Kapitel 41

Mahoneys Entlassung und Festnahme brachte die ohnehin schon schwankende Moral der Imperialen Streitkräfte völlig zum Zusammenbruch. Für Sten war Mahoney nicht nur Mentor und Freund, sondern er war der Mann, der ihm auf Vulcan das Leben gerettet hatte.

Für Kilgour, der Offizieren ohnehin wenig Vertrauen entgegenbrachte, war Mahoney, unter anderem, ein Anführer, den er respektierte. Damals bei Sektion Mantis, Jahre bevor er Sten begegnete, war Mahoney Alex' direkter Vorgesetzter gewesen.

Für Cind, Otho und die Bhor war Mahoney ein verehrter militärischer Anführer und Ratgeber. Wenn er den Imperator irgendwie verärgert hatte, dann hätte man ihm die Chance geben, müssen, sich vor Gericht zu verteidigen und sein Urteil zu erwarten, so ihre übereinstimmende Meinung - statt ihn wie einen Kriminellen von bewaffneten Schergen abführen zu lassen.

Für die l. Gardedivision war Mahoney nicht nur einer von ihnen, da seine militärische Laufbahn in ihren Reihen begonnen hatte, sondern ein hochdekorierter Kommandant.

Während der Tahn-Kriege war er ihr oberster General gewesen.

Ihr derzeitiger kommandierender General, Paidrac Sarsfield, war sogar noch Kompanieführer unter Mahoney gewesen - auf einer Höllenwelt namens Cavite.

Keiner von ihnen konnte verstehen, welche Fehler, geschweige denn welche namenlosen Verbrechen Mahoney angeblich begangen haben sollte.

Sie sprachen nicht darüber.

Ereignis und Situation waren dafür zu anrüchig. Nicht einmal unter sich zerrissen sich die Soldaten die Mäuler über das, was passiert war.

Sten hätte irgend etwas unternehmen müssen, um die Moral auf ein zumindest funktionales Niveau anzuheben; er hatte jedoch nicht die geringste Ahnung, was er tun konnte - und außerdem drohte noch ein weit schlimmerer Alptraum: die Suzdal/ Bogazi-Flotte, die mit einem Höllentempo näher kam.

Sten sah keine Möglichkeit, die Invasion aufzuhalten.

Zwei Truppenteile hielten ihren eigenen Kriegsrat ab, nachdem Mahoney abgesetzt worden war.

Die Gurkhas.

Und Flottenadmiral Mason.

Alex kam in Stens Büro gerannt und schlug donnernd die Tür hinter sich zu. Der Rahmen splitterte etwas, hielt aber.

»Also,« sagte er ohne Vorgeplänkel. »Ich habe gerade unseren Marschbefehl dekodiert. Keiner von uns wird marschieren. Strengste Geheimhaltung. Und er ist nicht einmal von unserem verdammt verehrten Imperator, lange möge er winken, sondern von irgendeinem verdammten Holzkopf in der Imperialen Zentrale verfaßt.«

Er hielt Sten den Ausdruck hin.

Er war nicht sehr lang:

MISSION WIE BESPROCHEN FORTSETZEN. DIREKTE

IMPERIALE ANWEISUNG FOLGT IN KÜRZE.

ERHALTET DIE ÖFFENTLICHE RUHE UND ORDNUNG.

»Ohne vorzuschlagen, wie«, sagte Alex. »Irgendein Blödmann da draußen ist am Durchdrehen - und ich weiß auch schon wer. Dieser tapfere fliegende Rochen hatte recht.«

Sten achtete nicht weiter auf Alex' verbale Attacken.

»Was sollen wir denn jetzt machen?«

Sten hatte eine Entscheidung getroffen. »Kannst du das Code-Log manipulieren?«

»Mit meinem linken Fuß. Willst du eine falsche Nachricht senden, die zum Angriff auffordert, oder was?«

»Falsch. Das läßt sich nicht durchziehen. Wir haben das hier niemals empfangen.«

»Ja, Sir.«

Kilgour wandte sich zum Gehen. »Weißt du was, alter Knabe? Wenn unser Arsch hierbei draufgeht, dann tue ich das nicht für den Imp. Egal, wie es ausgeht, er verdient meinen Schwur einfach nicht mehr.«

»Jetzt kümmern wir uns erst mal ums Abhauen. Ist sowieso unwahrscheinlich, daß wir hier noch lebend herauskommen«, schlug Sten in möglichst neutralem Ton vor.

»Admiral Mason, ich kommandiere Sie von der Victory ab.«

»Jawohl, Sir.«

»Ich möchte, daß Sie sich um die Reste der Flotte von diesem verdammten Langsdorff kümmern - und um die Begleitschiffe, die bei den Transportern der Garde verblieben sind.«

»Jawohl, Sir.«

»Die Victory wird abkommandiert und unter meinen direkten Befehl gestellt, genauso wie der Einsatzschiff-Träger, der es geschafft hat, zurückzukommen.«

»Die Bennington, Sir.«

»Richtig. Danke.«

»Wie lauten meine Instruktionen?« fragte Mason im gleichen eiskalten neutralen Tonfall.

»Wir bereiten die Evakuierung aller Imperialen Truppenteile von Jochi und aus dem gesamten Altai-Cluster vor. Wie wir mit unseren beschränkten Möglichkeiten genau vorgehen sollen, weiß ich noch nicht.«

»Was ist mit der 1. Garde?«

»Für die bin ich auch verantwortlich.«

»Jawohl, Sir. Darf ich mir einen Kommentar erlauben?«

»Sie dürfen«, sagte Sten.

»Glauben Sie wirklich, daß Sie über die nötigen Qualifikationen als General verfügen?«

»Admiral, ich glaube es gibt niemanden, der für einen Rückzug unter vollem Beschüß, so wie er uns bevorsteht, qualifiziert ist. Ich erinnere Sie jedoch daran, daß ich schon einmal durch solch einen Rückzug hindurchgetaumelt bin.

Während des Krieges. Auf einem Planeten namens Cavite.

Noch irgendwelche Beleidigungen?«

»Nein, Sir. Aber noch eine weitere Frage.«

Sten nickte.

»Wieso hat sich die Lage plötzlich so geändert? Ich dachte, der Imperator wollte den Altai-Cluster unter allen Umständen halten. Ich dachte, diese Achillesferse sei von einer großen diplomatischen Bedeutung, die ich nicht kenne.«

»Ich habe heute morgen unsere Rückzugspläne zur Erstwelt gesendet«, log Sten. »Ich sagte, daß wir den Cluster nicht halten können. Man hat mir nicht geantwortet. Deswegen schlage ich vor, unseren Rückzug voranzutreiben. Wenn sich die Situation ändert, werden Sie als einer der ersten davon erfahren.

Das wäre alles.«

Aufklärungsschiffe meldeten, daß die Suzdal/Bogazi-Flotte noch drei E-Tage von Jochis Sonnensystem entfernt war.

