Kapitel 21

Das Massaker in der Pooshkan-Universität erschütterte den gesamten Altai-Cluster. Auf den Straßen von Rurik verbreiteten sich die Gerüchte von der Tragödie wie ein Lauffeuer, noch während die Truppen das Feuer eröffneten.

Sten verdrängte diese Anomalie erst einmal, während er versuchte, des Chaos, das rings um ihn ausbrach, einigermaßen Herr zu werden.

Umgeben von jochianischen Truppen, deren Befehl angeblich lautete, die Imperiale Botschaft zu schützen, saß Sten im Auge des Sturms und mußte zusehen, wie sich die Dinge rings um ihn herum entfalteten, während er eine wahre Lawine an Berichten mit dem Vermerk »Streng Geheim« abfaßte.

Das Massaker selbst hatte er via zweier Frick-&-Frack-Teams miterlebt, die über den Soldaten schwebten, als diese das Feuer auf die Studenten eröffneten. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß Iskra den Befehl dazu erteilt hatte.

Trotzdem würde es sehr schwer werden, es zu beweisen. Die Soldaten trugen keine erkennbaren Insignien auf ihren Uniformen. Zwar waren es eindeutig Menschen, aber das allein war noch kein Beweis. Es konnten ebensogut Angehörige einer rebellischen jochianischen Miliz sein. Oder sogar Tork.

Sten war auch aufgefallen, daß das erste Gerücht besagte, der Angriff sei das Werk einer Suzdal-Miliz.

Dieses Informationsdetail erreichte ihn, während er sah, wie Riehl von der Barrikade fiel. Anderthalb Sekunden später folgte ein gegenteiliges Gerücht: Es seien die Bogazi, die diese abscheuliche Tat begangen hätten.

Sten, der in seinem Leben schon so manches Blutvergießen miterlebt hatte, mußte sich förmlich dazu zwingen, das ekelhafte Drama weiterzuverfolgen, das sich da vor seinen Augen abspielte. Er hörte, wie mehrere junge Nachrichtenoffiziere bei dem Anblick würgten. Sogar Freston, der Chef der Nachrichtenabteilung, drehte sich weg.

»Der Mann ist nicht ganz dicht...«, murmelte Alex, der das Gemetzel ebenfalls auf dem Bildschirm verfolgte. »Er ist vollkommen irre.«

Sten ging nicht darauf ein und versuchte zum zehnten Mal, Iskra über die Botschaftsverbindung zu erreichen und von ihm zu verlangen, daß er seine Hunde zurückrief. Zum zehnten Mal wurde sein Anruf von einem niedrigen Funktionär abgewiesen, der ihm mitteilte, Iskra »meditiere« gerade und hätte ausdrücklich angewiesen, er wolle nicht gestört werden.

»Dem werde ich bald etwas vormeditieren«, knurrte Sten.

An Alex gewandt sagte er: »Schicke ein paar Augen zum Palast.«

Wenige Sekunden später hatte er das Bild eines Frick-&-

Frack-Duos, das über den Platz der Khaqans sauste.

Die Nachrichten von dort gaben auch nicht gerade zu Hoffnungen Anlaß. Eine Gruppe von Protestlern, aufgestachelt von den Gerüchten des Pooshkan-Massakers, näherte sich dem Khaqanpalast.

Stens Magen drehte sich um, als er anstatt der erwarteten Konfrontation zwischen der Menschenmenge und den jochianischen Truppen sah, wie ein Kontingent Imperialer Gardisten aus dem Palast eilte und die Stufen hinunterstürmte.

Sie feuerten mitten in die Menge, wie ein

Überfallkommando. Die Konfrontation war gewalttätig - und von kurzer Dauer. Innerhalb weniger Augenblicke wurde die Menge zerschlagen und wandte sich in panischer Angst zur Flucht. Zurück blieben ganze Berge von Zivilistenleichen.

Als wäre das nicht schlimm genug, jagten viele der Imperialen Gardisten die fliehenden Protestler durch die Straßen und prügelten mit Schlagstöcken auf sie ein.

»Die benehmen sich wie Bullen und nicht wie Soldaten«, fluchte Cind. »Noch dazu wie ganz miese Bullen.«

Sten sagte nichts dazu. Er hielt seine Emotionen jetzt unter einem eisernen Deckel begraben, doch in seinem Hinterkopf rumorte es unablässig. Wenn diese Sache ausgestanden war, würden viele anklagende Finger in viele unterschiedliche Richtungen zeigen. Gerade eben hatte sich die Imperiale Garde zu einem möglichen Ziel gemacht.

»Ich will die ganze Station auf Alarmstufe Rot haben«, sagte Sten zu Kilgour. »Verständige die Küche, sie sollen literweise Kaff anrollen lassen. Die Hausmeister sollen ein paar Pritschen herbeischaffen. Bis auf weiteres arbeiten wir alle, bis wir umfallen.«

Alex eilte davon, um das Personal auf Overdrive zu schicken. Sten wandte sich wieder den Monitoren zu. Seine Augen waren bereits rotumrändert und juckten. Er spürte, wie sich Cinds zarte Hand in seinen Nacken legte.

Sie sagte kein Wort, doch der leichte Druck verlieh ihm neue Kraft. Sten bereitete sich auf eine eindeutig häßliche Aufgabe vor.

Die Stunden vergingen, und eine Tragödie folgte der anderen.

Eine durch die Gerüchte aufgebrachte Suzdal-Miliz überraschte ein Wohnviertel der Bogazi im Schlaf und zündete es an. Dann traten sie zurück und metzelten die erschrockenen Bogazi ab, die aus ihren Hütten gerannt kamen.

