Kapitel 9
»Ich habe noch nie zu denen gehört, die den Überbringer einer schlechten Nachricht hinrichten lassen«, sagte der Ewige Imperator.
»Jawohl, Sir«, antwortete Sten.
»In diesem Fall jedoch«, fuhr der Imperator fort, »kannst du froh sein, daß ich dich schon so lange kenne.«
»Jawohl, Sir«, sagte Sten.
»Du bist dir aber hoffentlich der Tatsache bewußt, daß ich nicht gerade hocherfreut bin?«
»Durchaus, Euer Majestät«, sagte Sten. »Völlig klar ..., Sir.«
Als Stens Boß in seinem Arbeitszimmer zu dem antiken Tablett mit den Getränken hinüberging und sich zwei Fingerbreit Scotch eingoß, flimmerte das Holobild leicht.
»Hast du dort etwas zu trinken?« fragte der Imperator ein wenig abwesend.
»Jawohl, Sir«, sagte Sten. »Ich hielt es für das beste, meinen eigenen Vorrat mitzunehmen.« Er verstand die Anspielung, nahm eine Flasche Scotch vom Schreibtisch des vorhergehenden Botschafters und goß sich ebenfalls einen Schluck ein.
Der Imperator prostete ihm ironisch zu: »Ich würde ja sagen: >Verwirrung allen meinen Feinden<, aber wenn sie noch verwirrter werden, dann sind wir die ersten, die kopfüber im Dreck landen.«
Er trank trotzdem. Sten folgte seinem Beispiel.
»Ich weiß nicht, wie ich verhindern kann, daß diese Geschichte nach außen dringt«, sagte der Imperator. Sten antwortete nicht. Es war auch keine echte Frage gewesen.
»Schon jetzt gibt es vereinzelte Berichte in den Medien, die darauf anspielen, daß sich auf den Welten des Altai-Clusters etwas zusammenbraut. Was meinst du, was die anstellen, wenn sie erst herauskriegen, wie schlimm es dort wirklich aussieht?«
Der Imperator goß noch einmal nach und überlegte. »Am meisten schmerzt mich, daß ich einige grundlegende Vereinbarungen in petto habe. Vereinbarungen, die auf einem sehr tiefen Vertrauen in das Imperium fußen. Das kleinste Loch in dieser Struktur, die ich mühsam wieder aufgebaut habe, führt dazu, daß diese Vereinbarungen sich in nichts auflösen.
Und ... wenn erst ein Teil des Ganzen nicht mehr funktioniert...
dann werden auch viele andere Dinge in Zweifel gezogen.«
Sten seufzte. »Ich wünschte, ich könnte ein etwas hoffnungsvolleres Bild zeichnen, Euer Majestät«, sagte er.
»Aber das hier sieht nach dem vertracktesten Auftrag aus, den ich jemals für Sie erledigen durfte. Dabei haben wir noch nicht einmal richtig angefangen.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewußt, Sten«, erwiderte der Imperator. »Der Khaqan hat sich die dümmste Zeit zum Sterben ausgesucht.« Er setzte das Glas an. »Bist du sicher, daß da niemand nachgeholfen hat?«
»Ich bin sämtliche Berichte durchgegangen«, antwortete Sten. »Es ist ziemlich klar, wie und warum er starb. Es war ein Aneurysma. Die Verstopfung einer Arterie löste sich plötzlich wie ein Korken. Das einzige, worüber ich mir nicht sicher bin, sind die näheren Umstände.« Sten dachte an Menynders Behauptung, es habe ein Essen zu Ehren des Khaqans gegeben.
»Persönlich glaube ich aber, daß sie keine große Rolle spielen.
Falls dabei eine Art Verschwörung mit im Spiel war ... also danach zu urteilen, was ich gesehen habe, würde es mich nicht wundern.«
»Dem pflichte ich bei«, sagte der Imperator. »Eigentlich wäre ich eher mißtrauisch, wenn es keinerlei Anzeichen für eine Verschwörung gäbe. Gut. Lassen wir die näheren Umstände also beiseite - zumindest einstweilen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Sten.
»Jetzt liegt uns viel mehr daran, diese Sache unter Kontrolle zu bringen«, fuhr der Imperator fort. »Wenn demnächst das gesamte Imperium zuschaut, möchte ich bei niemandem den geringsten Zweifel aufkommen lassen, ich sei nicht entschlossen genug. Es wird mehr als einen geben, der behauptet, ich hätte es vermasselt. Andere werden sagen, ich hätte meinen Instinkt verloren, seit ich ... zurückgekehrt bin.
Und dann sind da noch diejenigen, die hoffen, daß ich nachlässig geworden bin, damit sie in aller Ruhe für neuen Ärger sorgen können. Ich möchte, daß wir das im Hinterkopf behalten, wenn wir uns überlegen, wie wir die Sache angehen wollen...
Und zwar folgendermaßen: Muckt irgendwer auf, der uns nicht paßt, wird er kaltgestellt. Wir setzen eine neue Regierung ein. Sofort. Mit meiner uneingeschränkten Unterstützung.
