Kapitel 8
Der Botschafter und die Kriegerin lagen eng umschlungen im Bett und schliefen. Nackte Glieder wanden sich umeinander, bis die beiden an ein chinesisches Knotenpuzzle erinnerten, eines von der erotischen Sorte.
Die Schirmkappe der Soldatin bedeckte die Lenden des Botschafters.
Durch die dick isolierten Wände der Botschaftersuite konnte man die entfernten Geräusche eines Schichtwechsels hören.
Irgendwo im Bauch der Victory erwachte stotternd eine Pumpe zum Leben und fing an, die Flüssigkeit in den hydroponischen Behältern zu filtern.
Die blonden Locken der Kriegerin bewegten sich zuerst.
Von langen Wimpern umgebene Augen blinzelten. Die Kriegerin blickte in das Gesicht des schlafenden Botschafters.
Die Augen der Kriegerin wanderten hinunter zur Schirmkappe und funkelten dann vor Hinterhältigkeit. Kleine Zähne blitzten in einem schiefen Grinsen.
Vorsichtig löste Cind ihren Anteil an dem Knoten. Sie zog ihre reizenden Glieder aus Stens Umarmung und kniete sich auf das gewaltige Bett des Ewigen Imperators. Auf dieser seidigen Flauschigkeit war Platz genug für eine ganze Division von Liebespaaren. Für das, was Cind vorhatte, war das uferlose Spielfeld die reinste Verschwendung.
Vorsichtig hob sie die Kappe zur Seite. Ihre schlanken Finger bewegten sich auf ihr Ziel zu. Der blonde Schöpf und die weichen Lippen tauchten hinab.
Sten träumte von Smallbridge. Er war durch die Schneefelder gestreift, die sich vom Wald bis zu seiner Hütte am See erstreckten. Aus irgendeinem Grund steckte er in einem Kampfanzug - einem engen, festgezurrten Kampfanzug.
Trotzdem war er immer noch nackt, und etwas Wunderbares spielte sich ab. Dann wurde ihm klar, daß er schlief. Und träumte. Nein, nicht alles war nur Traum. Nicht die Sache mit der Nacktheit. Oder das, was sich da an Wunderbarem abspielte. Dann prasselte das Feuer lauter.
»Herr Botschafter, Ihre Anwesenheit wird auf der Brücke verlangt!« Das Feuer redete.
»Was?« Er brachte kaum ein Murmeln hervor.
»Herr Botschafter! Hören Sie mich?«
»Verschwinde, Feuer. Ich bin beschäftigt.«
»Botschafter Sten. Hier spricht Admiral Mason. Ich brauche Sie dringend hier auf der Brücke!«
Das Wunderbare hörte abrupt auf. Sten öffnete die Augen und war ganz plötzlich schlecht gelaunt. Seine Stimmung verschlechterte sich noch, als er Cinds runde Formen und die Enttäuschung in ihrem Gesicht erblickte.
Sten schaltete die am Bett eingebaute Kom-Einheit ein. »In Ordnung, Mason«, sagte er und versuchte nicht allzu verstimmt zu klingen, allerdings nicht sehr erfolgreich. »Bin gleich da.«
Cind fing an zu lachen. Stens Blick verdüsterte sich noch mehr. Dieser verdammte Mason.
»Du mußt mir nur den Befehl geben«, sagte Cind, »dann schnappe ich mir ein paar Mann und lasse ihn erschießen.«
Jetzt konnte auch Sten der Situation eine komische Seite abgewinnen und stimmte in ihr Lachen ein. »Darf ich ihn zuerst ein bißchen foltern?« knurrte er. »Ich weiß auch schon genau, wo ich anfangen würde.« Er kletterte aus dem Bett und kleidete sich rasch an.
»Ich habe noch zwei Stunden frei«, sagte Cind. »Solltest du zurückkommen, bevor ich unter die Dusche muß ...« Der Rest verebbte in verheißungsvollen Blicken.
»Ich beeile mich«, sagte Sten.
Zwei Stunden später sah er auf die Uhr, dachte, sehnsüchtig an Cind und wandte sich wieder Mason zu.