Die Rache folgte fast auf dem Fuße. Als drei erwachsene Suzdal eine Gruppe von über zwanzig Welpen von ihren Häusern zu einer Futterhalle bringen wollten, stellte sich ihnen ein Horde Bogazi in den Weg. Die erwachsenen Suzdal waren binnen weniger Sekunden tot. Dann kamen die Kleinen an die Reihe. Eine Bogazi hob einen kleinen Welpen hoch in die Luft, schlitzte ihn mit ihrem Schnabel auf und schluckte ihn dann ganz hinunter.

»Großmutter hatte recht«, giggelte sie ihren Freunden zu.

»Die Suzdal sind zu nichts nütze. Nur zum Fressen.«

Dieser Zwischenfall goß natürlich noch mehr Öl ins Feuer.

Die Suzdal gehörten zu den Spezies im gesamten Imperium, die sich am meisten für ihre Kinder aufopferten, und waren genetisch so disponiert, alles und jeden zu töten, der ihre Jungen bedrohte.

Berichte über weitere Zwischenfälle fluteten herein.

Am selben Abend überfiel eine kleine Milizeinheit der Tork einen jochianischen Marktplatz. Doch die Jochianer waren vorbereitet. Soldaten sprangen aus ihren Verstecken und stellten die überraschten Tork, die sich entsetzt umdrehten und flohen. Die o Jochianer folgten ihnen. Doch kaum hatten sie ihre Formation zur Verfolgung aufgelöst, erschien eine wesentlich größere Streitmacht der Tork am Schauplatz des Geschehens und schlug aus dem Hinterhalt zu. Mehr als zweihundert Leute starben auf dem Marktplatz, die meisten von ihnen Zivilisten.

So ging es weiter und weiter. Rurik war eine einzige große Blutfehde. Sten konnte kaum mit den Ereignissen Schritt halten. Benommen verfaßte er seine Berichte, versuchte immer wieder Iskra zu erreichen und erhielt keine Antwort. Ähnlich erging es ihm mit dem Ewigen Imperator. Sein Boß war indisponiert, was Sten einigermaßen überraschte. Er hatte noch nie gehört, daß der Imperator krank war.

Am folgenden Tag blickte Sten mit verschwommenen Augen auf den Bildschirm, auf dem - Wunder über Wunder eine friedliche Gruppierung Zivilisten zu sehen war, die auf die Pooshkan-Universität zumarschierte. Es war eine gemischte Menge, die zu gleichen Teilen aus allen vier Rassen des Altai-Clusters bestand.

Sie führten Kränze mit sich, die sie am Ort des Geschehens in Erinnerung an die ermordeten Studenten niederlegen wollten.

Die Gruppe trug auch große handgeschriebene

Spruchbänder, auf denen sie um eine Rückkehr zu Frieden und Ordnung auf den altaianischen Welten bat. Einige der Bänder wußten sogar Positives über Iskra zu sagen.

Über das, was dann geschah, wunderte sich Sten schon nicht mehr. Er drehte die Lautstärke ab und drehte sich um, als die Soldaten, die den Schauplatz bewachten, sofort das Feuer eröffneten. Er sah Cind an. Sie stand stramm wie ein Soldat mit emporgerecktem Kinn vor ihm. Aber ihre Augen schimmerten dunkel. Sie erschauerte unwillkürlich, als sie beide die gedämpften Schreie des Entsetzens aus der Richtung der Universität hörten.

Ihr Mund öffnete sich, als wollte sie etwas sagen; doch dann klappte er wieder mit einem lauten Klacken zu.

>Sie möchte, daß ich dem Treiben ein Ende setze«, dachte er. >Aber sie weiß, daß ich nichts dagegen tun kann.< Sten hatte sich noch nie so mies gefühlt. So unheroisch.

Nicht, daß er an solche Dinge geglaubt hätte. Und falls Cind jemals derartige Phantasien genährt hatte, so waren sie im Verlauf der letzten Stunden wohl endgültig zunichte gemacht worden.

Er hörte Freston seinen Namen rufen. Sten drehte sich um.

»Es ist Dr. Iskra, Sir«, sagte der Nachrichtenoffizier. »Er fragt an, ob es genehm sei, sich zu einem Gespräch zu treffen.«

Sten ging geladen zum Treffen mit dem Ursus horribilis.

Nein, vergiß den Grizzly. Die wie eine Donnerbüchse verpackte diplomatische Note an Iskra konnte sogar einem Ursus arctos das Fell abziehen.

Obwohl er Iskra nicht direkt für den Befehl zum Massaker von Pooshkan verantwortlich machte, so ruckte er ihm doch ziemlich dicht auf die Pelle. Außerdem hatte er die Attacke auf die Kranzniederleger mit hineingenommen, ebenso den nicht genehmigten Einsatz Imperialer Truppen gegen die Zivilbevölkerung.

Leider war sich Sten schmerzlich der Tatsache bewußt, daß er über zwei Millimeter dickes Eis kroch. Der Altai-Cluster war so wichtig, daß hier die drei Kardinalregeln der Diplomatie absoluten Vorrang hatten.

A: Immer Zuerst Rücksprache mit dem Boß halten.

B: Immer zuerst Rücksprache mit dem Boß halten.

Und, die wichtigste Regel von allen ...

C: Immer zuerst Rücksprache mit dem Boß halten.

