Kapitel 2
»Einen Aperitif, Milord?« schnurrte eine Stimme in Stens Ohr.
Sten kehrte in die Wirklichkeit zurück und bemerkte, daß er wie ein Pfau von der alten Erde vor einem in Eiche gerahmten Wandspiegel posierte. Sofort lief er rot an.
Die Stimme gehörte einer Frau, einer schwarzhaarigen, verlockend gebauten und gekleideten Frau, die ein Tablett mit flötenförmigen Gläsern in der Hand hielt. Die Glasflöten enthielten eine schwarze, leicht sprudelnde Flüssigkeit. »Black Velvet«, sagte sie. >Das bist du allerdings<, dachte Sten. Aber er sagte nichts, sondern hob kaum wahrnehmbar eine Augenbraue.
»Eine Mischung aus zwei alten alkoholischen Getränken von der Erde«, fuhr sie fort. »Erd-Champagner - Taittinger Blanc de Blancs - und ein kaum noch gebrautes Stout von der Insel Irland. Man nennt es Guinness.«
Sie lächelte. Das Lächeln sah sehr persönlich aus. »Sie sollten Ihren Aufenthalt hier auf der Erstwelt genießen, Sr.
Botschafter Sten. Als Angehörige der Hausangestellten wäre ich sehr enttäuscht, wenn Sie uns ... unbefriedigt verlassen würden.«
Sten nahm ein Glas entgegen, trank einen Schluck und bedankte sich. Die Frau wartete, fand nichts mehr zu sagen, lächelte erneut - jetzt etwas förmlicher - und ging weiter.
>Du wirst alt<, dachte Sten. >Früher hättest du sie bewundert, hättest gefragt und dann entweder eine Abfuhr oder eine Vertröstung auf später erhalten. Dann hättest du sechs Gläser gekippt, um dich für diese idiotische Zeremonie zu stärken. Aber jetzt bist du erwachsen. Du betrinkst dich nicht, nur weil du Paraden für idiotisch hältst. Und du springst nicht mehr die erstbeste hübsche Frau an, die sich dir anbietete Abgesehen davon... dieses lächelnde Dienstmädchen war bestimmt eine Agentin des Mercury Corps, die Admiral (ruhende Reserve) Sten (ohne Vornamen)
höchstwahrscheinlich an Rang übertrumpfte.
Und schließlich war er auch nicht in Stimmung für eine schnelle Geschichte. Warum nicht? Während ein Teil seines Gehirns noch an dem Problem herumwerkelte, schmeckte er dem Getränk nach. Eigenartige Kombination. Er hatte schon zuvor fermentierten und moussierenden sprudelnden Traubensaft probiert, doch noch nie war er so trocken gewesen.
Die andere Flüssigkeit - Guinness? - fügte dem Geschmack einen scharfen, kräftigen Schlag hinzu, einem Fausthieb gegen den Kopf nicht unähnlich. Er beschloß, vor seiner Abreise von der Erstwelt noch mehr von diesem Zeug zu trinken.
Sten rückte nach hinten, bis seine Schultern die Wand berührten - die alte Gewohnheit eines abgebrühten Imperialen Killers -, und blickte sich in dem monströsen Gemach um.
Schloß Arundel erhob sich triumphierend über seinen Ruinen. Es war einst als grandioser Wohnsitz des Ewigen Imperators auf der Imperialen Erstwelt errichtet und infolge der typischen Art der Tahn, einen Krieg ohne viel Vorgeplänkel vom Zaun zu brechen, von einem taktischen
Nuklearsprengkörper zerstört worden. Während der darauffolgenden Kämpfe, die das gesamte Imperium in Mitleidenschaft gezogen hatten, war Arundel als symbolische Ruine unverändert geblieben; der Imperator selbst hatte sich in dem ausgedehnten Labyrinth unterhalb des verwüsteten Gebäudes einquartiert.
Nachdem der Imperator einem Attentat zum Opfer gefallen war, hatten seine Mörder Arundel als Gedenkstätte beibehalten.