»General Sarsfield, sind Sie allein?«

»Jawohl, Sir.«

»Ich möche, daß Sie ihre Division zum Ausrücken fertigmachen. Alles, was Sie nicht zum Kampf benötigen, einpacken und bereithalten. Alles, was nicht unbedingt für einen Kampfeinsatz auf einem Planeten nötig ist, kann in den Versorgungsschiffen untergebracht werden. Wie lange wird Ihre Division dafür benötigen?«

»Vorgeschrieben sind zehn E-Stunden in vollem Alarmstatus. Aber wir schaffend in fünf.«

»Gut.«

»Darf ich fragen, wohin es geht?«

»Nach Hause. Hoffe ich jedenfalls. Aber vielleicht müssen wir bis dorthin ein paar Umwege machen.«

»Das reicht«, sagte Sten und rieb sich die Augen, die sich von innen und außen wie hartgekochte Eier anfühlten. Er löschte alle Bildschirme im Konferenzraum, und als das Wimmern des bevorstehenden Untergangs mit einem Mal nachließ, wurde es ganz still.

Er ging zum Tisch, auf dem ein abgedecktes Tablett stand, das er noch gar nicht bemerkt hatte. Er hob einen der Deckel auf dem Tablett hoch und nahm sich ein Sandwich. Es war nur leicht angetrocknet. Er warf es Alex zu und bediente sich dann selbst.

Daneben stand eine Karaffe. Er hob den Glasverschluß hoch und hielt schnüffelnd die Nase darüber. Stregg.

War das beabsichtigt?

Wieso nicht? Die Katastrophe blieb dieselbe, ob nüchtern oder mit Schlagseite.

Er schenkte ein, reichte Alex ein Glas, und sie prosteten einander zu.

Wunderbare Cind. Sie mußte irgend jemand angewiesen haben, eine kleine Stärkung hierherzubringen, nachdem sie das Kommando über die Wache der Botschaft übernommen hatte,

»Hast du schon eine Strategie entwickelt?« fragte Alex, während er das Sandwich verschlang und sich sofort ein zweites aussuchte.

»Meine Strategie besteht nur darin, daß wir versuchen, es irgendwie besser als auf Cavite hinzukriegen«, sagte Sten.

Mahoney hatte damals mit dem Rückzug der an Soldaten und Waffen unterlegenen Imperialen Streitkräfte begonnen, und Sten hatte die Aufgabe zu Ende geführt. Er hatte es geschafft, die Zivilisten und weniger als zweitausend Imperiale Soldaten herauszubekommen. Sten selbst endete als Kriegsgefangener.

Für seine Taten hatte man ihn mit den höchsten Orden ausgezeichnet und ihn als brillanten Militärführer gefeiert. Sten hatte das immer für nicht gerechtfertigt gehalten - seiner Ansicht nach war Cavite die totale Katastrophe gewesen, und seine Bemühungen hatten nichts weiter bewirkt, als das Schlimmste zu verhindern.

Zumindest gab es diesmal nicht viele Imperiale Zivilisten, die herausgeschleust werden mußten, von dem Personal der Botschaft einmal abgesehen.

»Ja«, stimmte ihm Alex zu, obwohl er Cavite niemals so hart beurteilt hatte wie Sten.

»Ich habe ein paar Ideen«, fuhr Sten fort. »Aber im Moment ist mein Gehirn irgendwie im Leerlauf.«

»Ist ja auch kein Wunder!« sagte Alex. »In einer Stunde ist schon Morgendämmerung. Vielleicht sollten wir uns einfach mal kurz hinlegen.«

Sten gähnte, er war plötzlich sehr müde. »Guter Gedanke.

Lassen wir uns in zwei Stunden wecken.« .

Es klopfte an der Tür.

»Ich geb' dem -«

»Herein«, sagte Sten.

Die Tür öffnete sich. Drei Gurkhas standen im Türrahmen.

Sten spürte plötzlich Ärger in sich aufsteigen. Trotz der vorgerückten Stunde waren alle drei wie zur Inspektion der Unterkünfte angezogen.

Er unterdrückte ein Stöhnen. Bei den Gurkhas handelte es sich um Jemedar Lalbahadur Thapa und die frisch beförderten Havildars Chittahang Limbu und Mahkhajiri Gurung.

Das letzte Mal hatte er dem Trio auf der Erstwelt gegenübergestanden. Sie hatten ihm angeboten, zusammen mit vierundzwanzig weiteren Gurkhas in seine Dienste zu treten, und mit diesem Vorschlag mit der langen Tradition der nepalesischen Söldner gebrochen, ausschließlich dem Ewigen Imperator zu dienen. Das Angebot hatte den Ewigen Imperator sichtlich verärgert.

Die Gurkhas salutierten. Sten erwiderte den Gruß und gab Befehl, bequem zu stehen.

»Tut uns leid, Sie um diese Stunde zu stören«, sagte Lalbahadur förmlich. »Aber das war der einzig passende Zeitpunkt, den wir finden konnten. Wir würden Sie gerne privat sprechen, wenn das möglich ist.«

Sten nickte - und Alex schluckte das Sandwich mit einem Haps hinunter, spülte mit Stregg nach und verschwand. Sten forderte die Gurkhas auf, Platz zu nehmen, doch sie wollten lieber stehen.

»Wir haben ein oder zwei Fragen, die die Zukunft betreffen und die wir uns nicht selbst beantworten können«, fuhr Lalbahadur fort. »Das ist natürlich reine Torheit, denn fraglos werden uns diese fiesen gefiederten Kapaune, die gerade massenhaft auf uns zugeflogen kommen, in winzig kleine Stückchen zerreißen, die anschließend auf dem Müllhaufen landen, wo sie dann von ihren Freunden, den Schakalen, vollständig vernichtet werden. Habe ich nicht recht?«

»Ohne Zweifel!« stimmte Sten zu. Alle vier lächelten. Oder bleckten zumindest die Zähne.

»Aber wenn wir uns einmal aus diesem Müllhaufen von Cluster zurückgezogen haben, worin werden unsere nächsten Pflichten bestehen?«

»Ich... Ich vermute, ihr werdet wieder in die Dienste des Ewigen Imperators zurückkehren. Zumindest so lange, bis eure Militärzeit abgelaufen ist.« Sten war von der völligen Bedeutungslosigkeit dieser Frage verwirrt. Er wunderte sich, warum die Gurkhas ausgerechnet jetzt seine Zeit dafür vergeudeten, aber in seinem Hinterkopf wußte er, daß diese Soldaten immer auf Umwegen bei wichtigen, aktuellen Fragen ankamen.

»Das denke ich nicht«, sagte Lalbahadur entschlossen. »Wir müssen unseren König auf der Erde befragen und unsere kommandierenden Offiziere der Leibwache, um ganz sicherzugehen. Aber ich denke es nicht.

