Kapitel 16
»Warum hab' ich nur dieses komische Gefühl«, sagte Alex Kilgour, »als hätten wir es da mit einer Schreimöwe zu tun?«
Er deutete auf den Bildschirm, auf dem die Terrasse des Khaqan-Palastes zu sehen war. >Ich muß mir den korrekten Titel angewöhnen<, sagte sich Sten. >Jetzt trägt Iskra die Krone.<
Auf der Terrasse stand Dr. Iskra mit erhobenen Händen und einem dünnen Lächeln auf den Lippen. Unter ihm toste der Jubel der auf dem riesigen Platz dichtgedrängten Menge.
Hinter Iskra stand der Machtapparat der Altaianer.
Zumindest die Menschen zeigten bei dieser Antrittsrede alle den gleichen erfreuten Gesichtsausdruck. Sten kannte sowohl die Bogazi als auch die Suzdal zu wenig, um ihre Körpersprache genauer zu verstehen. Bei dieser großen Versammlung mußte es sich also um die übliche Rede zur Kommandoübergabe handeln, so wie wenn jemand eine neue Einheit übernimmt und von ihm erwartet wird, daß er sich den niedrigeren Offizieren der Einheit vorstellt und gut Wetter macht. Erst später würde Klartext geredet und verkündet werden, daß einige Köpfe rollen würden.
Der Jubel verebbte, und Iskra setzt seine Rede fort.
»... eine Zeit der Heilung. Eine Zeit, in der wir uns alle von der Vergangenheit und den düsteren Schatten der Rache lossagen können und frischen Mutes gemeinsam für eine gesicherte Zukunft für uns und für die kommenden Generationen streiten sollten.
Wir alle sind Altaianer. Wir bewohnen dieselben Sonnensysteme, dieselben Planeten. Doch anstelle sich über unser gemeinsames Schicksal klarzuwerden, vergeuden wir unsere Substanz in sinnlosen Fehden, deren Ursprung uns schon lange entfallen ist. Wir hassen unseren Nachbarn, weil sich sein genetischer Code von dem unseren unterscheidet.
Aber wir stammen alle vom selben universellen Plasma ab, egal, welcher Spezies oder Rasse wir angehören, von welchem Planeten wir kommen.
Ihr kennt mich.
Ihr wißt, welche Gerechtigkeit und welche Ehre ich repräsentiere.
Ihr wißt, daß ich lange Jahre im Exil verbracht habe, von wo aus ich auf jede mir mögliche Art dafür gekämpft habe, diese Khaqan genannte Abscheulichkeit zu stürzen. Und es ist mir gelungen.«
»Jawoll. Dir und 'nem kleinen Gehirnschlag. Als nächstes behauptet er noch, er hätte AM2 und den Scotch erfunden.«
»Jetzt ist die Zeit für unsere nächste Aufgabe gekommen.
Jetzt ist die Zeit gekommen, und es ist allerhöchste Zeit...«
Sten schaltete den Ton weg und ließ Iskra stumm weitergestikulieren. Er und Alex waren allein in dem Wohntrakt der Botschaft, der Sten zugewiesen worden war, einem Trakt, der ständig sicherheitsüberprüft und nach Wanzen abgesucht wurde.
»Du hältst das für eine Schreimöwe, weil es tatsächlich eine ist«, sagte er zu Alex. Er zeigte auf einen großen Stapel Fiches und Abhandlungen.
»Hast du den ganzen Kram, den der Doc von sich gegeben hat, schon durchgeackert?« erkundigte sich Alex mitfühlend.
»Ein paar davon habe ich gelesen. Den Rest habe ich mir zusammenfassen lassen. Iskra ist nicht gerade der kristallklarste Schreiber unter der Sonne. Dabei hält man ihn überall für einen brillanten Redner.«
»Mein Adrenalin hat der Holzkopf jedenfalls nich' zum Rauschen gebracht«, pflichtete ihm Alex bei.