Erst bei der Rückkehr des Imperators war es wieder aufgebaut worden, sogar noch erhabener und himmelstürmender als zuvor.
Sten befand sich in einem der vielen Vorzimmer des Schlosses. Ein Warteraum. Ein Warteraum, der einem Flottenzerstörer bequem als Hangar dienen konnte.
Der Raum war mit hohen Tieren vollgestopft, sowohl militärischen als auch zivilen, humanoiden als auch andersartigen. Sten warf noch einen Blick in den Spiegel und zuckte zusammen. >»Fette Tiere« wäre passender. Jetzt, nachdem du den letzten Auftrag des Imperators erledigt hast<, dachte er, >mußt du unbedingt wieder in Form kommen. Diese Schärpe mit all ihren Auszeichnungen, die du noch vor einer Minute bewundert hast... Deutet sich dahinter nicht unübersehbar ein kleiner Wanst an. Und der Stehkragen verhilft dir zu einem ausgewachsenen Doppelkinn. Dabei hoffst du insgeheim, daß es nur am Kragen liegt...
Zum Teufel mit dir<, fuhr Sten seinen schweifenden Gedanken in die Parade. >Ich bin momentan sehr zufrieden.
Zufrieden mit mir, zufrieden mit der Welt, zufrieden damit, daß ich mich gerade jetzt hier aufhalten
Trotzdem blickte er ein drittes Mal in den Spiegel und kehrte zu dem Gedankengang zurück, der von der Hausangestellten unterbrochen worden war. >Verdammt. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, anstelle irgendeiner Uniform oder wenigstens einer Verkleidung in diesen Diplomatenklamotten herumzulaufen. Diese Staffage, dieses altertümliche Hemd; und der Mantel mit dem gegabelten Rückenteil reicht mir fast bis an die Knöchel; diese Hosen, die in glänzenden Stiefeln mit niedrigem Schaft enden ... das ist alles immer noch höchst eigenartige
Er fragte sich, was wohl der Sten, der er einmal gewesen war - dieser arme unwissende Waisenknabe aus der Welt einer Sklaven-Company, der ein bißchen Glück hatte und schnell mit dem Messer war -, sagen würde, wenn er in diesen Spiegel blickte und dieser sich in seine Lieblingsphantasie, einen Zeitspiegel, verwandelte? Was würde dieser junge Sten wohl dabei denken, wenn ihm bewußt wäre, daß er sich dort selbst erblickte, so wie er in einigen Jahren aussehen würde?
Jahre? Viel mehr als ihm lieb waren. Er wollte sie nicht einmal zusammenrechnen.
Was für eine eigenartige Vorstellung. Besonders hier, wo er auf Wunsch des Imperators wartete, damit dieser ihn beglückwünschen und für seine Dienste auf allerhöchster Ebene auszeichnen konnte.
Ja. Was würde dieser jüngere Sten wohl denken? Oder sagen?
Sten grinste. Abgesehen von: »Warum bist du verdammt noch mal nicht Black Velvet gefolgt?« hätte er wahrscheinlich erleichtert gegrunzt. >Aha. Wir sind also noch am Leben. Hätte ich nicht gedachte Beinahe automatisch legte sich seine rechte Hand auf den Ärmel und befühlte die kostbare Seide des Mantels.
Darunter - und unter dem diamantenbesetzten Hemdsärmel befand sich noch immer das Messer, chirurgisch in seinem Arm versteckt. Sten hatte es einst geschaffen - es wachsen lassen und dann in einer Biofräse bearbeitet -, damals, als Sklavenarbeiter auf Vulcan. Sein allererstes Eigentum. Das Messer war kaum mehr als ein schmaler, doppelschneidiger Splitter und so geformt, daß es in keine andere als in seine Hand paßte. Es war mit einer Nadelspitze versehen und konnte allein durch das Eigengewicht der Klinge einen Erd-Diamanten zerteilen. Es war höchstwahrscheinlich das tödlichste Messer, das die Menschheit in ihrer unendlichen Begeisterung für Tod und Zerstörung je geschaffen hatte. Es wurde von einem chirurgisch versetzten Muskel an Ort und Stelle gehalten.