»Vielleicht übertönen wir unsere eigenen Sensoren«, vermutete Sten. »Die Victory ist noch ziemlich neu. Ihre Maschinen haben noch nicht allzuviel drauf. Schadhafte Dämpfer womöglich?«
Die Narbe in Masons Gesicht lief dunkelrot an. Er hatte die Scans höchstpersönlich überprüft, Niete für Niete und Schweißnaht für Schweißnaht. Er wollte es nicht erleben, daß ihn ein dummes Mißgeschick vor diesem Sohn eines Xypaca bloßstellte. Lieber würde er jeden Tag in der Kantine Dreck essen.
»So etwas ist mir bei meinem ersten Einsatzschiff passiert«, log Sten versöhnlich, da er wußte, was in Mason vorging. Er hatte nicht vor, den Mann zu piesacken, schließlich war Mason der Kommandant. Sten war einzig und allein daran interessiert, das Problem aus der Welt zu schaffen. »Es war brandneu und kaum eingefahren, als Mr. Kilgour und ich es ausgehändigt bekamen.«
Sten brachte seinen Freund von der Schwerwelt ins Spiel, dessen technisches Wissen von Masons Nachrichtenoffizier in Beschlag genommen worden war. Die beiden steckten bereits die Köpfe zusammen, und Fachausdrücke schwirrten nur so durch die Gegend.
»Die Konstrukteure hatten den Effekt von eingefahrenen Maschinen auf die Dämpfer nicht berücksichtigt«, sagte Sten.
»Unser gesamter Empfang war lahmgelegt. Auch die Übertragung nach draußen.«
Masons Narbe nahm wieder eine normale Färbung an.
»Guter Gedanke«, sagte er. »Ich überprüfe das.« Er erteilte seinem Chefingenieur einige Befehle und rügte sich insgeheim dafür, daß er nicht selbst daran gedacht hatte.
Einige Minuten später kam die Antwort. »Das hat nichts gebracht«, sagte Mason. Er war zu professionell, um jetzt zu feixen. Auch der Admiral wollte das Problem möglichst schnell gelöst sehen. »Sie hatten recht mit dem Leck. Aber es ist nur minimal. Nicht groß genug, um solche Störungen hervorzurufen.«
Sten nickte. Er hatte ohnehin nur vage darauf gehofft. Sein Blick wanderte zu Kilgour und dem Nachrichtenoffizier; er hätte gerne gefragt, wie sie vorankamen, doch seine Lippen blieben versiegelt. Das war nicht seine Aufgabe.
»Gibt es etwas zu berichten?« hörte Sten den Admiral seinen Nachrichtenoffizier fragen.
Der Offizier und Kilgour wechselten einen Blick. »Es ist besser, wenn er es Ihnen sagt, Sir«, meinte der Offizier.
»Ich habe gerade auch ein wenig an den Dämpfern herumgebastelt, Sir«, sagte Kilgour. »Aber das hätte lediglich die Übertragung beeinflußt. Nicht das, was von draußen reinkommt.«
»Mit Ausnahme einiger versprengter Radioechos, Sir«, berichtete der Nachrichtenoffizier an Masons Adresse, »wird auf dem ganzen Planeten auch nicht das Allergeringste gesendet. Jochi schweigt, Sir. Nicht einmal Livie-Futter. Und wissen Sie, was für eine Bandbreite diese Wellen haben? Ich habe jede erdenkliche Art von Funk losgeschickt, Sir, und Sr.
Kilgour hat noch ein paar Ideen beigesteuert, aber dort unten rührt sich nichts. Ich habe die Victory zweimal identifiziert. Ich habe sogar betont, daß sich der persönliche Gesandte seiner Majestät an Bord befindet.« Er nickte Sten besorgt zu.
»Trotzdem keine Antwort.«
»Gibt es Nachrichten von den anderen Planeten des Systems?« fragte Mason.
»Negativ, Sir. Überall die gleiche Funkstille wie auf Jochi.
Das Komische daran ist...« Seine Stimme erstarb.
»Ja? Reden Sie, Mann!«
Der Nachrichtenoffizier warf Kilgour einen Blick zu und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Kilgour nickte ihm ermutigend zu.
»Die ganze Geschichte ist irgendwie unheimlich, wenn ich das so ausdrücken darf, Sir. Es gibt keine Funksprüche, wie ich bereits gesagt habe. Aber jeder Scanner, den wir ausgerichtet haben, zeigt geringe Lebensimpulse. Als hätten alle auf Jochi zur gleichen Zeit auf Empfang gestellt. Als würden sie alle zuhören, aber keiner sagt etwas.«
»Das Schweigen hat ein kleines Echo, Sir«, sagte Alex.