»Meins auch nicht. Soweit ich das einschätzen kann, und ich bin alles andere als ein politischer Philosoph, scheint seine Hauptthese darin zu bestehen, zuerst einmal alles zur Seite zu fegen, was der Khaqan getan hat, und erst hinterher zu überlegen, was als nächstes geschehen soll. Irgendwo sagt er,
>daß diese Neue Ordnung biegsam und beweglich gehalten werden müsse, immer offen für neues Werden, neuen Wandele Er hat es ziemlich mit der Alliteration.«
»Er is' ja auch wirklich 'n Arsch, um nicht noch drastischer zu werden. Und ich hab' noch nich' herausgefunden, ob er ihm womöglich nicht nur alleine gehört. Natürlich ist derjenige, der den neuen Herausforderungen besonders flexibel begegnet, unser guter Dr. Iskra selbst.«
»Natürlich. Er ist weitgereist, er ist studiert. Er hat vergleichende Analysen zu jeder herumschwirrenden politischen Theorie angestellt, inklusive der des Imperators. Ich wußte nicht, daß ihn der Imp nach dem Krieg als Territorialgouverneur eines Sonnensystems der Tahn eingesetzt hat. Er 'hat seine Sache gut gemacht; zumindest sagt er das.«
»Wundert mich nich'«, sagte Alex. »Nach dem, was die Tahn vorher kannten, wußten die sowieso nich', ob sie Männchen oder Weibchen waren. Doc Iskra, was sag' ich, sogar jeder Campbell wäre denen wie ein liberaler Gott erschienen.
Aber was ist mit dem tatsächlichen Problem? Alle diese Rassen, die nicht glücklich sind, wenn sie sich nicht gegenseitig die Kehlen aufschlitzen dürfen? Hat Iskra in dieser Richtung einen Plan?«
Sten schüttelte den Kopf. »Er redet viel von Gleichheit.
Aber am Schluß kommt immer heraus, daß einige Leute im Altai-Cluster den anderen ein bißchen überlegen sind.«
»Laß mich raten. Da Iskra nun mal Jochianer ist, findet er bestimmt, daß die Jochianer die überlegensten von allen sind.«
»Korrekt.«
»Na wunderbar. >Hütet euch vor dem neuen Boß - es ist der gleiche wie der alte.< Und dabei ist der alte Iskra das große Los, eigenhändig vom Imp gezogen. Ich hab' ja nix dagegen, daß er ein Diktator ist; wir beide haben über die Jahre selbst nicht wenige von diesen Säcken eingesetzt. Was mir nicht paßt, ist die Tatsache, daß der Kerl nicht das kleinste bißchen Subtilität oder Geduld an den Tag legt. Schätze mal, er ist von der Sorte, die die ganze Welt haben wollen, und zwar schon vorgestern.«
»Mit diesem Anspruch kann ich leben«, sagte Sten. Er blickte wieder auf den Bildschirm und die angemessen enthusiastischen Personen hinter Iskra. »Ich würde gerne wissen, was Iskra seinem Rumpfparlament erzählt hat, abgesehen von den üblichen Nettigkeiten ... Siehst du jemanden, den wir vielleicht bestechen könnten?«
Kilgour überlegte. »Alle. Wenn die Zeit reif dafür ist«, sägte er. »Aber wenn du sofort ein Großohr haben willst, würde ich mit Menynder anfangen. Er scheint mehr als alle anderen sein Auge auf das Hauptziel gerichtet zu haben. Und ein kleines bißchen auf das, was danach kommt.«
»Stimmt«, erwiderte Sten. »Sieh zu, ob wir aus ihm eine nette verläßliche Quelle machen können.«
»Kein Problem.« Kilgour schwieg eine Minute. Dann fragte er, scheinbar nebensächlich: »Hast du dir schon mal den gruseligen Luxus erlaubt und einen Gedanken daran verschwendet, ob unser Furchtloser Anführer vielleicht ein kleines bißchen senil geworden ist?«
Sten zuckte zusammen, als hätte ihn ein eisiger Hauch gestreift. Er antwortete nicht, sondern ging zur Bar und goß zwei große Drinks ein. Kein Scotch, auch kein Stregg. Reinen Quillalk, an den er sich als einfacher Soldat gewöhnt hatte. Ein Glas reichte er Kilgour.