Mehr als ein Jahr, beinahe schon zwei Jahre waren jedoch vergangen, seit es zum letzten Mal ernsthaft gezückt worden war. Vier wunderbare Jahre des Friedens nach einem Leben voller Krieg. Frieden ... und in Sten ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß er endlich die Aufgabe erfüllte, die zu ihm paßte. Etwas, das nicht immer wieder auf...
»Wie korrekt«, sagte eine flache, tödlich monotone Stimme.
»Du hast mich schon immer ein bißchen an einen Zuhälter erinnert. Wie ich sehe, bist du jetzt einer geworden. Zumindest ziehst du dich so an.«
Sten kam knurrend in die Wirklichkeit zurück, ließ den Arm fallen und krümmte die Finger, wobei das Messer wie ein Reflex in seine Hand rutschte. Er trat von der Wand weg, nahm den linken Fuß nach hinten, tarierte sein Gleichgewicht aus, duckte sich leicht...
Dieser verdammte Mason.
Halt. Dieser verdammte Flottenadmiral Rohber Mason.< In weißer Paradeuniform, die Brust voller bunter Auszeichnungen, jede einzelne davon hochverdient. Dabei waren es wahrscheinlich kaum ein Drittel der Heldenknöpfe, die Mason zustanden.
Er hatte sich nie darum gekümmert, diese bläuliche Narbe zu entfernen, die sich quer über sein Gesicht zog. Sten hatte den Eindruck, daß er sich mit ihr wahrscheinlich für noch charmanter hielt.
»Admiral«, sagte Sten. »Wie gehen die Geschäfte beim Kinderabschlachten?«
»Kann nicht klagen«, gab Mason zurück. »Wenn man erst einmal gelernt hat, die Leine kurz und sich selbst aus dem Gröbsten herauszuhalten, ist es ganz einfach.«
Mason und Sten haßten sich aus unerfindlichen Gründen seit jeher. Mason war in der Pilotenausbildung einer von Stens Ausbildern gewesen und hatte alles daran gesetzt, daß Sten seinen Abschluß nicht erreichte. Bei seinen Schülern war Mason uneingeschränkt als Drecksack verschrien gewesen. Die Schüler hatten recht gehabt. Und, ganz anders als in den Livies, hatte sich Masons Herz aus Stein nach bestandener Prüfung keinesfalls als blanke Pose erwiesen. Unter der Oberfläche aus Granit lag nichts als gehärteter Stahl.
Im Verlauf des Krieges mit den Tahn war Mason zum Admiral aufgestiegen. Er hatte viele Qualitäten: Er war brillant.
Ein Tyrann. Ein meisterhafter Stratege. Ein Killer. Ein brutaler Disziplinhengst. Eine Führerpersönlichkeit, die sich bis ins Grab und darüber hinaus hinter seine Untergebenen stellte. Als er beispielsweise keinen richtigen Grund fand, um Sten aus der Fliegerschule auszusieben, stellte er ihm die besten Noten aus.
Mason war wahrscheinlich der beste Kampfpilot der gesamten Imperialen Streitmacht. >Der zweitbestes brummte Stens Pilotenego.
Er war dem Imperator mit Leib und Seele ergeben und hatte die Säuberungen des Privatkabinetts mit viel Glück und Niedertracht überstanden. Auch jetzt führte er, wie schon in der Vergangenheit, die Imperialen Befehle zweifellos wirkungsvoll und ohne Rücksicht auf Verluste aus. >Richtig<, dachte Sten,
>es herrscht zwar Frieden, aber nur im Vergleich zu diesem Alptraum des Tahn-Kriegs. Nach wie vor müssen viel zu viele Lebewesen sterben.<
»Habe gehört, daß du jetzt der Laufbursche des Imperators geworden bist«, sagte Mason. »Ich habe nie verstanden, wie ein richtiges Wesen es in einer Welt aushält, in der alles grau ist und es keine Wahrheit gibt.«
»Inzwischen gefällt mir Farbe ganz gut«, antwortete Sten.