Wir Nepalesen haben uns aus dem Imperialen Dienst zurückgezogen, als der Imperator getötet wurde; wir haben alle Angebote dieser Yeti-Nachgeburten, die sich selbst als Privatkabinett bezeichneten, abgelehnt, und wir sind erst mit dem Imperator zurückgekehrt.«

»Alte Geschichten, Jemedar. Und ich bin sehr müde.«

»Ich werde rasch zur Sache kommen. Wir sind der Meinung, es war ein Irrtum von uns, zurückzukehren. Dieser Imperator, dem wir dienen wollten, ist nicht derselbe, dem meine Leute früher gedient haben. Ich glaube, nicht er ist wiedergeboren worden, sondern ein Rakasha, ein Dämon, der seine Züge trägt.«

»Der Großvater meines Großvaters hätte gesagt, er gleicht nun Bhairava, dem Schrecklichen, und kann nur in Trunkenheit verehrt werden«, ergänzte Mahkhajiri Gurung zur weiteren Verwirrung.

»So gerne ich mich mit euch Gentlemen ein wenig im Dreck wälzen würde, aber können wir jetzt bitte zum Punkt kommen?« fragte Sten, den Wellen der Erschöpfung zu Boden zu drücken schienen.

»Kein Problem« meinte Lalbahadur. »Wenn wir unseren Vertrag damit nicht brechen, aber auch in diesem Falle, würden wir gerne auf einer dauerhaften Grundlage in Ihre Dienste treten, Sir. Und ich spreche hier wiederum nicht für uns drei, sondern für alle vierundzwanzig.«

>Na wunderbar, dachte Sten. Damit würde er dem Imperator sicher noch mehr ans Herz wachsen.

»Vielen Dank. Ich bin sehr geehrt. Ich werde Ihr Angebot nicht vergessen. Aber - und damit will ich nichts über das sagen, was ich tun werde, wenn wir aus diesem Misthaufen hier herauskommen - ich zweifle daran, daß ich eine Leibwache benötigen werde.«

»Sie irren sich, Sir. Aber das werden Sie später selbst sehen.

Danke, daß Sie uns auf diese Weise ehren.«

Die Gurkhas salutierten und zogen sich zurück, einen verwunderten Sten hinter sich lassend. Was zum Teufel hatte denn das nun wieder zu bedeuten?

Zur Hölle damit. Er war zu müde. Und er mußte sich noch einen Fluchtweg ausdenken, der sie aus dem Altai-Cluster herausführte.

»An Basis ... hier kleiner Lauscher Drei Vier Bravo«, kam es zerdehnt über Funk, mit einer Stimme, die sorgfältig darauf trainiert worden war, niemals Anstrengung, Streß oder Furcht zu verraten.

»Ich habe hier viele, viele feindliche Einheiten auf dem Bildschirm. Sie fliegen in Ihre Richtung. Geschätzte Ankunftszeit: zwanzig E-Stunden bei einer Restentfernung von zwei AE. Die Flugroute der feindlichen Einheiten -«

Das Funkgerät des Aufklärungsschiffs verstummte plötzlich.

Die Offiziere in der Funkzentrale von Masons neuern Flaggschiff, der Caligula, wußten, daß von Vier Bravo keine weiteren Meldungen mehr kommen würden.

»Admiral Mason«, sagte Sten. »Hier sind Ihre neuen Befehle.«

»Jawohl, Sir.«

»Ich möchte, daß Sie mit der gesamten Flotte von Jochi abheben und in einer Entfernung von ungefähr fünf AE eine offensive Position Ihrer eigenen Wahl einnehmen.«

»Jawohl, Sir. Ich will Ihnen nicht widersprechen, aber ich nehme an, daß Sie sich darüber im klaren sind, daß der Feind ungefähr achtmal so viele Schiffe wie wir aufbieten kann.«

»Meiner Berechnung nach ist das Verhältnis eher zwölf zu eins. Aber darauf kommt es nicht an. Sie sollen den Feind auf keinen Fall angreifen. Sie sollen sich lediglich gegen Suzdaloder Bogazischiffe zur Wehr setzen, die Sie in Ihrer Position anzugreifen versuchen. Sie sollen soweit wie möglich unser Gesicht wahren. Verstanden?«

»Verstanden. Sie wollen also versuchen zu bluffen?«

»Genau. Sie können ruhig irgendwelche Drohgebärden machen oder sich als Wilder Mann aufführen, solange Sie sich an meine Befehle halten.«

»Wie kommen Sie darauf, daß ich den Feind aufhalten oder zumindest seine Aufmerksamkeit gewinnen könnte? Ich weiß nicht, ob er dann womöglich wirklich glaubt, daß wir noch irgendeine Geheimwaffe in der Hinterhand hätten, oder ob er denkt, daß es sich hier um ein reines Selbstmordkommando handelt.«

»Angenommen, Sie wären ein Suzdal oder ein Bogazi und hätten gerade die tolle Luftnummer vom alten Langsdorff gesehen, würden Sie dann nicht auch denken, daß das Imperium zu fast allem imstande ist? Jedenfalls solange es etwas Dummes ist?«

Mason überlegte. »Zumindest ist es einen Versuch wert.«

Ohne noch mehr zu sagen, berührte er eine Taste auf seinem Bildschirm und unterbrach die Verbindung.

Sten hoffte wirklich, daß Mason überleben würde. Zur Hölle mit der dunklen Gasse und dem Knüppel; Sten nahm sich fest vor, diesen Typen Mason am hellichten Tag ins Pflaster zu stampfen - und zwar mitten auf dem Paradefeld von Schloß Arundel.

»Na schön, Leute. Kommt näher und hört genau zu.« Stens Ruf hallte durch den großen Einsatzschiff-Hangar der Victory.

Alle seine Kampfpiloten und die Piloten der beiden Geschwader der Bennington waren zu dieser Besprechung zusammengerufen worden.

»Wir machen's kurz. Sie können Ihre Mannschaften dann unabhängig von mir einweisen.

Folgendes: Die Invasions-Flotte kommt rasch näher. Wir können sie nicht aufhalten. Wir versuchen daher zumindest, den Mistkerlen das Leben so schwer wie nur möglich zu machen, damit unsere Zivilisten und unsere kleinen Soldaten ihre Ärsche in Sicherheit bringen können.

Ihr Jungs zieht das jetzt für mich durch, und zeigt endlich mal, warum ihr diese verdammten weißen Schals tragt und dafür auch noch dermaßen hohe Gehälter einsackt, für die wir Steuerzahler aufkommen.«

Die Piloten lachten und entspannten sich. Sie alle kannten Stens Abschuß-Rekorde als Kampfpilot an vorderster Front.

»Alles, was wir noch an schweren Geschützen haben, hat Admiral Mason. Er wird für unsere Freunde eine kleine Steptanz-Vorstellung geben und so tun, als ob er angreifen will. Dann müssen sie eine Art von Verteidigungslinie zwischen den Truppenschiffen und unseren Kähnen aufbauen.

Und dann seid ihr an der Reihe.«

Plötzlich wurde Sten ernst. »Commander ...

Geschwaderführer ... greifen Sie in der Formation an, die Ihnen richtig erscheint. Ihre Ziele sind die Transporter. Nur die.