»Wie der Geist, den mein alter Großvater immer heraufbeschwor, um uns Kinder damit zu erschrecken.«
Mason bedachte Kilgour mit einem sengenden Blick und wandte sich wieder seinem Nachrichtenoffizier zu. »Senden Sie weiter«, sagte er.
»Jawohl, Sir.«
Der Nachrichtenoffizier schaltete ein Mikro ein: »Hier ist das Schlachtschiff seiner Imperialen Majestät, die Victory. Alle Stationen, die uns empfangen, werden aufgefordert zu antworten.«
Er schaltete wieder ab. Wartete. Und empfing nichts als Schweigen. Er versuchte es erneut: »Hier ist das Schlachtschiff...«
Mason winkte Sten zu sich und ging mit ihm ein paar Schritte zur Seite.
»Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht«, sagte Mason.
»Ich habe schon einen halben Planeten mit einem Bombenteppich bedeckt, und sogar aus den rauchenden Ruinen gelang es irgendeinem armen Schlucker, seine Signale abzusetzen. Bruchstückhafte Übertragungen, von mir aus. Aber absolute Funkstille - niemals!«
»Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, fällt mir nur eine einzige Taktik ein«, sagte Sten.
»Sie meinen - trotzdem landen?«
»Genau daran habe ich gedacht.«
»Aber der Imperator wollte eine Riesenveranstaltung. Mit Ehrengarde. Ich in weißer Galauniform, Sie im Frack, und die Musik schmettert in die aufgeregte Menge hinein, während Sie und der Khaqan sich herzlich begrüßen.«
»Ich werde etwas für später arrangieren«, gab Sten zurück.
»Der Imperator macht sich Sorgen um diesen Flecken seines Imperiums. Es ist wohl besser, wenn ich die Show vergesse und herausfinde, was da vor sich geht.« Um des Effektes willen schüttelte er dramatisch den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie er reagiert, wenn ich zurückkomme und ihm sage: >Tut mir leid, Sir. Auftrag abgebrochen. Sieht so aus, als hätten die Bewohner von Jochi die Rachenpest oder so was.«
»Ich werde landen«, sagte Mason. »Aber ich gehe auf Nummer Sicher und halte mich bereit, alles in Stücke zu schießen.«
»Ich begebe mich in Ihre sachkundigen Hände, Admiral«, erwiderte Sten.
Mason knurrte und ging in den Nachrichtenraum zurück.
Sten verließ unauffällig die Brücke.
»Ein schöner Geist, Kilgour«, sagte Sten. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und schlug den Kragen hoch, um seinen Nacken vor der stechenden Sonne Jochis zu schützen.
»Vielleicht hat dieser kleine Geist eine Bombe bei sich«, entgegnete Alex.
Sten ließ erneut den Blick über den Raumhafen von Rurik wandern. Abgesehen von seiner Truppe war kein einziges Wesen zu sehen. Jedenfalls kein lebendes. Einmal glaubte er, einen verkohlten Rumpf neben einem riesigen Bombenkrater liegen zu sehen. Vielleicht war es auch nur eine optische Täuschung infolge der sengenden Hitze und der schwer auf die Lungen drückenden Luftfeuchtigkeit.
Überall auf dem Raumhafen gab es ähnliche Krater, außerdem brandgeschwärzte Hüllen dessen, was einmal eine Handvoll geparkter Einsatzschiffe und jede Menge Kampfwagen gewesen sein mußten.
Plötzlich ein lautes Heulen aus der Luft. Ein kleiner Wirbelwind senkte sich herab und saugte auf seiner Bahn quer über das Landefeld kleine Trümmerteile auf. Mit dem eigenartigen Verhalten von Zyklonen, egal ob klein oder groß, wirbelte er rings um den Rand des immensen Kraters in der Mitte des Feldes. Noch ein Bombenloch. Von einer verdammt großen Bombe. Das Loch befand sich dort, wo früher der Kontrollturm gestanden hatte.
Der Wirbelsturm stieg wieder auf und war verschwunden.
»Jetzt kennen wir die Antwort auf die Frage, weshalb uns niemand antwortet«, sagte Sten. »Sie haben alle viel zuviel Angst. Sie wollen nicht auf sich aufmerksam machen.«
»Trotzdem hören sie alle zu«, erwiderte Alex.