Trotzdem. Obwohl ihm durch seine vergeblichen Versuche, den Imperator zu erreichen, die Hände einigermaßen gebunden waren, marschierte Sten mit dem festen Vorsatz in die Sitzung, seinen Bluff durchzuziehen.

Sobald Sten den Raum betreten hatte, sprang Iskra auf.

»Herr Botschafter«, sagte er. »Ich protestiere gegen die mangelnde Unterstützung, die Sie meiner Regierung gewähren!«

Sten unterdrückte gerade noch ein unprofessionelles verdutztes Glotzen und preßte die Lippen fest aufeinander. Er hob lediglich eine Augenbraue. Eisig.

»Außerdem werde ich beim Imperator Ihre Ablösung aus dem diplomatischen Dienst im Altai-Cluster beantragen.«

»Sehr nett von Ihnen, daß Sie mir das persönlich mitteilen«, erwiderte Sten trocken. »Ich nehme an, daß Ihre Bitte -«

»Eine Forderung, Sir. Keine Bitte.«

»Dann eben Forderung, obwohl ich Ihnen rate, diesen Ausdruck aus Ihrem Wortschatz zu streichen, wenn Sie mit dem Imperator sprechen. Zurück zu meiner Frage. Hat diese...

Forderung ... vielleicht etwas mit dem Chaos zu tun, das dort draußen vor den Toren ausgebrochen ist? Oder mißfällt Ihnen lediglich der Schnitt meiner Dienstkleidung?«

»Ich mache Sie für das Leid verantwortlich, das mein armes Volk momentan erfährt, ja. Oder können Sie abstreiten, daß Sie und Ihr Stab es hinsichtlich meiner Bestrebungen an Enthusiasmus haben fehlen lassen?«

»Das kann ich. Mit Leichtigkeit. Enthusiasmus ist etwas für Amateure. Meine professionelle Aufgabe besteht darin, Sie zu unterstützen. Aber - und es handelt sich hier um ein entscheidendes aber, Sir - mein Auftrag lautet, die Ordnung im Altai-Cluster wiederherzustellen. Ein Auftrag, den ich inzwischen als akut gefährdet ansehe, wenn nicht schon in diesem Augenblick dem Untergang geweiht. Und Sie, Sir, tragen die volle Verantwortung dafür, was ich dem Imperator auch unverblümt berichten werde.«

»Dann hatte ich also doch recht«, zischte Iskra. »Sie arbeiten gegen mich.«

»Erwarten Sie etwa Beifall für das, was an der Pooshkan-Universität vorgefallen ist? Soll ich eine Militärkapelle bestellen, die Ihre tolle Leistung überall herumposaunt?«

»Sie wollen diese ... abscheuliche Aktion mir in die Schuhe schieben? Mir!« Iskra regte sich, so gut er konnte, auf. Wäre die Auseinandersetzung nicht so bittererernst gewesen, Sten hätte laut gelacht.

»Ich muß Sie darüber informieren, daß ich höchst empört über diesen Zwischenfall bin und genaue Aufklärung befohlen habe. Und zwar geschieht das unter der Leitung eines Mannes, dessen Reputation über jeden Zweifel erhaben ist: General Douw.«

>Ho-ho<, dachte Sten. >Daher weht also der Wind! Douw ist also auch schon in Iskras Bannkreis geratene

»Ich werde dem Imperator umfassenden Bericht erstatten«, sagte Sten. »Es wird ihn sehr... interessieren. Das ist jedoch nicht das richtige Wort dafür, wie er reagieren wird, wenn er von dem Schlamassel erfährt, den Sie hier angerichtet haben.«

»Bah! Alles, was hier vonnöten ist, ist eine stärkere Hand.

Das hier ist mein Volk, Herr Botschafter. Sie verstehen diese Leute nicht. Blutfehden sind ein integraler Bestandteil unserer Geschichte. Sie sind eine Tatsache unserer Natur, die ständig unter der Oberfläche brodelt. Aus diesem Grund genügt schon ein kleiner Zwischenfall wie die Tragödie von Pooshkan, um das reinste Chaos auf die Bühne zu zaubern - vor allem, wenn mir die Unterstützung von Ihrer Seite so kläglich versagt wird.«

»Sie haben wirklich ein heilloses Chaos angerichtet, soviel steht fest«, entgegnete Sten. »Wie wollen Sie jetzt damit umgehen?«

»Das ist meine Angelegenheit«, knurrte Iskra. »Die Privatangelegenheit dieses Clusters, vergessen Sie das nicht.«

»Ich werde mich bemühen«, sagte Sten.

Er dachte an die Erklärung in seiner Tasche, die Erklärung, die Iskra ein neues Loch zum Defäkieren reißen würde. Wenn er sie wie geplant ablieferte, erleichterte er sich damit seine zukünftigen Beziehungen zu Iskra nicht gerade.

Er dachte an die jungen Leute, die auf den Barrikaden gestorben waren. >Scheiß auf die zukünftigen Beziehungen.< Sten beschloß in diesem Moment, sich diesen Mann vom Hals zu schaffen. Er würde jedes Molekül an Beweismaterial zusammensuchen und ihm einen Strick daraus drehen. Wenn er mit dem Imperator sprach, würde er genug Beweise haben, um Iskra damit aus dem Altai-Cluster zu prügeln.

Außerdem hatte sich der Mann bereits selbst zum Feind erklärt. An diesem Punkt empfehlen die meisten diplomatischen Handbücher einen kräftigen Schlag - und zwar voll in den Magen.

Sten zog die Erklärung hervor und überreichte sie Iskra.

»Ein wenig Bettlektüre«, sagte er. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen ...«Er verließ den Raum und ließ den kollernden Iskra einfach stehen.