Vernichten Sie sie. Wenn Sie sie außerhalb der Atmosphäre erwischen, verfolgen Sie sie nicht, um sie ganz fertigzumachen. Wenn sie bereits in der Atmosphäre sind, sorgen Sie dafür, daß keiner eine Bruchlandung hinlegt. Wenn sie versuchen, Truppenkapseln abzuwerfen, bevor das Mutterschiff erledigt ist, schießen Sie die Kapseln ab.

Wenn Sie sich innerhalb der Atmosphäre in Bodennähe befinden und feindliche Truppen sichten - knallen Sie sie nieder. Das gilt für Suzdal, Bogazi, Jochianer und Tork. Gehen Sie bei den Bordkanonen auf doppelte Feuergeschwindigkeit.

Wenn Ihre Schiffe mit Abwurfvorrichtungen für Bomben zur Personenbekämpfung ausgestattet sind, nehmen Sie derartige Bomben an Bord und setzen Sie sie ein.

Das ist ein direkter Befehl.

Bei diesem Einsatz möchte ich am Ende eine hohe Metzgerrechnung sehen. Und jedem Piloten, der sich hier irgendwie als Superstar aufspielen möchte oder sich auf Zweikämpfe einläßt, breche ich anschließend höchstpersönlich alle Knochen.

Denken Sie daran: Jeder Soldat, den Sie auf Jochi landen lassen, ist ein Soldat, der hundertprozentig versuchen wird, einen Imperialen Gardisten zu töten.

Das war's. Abtreten.«

Sten wurde es allmählich leid, ständig zu sagen: »Das ist ein direkter Befehl.«

Aber er wollte einfach sichergehen, daß keiner seiner Piloten sich irgendwelchen Illusionen hingab, es könne sich bei dieser Schlacht um etwas anderes handeln als einen letzten Grabenkampf ums Überleben.

Er hatte vor Jahren, Jahrhunderten, vor ganzen Äonen gesehen, was dabei herauskam, wenn die eine Seite versuchte, einen Krieg auf zivilisierte Art und Weise zu führen - und er hatte nicht nur miterlebt, wie sein erstes Kommando ausgelöscht worden war, sondern selbst auch schon zu viele Freunde begraben, um den blutdürstigen Bewohnern des Altai

Clusters irgend etwas anderes entgegenzubringen als mörderische Entschlossenheit.

Die Admiräle der Suzdal und Bogazi analysierten die Situation, während ihre Flotten sich Jochi näherten. Weder innerhalb der Atmosphäre noch im direkten Umkreis des Planeten schienen sich Imperiale Einheiten aufzuhalten.

Die einzige Kampfeinheit im ganzen System schien die kleine Imperiale Flotte zu sein, die in einiger Entfernung zwischen zwei von Jochis Monden bewegungslos im Raum hing. Erste Frage: Konnte diese Flotte ignoriert werden?

Negativ. Wenn die Imperialen Schiffe angriffen, würden sie einen ziemlichen Schaden unter den Truppentransportern anrichten. Zweite Frage: Sollte man die Landung auf Jochi hinauszögern, bis die Imperialen vernichtet waren? Auch negativ. So bedeutend war die Bedrohung nicht.

Außerdem wies ein politisch weitsichtiger Bogazi eindeutig auf eine Tatsache hin: »Unsere Allianz nicht sehr haltbar. Tork.

Jochianer. Suzdal. Früher oder später verhalten sie sich normal und stechen sich gegenseitig Messer in Rücken. Daher: Jochi sichern. Imperiale Soldaten vernichten. Imperiale Schiffe zerstören. Sobald Jochi sicher, Veränderung in Allianz besser zu verkraften.«

Die kampfkräftigsten Schlachtschiffe der Suzdal und Bogazi näherten sich Jochi nicht weiter, sondern bildeten zwischen Masons Flotte und dem Planeten eine Verteidigungsformation.

Und warteten ab.

Die kaum gepanzerten Truppentransporter hielten weiterhin auf den Planeten zu. Ihr einziger Schutz bestand aus mehreren weit auseinandergezogenen Zerstörer-Geschwadern.

Die erste Welle der Imperialen Einsatzschiffe erwischte sie in der Exosphäre von Jochi.

Hannelore La Ciotat war - in ihren eigenen Worten - eine scheißgefährliche, brandheiße Pilotin. Alle anderen waren ebenfalls dieser Meinung, die Piloten ihres Geschwaders eingeschlossen. Na gut, vielleicht nicht ganz so scheißgefährlich wie sie dachte, und bestimmt nicht so scheißgefährlich wie besagte Geschwaderkameraden selbst, aber doch ziemlich scheißgefährlich.

Sie hatte aus der Station des Armierungsoffiziers einen zweiten Zielsuchhelm an ihren eigenen Platz am Kontrollpult mitgebracht. Sie behauptete, es würde dabei helfen, auf dem Bildschirm nicht nur das zu sehen, was ihr Einsatzschiff gerade machte, sondern auch das, womit der Feind gerade den Schädel zertrümmert bekam.

Der Transporter stand fett mitten auf dem Bildschirm.

Sucher schoben sich an beiden Seiten entlang, Anzeigen flackerten auf, wurden von La Ciotat gelesen, dechiffriert, verstanden und doch nicht weiter beachtet.

»Näher... Näher... Reichweite.,. Reichweite«, leierte ihr Armierungsoffizier herunter.

»Stand by ...«

Der Transporter wurde größer.

»Von Kali runterschalten«, sagte La Ciotat kurz, und der Armierungsoffizier wechselte von der großen Killerwaffe mit enormer Reichweite zu den kleineren Goblins, die über mittlere Reichweiten verfugten.

»Reichweite ... Reichweite ... Reichweite.«

»Stand by ...«

La Ciotat war davon überzeugt, eine scheißgefährliche Pilotin zu sein; aber noch wichtiger war ihr Geheimnis: Sie war keine scheißgefährliche Schützin. Deswegen feuerte sie nur aus kürzester Distanz und ging so nahe ans Ziel heran wie möglich.

»Stand by ... verdammt!«

Die Sensoren des Transporters mußten das Kampfschiff erfaßt haben, denn er begann sofort mit dem Notabwurf seiner Truppenkapseln. Lange, mit Soldaten vollbesetzte Röhren wurden in die Atmosphäre von Jochi gespuckt.

»Transporter...«

»Wir sind noch dran.«

»Torpedo Eins! Feuer!«

Sie schob sich den Kontrollhelm auf den Hinterkopf, schenkte dem Geisterbild des Geschosses, das kurz darauf in den gerade im Abdrehen begriffenen Transporter einschlug, keinerlei Beachtung mehr. Ihre Finger tanzten auf den Kontrollknöpfen und brachten das Einsatzschiff zurück wie einen tödlichen Adler, der auf die auseinanderflatternden Wasservögel hinabstieß.

»Reichweite ... Reichweite ...«

»Goblins ... Mehrfachabschuß, Einzelziel-Abstimmung ...

einstellen!«

»Eingestellt! Reichweite ... Reichweite ...«

»Alles auf Automatik ... Feuer!«

Das Einsatzschiff verfügte über acht Goblin—

Abschußrampen, jede davon mit drei Geschossen bestückt. Die Rampen rückten ... und das Tacship vibrierte, als die mit Nuklearsprengköpfen bestückten Raketen abgefeuert wurden.

