Kapitel 1

Der rechteckige Platz der Khaqans brütete unter düsteren Gewitterwolken, die sich wie drohende Fäuste am Himmel ballten. Die schwache Sonne brach nur hin und wieder durch die aufgetürmten Wolkenmassen und entlockte den Kuppeln der hochaufragenden Türme goldene, grüne und rote Reflexionen.

Die Ausmaße des Platzes waren gewaltig: Auf jeder Seite säumten ihn auf einer Strecke von fünfundzwanzig Kilometern mächtige, prunkvolle Gebäude. Er war das offizielle Herzstück des Altai-Clusters. An seiner Westseite befand sich der mit verschnörkelten Ornamenten reichverzierte Palast der Khaqans

- der Sitz des alten und verbitterten Jochianers, der den Cluster schon seit mehr als einhundertundfünfzig Jahren regierte.

Fünfundsiebzig Jahre davon hatte er darauf verwendet, diesen Platz zu gestalten, und dabei Milliarden von Credits und Arbeitsstunden verbraucht, um mit seiner Vollendung sich und seinen Taten - den tatsächlichen und den eingebildeten - ein Monument zu errichten. Wie ein beinahe vergessener Nachsatz lag in einer abgeschiedenen Ecke des Platzes ein kleiner Schrein, eine heilige Stätte zur Erinnerung an seinen Vater, den ersten Khaqan.

Der Platz befand sich im Zentrum von Rurik, der Hauptstadt des Planeten Jochi. Alles an dieser Stadt war gewaltig. Im Vergleich zu den gigantischen architektonischen Visionen des Khaqans kamen sich ihre Bewohner, die im Schatten dieser Gebäude umherhuschten, sowohl körperlich als auch geistig geradezu ameisenhaft vor.

An diesem Tag war es sehr still in Rurik. Die vor feuchter Hitze stickigen Straßen waren wie leergefegt. Alle Bewohner hockten in ihren Behausungen und verfolgten pflichtgemäß die Ereignisse, die auf ihren Bildschirmen übertragen wurden. Das war überall auf Jochi so, ohne Ausnahme.

Tatsächlich hatte man die Straßen sämtlicher Siedlungen auf allen bewohnten Planeten des Altai-Clusters per Anweisungen aus Lautsprecherfahrzeugen räumen lassen und die Einwohner zum Einschalten der Livie-Sendung nach Hause geschickt.

Kleine rote Kameraaugen am unteren Rand der Schirme überwachten die ungebrochene Aufmerksamkeit der Zuschauer. In jedem Wohnviertel waren Sicherheitskräfte stationiert. Sie standen bereit, sofort in die Wohnungen unaufmerksamer Bürger einzudringen und die Ungehorsamen mitzunehmen.

Auf dem Platz der Khaqans selbst hatte man

dreihunderttausend Einwohner Ruriks als Augenzeugen zusammengetrieben. Ihre Leiber wirkten wie ein schwarzer Schmutzstreifen an den Rändern des gewaltigen Platzes. Die Wärme der Menge stieg in dampfenden Wellen empor und mischte sich in die drohenden Wolkenmassen. Die einzige wahrnehmbare Bewegung bestand in einem unablässigen nervösen Hin-und Herwogen. Kein Laut drang aus der Menge.

Weder das Weinen eines Kindes noch das Husten eines Alten.

Hitzegewitter entluden sich über den vier vergoldeten Säulen, die an jeder Ecke des Platzes hoch in den Himmel hinauf ragten und gewaltige Statuen zu Ehren altaianischer Helden und ihrer Taten trugen. Donner grollte und brach sich unter den Wolken. Trotzdem verhielt sich die Menge nach wie vor ruhig.

In der Mitte des Platzes hatten sich Truppen mit schußbereiten Waffen aufgestellt. Die Blicke der Uniformierten wanderten auf der Suche nach Anzeichen von Unruhe unablässig über die dichtgedrängten Massen.

Hinter den Soldaten erhob sich die Todeswand.