Kaum war er draußen, kam Venloe mit großen Schritten hereingestürmt.

»Das war nicht nötig«, blaffte er. »Sie haben sich soeben einen sehr ernstzunehmenden Feind gemacht.«

»Der? Dieser Sten ist doch bloß ein Funktionär!«

»Ein weiterer Fehler, Doktor. Glauben Sie mir, er ist kein Funktionär.« Venloe erinnerte sich mit Gänsehaut an seine Begegnung mit Sten und Mahoney Nur weil sie ihn damals gebraucht hatten, war er heute noch am Leben. »Außerdem hatte er mit der Universität recht«, sagte Venloe.

»Es war nötig«, erwiderte Iskra. »Wie ich bereits diesem Idioten von Botschafter sagte: Mein Volk braucht eine starke Hand, die es regiert. Es ist das einzige, was sie verstehen. Der Vorfall in der Universität lieferte mir die perfekte Entschuldigung dafür, diese harte Hand einzusetzen. Wenn das hier vorbei ist, wird mein Name noch in Generationen mit Ehrfurcht ausgesprochen werden. Glauben Sie mir. Ich kenne meinen Platz in der Geschichte.«

Er sah Venloe von der Seite an; auf seinen Lippen lag ein kaum wahrnehmbares höhnisches Lächeln. »Sie überraschen mich. Ich dachte nicht, daß Sie von einem bißchen Blut, das für einen guten Zweck vergossen wurde, soviel Aufhebens machen würden. Eigenartig, wie man manchmal glaubt, ein Wesen zu kennen.«

Venloe grunzte nur unwirsch. Er dachte flüchtig daran, wie leicht es wäre, Iskra einfach zu töten, wenn sein Auftrag ein ganz normaler Auftrag wäre. Gleich hier. Ohne eine Spur oder unerwünschte Verdachtsmomente zu hinterlassen.

»Kann ich mir vorstellen, daß Sie überrascht sind«, sagte er.

Iskra blickte ihn an und versuchte ihn in einen kindischen Zweikampf zu verwickeln: Wer kann dem Blick des anderen länger standhalten? Venloes Finger zuckten; am liebsten hätte er Iskra die Augen einfach ausgestoßen. Statt dessen senkte er den Blick.

»Gut«, murmelte Iskra. »Es gibt noch ein paar Dinge, die ich dringend benötige. Ich möche, daß Sie sich diese Anfragen sorgfältig durchlesen. Der Imperator muß meine Forderungen genau verstehen.«

Dann stellte er eine ellenlange Einkaufsliste zusammen, von der Venloe wußte, daß der Ewige Imperator über sie nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrechen würde.

»Ich bin ganz Ohr«, sagte Venloe.

Sten lehnte sich im Sitz des A-Grav-Gleiters zurück. Ein wütender Regensturm klatschte gegen die Scheiben.

Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er weiterhin vorgehen sollte. Iskra gehörte zu den Gestalten, deren Bekanntschaft jeder Diplomat mindestens einmal im Leben machte, ohne hinterher auch nur einen Deut schlauer zu sein.

Wie verfuhr man mit einem Regenten, der fest entschlossen zu sein schien, sich selbst zugrunde zu richten? Die einfache Lösung wäre, sich schleunigst aus dem Staub zu machen.

Leider stand diese Lösung so gut wie nie als logische Alternative zur Debatte.

Schwierigkeit Nummer eins: In derartigen Situationen gibt es fast nie einen offensichtlichen Nachfolger - wenn der Regent vernichtet ist, liegt auch das Reich in Scherben. Was allen Parteien außerhalb dieses Reiches recht sein könnte, bis auf: Schwierigkeit Nummer zwei: Selbstmörderische Regenten werden immer von Wesen von außerhalb unterstützt, deren eigenes Schicksal vom Wohlergehen des bedrohten Königreiches abhängt. Mit anderen Worten: der Natur wird nicht ihr Lauf gelassen. Schlägt der Blitz in einen moralisch ausgetrockneten Busch ein, kommen viele Nationalitäten zum Löschen herbeigeeilt.

Sten begriff, daß ihm Iskra gerade eine wichtige Lektion erteilte. Er verstand jetzt, daß die Altaiwelten von Anfang an zu ihrer gegenwärtigen ungemütlichen Situation verdammt gewesen waren, seit der Ankunft der ersten Jochianer in diesem Cluster, mit dem Freibrief des Imperators in der Hand.

Diese Charta - ein schickes Wort für die rein geschäftlichen Beziehungen zwischen den Jochianern und dem Imperator machte aus ihnen etwas Besonderes, nämlich über den anderen Wesen stehende Günstlinge. Ihr Recht, über die anderen zu herrschen, wurde so gottgegeben wie bei jedem altertümlichen Monarchen. Schließlich erwuchsen aus dieser Charta die Khaqans, die sich zum Herrscher über eine unwillige Bevölkerung aufschwangen.

Ohne die Unterstützung von außen, durch den Imperator, wären die Altaianer gezwungen gewesen, andere Lösungen zu finden. Es hätte Blutvergießen gegeben, doch am Ende hätten sich die Jochianer, die Tork, die Suzdal und die Bogazi zu irgendeiner Art von Konsens zusammengerauft.

Als er den Auftrag übernommen hatte, hatte Sten sich vorgestellt, in dieser Richtung zu wirken und auf eine Art Regierung des Konsenses hinzuarbeiten. Er hatte gehofft, zumindest ein Gerüst zu bauen, auf das sich andere stellen und ein Gebäude errichten konnten.