Neunzehn Truppenkapseln wurden zerrissen und kotzten schreiende, sterbende Soldaten in die Atmosphäre, Soldaten, die sich in der völligen Leere festzuhalten versuchten, während sie durch die Schwerkraft nach unten trudelten, schneller und schneller auf den weit entfernten Boden zu.

Plötzlich waren diese Ziele für La Ciotat keine unbelebten Simulationsfiguren auf einem Bildschirm mehr, sondern wurden lebendige Wesen; Wesen, deren Tod rasch auf die Explosion folgte, deren Lungen auf schreckliche Weise in der eiskalten Atmosphäre gefroren oder die, gnädigerweise, lange vor dem Aufprall das Bewußtsein verloren.

Und Hannelore »Volltreffer« La Ciotat sah den Tod aus nächster Nähe. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie übergab sich heftig, und Erbrochenes spritzte über die Bildschirme und Kontrollanzeigen.

Sie ließ beidrehen, um die zwanzigste und letzte Kapsel abzuschießen.

Sten beobachtete das Gemetzel auf einem Monitor im Kontrollraum der Botschaft. Er weigerte sich, die wahre Bedeutung der Lichtpunkte, die aufleuchteten und kurz darauf erloschen, zu erkennen. Er hätte auch an eines der oberen Fenster gehen und die Schlacht, die hoch über den Bergen von Rurik tobte, von dort aus betrachten können. Aber das wäre noch schlimmer gewesen.

Um ihn herum waren die letzten Angestellten der Botschaft fieberhaft damit beschäftigt, übriggebliebene Dokumente und Ausrüstungsgegenstände, die mitgenommen werden sollten, einzupacken.

Draußen im Garten loderte ein hohes Feuer, an das die restlichen Dokumente der Botschaft verfüttert wurden.

Sten war etwas überrascht, daß es weder Panik noch Ärger gegeben hatte. Kilgour erklärte es ihm: Er hatte eine Kompanie von Gardisten für die Sicherheit der Botschaft angefordert und die Bhor und Gurkhas angewiesen, ihre Waffen beiseite zu stellen und bei der Evakuierung zu helfen. Da aufgrund dieser Maßnahme auf vier Zivilisten jeweils ein erfahrener Kriegsveteran gekommen war, hatte überhaupt keine Panik entstehen können.

»Alles fertig, Boß, hat besser geklappt als auf Cavite.«

Damals hatte Alex' Aufgabe darin bestanden, die Zivilbevölkerung zu evakuieren - und er hatte sich geschworen, es nie wieder zu tun. »Was machen wir mit der Botschaft?

Lassen wir sie hochgehen? Oder legen wir ein paar versteckte Bömbchen?«

»Beides negativ. Vielleicht zieht hier ja bald ein anderer Botschafter ein. Warum sollen wir ihm das Leben unnötig schwermachen?«

Kilgour starrte unbewegt wie ein Gletscher vor sich hin.

Wen kümmerte es schon, was mit dem nächsten Regime geschehen würde, oder mit dem nächsten hirnverbrannten Holzkopf, der den Imperialen Groschen eintreiben wollte.

Aber er sagte nichts.

»Irgendwelche Prognosen hinsichtlich der Landetruppen, General?« erkundigte sich Sten.

»Sehr vorsichtige«, sagte Sarsfield. »Sie sind anscheinend mit, na, ungefähr zwanzig Divisionen eingeflogen. Fünf in der ersten Welle, fünf in der zweiten und dritten und fünf für die Reserve. Das ist meine grobe Schätzung, und ich hätte es genauso gemacht. Keine der Meldungen weicht davon ab, also bleibe ich erst mal bei dieser Annahme.«

»Weiter.«

»Im Moment würde ich sagen - und da bin ich mir ziemlich sicher -, daß sie es bis jetzt nicht geschafft haben, mehr als acht Divisionen auf den Boden zu bringen. Der Rest wurde entweder während der versuchten Landung vernichtet, oder aber er befindet sich aufgrund der Unterbrechung der Invasion noch in der Umlaufbahn.«

Sten zuckte zusammen, auch wenn es sich um Verluste des Feindes handelte. Die 1. Gardedivison hatte ungefähr eine Stärke von achtzehntausend Mann.

Angenommen; die Landetruppen der Suzdal und Bogazi hatten ungefähr die gleiche Sollstärke - und ein Bildschirm, der Informationen des Imperialen Geheimdienstes zeigte, bestätigte diese Annahme - dann ...

Dreihundertsechzigtausend Wesen! Und nur acht Divisionen hatten es geschafft! Die Invasionsstreitmacht hatte über fünfzig Prozent Verluste erlitten, bevor der eigentliche Kampf überhaupt angefangen hatte.

»Natürlich«, fuhr Sarsfield fort, »handelt es sich hier noch nicht um totale Verluste. Irgendwelche Einheiten der vernichteten Divisionen sind sicher gelandet. Aber als Nachzügler, Verletzte und so weiter - nicht weiter ernst zu nehmen.«

>Sarsfield ist ein echter Gardist<, dachte Sten. Er schien sich überhaupt keine Sorgen darüber zu machen, daß sich nun zumindest 150.000 feindliche Soldaten auf Jochi befanden und die Armee der Tork, die wahrscheinlich um die einhunderttausend Mann betrug, verstärkten; zuzüglich der halben Million, die in der Jochi-Armee diente. Eine Dreiviertelmillion Soldaten gegen achtzehntausend.

»Ich bin nur froh, daß sie bis jetzt offenbar keine schweren Waffen oder Artillerie gelandet haben«, fügte Sarsfield hinzu.

Aber Sten wußte, daß das gar nicht nötig war. Douw und den Jochianern standen auch so genug davon zur Verfügung.

Jetzt fragte er sich, wie lange es dauern würde, bis sie sich neu formierten, um dann die Stadt anzugreifen.

Aber er wußte auch diese Antwort im voraus. Nicht mehr als drei E-Tage.

Die Imperialen Verluste hielten sich in Grenzen - nur fünf Einsatzschiffe waren zerstört worden. Diese waren allerdings unersetzlich.

Sten, Sarsfield und Mason berieten sich auf einem dreifach abgeschirmten Funkkanal über ihr weiteres Vorgehen.

Eigentlich war ganz klar, was als nächstes hätte geschehen müssen: Das Imperiale Personal hätte sich an Bord der verbliebenen Raumschiffe begeben und ins All beziehungsweise Richtung Heimat abhauen sollen.

Leider gab es dabei zwei kleine Probleme: Die Suzdal/Bogazi-Flotte, die Jochi eingekreist hatte - und die heranmarschierenden alliierten Raumlandedivisionen.

Fast ein Dutzend Frick-&-Frack-Teams waren ausgesandt worden, bis Kilgour endlich einen seriösen Bericht darüber bekam, daß sich die Konföderation der Altaianer in Bewegung gesetzt hatte.