Ein Sergeant bellte seine Befehle, und das

Exektitionskommando setzte sich mit schweren Schritten scheppernd in Bewegung. Die Soldaten schleppten wuchtige, auf den Rücken festgeschnallte Zwillingstanks, von denen ein gewundener Schlauch nach vorne verlief und in einem zwei Meter langen Rohr endete, das jeder Soldat des Exekutionskommandos in den Händen hielt.

Nach einem weiteren Befehl legten sich die Finger in den dicken, feuerfesten Handschuhen um die Auslöser der Flammenwerfer. Flüssiges Feuer tropfte aus den Mündungen der Rohre. Die behandschuhten Finger zogen sich zusammen, und ein Heulen durchfuhr die Luft, als die Flammen herausschössen und gegen die Todeswand klatschten.

Die Soldaten drückten die Auslöser einen schrecklichen Moment voller Hitze und beißendem Rauch. Die Flammen hämmerten in heftigen Wellen gegen die Wand. Auf ein Zeichen des Sergeanten hin erstarb das Feuer.

Die Todeswand war bis auf das dunkelrote Glühen des hocherhitzten Metalls unversehrt. Der Sergeant spuckte darauf.

Der Speicheltropfen explodierte, kaum daß er die Wand berührte. Der Sergeant wandte sich zufrieden lächelnd um.

Das Exekutionskommando war bereit.

Ein plötzlicher Schauer ergoß sich über die Menge und stieg in zischenden Dampfwolken von der Wand wieder auf. Der Regen ließ so rasch nach, wie er eingesetzt hatte. Die durchnäßte Menge blieb in der feuchtheißen Atmosphäre zurück.

Hier und da konnte man nervöses Gemurmel vernehmen.

Selbst die Angst ließ so viele Lebewesen nur eine begrenzte Zeit lang stillhalten.

»Das ist schon das vierte Mal in vier Zyklen«, japste ein junger Suzdal seiner Rudelgefährtin zu. »Jedesmal, wenn die Jochi-Polizei an die Tür hämmert und uns auf den Platz hinausruft, denke ich, diesmal sind wir dran.« Seine kleine, ängstlich zurückgezogene Schnauze entblößte eine Reihe scharfer, klappernder Zähne.

»Aber nein, das hat nichts mit uns zu tun, mein Lieber«, erwiderte seine Rudelgefährtin. Sie rieb den dicken, pelzigen Wulst, der über ihrer Schnauze aufragte, an dem jungen Männchen und entließ daraus Beruhigungshormone. »Sie sind doch nur hinter den Schwarzmarktleuten her.«

»Aber das sind wir letztendlich doch alle«, japste der ängstliche Suzdal. »Anders kommen wir doch schon gar nicht mehr über die Runden. Ohne den Schwarzmarkt wären wir längst verhungert.«

»Sei still, sonst hört dich noch jemand«, warnte ihn seine Rudelgefährtin. »Das ist Sache der Menschen. Solange sie ihre eigenen Jochianer und Tork umbringen, müssen wir uns keine Gedanken machen.«

»Ich kann nicht dagegen an. Mir kommt das alles vor wie das, was die Menschen den Jüngsten Tag nennen. Als wären wir alle dem Untergang geweiht. Sieh dir nur das Wetter an.

Alle reden darüber. So etwas hat noch keiner erlebt. Sogar die Alten sagen, daß es auf Jochi noch nie zuvor so gewesen ist.

Bittere Kälte an einem Tag, am nächsten sengende Hitze.

Schneestürme. Dann Überflutungen und Wirbelstürme. Als ich heute früh aufwachte, roch es nach Frühling. Und jetzt - sieh dir das an.« Er zeigte nach oben auf die sich ballenden Gewitterwolken.

»Jetzt reg dich nur nicht auf«, sagte seine Rudelgefährtin.