»Jedenfalls besudelt sie einem nicht so die Hände wie zum Beispiel Rot. Und sie läßt sich wieder abwaschen.«
Eine dröhnende Stimme unterbrach ihre Sticheleien.
»Verehrte Anwesende, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«
Das Gesumm höflichen diplomatischen Geschnatters verstummte.
»Ich bin Großkämmerer Bleick.« Der Sprecher war ein lächerlich kostümiertes, etwas zu kurz geratenes Geschöpf, das mit der lautesten, kriecherischsten Zwitscherstimme redete, die Sten jemals gehört hatte. Natürlich hatte er ein Kehlkopfmikro und einen tragbaren Verstärker dabei.
»Wir möchten sichergehen, daß Sie alle die Ihnen als hochgestellte Persönlichkeiten zustehende Behandlung erfahren und diese Zeremonie so wie geplant abläuft. Deshalb müssen wir uns an folgende Regeln halten. Die Auszeichnungen werden in absteigender Reihenfolge der Verdienste verliehen. Ein Palastdiener wird jede Kategorie ankündigen.
Wenn Ihre Auszeichnung ausgerufen wird, stellen Sie sich bitte in einer Reihe hier am Eingang auf. Wenn der Redner« -
Bleick zeigte auf eine rotgekleidete Person - »Ihren Namen aufruft, treten Sie in das Hauptgemach ein. Sie werden nur geradeaus gehen und dann siebzehn Stufen hinaufsteigen, wo Sie eine im Boden eingravierte Linie erkennen werden.
Am anderen Ende dieser Linie wird der Imperator stehen.
Sind Sie der einzige Empfänger der entsprechenden Auszeichnung, treten Sie direkt vor den Ewigen Imperator.
Gehören Sie zu einer Gruppe, schreiten Sie entlang der Linie und bleiben neben dem nächsten Wesen zu Ihrer Linken stehen.
Dort nehmen Sie bitte Haltung an.
Eine Imperiale Adjutantin wird die Begründung für Ihre Auszeichnung vortragen. Eine zweite Adjutantin wird sie Ihnen überreichen, entweder auf einer Schärpe, oder sie wird sie Ihnen direkt an die Uniform heften. Sollte sich ein Irrtum einschleichen, vermeiden Sie bitte jede gekränkte Reaktion.
Die Zeremonie wird selbstverständlich mitgeschnitten und später auf Ihrem Heimatplaneten ausgestrahlt.
Ich darf hinzufügen, daß zusätzliche Kopien zu einem vernünftigen Preis in meinem Büro zu erwerben sind.
Heute sind keine Auszeichnungsempfänger aus dem Imperialen Haushalt vorgesehen. Als Rangnächste folgen vererbbare Auszeichnungen: Grafen, Baronets und dergleichen
...«
»Vererbbar«, entfuhr es Sten voller Staunen. Seine Lippen bewegten sich nicht, seine Worte erreichten gerade mal Masons Ohr. Diese Fertigkeit gewöhnte man sich beim Militär und im Gefängnis an.
Auch Mason war darin bewandert: »Der Ewige Imperator erweist sich als sehr erfinderisch, wenn es darum geht, diejenigen zu belohnen, die ihm zu Diensten sind.« Seiner Stimme fehlte jede Spur von Ironie.
»Aber -«
»Das erfreut nicht nur diese pedantischen Drecksäcke«, sagte Mason, »sondern auch ihre bürokratischen Bosse.«
Der Mißmut der beiden Männer zeigte sich nicht einmal als kleinste Regung auf ihren Gesichtern. Nur wenige Meter entfernt nahmen starke Gefühlsregungen jedoch Gestalt an.
Der Mann war riesenhaft und sehr weiß, von seiner wallenden Mähne über die wuchernden breiten Koteletten bis hin zu seiner vorschriftsmäßigen Hofkleidung. Er sah ein wenig betrunken aus.