Sten hatte zwei Vorteile: erstens Masons Schiffe im Bereich der Monde Jochis; eine Bedrohung, die den Admirälen der Flotte der Suzdal und Bogazi ausreichend Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Zweitens hatte er innerhalb der Atmosphäre Luftüberlegenheit, oder zumindest ausreichend viele Einheiten, um den Luftraum über ihren Köpfen verteidigen zu können.

Es war unwahrscheinlich, daß die schweren Kampfschiffe der Suzdal und Bogazi dort draußen im Weltraum die Imperialen Streitkräfte in Rurik mit Raketen beschießen würden. Denn keiner der Alliierten - und auch die beiden nonhumanoiden Rassen machten hier keine Ausnahme - würde es als einen noblen Sieg bezeichnen, wenn dabei die langjährige Hauptstadt des Clusters zerstört werden würde.

Selbst für diese Wesen wäre das einem Pyrrhus-Sieg zu nahe gekommen.

Die Flotte würde sich ebenfalls davor hüten, ihre Manövrierfähigkeit aufs Spiel zu setzen, nur um ein paar Einsatzschiffe zu vernichten - Einsatzschiffe, die womöglich mehr als nur einen Angreifer mit in den Untergang rissen, wenn man sie angriff. Und niemand setzte ein Schlachtschiff oder einen Kreuzer gegen eine Seifenkiste mit fünfzehn Mann Besatzung aufs Spiel.

Andererseits lieferte Douws sich langsam voranbewegende Armee so etwas wie einen einwandfreien Schutzschirm, der den Imperialen Schiffen den Luftraum allmählich streitig machen würde. Es handelte sich hier also nur um ein zeitlich begrenztes Unentschieden.

Plötzlich entdeckte Sten noch zwei weitere Sonnenstrahlen an seinem gedanklichen Firmament. Zum einen stand ihm eine gut ausgebildete, disziplinierte Streitmacht zur Verfügung: die 1. Gardedivision, die obendrein ausgeruht und bis jetzt noch nicht im Kampf eingesetzt war. Zum anderen war es so gut wie sicher, daß man seine Imperialen Bürger, hatte er sie erst einmal aus Rurik evakuiert, nur in begrenztem Umfang verfolgen würde.

Das Imperium einfach aus dem Altai-Cluster zu vertreiben, würde sicherlich als ausreichend großer Sieg definiert werden.

Jedenfalls aus Sicht der Altaianer.

Er hörte schweigend zu, wie Sarsfield und Mason die verschiedenen Möglichkeiten durchgingen und verwarfen, während sie einen Fluchtweg aus diesem altaianischen Sandwich zu finden versuchten, in dem die Imperialen Streitkräfte festsaßen. Eine vage Idee glomm in ihm auf. Er betrachtete sie von allen Seiten. Die Sache schien einen Versuch wert zu sein. Obwohl es wahrscheinlich nicht funktionieren würde. Aber selbst wenn, schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr kommen. Oder etwa doch?

»Mr. Kilgour«, wandte er sich förmlich an Alex, der etwas abseits saß. Mason und Sarsfield zuckten leicht zusammen.

Ihnen war völlig entgangen, daß Alex ebenfalls anwesend war.

»Haben wir einen Code, der eigentlich nicht mehr benutzbar ist? Keinen völligen Humbug, aber einen, den sie ohne allzuviel Anstrengung knacken könnten, zumindest teilweise?«

Alex zuckte mit den Schultern und rief den Ciffrier-Experten der Botschaft an. Mason machte Anstalten, etwas zu sagen, aber Sarsfield brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

Fünf Minuten später präsentierte Kilgour drei verschiedene Geheimcodes, von denen der Experte moralisch überzeugt war, daß sie teilweise - vielleicht aber auch vollständig - dechiffriert waren.

»Sehr gut. Warum machen wir nicht folgendes ,..« Und Sten gab in groben Umrissen die erste Stufe seines Plans bekannt.

Sarsfield sagte gar nichts, da diese erste Stufe weder ihn noch seine Männer betraf. Sten konnte sehen, daß sich Mason bemühte, fair zu sein und dabei eigentlich nichts anderes sagen wollte, als daß alles, was dieser verdammte Sten vorbringen konnte, sowieso wertlos war.

»Mein größter Einwand ist der, daß wir es schon einmal versucht haben«, sagte Mason nach einer Weile.

»Nicht ganz, Admiral«, sagte Sten. »Nur die einfache Version dieses Tricks. Haben Sie jemals >Wo ist die Murmel«

gespielt?«

»Natürlich. Ich war einmal ein Kind.«

Sten bezweifelte das, fuhr jedoch fort: »Das erste Mal, als Sie es versucht haben, haben Sie einfach gelogen. Dann haben Sie die Wahrheit gesagt. Dann wieder gelogen. Zunehmende Unehrlichkeit.

Das werden wir jetzt auch versuchen. Falls keiner mit einer besseren Idee kommt oder eine völlige Schwachstelle aufdeckt.«

Und so begann Stufe zwei des Bluffs.

Zuerst scherte ein Zerstörer aus Masons Flotte aus und nahm Kurs auf das Kerngebiet des Imperiums und die Erstwelt.

Einmal außerhalb der Reichweite auch der besten Ortungsgeräte von Suzdal-und Bogazi-Schiffen sandte der Zerstörer eine kodierte Botschaft an Masons Flotte und an die belagerte Botschaft auf Rurik.

Sten wartete sechs Stunden lang und beobachtete Alex'

Frick & Fracks, während sich die altaianische Armee langsam näherte.

>Gott sei Dank kommen sie nur langsam voran. Laßt uns dafür Othos Göttern Sarla und Laraz danken.< Sten nahm an, daß es eine reine Vorsichtsmaßnahme war, da keiner der Alliierten jemals zuvor gegen die Imperialen Streitkräfte gekämpft hatte. Davon abgesehen kam es wahrscheinlich zu unvermeidlichen Reibereien bei der Koordinierung der Allianz, insbesondere in diesem Fall, wo jeder jeden haßte.

Er hatte seinen Einsatzschiffen Befehl gegeben, als Luftartillerie einzugreifen und ab und zu genau festgelegte Ziele wie Kreuzungen, Hauptverkehrswege und ähnliches zu bombardieren.

Dann meldeten Freston und Masons Nachrichtenoffizier praktisch gleichzeitig, es habe plötzlich viel Aufregung und auffallend viele Funkverbindungen von Schiff zu Schiff in der Suzdal/Bogazi-Flotte gegeben, Nachrichten, die in einem nur selten benutzten Code verfaßt waren - der daher als hochrangig eingestuft werden mußte. Außerdem waren codierte Funksprüche in Richtungen ausgestrahlt worden, die vermuten ließen, daß es sich um Nachrichten an die Heimatwelten der Suzdal und Bogazi handelte.

»Mr. Mason?«

»Ja, Sir. Wir sind auf dem Weg.«

Der Fisch nagte am Köder.

In der Tat hatte sich Sten noch eine zweite Version des Bluffs ausgedacht, den er mit Mason gemeinsam durchzog; sie gaben jetzt vor, einer sich nähernden Imperialen Flotte Nachrichten zuzusenden.