»Nicht einmal der Khaqan kann das Wetter beeinflussen.«

»Am Ende kriegt er uns doch noch am Wickel. Und dann

...« Der junge Suzdal zitterte. »Kennst du ein einziges Wesen, das hingerichtet wurde und tatsächlich schuldig war? Ich meine

... eines richtigen Verbrechens?«

»Natürlich nicht, mein Lieber. Aber jetzt sei still. Die Sache wird ... bald vorbei sein.« Sie rubbelte noch mehr von dem Hormon in sein Fell hinein. Kurz darauf hörte er auf, mit den Zähnen zu klappern.

Aus den großen Lautsprechern ertönte ein Knacken, dann ein Dröhnen, und dann kreischte dermaßen laute Musik los, daß sogar die Blätter an den Bäumen in den kleinen Parks auf dem Platz im Rhythmus erbebten. Die in goldene Roben gekleidete Khaqan-Garde kam in Speerformation aus dem Palast herausmarschiert. An der Spitze dieses Speeres schwebte eine Plattform, auf der der Khaqan auf seinem vergoldeten Thron mit der hohen Rückenlehne saß.

Die gesamte Gruppe nahm nicht weit von der Todeswand Aufstellung. Die Plattform senkte sich. .

Der alte Khaqan blickte mit mißtrauischen, wäßrigen Augen in die Runde. Als er den Geruch der unangenehm nahen Menge wahrnahm, rümpfte er die Nase. Ein aufmerksamer Bediensteter registrierte das Mienenspiel sofort und umnebelte den Khaqan mit seinem süßlichen Lieblingsräucherwerk. Der alte Mann zog ein verziertes Fläschchen mit Methquill unter seinem Gürtel hervor, entkorkte es und nahm einen kräftigen Schluck. Sofort durchzuckte das Feuer seine Adern. Sein Herz raste, und seine Augen blitzen vor Begeisterung.

»Bringt sie heraus«, grunzte er. Der Klang seiner Stimme war brüchig und schrill, doch in den Seelen seiner Diener erweckte er die Angst vor den feigen Göttern, die diesen Ort beherrschten.

Flüsternd wurden Befehle weitergegeben. Vor der Todeswand fauchte Metall in geölten Scharnieren, und plötzlich gähnte ein dunkles Loch im Boden. Das Summen eines versteckten Mechanismus ertönte, dann schob sich eine große Plattform nach oben, bis sie das Loch ausfüllte.

Ein langes, hörbares Schaudern durchlief die Menge, als sie auf der Plattform die aneinandergeketteten Gefangenen erblickte, die verunsichert in das trübe Licht blinzelten.

Soldaten traten herbei und drängten die fünfundvierzig Gefangenen in Richtung der Wand. Metallbänder schoben sich aus der Wand hervor und hielten die Gefangenen fest.

Die Gefangenen blickten den Khaqan mit staunenden Augen an. Er nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche und kicherte vor Freude über die befeuernde Wirkung des Methquill.

»Weiter«, sagte er.

Der schwarzgewandete Inquisitor trat vor und fing an, Namen, Beruf und Konfession eines jeden einzelnen der hier versammelten Verbrecher vorzulesen. Die Liste ihrer Vergehen dröhnte aus allen Lautsprechern: Verschwörung zur Bereicherung ... Anhäufung rationierter Ware ... Diebstahl von den Märkten der Elite von Jochi... Amtsmißbrauch zur persönlichen Bereicherung ... So ging es weiter und weiter, endlos.

Der alte Khaqan runzelte bei jeder Anklage die Stirn, nickte und lächelte bei jeder neuen Schuldzuweisung.

Schließlich war es vorüber. Der Inquisitor schob die Anklageschrift in seinen Ärmel zurück und erwartete schweigend die Entscheidung des Khaqans.

Der alte Mann nippte an seinem Stärkungstrunk und schaltete das Kehlkopfmikro ein. Seine schrille, kratzige Stimme erfüllte den Platz und schnarrte aus den Geräten der Milliarden von Zuschauern im gesamten Altai-Cluster.

»Wenn ich in eure Gesichter blicke, wird mir das Herz vor Mitleid schwer«, sagte er. »Doch es füllt sich auch mit Scham.