»Was für'n Haufen verrückter Idioten«, sagte er mit einer Stimme, die wie Donner grollte. »Bei diesen blöden Titeln denkt schon ein Grünschnabel, er sei ganz automatisch ein Vollblut. Unerfahrene Welpen kriegen Flöhe ins Ohr gesetzt, sonst nichts! So einen Quatsch hab' ich ja noch nie gehört!
Gütiger Himmel, das Imperium geht noch vor die Hunde, wenn der Imperator dieser ganzen Bande sackloser Idioten derartige Kapriolen erlaubt! Das fehlte noch, daß ich bei diesem Affentheater mitmache! Schönen Gruß an den Imperator, wenn er will, daß -«
Was auch immer der Kotelettenmann dem Imperator vorschlagen wollte, es wurde rasch von vier sehr, sehr großen Menschenwesen abgewürgt, die aus dem Nichts aufzutauchen schienen und ein Minispalier um den Mann bildeten.
Sten hörte einige Proteste, doch der Mann wurde rasch unter Kontrolle gebracht und einen nahe gelegenen Ausgang hinausgeführt - zum Fortschleppen war er etwas zu massig.
Die vier Männer trugen neue, an Polizisten erinnernde graue Uniformen, die Sten bisher weder auf der Erstwelt noch direkt im Palast irgendwo gesehen hatte. Er sah eines der Schulterabzeichen, einen runden gelbschwarzen Aufnäher mit einem goldenen I, um das sich der Buchstabe S wand.
»Wer waren denn die Rausschmeißer?« murmelte er Mason monoton zu.
»Neue Sicherheitskräfte. Innere Sicherheit. Mehr weiß ich nicht. Geht mich auch nichts an.«
»Unter wessen Kontrolle stehen sie? Mercury? Mantis?«
Stens Neugier entsprang seiner ehemaligen - zumindest offiziell - Zugehörigkeit zu beiden Organisationen.
»Ich muß mich wiederholen ...« Masons Stimmte war jetzt lauter und frostiger. »Schlägertrupps, Gestaposchergen und Spitzel haben mich nie sonderlich interessiert.«
Sten fand es im Rahmen der Höflichkeit für angemessen, sich dem Strom der Auszeichnungsempfänger anzuschließen, der durch die Tür marschierte und verschwand.
Vererbte Auszeichnungen ... Verdienstorden ...
Auszeichnungen (Militärs)... Auszeichnungen (Zivilisten)...
Sten blieb vor dem Kämmerer stehen, der seine Liste durchsah. »Sr ... Bevollmächtigter Sten, Sie sind der einzige, dem heute diese Auszeichnung verliehen wird. Sie dürfen eintreten.«
Sten ging auf die klaffende Öffnung der hohen Tür zu, und zwei Gestalten in roten Anzügen und mit - wie Sten fand - sehr künstlich aussehendem graumeliertem Haar öffneten die Türflügel.
Eine Stimme plärrte: »Der Höchst Ehrenwerte Sten ... von Smallbridge.«
Das Auszeichnungszimmer hinter den nun gähnend weit offenstehenden Türflügeln war inzwischen mit denjenigen gefüllt, die vor ihm an der Reihe gewesen waren. Sten bewegte sich in diesem »Etwas-langsamer-als-normal-Schritt« weiter, von dem jeder Diplomat weiß, daß er sich am besten in den Livies macht. Dazu setzte er eine würdevolle Miene auf.