Sten nickte. »Sie warten ab, bis sie wissen, wer gewonnen hat.«
Ein Hitzeblitz leuchtete auf. Kurz darauf erfolgte ein schweres Donnergrollen.
Die Gurkhas hoben plötzlich die Willyguns. Etwas - oder jemand - näherte sich. Sten sichtete eine kleine Gestalt, die sich an der Ruine des Kontrollturms entlangdrückte. Cind und ihre Kundschafter? Nein. Sie waren in die andere Richtung aufgebrochen.
»Da haben wir wenigstens einen von ihnen«, sagte Kilgour.
»Vielleicht ist das die Empfangskapelle«, meinte Sten trocken.
Allmählich wurde die kleine Gestalt größer. Sten erkannte jetzt einen Menschen - vierschrötig männlich, mit gewölbtem Brustkorb -, der in der Hitze ordentlich schwitzte. Der Mann setzte seinen Weg unbeirrt fort und zupfte dabei angewidert an seiner Kleidung. Seine linke Hand winkte müde mit einer taschentuchgroßen weißen Fahne.
»Laßt ihn durch«, befahl Sten den Gurkhas.
Sie bildeten eine Lücke in ihrer Formation, und der Mann blieb wankend und dankbar vor Sten stehen. Er nahm ein altertümlich wirkendes Brillengestell von der Nase. Hauchte auf die Gläser. Wischte sie mit der Fahne ab. Setzte sie wieder auf. Blickte Sten mit seinen seltsam vergrößerten Augen an.
»Ich hoffe, Sie sind Botschafter Sten«, sagte er. »Und falls ja, möchte ich mich für den miesen Empfang entschuldigen.«
Er blickte sich um und sah den Bombenkrater. »Au weia. Sieht aus, als hätten sie hier richtig Ernst gemacht.«
Er drehte sich wieder um. »Sie sind doch Botschafter Sten, oder nicht?«
»Der bin ich.« Sten verhielt sich abwartend.
»Oh. Entschuldigen Sie bitte. Mir steigt die Hitze in meinen alten Torkschädel. Mein Name ist Menynder. So ziemlich der einzige, den Sie hier finden werden, der im Namen meines Volkes sprechen wird.«
Er wischte sich die verschwitzte Hand an der feuchten Kleidung ab und streckte sie Sten mit einer verlegenen Grimasse entgegen.
Sten schüttelte sie. Dann wies er auf die Zeichen der Verwüstung ringsum. »Was ist geschehen?«
Menynder seufzte. »Es ist mir wirklich zuwider, daß ausgerechnet ich Ihnen die Neuigkeiten überbringen muß, aber
... der Khaqan ist tot.«
Sten mußte tief in seine diplomatische Trickkiste greifen, um den Ausdruck der Fassungslosigkeit, der sich auf seinem Gesicht ausbreiten wollte, in professionelle Überraschung zu verwandeln.
»Verflucht noch mal - was?« entfuhr es Kilgour. »Und wer hat den alten -«
»Er ist eines natürlichen Todes gestorben«, versicherte ihm Menynder und zog sich den Kragen ein Stück, vom Hals weg.
»Ich war selbst dabei. Habe alles gesehen.
Es war ein schreckliches Erlebnis. Wir wollten uns gerade alle zum ... Essen hinsetzen, da kippte der Khaqan um und knallte auf den Tisch. Tot. Einfach so.« Er schnippte mit den Fingern.
»Wurde eine Autopsie vorgenommen?« fragte Sten sachlich.
»Und was für eine«, erwiderte Menynder. »Schließlich wollte niemand, daß ... Ich meine, unter diesen Umständen hielten wir es für klüger. Zwei Teams haben an ihm gearbeitet.
Und die Berichte haben wir eingehend studiert. Nur um absolut sicherzugehen.« Er fingerte wieder an seinem Kragen herum.
»Es war eindeutig ein natürlicher Tod.«
»Wann findet das Begräbnis statt?« wollte Sten wissen. Die Nachricht stellte alles auf den Kopf. Der Imperator würde nicht sehr begeistert sein.
»Äh ... das ist schwer zu sagen. Wissen Sie, wir hatten uns darauf geeinigt, daß wir uns darüber verständigen, sobald der letzte Bericht von der Gerichtsmedizin kommt. Aber dann brach alles auseinander, bevor wir uns über das Begräbnis verständigen konnten.« Menynder wies kurz auf die Bombenkrater. »Da sehen Sie, was ich meine.«
Sten sah es allerdings.