»Wenn das wirklich zutrifft«, sagte Sten, nachdem er einen Schluck genommen hatte, »und Dr. Iskra ein Beispiel dafür ist, dann wird die Zukunft allmählich so aussehen.« Er zeigte aus dem Doppelglas-Sicherheitsfenster auf die sich pompös auftürmenden Gewitterwolken, die den nächsten peitschenden Sommersturm auf die Hauptstadt zutrieben.
»Macht nix, alter Knabe«, konterte Alex und kippte seinen Drink mit einem Schluck, wartete, bis Sten seinem Beispiel gefolgt war, und holte dann Nachschub. »Wir sind doch die Speerspitzen des Imperators, oder? Wenn das hier also lediglich ein Vorbote ist, werden wir den Rest ohnehin nicht mehr erleben.«
Sten fühlte sich nicht sonderlich beruhigt. »Und jetzt«, sagte er, folgte Alex" Beispiel und kippte seinen Drink, »haben wir das Vergnügen, dabei zuzusehen, wie Dr. Iskra seine eiserne Faust demonstrieren wird - und was jedem blüht, der sich ihm widersetzt.«
Auch darauf hab' ich schon die passende Antwort«, meinte Kilgour. »Der Schwachkopf ist ein Idealist. Das bedeutet, wir werden schon bald bis zum Sack in Blut waten. In sechs Monaten werden sie alle sehnsüchtig zurückblicken und davon schwärmen, wie nett, gemütlich und reibungslos doch alles beim alten Khaqan zuging. Wart's ab. Oder möchtest du etwa dagegenhalten und behaupten, Iskra sei was anderes als ein verschlagener Wolf im Lammfell?«
Sten schüttelte den Kopf. »Wie du schon sagtest. Ich bin zwar verrückt, aber doch nicht völlig durchgeknallt. Abgesehen davon, daß ich mich überhaupt in diesem Raumsektor aufhalte.
Nein, ich glaube ebenfalls nicht, daß man sich an Dr. Iskra seiner Nachsichtigkeit und seiner Erleuchtung wegen erinnern wird.«
»Ihnen, verehrte Anwesende, kann ich die Zukunft ungeschminkt präsentieren«, sagte Dr. Iskra. »Sie sind Profis, vertraut mit der Unvermeidlichkeit historischer Prozesse und ebenso wie ich darum bemüht, den Glanz des Altai-Clusters wiederherzustellen.«
Ein Murmeln erklang. Es konnte ebenso, wie es der Hörer tat, als umfassende Zustimmung gewertet werden.
In dem riesigen Hörsaal befanden sich nur fünfzehn Gestalten. Er gehörte zu einem Komplex mit Unterkünften, den einst die Einheit bewohnt hatte, die überall als des Khaqans
»Eigene« bekannt gewesen war, die angebliche Eliteeinheit, deren vornehmste Aufgabe darin bestand, das Leben des Khaqans sowie seinen Besitz, seine Verwandten und seine Freunde zu schützen. Die Wände waren mit neuen Gemälden versehen, auf denen die Soldaten der Eigenen einem außerhalb des abgebildeten Geschehens stehenden, unsichtbaren Herrn dienten, abwartend und mit nobel vorgerecktem Kinn; sie standen auf Barrikaden, stellten sich einem ebenfalls nicht im Bild zu sehenden Feind und halfen unschuldigen Bürgern gegen nicht näher dargestellte Bedrohungen. Alle Soldaten, wie auch sämtliche Zivilisten auf dem Wandbild, waren Jochianer.
Die fünfzehn Anwesenden gehörten zu den ranghöchsten Offizieren der Armee des Khaqans, doch es waren nicht die ranghöchsten Stabsoffiziere. Iskra hatte sie sorgfältig ausgewählt.
Jedem von ihnen war mündlich mitgeteilt worden, sich zur Besprechung eines besonderen Auftrags einzufinden. Einer nach dem anderen war, ohne Begleitung oder Adjutanten, von einem Vertreter Iskras abgeholt und zu dem abgesicherten Komplex gebracht worden.