Der Zerstörer, der sich auf seine Anweisungen hin aus Masons Flotte abgesetzt hatte, hatte in einem leicht dechiffrierbaren Code eine Nachricht gesandt, die scheinbar von der Vorhut einer gewaltigen Imperialen Streitmacht kam.

Diese mythische Streitmacht befahl Mason, seine Position bei Jochi zu räumen und ihr statt dessen als vorgeschobener Schutzschild zu dienen; die belagerten Kräfte auf dem Planeten würden sich eine Zeitlang selbst verteidigen müssen.

Der Funkspruch besagte weiterhin, Mason erhalte später detailliertere Anweisungen, die sich nähernde Imperiale Flotte sei jedoch speziell dafür bestimmt, die abgefallenen Suzdal und Bogazi zu bestrafen - schlauerweise wurden mit keinem Wort menschliche Dissidenten erwähnt -, indem sie die Hauptwelten der Nonhumanoiden angreifen sollte, frei nach dem Motto, wie du mir, so ich dir.

Sten gelang dieses Täuschungsmanöver nur zu gut, denn er hatte schlichtweg nicht in Betracht gezogen, daß sich die Rassen und Kulturen des Altai-Clusters, wären sie in der gleichen Lage wie das Imperium gewesen, exakt auf diese Weise verhalten hätten.

Drei E-Stunden später verließen die schweren Schlachtschiffe der Suzdal und Bogazi ihre Umlaufbahnen und hielten mit Höchstgeschwindigkeit auf ihre eigenen Sonnensysteme zu.

Sten versuchte, die ausgetüftelte Geometrie der Astronavigation im Auge zu behalten, und dachte, daß sie ihre Heimatwelten vermutlich auf Kurs x ansteuern würden. Ein Kurs, der auf jeden Fall direkter war als derjenige, auf dem sich angeblich Mason befand, und mit Sicherheit ein Kurs, der nicht mit dem y Kurs der riesigen Imperialen Streitmacht kollidierte.

Hm-hm. Ein Haufen Stoff für jemanden, der in der Elementarstufe der Raumpilotenschule Nachhilfeunterricht im Fach Einzelschiff-Astronavigation nötig gehabt hatte. Es würde nicht funktionieren - oder zumindest nicht sehr lange. Sten hoffte, daß es zumindest für den folgenden Schritt reichen würde. Und für Mason, um hinter der Suzdal/Bogazi-Flotte abzutauchen und dahin zurückzukehren, wo er dringend wieder gebraucht wurde.

In jedem Fall war es ihnen gelungen, die eine Hälfte des Sandwiches zu entfernen.

Vier Stunden später drangen die ersten Erkundungstrupps der Armee der altaianischen Konföderation in die Außenbezirke von Rurik ein.

Sten hatte Sarsfield seine Hoffnungen mitgeteilt, nicht seine Befehle. Er wollte nicht, daß die l. Garde das Gefühl hatte, ihr wäre befohlen worden, ein ähnlich unmögliches Ding wie Bastogne oder die Thermopylen durchzuziehen.

Haltet sie auf. Verwickelt sie in Gefechte. Gebt ihnen das Gefühl, daß wir zurückschlagen.

Sarsfield hatte, genau wie Sten, die Truppenstärken durchgezählt. Keiner der beiden rechnete ernsthaft damit, daß dieser dritte Bluff funktionieren würde. Schließlich ist es sehr schwer, jemanden zu bluffen, der drei Asse und den Joker auf dem Tisch liegen hat und mit beiden Ellbogen seine Trumpfkarte davor schützen kann, umgedreht zu werden während man selbst nur vier verschiedene Farben und eine Scheibe Salami auf der Hand hat.

Die feindlichen Spähtrupps bewegten sich ungestört voran.

Ihre Nerven wurden jedoch auf eine harte Probe gestellt.

Hier fanden sie eine verlassene Barrikade vor; dort hatte man Fahrzeuge umgekippt. Dort drüben drehte sich eine Art Antenne. Unverständliche Codes waren auf den Straßenbelag gesprüht worden.

Die Spähtrupps bewegten sich mit zunehmender Vorsicht.

Keinerlei Anzeichen von Imperialen Soldaten.

Das war auch nicht sehr wahrscheinlich -

die

Erkundungstrupps der Garde waren darauf spezialisiert, unsichtbar zu bleiben.

Frick & Fracks schwirrten weit hinter den Linien herum und warteten darauf, daß sich die ersten schweren Waffen und Gleiter in die Stadt schoben. Niemand riskierte gerne seine wertvollen Panzer oder die noch teureren Landefähren in der Rattenfalle des Straßenkampfs. Aber die altaianischen Soldaten hatten keine Wahl.

Sie saßen in der Falle.

Sarsfield gab der Artillerie Befehl, das Feuer zu eröffnen.

Seine eigenen Kanonen und Boden-Boden-Raketenwerfer hatten genau vorherbestimmte Ziel erfaßt, Ziele, die jetzt durch die Fahrzeuge des Feindes verdeckt wurden.

Die Einsatzschiffe schössen aus den Hangars ihrer Mutterschiffe, die in der Nähe des riesigen Parks hinter der Botschaft gelandet waren. Dort, wo auch die Transporter landen sollten.

Hannelore La Ciotat - scheißgefährlich wie eh und je - riß ihr Einsatzschiff hoch, sah, wie sich der Turm - und mit ihm die Kanone - des gepanzerten Kettenfahrzeugs bedrohlich zu drehen begann, jagte einen Schwarm Raketen aus den Rohren am Bauch ihres Schiffes, leerte zwei Magazine ihrer vorderen Schnellfeuerkanone und machte sich aus dem Staub.

La Ciotat fluchte ununterbrochen. Verdammt. Da hätte sie ja gleich zur verdammten Infanterie gehen können. Sie jagte eine Straße hinunter, ein gutes Stück unterhalb der Dächer, bereits auf der Suche nach einem anderen Ziel.

Diese Einheit war vernichtet und damit die Wucht des Angriffs für einen kurzen Moment unterbrochen.

Aber der Feind flutete weiterhin in die Stadt hinein.

Die aus Panzern und Infanterie bestehende gemischte Kampfgruppe der jochianischen Armee näherte sich rasch und sehr geschickt dem Stadtzentrum. Hier bewegte sich eine hervorragend ausgebildete Einheit auf vertrautem Terrain. Die Panzer vernichteten alles, was für die Infanterie eine Nummer zu groß war, und die Infanteristen ließen den Panzerabwehrschützen wenig Chancen, ihre großen Freunde zu zerstören.

»Batterie A ... Feuer!« Die vier Imperialen A-Grav-Landefähren schienen zu explodieren. Bei jeder Explosion handelte es sich in Wirklichkeit um achtundvierzig Raketen, die von den Rampen an der hinteren Seite der überdimensionierten Gleiter abgefeuert wurden. Die nunmehr unbewaffneten Fähren stiegen mit Höchstgeschwindigkeit auf und flogen einem neuen Ziel entgegen.