»Ich will nicht direkt mit dem Finger auf jemanden zeigen«, sagte Menynder, »aber es waren die Jochianer, die damit anfingen. Sie stritten untereinander, wer der neue Khaqan werden soll. Der Rest von uns wurde gar nicht erst um Rat gefragt. Obwohl wir ihnen noch vor den Schießereien deutlich gemacht hatten, daß wir ein paar interessante Ideen entwickelt haben.«
»Selbstverständlich«, entgegnete Sten.
»Als den Jochianern die heißen Worte ausgingen, fingen sie jedenfalls zu kämpfen an. Wir anderen haben die Köpfe eingezogen. Dann landete eine verirrte Bombe mitten in einem Wohngebiet der Tork. Es war ... sehr schlimm. Mein Heimatplanet hielt es für das beste, eine Miliz zu entsenden.«
»Ach?« meinte Sten.
»Nur zum Schutz meiner Leute. Nicht um gegen die Jochianer anzutreten.«
»Wie ging das aus?«
»Nicht sehr gut«, seufzte Menynder. »Ich hatte gleich meine Bedenken. Es gab einige, äh ... scharfe Wortwechsel, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Sten konnte es sich plastisch vorstellen.
»Sobald unsere Miliz auf der Bildfläche erschien, fanden die Bogazi und die Suzdal natürlich, daß ihre Leute ebenfalls Schutz brauchten.«
»Dachte ich mir schon«, sagte Sten. Die Sache wurde immer schlimmer.
»Schön. Jetzt sind Sie im Bilde. Aber jetzt habe ich einige wirklich schlechte Nachrichten für Sie«, sagte Menynder, blickte auf seinen Zeitanzeiger und schaute sich nervös um.
»Ach so, das eben waren die guten Nachrichten, was?«
knurrte Kilgour, dem die Sache sogar noch weniger gefiel als Sten, falls das überhaupt möglich war.
»Sehen Sie, alle kleben an den Notruffrequenzen und warten darauf, daß die Kavallerie auftaucht. Wir alle haben Ihre Funksprüche gehört. Wahrscheinlich haben die Leute das Fiche von Jane's total blockiert, um Einzelheiten über die Victory herauszukriegen.« Er zeigte auf das Schiff hinter Sten. »Ich persönlich wußte bereits Bescheid. Habe so meinen Stolz, mich in meinem alten Beruf auf dem laufenden zu halten. Aber von Ihnen habe ich noch kaum etwas gehört.« Er nickte in Stens Richtung.
Sten fluchte in sich hinein, als ihm einfiel, daß der Nachrichtenoffizier behauptet hatte, er hätte alles versucht.
»Dann ... bin ich also die Kavallerie«, sagte Sten.
»Richtig, Herr Botschafter«, pflichtete ihm Menynder bei.
»Ich habe im Imperialen Who's Who nachgeschlagen. Sehr eindrucksvoll. Kriegsheld. Heldendiplomat. Der Mann des Ewigen Imperators. So sieht man es jedenfalls auf Jochi.«
Sten konnte es sich vorstellen. Es sah nicht gut aus.
Jedenfalls nicht so, wie er diesen elenden Tag geplant hatte.
»Inzwischen sind alk unterwegs«, sagte Menynder. »Ich habe mich mörderisch angestrengt, um vor den anderen hier zu sein. Gleich werden sie auftauchen und um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Um sie zu erlangen, würden sie sich gegenseitig die Innereien aus dem Leib reißen, sollte das nötig sein.«
Menynder wartete einen Moment, bis sich seine Worte gesetzt hatten, bevor er fortfuhr: »Verstehen Sie, wer auch immer Ihre Aufmerksamkeit erlangt, ist sofort Rudelführer.«
Er zuckte zusammen. »Ich muß auf meine Ausdrucksweise achten. Einige meiner besten Freunde sind Suzdal.«
»Ich vermute, Sie haben so etwas wie einen Plan«, sagte Sten. »Sonst wären Sie wohl nicht hier.«
»Aber sicher«, antwortete Menynder. »Obwohl ich vielleicht Probleme damit kriege, Sie von meinen guten Absichten zu überzeugen.«
»Aha, verstehe«, meinte Sten. »Sie haben sich vorgestellt, daß wir uns in aller Ruhe in einem ruhigen Torkviertel ein wenig unterhalten. Habe ich recht?«
Menynder grinste. »Was soll's? Es war immerhin einen Versuch wert. Wenn nicht, dann sollten Sie lieber von hier verschwinden. Und zwar schnell.«
Sten ignorierte die letzte Bemerkung. Er bekam allmählich eine Ahnung von dem, was hier vor sich ging.
