahoney war froh, daß die Gefängniskost völlig geschmacksneutral war. Sonst wären die Erinnerungen an Mahlzeiten, die der Imperator höchstpersönlich für ihn zubereitet hatte, zu schmerzhaft gewesen.
Plötzlich wurde Ian wachsam, seine Nerven prickelten wie zu alten Mantis-Zeiten. Jemand beobachtete ihn. Er achtete darauf, daß er sich entspannte. Dann hörte er Geräusche an der Tür.
>Aha, da kommen sie also endlich, Ian. Ruhig, Herz. Und du da, Lunge. Soviel Luft brauchst du gar nicht. Nerven behalten, Jungs.< Unverwüstlicher, irischer Frohsinn.
Poyndex beobachtete durch die einseitig verspiegelte Beobachtungsscheibe, wie die IS-Männer Mahoney aus seiner Zelle herausschafften. Er war überrascht, wie gut der Mann noch aussah, und fragte sich, ob er sich in Mahoneys Position auch so verhalten hätte. Dann schob er den Gedanken beiseite.
Er würde dafür sorgen, daß er dieses spezielle Talent lieber nicht unter Beweis stellen mußte.
Er trat auf den Gang hinaus, um Mahoney und die Wachen aufzuhalten. Ian sah ihn. An dem kurzen Flackern in seinen Augen konnte Poyndex sehen, daß er erkannt worden war. Das Flackern wich einem Grinsen.
»Oh-ho. Da hat der Boß ja das Spitzenteam geschickt«, sagte Mahoney. »Ich müßte aber trotzdem lügen, wenn ich sagen würde, daß es mir eine Ehre ist.«
Poyndex lachte. »Für eine Lüge möchte ich nicht verantwortlich sein«, sagte er. »Wir möchten nicht, daß die Verhandlung sozusagen auf dem falschen Fuß beginnt.«
Er befahl einem Wachmann, Mahoney die Handschellen abzunehmen, und winkte die Wache anschließend beiseite.
»Ich begleite Sie«, teilte er Ian mit. »Ich bin sicher, Sie werden keine ... Dummheiten machen.«
Mahoney rieb sich die Handgelenke, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. »Warum auch? Ich bin unschuldig.
Ich warte voller Freude darauf, daß mir vor Gericht Gerechtigkeit widerfährt.« Er lachte.
Poyndex grinste zurück und deutete auf eine Tür am anderen Ende des Korridors. Sie setzten sich in Bewegung, Poyndex ungefähr einen halben Schritt hinter Mahoney.
»Genau deswegen bin ich vorbeigekommen; um
sicherzugehen, daß Ihnen genau das widerfährt. Der Imperator möchte absolute Fairneß.«
»Aber natürlich«, lachte Mahoney »Und sagen Sie ihm, daß sein alter Freund Ian ihm untertänigst für diese Höflichkeit dankt.«
Poyndex zwang sich zu einem beifälligen Kichern. Dieser Auftrag löste überaus gemischte Gefühle in ihm aus. Einerseits war Ian Mahoney sein einziger Mitbewerber um die Machtposition gewesen, die er nun innehatte. Ungnade hatte den Wettbewerb zwischen ihnen beendet.
»Sagen Sie ihm, er soll sich keine Sorgen machen«, sagte Mahoney »Wenn man mich fragt, werde ich mich genau an die Fakten halten. Ich habe nicht die Absicht, seinen Namen in die Vorgänge hier hineinzuziehen.«
»Ein unnötiges Versprechen«, sagte Poyndex .glatt. »Aber ich bin sicher, es wird ihm gefallen, daß Sie immer noch an seine Interessen denken - daß Sie sich an Ihre frühere Beziehung erinnern.«
Andererseits hatte Mahoney einmal in genau den gleichen Schuhen gesteckt wie Poyndex. Über Jahrzehnte hinweg war er der treue Diener des Imperators gewesen. Als er Mahoney jetzt beobachtete, wie er aufrecht seinem Schicksal entgegenging, fürchtete Poyndex sich vor seinem eigenen. >So ergeht es einem<, dachte er, >wenn man in Ungnade fällt.< Und in seinem Hinterkopf flüsterte eine leise Stimme: Nicht wenn ... sondern wann.
»Sagen Sie dem Boß, daß ich mich daran erinnere«, sagte Mahoney »Und zwar sehr genau.«
»Das werde ich tun«, erwiderte Poyndex. »Ich verspreche es.«
Seine Hand verschwand in einer Jackentasche und kam dann wieder zum Vorschein. Als sie die Tür erreichten, preßte Poyndex den schallgedämpften Pistolenlauf in Mahoneys Nacken.
Durch die plötzliche Kälte zog sich die Haut ein wenig zusammen.
Poyndex drückte ab.
Mahoney taumelte vorwärts. Schlug gegen die Tür. Sackte in sich zusammen.
Erstaunt stand Poyndex über dem Körper. Auf Mahoneys Gesicht lag immer noch das verdammte irische Grinsen.
Er beugte sich hinunter, drückte den Lauf noch einmal gegen Mahoneys Kopf und feuerte erneut.
Bei einem Mann wie Ian Mahoney mußte man verdammt sichergehen - am besten gleich zweimal.