Statt dessen ... Statt dessen mußte er sich mit diesem verfluchten Iskra herumschlagen. Was ging nur im Kopf seines Bosses vor?

Sten riß sich aus der drohenden Verwirrung. Es half nichts, die Entscheidungen des Bosses zu verwerfen. Der Imperator mochte zwar ewig sein, doch er hatte nie von sich behauptet, umfehlbar zu sein. Wenn Sten wollte, daß er einen klügeren Kurs einschlug, dann mußte Sten ihm dabei helfen.

Der Fahrer gab ein Zeichen. Sie näherten sich der Botschaft der Suzdal, Stens erstem Anlaufpunkt. Es war der erste Schritt seines Plans in Richtung äußerer Konsens.

Als er aus dem Fenster blickte, ging ein Drittel dieses Planes den Bach hinunter.

Die Suzdal-Botschaft war verlassen. Einige halbstarke Tork durchkämmten die in der Eile haufenweise zurückgelassenen persönlichen Dinge.

Sten stieg aus dem Gleiter. Als ihn die Jugendlichen erblickten, beobachteten sie ihn argwöhnisch, bereit, jederzeit davonzulaufen. Sten winkte seine Sicherheitskräfte, die aus ihren eigenen Gleitern geeilt kamen und sich sofort in Formation aufstellten, ein wenig zur Seite. Dann ging er ganz lässig auf die Jugendlichen zu.

»Gute Beute?« fragte er den größten von ihnen, da er vermutete, daß hier Größe etwas mit Anführertum zu tun hatte.

»Was geht dich das an?« knurrte der kleinste Tork. Soviel zum Thema Vermutungen. Sten hatte nicht seinen besten Tag.

»Eine bessere Frage«, sagte Sten. »Was geht dich das an?«

Er fischte ein paar Credits heraus und zeigte sie den glitzernden kleinen Augen. Der kleine Tork griff danach. Sten schlug seine Hand zurück.

Er nickte in Richtung auf die Botschaft. »Wo sind die hin?«

»Nach Hause, da wo sie hingehören. Was denkst du denn?«

Der Bursche starrte auf das Geld, die Lippen fest zusammengepreßt. Sten legte ein paar Credits in die Hand des jungen Tork.

»Erzähl mir mehr davon«, sagte er. »Fang an dem Punkt an, als sie weggingen.«

»Vor drei, vier Stunden war das«, sagte der Bursche. »Wir spielen gerade dort hinten, und plötzlich ist hier die Hölle los.

Überall kläffende und jaulende Suzdal, überall A-Grav-Leichter und Suzdal-Soldaten. Ruck, zuck war alles zusammengepackt und weg waren sie.«

Sten fütterte ihn mit ein paar weiteren Credits. »Hat sie jemand verfolgt?«

»Nö. Und später ist auch niemand gekommen. Die Suzdal sind ganz von selbst abgehauen. Hat sich auch nicht so angehört, als hätten sie Angst.«

»Worüber haben sie sich denn unterhalten?« fragte Sten und zeigte sich weiterhin spendabel.

»Davon, daß sie Bogazi umlegen wollen, was denn sonst?«

Der junge Tork staunte über Stens bedenkliche Ahnungslosigkeit. »Wir sind gleich anschließend hergekommen. Vielleicht finden wir hier noch was Wertvolles.

Wir haben gehört, was der Rudelführer zu dem Krummbeinigen gesagt hat, der die Miliz kommandiert. Er sagte, es wird bald ein großer Kampf ausbrechen. Mit den Bogazi. Deshalb sind sie nach Hause. Um bei dem Kampf mitzumachen.«

Der Bursche blickte zu Sten auf. Seine Augen waren alt.

»Ich glaube, die Suzdal haben keine Chance«, sagte er. »Sie sind gemein. Aber die Hühner sind noch gemeiner. Was meinst du? Suzdal oder Bogazi?«

Sten gab ihm die restlichen Credits. »Willst du es wirklich wissen?«

»Ach was! Wollte nur sehen, wie die Chancen stehen. Bei uns im Viertel setzen die meisten auf die Bogazi. Zehn zu eins.

Ich hab' gedacht, vielleicht könntest du mir was erzählen, womit ich sie ordentlich reinlegen kann. Mal richtig absahnen.«

Er wedelte mit seiner Handvoll Bestechungsgeld vor Stens Gesicht herum. »So wie ich die Sache sehe«, sagte der Junge,

»muß man sein Glück überall versuchen. Ich meine, man kann den ganzen Tag herumlaufen und Glück haben, ohne daß man es überhaupt bemerkt. Wenn du weißt, was ich meine.«

»Das weiß ich ganz genau«, sagte Sten. Als er den Ort verließ, hielt er seine Chancen noch für deutlich schlechter als zuvor.

»Meine Vision ist ganz einfach, General«, sagte Iskra.

»Aber ich denke, daß Sie mit mir übereinstimmen, daß ein Konzept in erster Linie einfach sein muß.«

»Zweifellos«, antwortete General Douw. »Genau das ist eine der Eigenschaften, die ich an Ihnen seit Jahren aus der Ferne bewundere. Sie betrachten sich eine Sache, eine höchst komplexe Sache, und dann stellen Sie ein paar Dinge um, und schon ist sie nicht mehr komplex. Sie ist einfach. Sie ist real.

Einfach genial.« Douw hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was er da eigentlich redete. Es spielte keine Rolle. Der General war Experte im Schmeicheln. Er nahm einen Schluck von dem Wasser, das ihm Iskra als Erfrischung angeboten hatte, und tat so, als schmecke er Wein.