>Höchst Ehrenwerts dachte er. >Höchst interessant. Soweit ich mich erinnere, war ich beim letzten Mal, als ich bei Hof erschien, nur Sehr Ehrenwert. Gibt es bei Höchst Ehrenwert etwa mehr Geld?<
»Der Bevollmächtigte Botschafter Sten erfüllte bei seiner jüngsten Mission als Mittler zwischen Thorvaldianern und den Bewohnern von Markel Bat die höchsten Erwartungen des Imperialen Dienstes unter beträchtlichem Risiko für seine eigene persönliche Sicherheit. Nicht nur wurde der Frieden bewahrt, sondern der gesamte Cluster sieht jetzt einer neuen Ära der Befriedung und Ruhe entgegen. Sten wird damit geehrt, daß er zu einem neuen Rang ernannt wird, zum Gefährten des Imperators.«
>Und das bedeutet alles, was der Imperator möchte, daß es bedeutet< dachte Sten. Und das wiederum war alles außer einem Mitglied des Imperialen Haushalts - was auch immer die sein mochten. Zumindest hatten es diese abscheulichen Idioten noch nicht so weit getrieben, sich gegenseitig umzubringen, und auch er sah sich noch nicht genötigt, einen von ihnen umzubringen, so verlockend es hin und wieder auch gewesen war.
Keiner dieser Gedanken spiegelte sich in Stens Miene. Auch als er die besagte Linie entlangschritt und die Blicke im Raum umherschweifen ließ, veränderte sich sein Gesichtsausdruck nicht.
Dort oben ... die Iris im Kronleuchter ... da saß das Türmchen eines schwenkbaren Gewehrs. Dieses riesenhafte Porträt - höchstwahrscheinlich ein einseitiger Spiegel mit einer Eingreiftruppe dahinter. Da und dort und dort. Auf Hüfthöhe.
Links und rechts von der Linie ... versteckte Laserprojektoren.
Ein Doppelposten Gurkhas flankierte jede Tür zum Auszeichnungszimmer. Schweigsame kleine braune Männer mit ausdruckslosen Gesichtern in Paradeuniform, die Kinnriemen ihrer Schlapphüte knapp unterhalb der Unterlippe befestigt. Außerdem hatte jeder an der Hüfte eine Mini-Willygun im Koppel stecken. An der anderen Hüfte saß der tödliche Kukri, der dazu beitrug, daß die Gurkhas zu den am meisten gefürchteten und respektierten Soldaten des gesamten Imperiums zählten. Zusätzlich zu den Gurkhas hielten sich im ganzen Raum verteilt ungefähr zehn weitere graugekleidete ISTypen auf.
>Na und? Würdest du nicht auch ein bißchen mehr Wert auf Sicherheit legen, wenn vor ein paar Jahren ein Irrer versucht hätte, dich umzubringen?<
Direkt jenseits der Linie stand ein einzelner Mann. Allein.
Der Ewige Imperator.
Dunkles Haar. Blaue Augen. Sehr muskulös. Er sah aus wie höchstens Mitte Dreißig. Nein. Sten mußte sich korrigieren.
Seine Augen ließen'ihn ein wenig älter erscheinen.
Aber sicherlich nicht alt genug, um das zu sein, was er war: der Mann, der über ein Jahrtausend lang dieses Imperium in Alleinregie aufgebaut hatte; das Imperium, das sich bis jenseits aller Vorstellungen eines einzelnen Wesens erstreckte; das Imperium, das beinahe vernichtet worden wäre und nun langsam wieder zusammenwuchs.
Sten nahm die offizielle Habachtstellung ein. Der Imperator betrachtete seinen persönlichen Botschafter von oben bis unten und nickte dann in offiziellem Einvernehmen.
Die beiden Imperialen Adjutantinnen - diejenige, die die Ernennung vorgetragen hatte, und die andere, die eine Art Medaille in einer offenen Samtschatulle trug - schritten auf Sten zu.
In diesem Augenblick brach der Imperator mit der Tradition.
Er wandte sich an die Adjutantin und nahm die Auszeichnung
aus ihrer Schachtel.
Er kam nahe heran, legte die Auszeichnung am Band um Stens Hals. »In fünfundvierzig Minuten«, quetschte der Imperator mit einem Gefängnisflüstern, das dem von Sten in nichts nachstand, zwischen den Zähnen hervor. »Hinter der Bühne... meine Gemächer ... wir brauchen einen guten Schluck.«