Sobald das getan ist, gibt es absolut keine Widerrede mehr.
Jedenfalls nicht in meiner Hörweite. Und falls es im Altai-Cluster zu lautstarken oder gewalttätigen
Auseinandersetzungen über meine Entscheidung kommt, möchte ich sie sofort zum Schweigen gebracht sehen. Rasch.
Egal mit welchen Mitteln. Ich werde mich von dieser Geschichte nicht erniedrigen lassen!« Die Hand des Imperators fiel krachend auf seinen Schreibtisch. Sogar durch die Hololautsprecher klang es wie ein Schuß.
Der Imperator riß sich jäh aus seinem Zorn und schenkte Sten ein dünnes, aufgesetztes Lächeln. »Ich will verdammt noch mal sichergehen, daß sowohl meine Feinde als auch meine Freunde wissen, daß mit mir nicht zu spaßen ist.«
»Jawohl, Sir. Ich ... stimme Ihnen zu, Sir ...«
»Höre ich aus deiner Zustimmung ein leises >aber< heraus?«
»Nicht hinsichtlich Ihrer allgemeinen Ansicht, Sir.
Überhaupt nicht. In diesen Zeiten dürfen wir uns keine Zimperlichkeiten erlauben. Aber als Sie mich über diesen Cluster informierten, haben' Sie mich nicht darauf hingewiesen, wie verschieden seine Bewohner sind. Selbst wenn wir alles mit einem großen Hammer zusammennageln wollten, müßten wir meiner Meinung nach immer noch sorgfältig darüber nachdenken, wie es zusammenpaßt.«
Sten zögerte einen Moment und versuchte, im Gesicht des Imperators zu lesen. Es war ausdruckslos. Aber nicht unbedingt verärgert ausdruckslos.
»Weiter«, sagte der Imperator.
»Wie Sie wissen, Sir, habe ich mit den Anführern geredet; jedenfalls mit den Personen, die sich als ihre Anführer bezeichnen. Bis mir eine genauere, auf Agentenberichten basierende Einschätzung der Lage vorliegt, vertraue ich auf meine Instinkte: Diese Geschichte kann in weitaus mehr als nur vier Teile zerbrechen - nein, eigentlich ist das sogar bereits geschehen. Als ich ankam, beschossen sich gerade zwei Jochi-Fraktionen auf dem Raumhafen.«
»Folge deinen Instinkten«, sagte der Imperator.
»Sobald ich auftauchte«, fuhr Sten fort, »drängten sich die Anführer sämtlicher Fraktionen, egal ob menschlich oder nonhumanoid, zur Botschaft, und jeder von ihnen flehte mich an, ihn zum neuen Oberguru zu machen. Ich vertröstete sie auf eine offizielle Einladung und knöpfte sie mir einen nach dem anderen vor.«
»Und damit hast du dir reichlich Zeit gelassen«, sagte der Imperator. »Du hast sie warten lassen und ihnen Zeit gegeben darüber nachzudenken, inwieweit und wie oft sie sich gegen mich versündigt haben. Gefällt mir, wie du die Sache gedeichselt hast.«
»Danke, Sir«, sagte Sten. »Aber offen gesagt hege ich so meine Zweifel darüber, ob man die ganze Sache hier, nachdem alles bereits auseinandergebrochen ist, wieder zusammensetzen kann. Jedenfalls nicht so, wie es vorher war.
Momentan verharren alle in ihren eigenen Stadtvierteln.
Und auf ihren Heimatplaneten ebenfalls, wo sie im eigenen Saft schmoren und sich ihre Wunden lecken. Und sie überlegen, wie man alles ganz anders machen könnte. In diesem Fall, Sir, kann allein der Gedanke daran ausschlaggebend sein. Natürlich schwebt jedem dieser Wesen eine Art persönlicher Vision des Paradieses für die eigene Gruppe vor. Wenn Sie mich fragen, Sir, so sehe ich hier noch sehr lange die reinste Hölle brodeln.«
»Es sei denn, wir bringen alles in Ordnung«, sagte der Imperator.
»Es sei denn, wir bringen alles in Ordnung«, stimmte ihm Sten zu.
»Zunächst schicke ich dir ein Bataillon der Imperialen Garde«, sagte der Imperator. »Damit ist schon einiges gewonnen.«
Sten zuckte zusammen. »Soviel..., Sir? Ich hatte auf, sagen wir, eine Abteilung der Sektion Mantis gehofft. Wenn wir uns nicht ganz so weit aus dem Fenster lehnen, und falls die Dinge sich nicht so wie geplant entwickeln ... dann blamieren wir uns nicht so sehr. Abgesehen davon, Sir, glaube ich wirklich, daß ich besser mit dem Skalpell umgehen kann als mit dem Hammer.«
»Ich kann dieses Risiko nicht eingehen«, widersprach ihm der Imperator, »Du kriegst ein Bataillon. Ich bin schon jetzt zur Zielscheibe des Gespötts geworden. Na schön. Dann werde ich also eine verflucht große Zielscheibe abgeben. Ich habe aber noch einen anderen Grund dafür.«
»Jawohl, Sir«, sagte Sten.