Ihr alle seid Jochianer ... ebenso wie ich einer bin. Als der Hauptrasse dieses Clusters fällt den Jochianern die Aufgabe zu, den richtigen Weg zu weisen. Und mit gutem Beispiel voranzugehen. Was sollen unsere Mitmenschen, die Tork, von uns halten, wenn sie von euren schändlichen Taten erfahren?

Ganz abgesehen Von unseren nonhumanoiden Untertanen, deren Wille zur Moral weniger stark entwickelt ist? - Ach ja ..'

Was sollen die Suzdal und die Bogazi denken, wenn ihr Jochianer - meine geschätztesten Untertanen - das Gesetz mit Füßen tretet und unsere Gemeinschaft durch schnöde Gier in Gefahr bringt?

Wir leben in schrecklichen Zeiten, das weiß ich. All die langen Jahre des Krieges gegen die elenden Tahn. Wir haben gelitten, viele Opfer gebracht, und, jawohl, wir sind auch gestorben in diesem Krieg. Aber egal, wie schwer unsere Last auch war, wir standen fest zum Ewigen Imperator.

Und später, als wir glauben mußten, daß ihn seine Feinde erschlagen haben, kämpften wir weiter, trotz der ungerechten Belastungen, die uns diese Elenden auferlegten, die seine Ermordung geplant hatten und an seiner Statt regierten.

Während all dieser schlimmen Zeiten habe ich euch um eure Hilfe und euer Opfer gebeten, damit wir unseren herrlichen Cluster sicher und unbeschadet bis zur Rückkehr des Imperators durch die Zeiten bringen. Denn ich glaubte stets fest daran, daß er eines Tages wiederkehren würde.

Schließlich war es soweit. Er entledigte sich des niederträchtigen Privatkabinetts. Dann blickte er sich um, um zu sehen, wer während seiner Abwesenheit zu ihm gestanden hatte. Er fand mich - euern Khaqan. Einen starken und loyalen Untertan, seit beinahe zwei Jahrhunderten. Und er sah euch meine Kinder. Und er lächelte. Von diesem Augenblick an begann auch die Antimaterie Zwei wieder zu fließen. Unsere Fabriken füllten sich wieder mit Leben. Unsere Raumschiffe schwärmten wieder zu J 'n großen Umschlagplätzen des Imperiums aus.

Aber noch ist nicht alles zum Besten bestellt. Die Tahn-Kriege und die Machenschaften des verräterischen Kabinetts haben die Ressourcen des Ewigen Imperators auf eine schwere Probe gestellt. Ebenso wie die unseren. Noch viele Jahre harter Arbeit liegen vor uns, bevor unser Leben wieder in den Bahnen des gewohnten Wohlstands verlaufen kann.

Bis dahin müssen wir alle weiterhin den Luxus der Gegenwart einer herrlichen Zukunft opfern. Momentan leiden wir alle Hunger. Aber wenigstens gibt es genug Nahrung, um jeden einzelnen von uns durchzubringen. Unsere AM2

Zuteilung beläuft sich dank meiner persönlichen Freundschaft mit dem Imperator höher als die der meisten anderen Cluster.

Trotzdem reicht sie kaum aus, um den Bedarf unserer Wirtschaft zu decken.«

Der Khaqan legte eine kleine Pause ein, um sich die Kehle erneut mit dem Schluck Methquill zu benetzen. »Momentan ist die Gier, die persönliche Raffsucht, das größte Verbrechen in unserem kleinen Königreich. Denn bedeutet in diesen Zeiten Gier etwas anderes als Mord - vielfältigen Mord?

Jedes Gramm, das ihr stehlt, jeden Tropfen, den ihr illegal auf dem Schwarzmarkt verkauft, raubt ihr direkt von den Lippen unschuldiger Kinder, die mit Sicherheit sterben werden, wenn dieser Gier kein Riegel vorgeschoben wird. Das gleiche gilt für unsere wertvollen AM2-Vorräte. Oder die Rohstoffe für Werkzeuge, mit deren Hilfe wir unsere Industrie wiederaufbauen müssen, oder die synthetischen Stoffe, die uns Schutz vor den Elementen gewähren.