»Wie weit ist es bis zur Botschaft?« Neutraler Boden.
Niemand würde wagen, auf die Botschaft des Imperators oder auch nur in ihrer Nähe zu feuern.
»Sie liegt genau auf der anderen Seite der Stadt«, sagte Menynder. »Das schaffen Sie nie.«
Jetzt war ein Knirschen und das schwere Rasseln von Panzerketten zu hören. Sten sprang auf und sah, wie sich ein gepanzertes Bodenfahrzeug einen Weg durch die Trümmer bahnte. Direkt neben den Schnellfeuerkanonen des Panzers flatterte eine kleine Fahne an einer Standarte. Sten mußte nicht eigens fragen. Es war die jochianische.
Von der anderen Seite des Landefeldes ertönte ein Ruf. Sten drehte sich um und erblickte Cind, die wie der Wind rannte, dicht gefolgt von ihren Bhor-Kundschaftern. Sie schrie so etwas wie eine Warnung und gestikulierte in Richtung auf ein niedriges Gebäude hinter ihr.
Plötzlich spritzte von Granaten aufgewirbelter Staub von dem Gebäude auf. Die gesamte Frontseite fiel in sich zusammen. In einem Regen aus Metall und Steinstaub tauchte ein weiteres Kettenfahrzeug auf. Auch dieses Gefährt war schwer gepanzert.
Cind kam keuchend bei Sten an. »Das ist längst nicht alles«, sagte sie und zeigte auf das Kettenfahrzeug. »Da hinten sind noch mehr davon. Plus Soldaten. Und so, wie es sich anhört, ist außerdem ein riesiger Mob hierher unterwegs.«
Der Hauptgefechtsturm des anderen Panzers schwenkte plötzlich herum. Sie hatten einander im Visier. Die Kanonen feuerten gleichzeitig. Die leeren Uran-AP-Hülsen wurden seitlich ausgestoßen.
Admiral Masons Stimme kam knackend über die
Außenlautsprecher der Victory: »Schlage vor, wir verschwinden von hier«, sagte er.
Sten stimmte ihm zu. Er wandte sich an Menynder. »Sie verdünnisieren sich wohl besser«, sagte er. »Viel Glück.«
»Wir werden mehr brauchen als nur Glück«, erwiderte Menynder. Dann rannte er schnaufend in Deckung. Sten und seine Gruppe eilten im Laufschritt zum Schiff und polterten die Rampe hinauf.
Hinter ihnen explodierte zuerst einer der Panzer, dann der andere, Eine Granate schlug ein. Mehr Panzer tauchten auf.
Geschütze blitzten.
In der erhöhten Schwerkraft des Blitzstarts der Victory gefangen, betrachtete Sten, wie die Kampfszene auf dem Hauptmonitor der Brücke unter ihm verschwand.
>Schöner Empfangs dachte er. Wie sollte er diesen verfluchten Schlamassel aufdröseln?
Sten saß mit Mason in der Admiralskabine zusammen. Die beiden versuchten herauszufinden, was als nächstes zu tun war.
Während sie mehrere Möglichkeiten durchspielten - die Bandbreite reichte von nicht sehr überzeugend bis einfach nur dumm -, kamen die Berichte hereingeflutet. Jochi schwieg nicht länger.
Stens Blick wanderte über ein Blatt mit Transkriptionen, die ihm der Nachrichtenoffizier soeben hereingegeben hatte. »Die sind durchgedreht«, faßte er zusammen. »Jeder beschimpft alle anderen mit den unflätigsten Ausdrücken und fordert sie auf, endlich herauszukommen und wie echte Wesen zu kämpfen.«
Er las weiter, pfiff dann leise vor sich hin und hob den Blick.
»Und das tun sie jetzt auch.« Er klopfte auf den Bericht. »Eine Jochi-Miliz hat einige Tork in einem Gebäude eingekesselt. Sie wollten nicht herauskommen und sich abschlachten lassen.