»Es ist wie dieses Glas Wasser«, sagte er, um eine Analogie bemüht. »Ich sehe Wasser, aber Sie sehen ...« Sein Hirn krampfte sich zusammen. Was zum Henker sah Iskra wohl?

Vielleicht sah er nur Wasser. Persönlich sah Douw ein grünhäutiges Amphibienwesen. Eins, das »quak, quak, quak«

sagte.

»Ja. Fahren Sie fort«, sagte Iskra. »Was sehe ich, General?«

»Ein Symbol«, stieß Douw hervor. »Das ist es!

Symbolismus. Wer außer einem Genie könnte in einem einfachen Glas Wasser Symbolismus erblicken?« Er warf Iskra einen raschen Blick zu, um zu sehen, wie dieser verbale Eiertanz angekommen war. Der Doktor leuchtete förmlich auf und nickte. >Puh! Gott sei Dank.<

»Sie gehen den Dingen auf den Grund, so wie immer«, sagte Iskra. »Deshalb hatte ich auch das Gefühl, ich müßte auf Sie zurückgreifen. Ich wußte, daß ich in Ihnen eine verwandte Seele finden würde.«

»Absolut«, sagte Douw und strich seine Silberlocken mit einer nervösen Geste zurück. »Daran besteht kein Zweifel.«

>Was für ein alter Narr<, dachte Iskra. »Sie sind wohl die Persönlichkeit, die innerhalb des Militärs den größten Respekt genießt, General«, sagte er.

»Oh, danke sehr.«

»Das entspricht nur der Wahrheit. Sie sind für Ihre Loyalität bekannt. Und als entschlossener Verteidiger der Tradition Jochis.«

»Die alten Regeln waren die besten«, sagte Douw. Bei diesem Thema konnte er sich rasch erwärmen. »Manchmal denke ich, daß die alten Werte zu rasch beiseite geschoben wurden.«

»Genau das ist meine Vision«, sagte Iskra.

»Wirklich?«

»Aber natürlich. Es bedarf allerdings harter Maßnahmen, um wieder zu den alten Werten unserer jochianischen Vorfahren zurückzukehren.«

»Stimmt. Das stimmt. Bedauerlicherweise, aber genauso ist es.«

»Wie auch immer, ich möchte bestimmt nicht, daß Sie selbst in die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten verwickelt werden. Es gibt Dinge, die erledigt werden müssen und die zu meiner Kümmernis die Reputation eines wahrhaftigen Soldaten Jochis beschädigen könnten. Für diese Aufgaben lasse ich ...

Spezialeinheiten ausbilden und ausrüsten. Sie werden allein mir gegenüber verantwortlich sein, ganz außerhalb der üblichen militärischen Befehlskette.«

Douw strahlte. »Wie rücksichtsvoll von Ihnen.«

»Ich möchte jedoch, daß Sie meine herkömmlichen Streitkräfte im Kampf zur Wiedererlangung des Friedens in unserem glorreichen Cluster anführen. Dazu braucht es einen kühlen Kopf und unerschütterlichen Willen.«

»Dann bin ich Ihr Mann«, sagte Douw. »Ich danke Ihnen für die mir erwiesene Ehre.«

»Als unsere Vorfahren in diesen Cluster kamen«, fuhr Iskra fort, »stießen sie in feindliches Terrain vor, bevölkert von unwissenden Spezies und einer barbarischen Menschenbrut.«

»Schreckliche Zeiten. Ganz schrecklich«, brabbelte Douw.

»Damals gab es noch nicht viele von uns.«

»Wie wahr. Das habe ich mir selbst auch immer gesagt.

Damals gab es nicht viele von uns. Doch unsere zahlenmäßige Unterlegenheit haben wir durch Mut wettgemacht.«

»Und durch etwas anderes«, sagte Iskra.

»Genau. Dieses andere. Es war ... äh ...«

»Grips«, sagte Iskra.

»Das war's. Grips. Lag mir auf der Zunge.«

»Wir setzten unseren Grips ein, um diese Tiere im Zaum zu halten - entschuldigen Sie bitte, ich gehöre nicht zu den Modernisten. Aber es sind Tiere, mehr nicht. Um diese Tiere unten zu halten, benutzten unsere Vorfahren eine Taktik, die sich in einer einfachen, eleganten Spruchweisheit zusammenfassen läßt. Dieser Spruch und alles, wofür er steht, ist, glaube ich, ein lebenswichtiger Teil unserer jochianischen Herkunft.«

»Ich kenne die Antwort«, sagte Douw, »aber Ihre Worte sind eleganter als meine. Sprechen Sie sie bitte für uns beide aus.«

»Teile und herrsche«, sprach Iskra. »Durch diesen simplen Trick haben wir die Tiere in die Knie gezwungen. Unsere Vorväter hetzten die Suzdal und die Bogazi auf, ebenso die Tork. Wir hetzten sie sich gegenseitig an die Kehlen. Wir zogen sogar einen bescheidenen Gewinn daraus, indem wir allen Parteien Waffen verkauften. Wir ließen sie sich gegenseitig abschlachten. Und dann übernahmen wir die Herrschaft.«

»Bei Gott, das gleiche sollten wir jetzt wieder tun!« Douw schlug sich mit der Faust in die Handfläche; sein patriotisches Herz flatterte vor Begeisterung. »Teile und herrsche. Die Rückkehr zu unserer heiligen Tradition.«

»Dann ... akzeptieren Sie also den Posten, den ich Ihnen anbiete?«

»Voller Stolz, Sir«, dröhnte Douw. »Voller Stolz.« Er wischte sich eine wackere Träne aus dem Augenwinkel.