Es handelte sich ausnahmslos um Berufssoldaten. Alle entstammten langgedienten Familien, die der Khaqan stets als
»der Staat« bezeichnet hatte. Und alle waren sie Jochianer.
Iskra hatte auf die wenigen Tork, Suzdal und Bogazi, die sich ebenfalls ihre Sterne verdient hatten, verzichtet.
Unter den Anwesenden befand sich auch ein
hochgewachsener, silberhaariger Mann. General Douw. Er tat sein möglichstes, um nicht besonders aufzufallen, bis er herausgefunden hatte, woher der Wind wehte.
»Wir Altaianer«, fuhr Iskra fort, »sind Wesen, die sich genetisch nach Felsen sehnen, an denen wir uns festhalten können, wenn die Gezeiten der Veränderung über uns hinwegspülen.
Eine dieser festen Traditionen sollte das Militär sein - was leider unter dem Khaqan oder seinem Vater niemals der Fall war. Ich rede von Personen, die allzeit fraglos dazu bereit sind, den Staat mit ihrem Leben zu verteidigen. Und dazu rechne ich nicht nur die gemeinen Soldaten draußen im Feld, sondern die, die ihr gesamtes Leben diesem Dienst widmen und opfern, diesem Dienst und diesem Apparat, der sie bevorzugt.
Es sind die Wesen, denen ich bereits als Kind, als Heranwachsender, ganz instinktiv Liebe und Respekt entgegengebracht habe. Ich muß gestehen - und ich wünsche nicht, daß außerhalb dieses Raums jemals jemand etwas davon erfährt -, daß ich damals geweint habe, als ich erfuhr, daß mir mein gesundheitlicher Zustand nicht erlaubte, als Soldat meine Pflicht zu erfüllen.«
Iskra legte eine Pause ein. Sein Blick huschte über die Gesichter vor ihm. Er blieb einen Moment auf Douw halten, gerade lange genug, um den General zu ängstigen. Douw nickte und versuchte, einen mitfühlenden Gesichtsausdruck aufzusetzen.
Dann fuhr Iskra fort: »Als ich natürlich etwas älter wurde und erkannte, welche monströsen Verbrechen ein Soldat unter dem Khaqan ausüben mußte, und als mein lieber Bruder mich für reif genug befand, die Wahrheit zu erfahren, ohne daß Gefahr bestand, daß ich sie in kindischem Geplapper weitertrug, war ich sehr dankbar für meine Krankheiten.
Aber ich habe versagt.
Uns bleibt nicht viel Zeit. Sie sind meine fünfzehn auserwählten Persönlichkeiten. Ich brauche Sie für meine Neue Ordnung. Sie repräsentieren das Militär. Nicht den Abschaum, den der Khaqan als seine Armee und seine Flotte bezeichnete.
Und Sie alle sind Jochianer.«
Iskra unterbrach sich an dieser Stelle und wartete, bis sich das Schweigen auftürmte und unangenehm wurde.
Niemand, der in welcher Armee auch immer bis in den Kommandostab vorgedrungen war, würde einen Hinweis wie diesen überhören.
»Das ist mir aufgefallen«, sagte eine Frau mit kantigem Gesicht, deren Uniform mit Orden überladen war. »Sollen wir daraus die Schlüsse ziehen, die wir gerne ziehen würden?«
»Als da wären, General F'lahn?« Iskra ermunterte sie wie einen herausragenden Schüler.
»Ich habe Ihre Schriften gelesen, Doktor. Darin stand viel zu lesen von einem düster, in dem wir alle, Jochianer, Tork, Suzdal und Bogazi im Kampf um ein gemeinsames Ziel, vereint sind. Ein Ziel, das unter der Führung der Besten erreicht werden muß - der Jochianer, die das Banner vorantragen. Oder habe ich da etwas mißverstanden?«
»Sie haben nichts mißverstanden«, erwiderte Iskra.
»Deshalb sagte ich, ich kann hier sprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Heute ist ein neuer Tag. Eine Neue Ordnung bricht an.