Also haben die Jochianer einfach alles abgefackelt.«
»Wunderbar«, meinte Mason. »Dazu toben überall derart viele Straßenschlachten, daß unserem Algocomputer bei dem Versuch einer Prognose, wie weit sie sich noch ausweiten könnten, sämtliche Chips durchgeschmort sind.« Er schnaubte verächtlich. »Soviel zum Thema Diplomatie. Bestätigt wieder einmal meine persönliche Theorie zum Verhalten des durchschnittlichen Bürgers. Das einzige, was die verstehen, ist ein guter Warnschuß, ziemlich dicht am Kopf abgefeuert.«
»Ich glaube nicht, daß wir mit solchen Methoden hier sehr weit kommen«, sagte Sten trocken. »Der Imperator möchte ihre Herzen und ihre Gedanken für sich gewinnen. Ihre Skalps bringen ihm nicht allzuviel.«
»Trotzdem...«, meinte Mason.
»Ich weiß«, sagte Sten. »Bei diesen Leuten kommt man leicht in Versuchung. Leider ist das, was sich dort unten gerade abspielt, durch unsere Ankunft ausgelöst worden.«
»Die Schuld dafür lasse ich mir nicht in die Schuhe schieben«, protestierte Mason ein wenig überhitzt.
Sten seufzte. »Das verlangt auch niemand, Admiral. Es ist mein Arsch, den der Imperator auf Toast serviert haben will.
Andererseits - wenn es hier noch schlimmer wird, gibt er sich wahrscheinlich nicht nur mit meinem zufrieden.«
Mason klappte den Mund auf und wollte antworten, doch Sten brachte ihn mit der erhobenen Hand zum Schweigen. Ihm war etwas eingefallen. »Mein Vater hat mir immer von diesem Tier erzählt«, sagte Sten. »Ich glaube, er nannte es Maultier. Es war eine Art Sport. Ein dummer, sturer Sport. Er sagte, der einzige Weg, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, sei der, ihm zuallererst einen kräftigen Hieb mit einem Brett zu versetzen.«
»Ich habe vorhin bereits etwas in dieser Richtung vorgeschlagen«, gab Mason zu bedenken.
»Ja, weiß ich doch. Aber in diesem Fall wäre ein Schlag auf den Kopf vielleicht zu subtil... Na schön. Versuchen wir es mit diesem Vorschlag in der Größenordnung von ...«
Mason beugte sich näher zu Sten, der ihm seinen Plan in groben Zügen umriß.
Der Jochianer-Mob drängte energisch gegen die Barrikade der Bogazi und überzog die kleine Gruppe, die ihr Wohngebiet verteidigte, mit einem Hagel aus Steinen, Trümmerstücken und Schmähungen. Die Ladenfronten auf beiden Seiten der breiten Hauptstraße von Rurik waren nur noch leere Höhlen mit zersplitterten Glasrändern. Aus vielen loderten Flammen heraus.
Der schwarze Mittagshimmel darüber kündigte ein Gewitter an. Schwere Wolken jagten hintereinander her und lösten dicke blaue Bögen elektrischer Entladungen aus.
Ein großer Jochianer erstürmte die Barrikade, die aus übereinandergetürmten Möbeln und Gebälktrümmern bestand.
Er schleuderte eine Granate, drehte sich um und rannte wieder zurück.
Ein Feuerstoß streckte ihn nieder. Im selben Augenblick detonierte die Granate. Die Explosion verwandelte das Lager der Bogazi in einen Ort der Schreie, ausgestoßen aus Schmerz und Wut.
Eine große weibliche Bogazi drängte sich durch die Lücke, die die Granate gerissen hatte. Aus ihren Vorderarmen schnellten Sporen hervor, mit denen sie sich zwei Jochianer krallte. Dann sauste ihr Hammerschnabel nieder, einmal, zweimal. Schädel barsten wie papierdünne Eierschalen.
Sie ließ die Leichen fallen und wandte sich dem nächsten Opfer zu. Eine schwere Brechstange krachte gegen ihre Kehle.
Die Bogazi sank neben die beiden Leichname.
Weitere Bogazi kamen durch die Bresche herausgestürmt.
Einen Moment später würden die Regenrinnen und Gullys der Hauptstraße in Blut getaucht sein.