Deshalb muß ich euch schweren Herzens verurteilen. Ich habe die Briefe eurer Freunde und eurer lieben Verwandten, die um Gnade für euch bitten, gelesen. Ich habe bei jedem einzelnen dieser Briefe geweint, das dürft ihr mir glauben. Sie alle wußten traurige Geschichten von fehlgeleiteten Geschöpfen zu berichten. Von Geschöpfen, die den Lügen unserer Feinde Glauben geschenkt haben oder in schlechte Gesellschaft geraten sind.«

Der Khaqan wischte sich eine nichtexistente Träne von den randlosen Augenlidern. »Ich spüre genug Gnade für euch alle in mir. Doch ich muß diese Gnade mit aller Kraft zurückhalten, denn andernfalls würde ich auf kriminelle Weise selbstsüchtig handeln.

Deshalb sehe ich mich gezwungen, euch zum schändlichsten aller bekannten Tode zu verurteilen - zur Abschreckung anderer, die dumm genug sind, sich von den Versuchungen der Gier anfechten zu lassen.

Nur ein einziges kleines Zugeständnis darf ich meiner Schwäche erlauben. Und ich hoffe, daß meine Untertanen es mir verzeihen mögen, denn ich bin schon sehr alt und leicht zum Mitleid zu erregen.«

Er beugte sich auf seinem Thron nach vorne, und die Livie-Kameras fuhren dichter heran, bis sein Gesicht eine Hälfte des Bildschirms in den Wohnungen der Zuschauer ausfüllte. Es war eine Maske des Mitleids. Auf der anderen Hälfte des Schirms waren die fünfundvierzig Verurteilten zu sehen.

Die flüsternde Stimme des Khaqans klang heiser: »Ich meine jeden einzelnen von euch, wenn ich jetzt sage ... Es tut mir leid.«

Er schaltete das Kehlkopfmikro aus und wandte sich an seinen Adjutanten. »Und jetzt bring die Sache rasch über die Bühne. Ich habe keine Lust, hier draußen herumzusitzen, wenn das Gewitter losbricht.« Dann entspannte er seine alten Knochen und lehnte sich in Erwartung des Spektakels in den Thron zurück.

Befehle ertönten, und das Exekutionskommando nahm Aufstellung. Die Mündungen der Flammenwerfer wurden angehoben. Die Menge hielt den Atem an. Die Gefangenen hingen matt in ihren Fesseln. In den Wolken über ihren Köpfen krachte der Donner.

»Jetzt«, schnarrte der Khaqan.

Die Flammenwerfer fauchten auf und spien Feuerbälle gegen die Todeswand.

Einige Zuschauer in der Menge wandten sich ab.

Eine Rudelführerin der Suzdal namens Youtang bellte angewidert auf. »Am schlimmsten ist dieser Gestank«, kläffte sie. »Ich kann hinterher meine Rationen kaum noch anrühren.

Alles schmeckt nach gebratenen Jochianern.«

»Menschen riechen ohnehin übel genug, auch wenn sie nicht geröstet werden«, pflichtete ihr ihre Unterrudelführerin bei.

»Als der Khaqan mit diesen Säuberungen anfing«, sagte Youtang, »dachte ich noch, was soll's? Es gibt mehr als genug Jochianer, vielleicht werden ihre Reihen auf diese Weise ein wenig ausgedünnt. Um so mehr bleibt für die Suzdal übrig.

Aber er machte immer weiter. Inzwischen mache ich mir Sorgen. Wenn das so weitergeht, muß er sich bald nach anderen abschreckenden Beispielen umsehen.«

»Er hält die Bogazi für die dümmsten, also kommen sie wohl als letzte dran«, sagte ihre Assistentin. »Wir kommen noch vor ihnen an die Reihe. Die Tork sind Menschen. Wenn er seiner Logik - oder dem, was er dafür hält - folgt, sind sie die nächsten.«

»Wo du gerade von Tork redest«, sagte Youtang. »Da drüben sehe ich einen Freund, und er macht ebenfalls einen sehr besorgten Eindruck.« Den »Freund« betonte sie dabei so, daß ihr Widerwille nicht zu überhören war. »Dort drüben! Es ist Baron Menynder. Er quatscht gerade einen anderen Menschen voll, einen Jochianer, jedenfalls der Kleidung nach zu urteilen.«

»Das ist General Douw«, kläffte ihre Assistentin aufgeregt.