»Hast du zu diesem Thema noch weitere Gedanken entwickelt?« fragte der Imperator.
»Ja, Sir. In diesem ganzen traurigen Haufen habe ich einen Kandidaten gefunden, der die Sache wirklich übernehmen könnte, zumindest zeitweise.«
»Wer?« Das einzelne Wort offenbarte eine unterschwellige Schärfe, doch das wurde Sten erst später klar.
»Menynder, Sir, der Tork. Ein gerissener alter Fuchs. Aber er ist auch eine der wenigen Persönlichkeiten hier, die von allen Parteien respektiert werden. Die Liste seiner Feinde ist relativ kurz. Ich glaube auch, daß ihm die Leute lange genug zuhören werden, bis sich alles ein wenig beruhigt hat. Bis alles wieder in geregelten Bahnen verläuft.«
»Gute Wahl«, sagte der Imperator. »Außer ... wie du schon sagtest, wahrscheinlich ist er nur eine Zwischenlösung. Ich habe einen dauerhaften Kandidaten in der Hinterhand.« Er nahm beiläufig einen Schluck Scotch. »Der Mann heißt Iskra.
Dr. Iskra. Ein Jochianer.«
Sten hob die Braue. Er hatte den Namen bereits gehört.
Vage nur, doch er wußte immerhin so viel, daß Iskra sehr viel Respekt entgegengebracht wurde. Aber Sten war so neu im Spiel, daß er den Imperator hinsichtlich seiner Einschätzung von Dr. Iskras Vertrauenswürdigkeit einfach beim Wort nehmen mußte.
»Ich habe bereits mit ihm gesprochen«, sagte der Imperator.
»Eines meiner Schiffe holt ihn gerade ab. Er müßte in einigen Zyklen bei dir sein. Das ist der andere Grund, weshalb ich dir ein Bataillon Gardisten schicke. Dr. Iskra hat sie sich erbeten.
Er wird sie als persönlichen Sicherheitsdienst einsetzen.
Zunächst einmal.«
»Sehr gut, Sir«, sagte Sten. Seine
Problemwahrnehmungsfühler zitterten leicht, als er von Iskras Truppenanforderung hörte, noch bevor der Mann überhaupt einen Fuß in den Altai-Cluster gesetzt und sich ein Bild von der gegenwärtigen Situation gemacht hatte. Er schob seine Besorgnis weit nach hinten. Aber er verstieß sie nicht ganz.
Außerdem war nur wichtig, daß die ganze Sache funktionierte. Sten hatte bisher noch keine der traditionellen schlechten Angewohnheiten des Imperialen Außendienstes übernommen, wie beispielsweise einer vernünftigen Lösung mit dem eigenen Ego im Weg zu stehen.
»Noch etwas?« erkundigte sich der Imperator. Er wirkte jetzt ruhelos, in Gedanken bereits mit anderen Dingen beschäftigt.
»Nein, Sir.«
»Dann also ... bis zu deinem nächsten Bericht...« Der Imperator beugte sich nach vorne, um einen Knopf auf seinem Schreibtisch zu berühren.
Doch kurz bevor Stens Holobild aus dem Botschaftszimmer auf Jochi verblaßte, warf der Imperator noch einen unerwarteten Blick in Stens Gesicht. Sein Ausdruck war angemessen respektvoll. Dann war Sten weg.
Gedankenverloren nahm der Ewige Imperator seinen Drink und nippte daran. Ungeteilte Konzentration war eine der Fähigkeiten, die er sich über all die vielen Jahrhunderte antrainiert hatte. Dem Thema Sten widmete er jetzt volle fünf Sekunden dieser Konzentration.
War er loyal? Keine Frage. Während der Abwesenheit des Imperators war Sten der Architekt des Plans gewesen, mit dem letztendlich das Privatkabinett ausgehebelt wurde. Der Grundstein der Allianz, die er geschaffen hatte, war die absolute Hingabe an die Erinnerung an den Imperator.
Doch, Sten war loyal. Der Imperator hatte ihm viele Orden und Auszeichnungen verliehen. Aber nur ganz wenige wußten, was für ein großer Held Sten tatsächlich war.
Vielleicht zum ersten Mal wurde dem Imperator klar, daß er froh war, Sten auf seiner Seite zu wissen. In gewisser Hinsicht war dieser Gedanke nicht ausschließlich beruhigend.
Der Imperator schob dieses Körnchen Beunruhigung weit von sich. Später einmal würde er es in ein größeres Puzzle einfügen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit von diesem Problem ab.
Es gab noch einen Mann, dessen Hilfe er benötigte. Eine Hilfe der höchst verschwiegenen und tödlichen Art. Er durfte bei dieser Geschichte im Altai-Cluster kein Risiko eingehen.
Nicht das allergeringste.