Aber sie muß erst entstehen. Die Rückkehr zum Frieden ist unser erstes Ziel. Wir müssen an einem Punkt anfangen, an dem alle Lebewesen sich in Sicherheit wissen. Sicherheit für sich selbst, für ihr Zuhause, ihre Arbeit und ihre Kinder.«
Wieder wurde ein Murmeln hörbar, und diesmal klang es eindeutig zustimmend. General F'lahn würde für ihren Mut, so furchtlos voranzuschreiten, belohnt werden.
»Das wird es niemals geben«, brummte ein Admiral.
»Nicht, solange wir es überall mit diesen
Westentaschenarmeen zu tun haben, diesen Milizen, die überall ihre Nase hineinstecken und sich Soldaten nennen.«
»Dafür wird sich eine Lösung finden, das verspreche ich Ihnen, Admiral Nel. Entweder werden sie aufgelöst oder dem Kommando ordentlich ausgebildeter Offiziere unterstellt, oder
...«
Er beendete den Satz nicht. Es war auch nicht nötig. Die fünfzehn Offiziere strahlten jetzt ganz unverhohlen.
»Jawohl«, fuhr Iskra fort. »So wie die zukünftige Neue Ordnung anderen Wesen ein Gefühl dafür geben wird, wo sie hingehören ... Dieser Nonsens an der Pooshkan-Universität beispielsweise.«
»Dr. Iskra. Der Khaqan hat einige schreckliche Verbrechen begangen. Und einige Angehörige unseres Militärs, darunter zu meiner unendlichen Scham einige Jochianer, waren seine Handlanger. Haben Sie das in Betracht gezogen?«
Der Fragesteller war Brigadier S!Kt, der rangniedrigste Stabsoffizier im Raum. Außerdem war sie eine Anhängerin Iskras, die man unter dem Khaqan gezwungen hatte, ihren Abschied zu nehmen. Allein die Tatsache, daß sie einer unglaublich reichen Familie angehörte, die traditionellerweise den Khaqan unterstützte, hatte sie davor bewahrt, ganz beseitigt zu werden. Eine der ersten Handlungen Dr. Iskras nach seiner Ankunft in Rurik hatte darin bestanden, ihrer
»Bitte« um ihre Wiedereinsetzung in den Stabsdienst stattzugeben.
»Das habe ich. Diese Vergewaltigungen und Morde waren viehisch. Meinen Mitjochianern gegenüber, gegenüber den Tork, den Suzdal und den Bogazi. Schon jetzt werden Befehle ausgegeben, sämtliches Militärpersonal, das daran beteiligt war, festzunehmen und darüber zu befragen.«
Die Versammlung schien zu erstarren. Douw sank in seinem Sessel zusammen.
Doch Iskra setzte wieder sein Lächeln auf. »Sollte jemand von Ihnen hier für eine der Einheiten, die etwas mit diesen Verbrechen zu tun hatten, verantwortlich gewesen sein, so verstehe ich natürlich sehr gut, welchem Druck Sie von seilen des Khaqans ausgesetzt gewesen wären. Keiner von Ihnen, an dieser Stelle darf ich offen sprechen, wird als etwas anderes angesehen als der ehrenhafte Soldat, der er immer gewesen ist.
Jeder, der anders darüber denkt, muß mit einer entschiedenen Reaktion meinerseits rechnen.
Andererseits begrüße ich jede Hilfe Ihrerseits in dieser Angelegenheit. Wenn Sie mich heute verlassen, wird man Ihnen Fiches mit den Namen der Einheiten und Offiziere übergeben, über die ich genauere Nachforschungen vorschlage.
Sollten Sie von der Unschuld auch nur einer dieser Personen wissen und meine Informanten sich getäuscht haben, informieren Sie bitte sofort einen Angehörigen meines Mitarbeiterstabs.
Sollten Ihnen kriminelle Individuen oder Einheiten bekannt sein, die nicht auf dem Fiche vermerkt sind, bitte ich darum, sie hinzuzufügen.«
Schweigen. Nur wenige Offiziere, unter ihnen General Douw, wagten ein Lächeln. Die lettres de cachet standen ihnen offen.