Die Rudelführerin überlegte einen Augenblick. Der Mensch, den sie beobachtete, war ein untersetztes, quadratisches Geschöpf mit einem lupenreinen Glatzkopf. Das fleischige, häßliche Gesicht hätte gut zu einem gedungenen Mörder gepaßt, doch Baron Menynders affektierte Brille ließ seine braunen Augen groß, rund und unschuldig erscheinen.

»Sieh mal einer an, was hat denn Menynder mit dem Verteidigungsminister des Khaqans zu bereden? Er wird ihm doch wohl keinen professionellen Rat geben, wo er früher den gleichen Job innehatte? Doch das ist lange her. Menynders Zeit liegt schon vier oder fünf Verteidigungsminister zurück. Die anderen hat der Khaqan entlassen oder getötet. Verflucht, dieser Menynder ist ein gerissener alter Bursche«, murmelte Youtang halblaut vor sich hin. »Er hat gerade rechtzeitig die Kurve gekratzt. Jetzt kümmert er sich um seine eigenen Angelegenheiten und hält sich bedeckt.«

Sie beobachtete die Szene noch einige Augenblicke länger und betrachtete General Douw etwas genauer. Der Jochianer sah mit seinen gut zweieinhalb Metern Körpergröße wie ein Bilderbuchgeneral aus. Er war schlank und athletisch gebaut, vor allem im Kontrast zu dem kurzgeratenen Menynder. Seine schiefergrauen Locken umgaben seinen Kopf wie ein enger Helm, auch das ein starker Gegensatz zu Menynders kahler Platte.

»Douw gefällt offensichtlich, was er zu hören bekommt«, sagte die Rudelführerin schließlich. »Seit wir zusehen, quasselt Menynder ohne Unterbrechung.«

»Vielleicht fühlt sich der alte Tork in den letzten Tagen besonders sterblich«, sagte ihre Assistentin. »Vielleicht hat er einen Plan. Vielleicht geht es bei den beiden ja darum.«

Die Arbeit an der Todeswand war erledigt. Dort, wo die Verurteilten gestanden hatten, befanden sich nur noch Aschehäufchen. Die Suzdal sahen den Khaqan und seine Garde am westlichen Ende des Platzes hinter den verzierten Mauern des Palastes verschwinden. Die Soldaten formierten sich mitten auf dem Platz und marschierten davon.

Youtang beobachtete nach wie vor die beiden ins Gespräch vertieften Menschen. »Ich glaube, wir sollten uns ihnen anschließen«, sagte sie. »Man kann Menynder viel nachsagen, aber er weiß immer, wie man mit heiler Haut davonkommt.

Komm mit. Wenn es eine Möglichkeit gibt, hier lebend herauszukommen, dann möchte ich nicht, daß die Suzdal zurückbleiben.«

Die beiden Geschöpfe schoben sich durch die Menge.

In diesem Augenblick brach das Gewitter los. Als kurz darauf dicke Hagelkörner aus den Wolken niederprasselten und wie Granaten auf dem Pflaster zersprangen, hallten angsterfüllte Schreie über den ganzen Platz.

Die Lautsprecher entließen die Menge mit quäkenden Anweisungen.

Menynder und General Douw eilten gemeinsam davon. Als sie das Haupttor erreicht hatten, schlössen die beiden Suzdal zu ihnen auf. Die vier suchten Schutz hinter einer gewaltigen Statue des Khaqans, die sich auf einer Seite des Tores erhob".

Man wechselte einige Worte und nickte sich zustimmend zu.

Einen Augenblick später eilten die vier gemeinsam weiter.

Damit war die Verschwörung aus der Taufe gehoben.