Menynder bewohnte ein kleines schäbiges Anwesen mitten in einem Torkviertel.

Stens geübtem Auge fiel sofort auf, daß das schäbige Aussehen sorgfältig kultiviert wurde. Die Wände waren abgestoßen und von Ranken überwuchert. Das große alte Eingangstor hing schief in den Angeln. Der Garten hinter der Mauer war verwildert. Aber der Sicherheitsdraht, der sich an den Wänden entlangzog, war sauber und neu. Das Tor war mit Stahlplatten verstärkt und der Wildwuchs im Garten von dornigen Hecken und scharfzackigen Farnen durchsetzt.

Menynders Akte besagte, daß er über Geld verfügte. Für einen Tork sogar über gewaltige Mengen. Doch er stellte es bewußt nicht zur Schau. So wie er sich auch schnell zurückgezogen hatte, als es richtig ungemütlich wurde.

»Ich trauere«, erklärte Menynder, wobei er die Angelschnur in das grüne Wasser des Teichs warf.

Sten saß neben ihm am Rand des Gewässers. Auf den Regen war sengender Sonnenschein gefolgt. Doch hier unter dem Baum, der den Lieblingsangelplatz des alten Tork überschattete, war es angenehm kühl. Menynder rollte die Schnur wieder ein, überprüfte Haken und Köder und startete den nächsten Versuch.

»Ein Todesfall in der Familie? Tut mir aufrichtig leid«, sagte Sten.

Menynder nahm die Brille ab, tupfte sich ein paar unsichtbare Tränen ab und setzte die Brille wieder auf. »Ein junger Verwandter von mir ... Er starb in der Pooshkan-Universität.«

Sten wollte gerade wiederholen, wie leid es ihm tat, als er das zynische Glitzern in Menynders Augen bemerkte. »Wie nah verwandt war er denn?« fragte er statt dessen.

Menynder grinste. »Weiß nicht genau - ein Cousin siebten oder achten Grades. Wir standen uns nicht sehr nahe. Trotzdem war es ein Schock.«

»Kann ich mir vorstellen«, meinte Sten.

»Ich bin so erschüttert«, fuhr Menynder fort, »daß ich fürchte, mein Gesicht erst nach Ablauf eines Jahres wieder in der Öffentlichkeit präsentieren zu können.«

»Glauben Sie wirklich, daß sich der Altai-Cluster bis dahin beruhigt hat?« fragte Sten.

»Wenn nicht«, antwortete Menynder, »erleide ich einen Rückfall. Trauer ist eine heimtückische Krankheit. Sie kommt und geht. Kommt und geht.« Er rollte seine Schnur auf und warf sie erneut aus.

»Wie ein Fieber«, sagte Sten.

»Richtig. Nur ohne die leidigen Symptome. Man kann leiden und gleichzeitig angeln.«

»Das Komische bei diesem Angeln ist«, meinte Sten, »daß man immer so beschäftigt aussieht. Niemand wagt es, einen Angler beim Angeln zu stören.«

»Ich habe den Eindruck, daß ich nicht der einzige bin, der hier angelt, Herr Botschafter«, erwiderte Menynder und wagte noch einen Versuch im Teich.

»Ich glaube, ich suche noch nach dem richtigen Köder«, sagte Sten.

Menynder schüttelte entschlossen den Kopf. »Vergessen Sie's. Es gibt gar nicht genug Credits und Auszeichnungen, um mich von hier wegzulocken. Ich habe ein langes Leben hinter mir, und ich habe vor, es auf natürliche Weise zu beenden.«

»Dürfte heutzutage ziemlich schwer sein«, warf Sten ein.

»Tatsächlich?« Menynders Schnur verfing sich irgendwo.

Er zog kurz die Angel nach hinten und riß die Schnur wieder los. »Offen gesagt glaube ich nicht, daß sich das so schnell ändern wird. Ich werde es jedenfalls nicht mehr erleben.«

»Das Problem wird gelöst werden«, widersprach ihm Sten.

»Auf die eine oder auf die andere Weise.«

»Ich nehme an, Sie haben mich in Ihre Problemlösung einbezogen, richtig?«

»Richtig.«

»Wahrscheinlich sind Sie auf diese Idee gekommen, weil ich schon einmal dumm genug war, meinen Hals weit vorzustrecken.«

»Sie haben Leute an einem Tisch zusammengebracht, die sich normalerweise nur bekämpfen würden.«

»Ich hielt mich einmal für ganz geschickt in solchen Angelegenheiten«, sagte Menynder. Er zog die Schnur ein Stück heran.