Plötzlich ertönte von oben ein gespenstisches Heulen. Ein heftiger Wind fegte durch die Straße, hüllte die Meute in Staub und Schuttpartikel ein. Der Mob verharrte inmitten seines schändlichen Tuns - und starrte staunend nach oben.
Die schimmernde weiße Hülle der Victory kam entlang des Boulevards auf sie zugerast. Sie rauschte nur knapp über den Dächern der Wolkenkratzer dahin, die die Straße säumten, eine gigantische Erscheinung, die für alles mögliche gedacht war aber sicher nicht für einen Tiefflug über ein Stadtzentrum.
Kurz vor den Barrikaden wurde das Geheul immer lauter, und das Kriegsschiff schaltete auf Schwebeflug im McLean-Antrieb um, tief genug, damit der Mob das Imperiale Emblem an seinen Unterseiten klar und deutlich erkennen konnte.
Das war die Imperiale Präsenz - eine geharnischte Faust und ein übermächtiger Herrscher in einem.
»Großer Gott, seht euch das an«, keuchte ein jochianischer Chemiearbeiter.
»Vielleicht widerfährt uns jetzt endlich Gerechtigkeit«, sagte ein Bogazi.
»Wartet! Was tun die da?« fragte ein anderer Jochianer voller Ehrfurcht und zog einen Bogazi am Ärmel.
Die Victory senkte sich noch weiter, bis sie kaum noch zwanzig Meter über ihren Köpfen schwebte. Die Meute kauerte sich unter der dunklen Wolke ihres massigen Rumpfes zusammen. Maschinen summten, dann bewegte sich das Schiff langsam vorwärts, immer weiter die breite Straße hinunter.
Die verfeindeten Parteien sahen ihm einen oder zwei Augenblicke fassungslos nach. Dann starrten sie einander an.
Die behelfsmäßigen Waffen fielen aus Händen und Greifklauen zu Boden.
Der dunkle Himmel über ihnen war plötzlich hellblau. Die Sonne malte bunte Farben auf zarte Wolken. Die Luft war frisch und schmeckte nach Frühling.
»Wir sind errettet worden«, sagte ein Jochianer.
»Ich wußte, daß uns der Imperator nicht, im Stich läßt«, murmelte ein anderer.
»Das Schiff fliegt auf die Imperiale Botschaft zu«, rief jemand von einem Dach herunter.
Der böse Zauber war gebrochen, und der vor Erleichterung lachende und schreiende Mob eilte hinter dem Schiff her.
Die Victory segelte langsam über dem Pflaster dahin. Unter ihr war die Straße plötzlich von einer Seite zur anderen mit einem Meer von Leuten vollgepackt. Bogazi und Jochianer und Suzdals und Tork, alle durcheinandergemischt, ausgelassen und einander auf die Schultern klopfend.
Tausende von anderen Bewohnern lehnten sich aus den Fenstern der hohen Gebäude und jubelten der Victory und ihrem majestätischen Flug zu.
Auf ganz Jochi - tatsächlich sogar im ganzen Cluster hörten die Einwohner mit dem auf, was sie gerade taten, und beeilten sich, die Ankunft des Abgesandten des Imperators mitzuerleben.
Bis das Schiff die Imperiale Botschaft erreicht hatte, versammelten sich buchstäblich Millionen von Lebewesen vor dem breiten, durch Tore abgesperrten Areal. Milliarden weitere verfolgten das Geschehen an ihren Livies.
Sämtliche Feindseligkeiten waren beendet.
Im Innern der Victory strich Sten eilig mit der Bürste über seine Kleider. Cind fuhr ihm mit den Fingern durch das Haar, ordnete hier und da eine Strähne.
Alex blickte auf einen Livieschirm, der die gewaltige Menge da draußen zeigte. »Du bist ein verfluchter Rattenfänger, Freund Sten«, sagte er.
»Sag nicht so was«, antwortete Sten. »Der wurde in Ratten ausgezahlt. Oder Hausaffen; ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
Ein Besatzungsmitglied ließ die Rampen ausfahren. Sten spürte die frische Brise auf dem Gesicht. Er hörte, wie die Rampe mit einem dumpfen Knirschen aufsetzte.
»Also gut«, sagte er. »Jetzt laßt die Saubande zu mir kommen.« Er trat in einen Sturm aufbrausender Jubelrufe hinaus.
Buch II
____________________
KATZENKRALLE