»Ich glaube, wir verstehen uns in diesem Punkt, ja?«
Nicken. Mehr Lächeln.
»Eine letzte Frage noch.«
»Bitte sehr, General F'lahn.«
»Ihre eigene Familie ... wurde auf die abscheulichste Weise mißhandelt.«
Iskras Gesicht versteinerte. »Das steht auf einem anderen Blatt. Das geht Sie nichts an. Das hat nichts mit dem Staat zu tun. Blut ist Blut. Blut muß mit Blut vergolten werden.
Diejenigen, die dem alptraumhaften Wurm, der sich selbst Khaqan nannte, dabei zur Hand gingen, meinen Vater, meine Familie und meinen Bruder zu vernichten, werden ebenfalls vernichtet werden.
Ich kenne sie.
Ich kenne sie schon seit Jahren.
Als ich auf meiner Pritsche lag und von meiner Heimat träumte, die ich niemals wiederzusehen glaubte, sah ich ihre Gesichter, und ich schwor, daß ich Vergeltung üben würde, sollte sich jemals die Gelegenheit dazu ergeben.
Diese Vergeltung steht nun unmittelbar bevor.«
In der Halle herrschte absolute Stille. Dann wurde die Stille durch den Applaus des Altai-Clusters unterbrochen - alle Anwesenden schlugen sich mit dem Unterarm hart gegen die Brust. Am lautesten applaudierte General Douw.
Schließlich hatte jeder von ihnen, hatte jede Familie ihre Feinde.
Und Blut mußte nun einmal mit Blut vergolten werden.
»... daß ich Vergeltung üben würde, sollte sich jemals die Gelegenheit dazu ergeben. Diese Vergeltung steht nun -« Der Mann schaltete den Recorder ab.
»Was wird Ihr Imperialer Herrscher wohl davon halten?«
fragte Dr. Iskra mit einem herausfordernden Unterton in der Stimme.
»Die Angelegenheit dürfte ihn kaum interessieren«, antwortete der Mann. »Der Imperator erwählte Sie dazu, im Altai-Cluster zu herrschen, weil er davon überzeugt ist, daß Sie die beste Qualifikation dafür mitbringen. Auf welche Weise Sie ihre Macht konsolidieren, steht nicht zur Debatte, schon gar nicht, wenn es um Kleinigkeiten wie die Säuberung der militärischen Hierarchie geht.«
Dr. Iskras Anspannung ließ sichtlich nach. Der Mann erlaubte ihm, sich zu entspannen, während er zu einem Tisch ging und zwei Tassen von Iskras abendlichem Kräutertee eingoß.
»Vorausgesetzt allerdings«, sagte er plötzlich, »daß die Aktion wie geplant durchgeführt wird. Das bedeutet, Sie müssen aufpassen, wie viele private Feinde diese Generäle auf Ihre Liste setzen ... Außerdem muß die Sache sofort erledigt werden.«
»Dafür ist gesorgt«, sagte Iskra. »Genauso, wie Sie es als am effektivsten beschrieben haben. Natürlich muß ich entsprechend den gesellschaftlichen Besonderheiten meines Volkes leichte Abwandlungen vornehmen.«
Der Mann warf Iskra einen Blick zu und beschloß, nicht näher nachzufragen.
Der Mann war die Verbindung zwischen dem Ewigen Imperator und Dr. Iskra; er arbeitete unter höchster Geheimhaltung. Niemand außer dem Imperator selbst wußte von seiner Anwesenheit - vor allem niemand von der Imperialen Mission auf Rurik. Diese Ausnahme betraf ganz besonders Sten, den Imperialen Botschafter.
Sten kannte den Mann.
Es handelte sich um den vollendeten Meisterspion, einen Mann, der niemand anderem diente als sich selbst und seinen momentanen Auftraggebern, die am besten diejenigen waren, die ihm am meisten boten.
Sein Name war Venloe.
Der Mann, der für das Attentat auf den Ewigen Imperator verantwortlich war.