»Das sind Sie noch immer. Von hier aus gesehen.«

»Ein elendes, nutzloses Talent. Wenn es überhaupt ein Talent sein soll. Insgeheim halte ich mich für einen verdammt guten Lügner.«

»Es gibt ein paar große Dinge, die bald kippen werden«, sagte Sten. »Es gab mal jemanden, vor langer Zeit, dem riet ich unter ganz ähnlichen Umständen, sich aus der Schußlinie herauszuhalten. Ich sagte ihm, das beste wäre es, sich einen chronischen Husten zuzulegen.«

»Hat er auf Ihren Rat gehört?«

»Ja.«

»Hat er überlebt?«

»Ja. Und es ging ihm sogar sehr gut dabei.«

»Aber - von mir erwarten Sie, daß ich genau das Gegenteil tue?«

»Ja.«

»Den anderen haben Sie besser beraten.«

»Das war damals. Jetzt ist heute.«

»Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Sr. Sten, aber ich kann nicht die ehrfurchtgebietende Hoheit eines Imperialen Auftrags, der mich schützt, vorweisen. Ich habe auch sonst nicht den geringsten Schutz. Und selbst wenn - der Doktor würde seine Bataillone mit den schweren Stiefeln und den Knüppeln zuerst hierherschicken.«

»Glauben Sie nicht, daß sich Iskra in eine andere Richtung entwickeln wird?«

»Ach was! Das einzige, was mich fertigmacht, ist die Tatsache, daß ich seinen Namen sogar selbst einmal erwähnt habe. Positiv. Sagen Sie Ihrem Boß, daß er diese Sache hier gründlich in die Scheiße geritten hat. Aber zitieren Sie mich nicht dabei. Ich bleibe lieber außerhalb der Schußlinie, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Ich möchte nicht lügen und sagen, daß Sie meine einzige Hoffnung sind«, sagte Sten. »Aber Sie könnten eine ganz wichtige sein.«

»Sie finden, ich sollte mein Leben - und das meiner Familie

- aufs Spiel setzen, nur um heldenhaft gegen Windmühlen anzureiten? Um den Altai-Cluster zu retten?«

»Ist es das nicht wert?«

Menynder rollte nachdenklich die Schnur auf. Dann seufzte er. »Ich weiß nicht.«

»Werden Sie mir helfen?«

»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte Menynder.

Sten erhob sich. Er blickte über das grünliche Gewässer des Teichs und fragte sich, weshalb er nicht einmal den verschwommenen Umriß eines Fisches gesehen hatte.

»Ist da überhaupt etwas drin?« erkundigte er sich.

»Früher mal«, antwortete Menynder. »Ich habe den Bestand jedes Jahr aufgestockt. Doch dann wurde das Wetter wirklich übel. Falls Sie es nicht selbst bemerkt haben sollten. Es hat irgend etwas mit dem Wasser angestellt. Das Gleichgewicht verändert, was auch immer. Alle Fische sind gestorben.«

»Aber Sie angeln immer noch.«

Menynder lachte und warf die Angelschnur wieder hinein.

»Klar. Man kann nie wissen, ob man nicht doch etwas fängt.«

Sten traf Kaebak, die Außenministerin der Bogazi, auf dem Gelände ihrer Botschaft an. Sie holte gerade die Flagge ein. Bis auf ihre Sicherheitskräfte war Kaebak allein. Alle anderen waren bereits Richtung Raumhafen unterwegs. Kaebak hatte vor, ihnen zu folgen. So schnell wie möglich.

»Dazu besteht kein Grund«, sagte Sten. »Ich kann für die Sicherheit Ihrer Botschaft garantieren.«

»Bogazi brauchen keine Sicherheit«, sagte Kaebak. »Wir kennen keine Angst. Nur Zorn. Suzdal haben Bogazi-Zorn vergessen. Wird ihnen noch leid tun, daß sie ihn vergessen haben.«

»Warum machen Sie die Suzdal für die Vorkommnisse verantwortlich? Auch ihre Welpen sind in der Pooshkan-Universität gestorben.«

»Bah. Große Lüge. Suzdal machen Propaganda. Wollen Bogazi ihre eigenen schlechten Taten anlasten. Das ist eine Ausrede. Sie wollen Krieg. Gut. Sie bekommen von uns, was sie haben wollen.«

Was Kaebak betraf, war das Gespräch damit beendet. Sie stieg in ihr Transportfahrzeug. Sten machte noch einen letzten Versuch.

»Kommen Sie mit mir zur Imperialen Botschaft«, sagte er.

»Ich öffne meine Geheimdienstdokumente. Sie werden sehen, daß die Suzdal ebenso getäuscht wurden wie die Bogazi.«

Der Transporter erwachte summend zum Leben. Sten trat zurück. Kaebak streckte ihren Schnabel zum Fenster heraus.

»Auch Sie werden an der Nase herumgeführt. Ich muß mir diese Lügen der Suzdal nicht ansehen. Ich gehe nach Hause.

Helfe meinen Nestkollegen beim Hundeeintopf.«

Stens Pech verfolgte ihn noch den ganzen Tag über und bis in die frühen Morgenstunden des nächsten. Er schickte eine Anfrage nach der anderen an den Ewigen Imperator ab.

Doch jedesmal wurde er mit der ermüdenden Nachricht abgewiesen, der Imperator sei indisponiert. Niemand konnte oder wollte ihm sagen, wie lange sich seine Erkrankung noch hinziehen würde.

Sten befand sich im Blindflug und suchte verzweifelt nach Anhaltspunkten; dabei verschlechterte sich die Lage stündlich.

Er war sich sicher, daß Iskra weg mußte.

Aber es gab nur ein Wesen, das diese Entscheidung treffen konnte. Das Schicksal der Altaianer hing in der Schwebe.

Er versuchte es ein letztes Mal.

»Tut mir sehr leid, Herr Botschafter«, ertönten die tröstenden Worte der Sekretärin am Imperialen Hof. »Ich bin sicher, daß der Imperator Sie zurückrufen wird, sobald er dazu in der Lage ist. Jawohl, ich habe Ihre höchste Dringlichkeit vermerkt. Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr helfen kann, Herr Botschafter, aber ich bin sicher, daß Sie die Situation verstehen.«

Sten knirschte mit den Zähnen. Wo zum Teufel steckte der Imperator bloß?