Kapitel 27

Unten auf der Wiese war alles ruhig. Aber der Ort des Rauchs war keinswegs still. Der Wind peitschte die Wipfel der Koniferen mit unablässigem Brüllen.

Sten, Alex, Cind und Otho standen nahe bei einem A-Grav-Gleiter der Botschaft. Ihr Gurkha-Sicherheitstrupp hatte sich unauffällig von einem Mannschaftsgleiter entfernt und eine Vorpostenlinie gebildet.

Der Wilderer, den Alex' unerschöpflicher Geldbeutel zum Reden gebracht hatte, hatte ihnen nervös den Weg von der unbefestigten Straße zu dem Pfad gewiesen, der auf die Lichtung führte. Als er sah, daß Cind Aufnahmegeräte ablud, wollte er seine Credits sofort ausgezahlt bekommen. Alex hatte den Mann bezahlt und ihn gefragt, ob er warten würde; sobald sie ihre Aufgabe hier erledigt hätten, würden sie ihn in sein Dorf zurückbringen.

Nein. Der Mann bestand darauf, nach Hause zu laufen.

Dreißig Kilometer? Es spielte keine Rolle. Der Wilderer zog sich rückwärts gehend bis zum Waldsaum zurück, dann drehte er sich um und rannte davon, als wären ihm sämtliche Teufel der Hölle auf den Fersen.

Sten wußte nicht, ob der Mann sich mehr davor fürchtete, daß sein Gesicht aufgenommen wurde, oder vor den länglichen Furchen, die sich quer über die Wiese erstreckten.

»Das haben Stadtwesen ausgegraben«, sagte Otho. »Die.

Landbevölkerung hätte gewußt, daß sich Erde senkt, wenn man sie wieder zurückschaufelt. Sie hätten einen kleinen Hügel aufgeschüttet.«

Niemand sagte etwas dazu.

»Wie viele?«

Sten schüttelte den Kopf. Er hatte wenig Erfahrung als Totengräber.

»Es sind allein fünftausend, bei denen sich irgendwelche Angehörige getraut haben, sie als vermißt zu melden«, sagte Cind.

»Das kannst du vergessen«, sagte Alex, den Blick geistesabwesend auf die zugeschütteten Gräben gerichtet. »Das heißt, es muß noch andere Orte wie diesen hier geben, die noch nicht entdeckt worden sind.« Er wandte sich an Sten. »Wie packen wir's an, Boß?«

Sten dachte kurz nach und ging dann zum Gleiter, öffnete einen großen Kasten mit Werkzeug und zog zwei Schaufeln heraus. Eine davon drückte er Alex in die Hand.

»Ich denke, wir machen es wie bei einer archäologischen Ausgrabung«, sagte er. »Wir graben ungefähr einen Meter tief quer durch einen Graben. Cind! Ich möchte, daß du alles aufnimmst.

Der Film muß zeigen, daß der Boden hier seit einiger Zeit nicht mehr angerührt wurde. Da wachsen schon kleine Pflanzen auf-«

»Flechten«, sagte Alex.

»Dann eben Flechten. Keine Fußspuren, bis auf die, die wir hinterlassen, wenn wir uns den ...« Seine Stimme verebbte.

»Sir, die Soldaten können doch graben«, gab Otho zu bedenken.

Sten schüttelte den Kopf und nickte dann Cind zu. Sie schaltete den Recorder ein. Dann ging er auf den nächstbesten Graben zu und markierte die Umrisse des geplanten Einschnitts mit dem Schaufelblatt. Vorsichtig fing er an zu graben. Der sandige Lehm bereitete ihm keine großen Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite der Furche grub Alex mit der gleichen Sorgfalt.

Sten war noch keinen Meter tief gekommen, als er plötzlich innehielt. »Otho, in der Kiste liegt eine Kelle.« Er kniete nieder und grub jetzt noch vorsichtiger mit dem neuen Werkzeug. Er stöhnte auf. Dann hustete er heftig und übergab sich seitlich auf den Grabenrand.

Otho reichte ihm eine Feldflasche und eine Atemmaske.

Auch Alex erhielt eine Maske. »An diesen Geruch gewöhnt man sich nie.«

Sten spülte sich den Mund aus und setzte die Maske auf. Er war froh, daß er sein Gesicht dahinter verbergen konnte.

»Zwei... vielleicht auch drei Monate?«

»Das dürfte ungefähr die richtige Zeit sein, Boß. Cind?

Mach mal 'ne schöne Aufnahme, direkt hier in die Gruft hinein.«

Cind kam näher.

Durch den Sucher sah sie den Rücken einer Frau. Die Hände waren mit Kunststoff-Handschellen zusammengebunden.

Daneben das Gesicht eines Mannes. Die Reste seiner Augen waren weit aufgerissen, auch sein Mund stand offen; der Schrei war mit Erde erstickt worden.

Cind wies ihre Augen an, nichts mehr aufzunehmen - diese Aufgabe mußte die Maschine übernehmen. Doch die Augen gehorchten ihr nicht.

»Warum hat Iskra die Leichen nicht ins Meer geworfen?«

wunderte sich Otho. »Oder mit seinem Feuer verbrannt?«

»Lebendig begraben zu werden ist hier auf Jochi ein ehrenhafter Tod«, sagte Sten.

»Wie kann denn Mord jemals ehrenhaft sein?« grummelte Otho.

Sten half Alex aus dem Grab heraus.

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Boß. Was nutzt uns die Entdeckung dieser Abscheulichkeit? Ich kann nicht behaupten, daß ich es für eine gute Idee halte, die Sensationsreporter herbeizurufen und die Tat überall im Cluster verbreiten zu lassen. Damit gießen wir nur noch mehr Öl ins Feuer.«

»Du hast recht. Wir machen das Loch wieder zu. Zunächst tun wir nicht mehr, als eine Kopie von Cinds Aufnahmen zur Erstwelt zu schicken.«

»Als Geheimsache für den Imp? Sten, das hier ist nicht die erste schlimme Sache, die wir dem Boß berichten; nur die schlimmste bis jetzt. Wieso glaubst du, er könnte diesem Bericht mehr Aufmerksamkeit widmen; ich denke, er hat im Laufe der Zeitalter schon Schlimmeres mitansehen müssen.«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Sten. »Aber er müßte doch verdammt noch mal jetzt endlich begreifen ... Du hattest vollkommen recht damit, daß sich hier eine Feuersbrunst zusammenbraut. Und wir stecken mittendrin.«

Dann verstummten sie alle.

Es war nichts mehr zu hören, bis auf das Scharren der Schaufeln, die die Erde in das Massengrab zurückkratzten ...

und das Heulen des Windes, der hoch über ihnen immer heftiger wurde.