Bei den Raketen handelte es sich einfach nur um treibstoffgefüllte Röhren mit einem Sprengkopf an der Spitze.

Ihre Genauigkeit betrug plus/minus fünfzig Meter bei einer Reichweite von vierhundert Metern. Wahnsinnig mies. Wenn aber 192 Raketen mit jeweils fünfzig Kilo Sprengstoff in ihren Sprengköpfen gleichzeitig auf ein Gebiet von hundert Meter Seitenlänge niedergehen und dieses Gebiet auch noch von einer erstklassigen Infanterieeinheit inklusive Panzern besetzt ist, dann kann das Resultat sehr beeindruckend sein.

Kein einziger Infanterist überlebte.

Einige Panzer waren getroffen und beschädigt worden. Die meisten waren jedoch noch kämpf tauglich.

Aber dann kamen die Zweimann-PA-Teams aus ihren Verstecken inmitten der Trümmer. Ihre einfachen Raketenwerfer spuckten Feuer.

Doch die Konföderation marschierte weiter.

Der Himmel war schwarz, und in einiger Entfernung türmten sich Wolken auf, die Sturm verkündeten.

Kilgour wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wenn das Wetter umschlägt, verlieren wir noch diese winzigen Einsatzschiffe.«

Cind zog eine Grimasse. Die Einsatzschiffe wären bei jedem Wetter flugfähig, doch unter diesem Begriff hatte sich niemand ernsthaft vorgestellt, daß ein Raumschiff durch die City einer Stadt flog und dabei mit hauptsächlich visueller Zielerfassung einen Feind auf dem Boden bekämpfte und keine Zeit darauf verwandte, die örtliche Architektur zu schonen.

Oder, wenn die Architektur so solide wie auf Rurik war, sie zu zerstören.

Sekunden später brach der Sturm los. Riesige Regentropfen stürzten herab. Kilgour fluchte, suchte Schutz, den es nicht gab, und seine Sprache wurde noch blumiger als sonst, während die Hagelkörner auf ihn niederprasselten.

>Na, ausgezeichnet, dachte er. >Nicht genug damit, daß wir einen einsamen Kampf gegen alle Menschen hier führen, von einigen Nonhumanoiden ganz abgesehen; jetzt hat uns der Wettergott auch noch auf seine rote Liste gesetzt!< Technischer Offizier La Ciotat stand neben ihrem Einsatzschiff, ohne auf den Regen zu achten, der durch das offene Hangartor der Victory hereinspritzte. Das Schiff stand direkt hinter der Botschaft, ganz in der Nähe des anderen Einsatzschiff-Trägers, der Bennington.

»Sir, ich würde es versuchen«, argumentierte sie. »Wir benutzen die Kali-Sensoren außen an der Abwurf-Röhre, und ich gehe an die Instrumente und suche mir meine Ziele mit den Kalisensoren vorne an den Torpedorohren, und dann schalte ich auf die Instrumente um und kriege meine Zielinfo von den Raketen selbst.«

»Abgelehnt«, befahl ihr Commander. »Wir stecken hier fest.

Wenn wir von hier wegfliegen, dann nur noch in Richtung All.

Oder, falls es anders kommt, dann veranstalten wir hier richtige Kamikaze-Flüge, keine halben Sachen. Das ist ein Befehl.«

»Ich habe Nachrichten erhalten, daß meine Artillerieleute bereits auf Sicht feuern«, sagte Sarsfield tonlos. »Sie kommen näher, Sten.«

»Sagen Sie ihnen, sie sollen ihre Kanonen vergessen und sich in Richtung der Transporter bewegen.«

»Jawohl, Sir.«

»Wie steht's mit der Munition?«

Sarsfield besprach sich kurz mit einem Adjutanten.

»Alle Bataillone sind noch voll ausgerüstet, mit Ausnahme derjenigen, die jetzt an Bord gehen, und des Ersten Bataillons, das eine defensive Stellung auf dem Platz der Khaqans hält.

Ich fürchte«, sagte Sarsfield, »das Erste wird unseren Rückzug decken müssen. Verdammt. Aber sie haben sich ja freiwillig dafür gemeldet«, schloß er traurig. >Wie auch alle anderen Bataillone der 1. Gardedivision<, dachte Sten.

»Das Personal der Botschaft ist bereits an Bord«, sagte Sten.

»Wie angeordnet, haben alle Imperialen Schiffe abzuheben, sobald das Erste Bataillon die Angreifer in einen Kampf verwickelt hat und seinerseits mit einer Gegenattacke beginnt.

Die Victory wird bis zum letzten Moment warten, um alle Gardisten, die sich nach eurem Start noch aus dem Gefecht lösen können, mitzunehmen. Und damit schließe ich diese Station hier.«

»Roger. Begeben Sie sich jetzt an Bord der Victory?«

»Negativ«, sagte Sten. »Ich begebe mich zum Ersten Bataillon. Sten, Ende.«

Sarsfield hatte keine Zeit mehr, zu protestieren. Sten stand auf, dehnte seine steifgewordenen Muskeln und griff nach seinem Kampfanzug.

Alex, der ebenfalls passend angezogen war, hielt die Klamotten schon für ihn bereit. Sie liefen in Richtung Treppe.

Kilgour drehte sich um und zog an einem Stück Draht, dann gingen sie treppauf in Richtung Erdgeschoß.

Zehn Sekunden später gingen in der Funkzentrale und im Besprechungszimmer die Sprengladungen hoch.

»Hast du einen Plan?« erkundigte sich Kilgour.

»Klar«, erwiderte Sten. »Viele Pläne. Um Frieden beten.

Nicht getötet werden. Es bis zur Victory schaffen, bevor sie abhebt. Bei Einbruch der Dunkelheit den Kontakt abbrechen, ins Landesinnere vordringen und mich irgendwo verkriechen.«

»Und wie lange dauert es deiner Meinung nach«, fragte Kilgour weiter, »bis der verdammte Imperator eine Rettungsmannschaft für einen Mann losschickt, der seine Befehle mißachtet hat?«

»Hab Vertrauen, Alex«, sagte Sten. »Früher oder später werden wir schon nach Hause schweben.«

Im Hof vor der Botschaft standen Cind, die Gurkhas und die Bhor in Habacht-Stellung aufgereiht. Sie warteten.

Sten war nicht überrascht.

Aber fast wären ihm die Tränen gekommen.

Cind salutierte, Regen tropfte von ihrer Nase.

Er salutierte ebenfalls, und seine durchnäßte kleine Truppe marschierte im Laufschritt davon, den breiten Boulevard hinunter in Richtung Platz der Khaqans, um an der Abschiedsvorstellung teilzunehmen.

Flottenadmiral Mason starrte mißmutig auf den Bildschirm, auf dem das Jochi-System immer größer wurde. >Dieser ganze Auftrag war von vorne bis hinten ein verdammter Blödsinns dachte er.

>Erst muß ich für Sten, diese Witzfigur, auf seiner verdammten Yacht den Chauffeur spielen. Dann spiele ich Verstecken mit irgendwelchen Nonhumanoiden, und jetzt auch noch Ich-sehe-was-was-du-nicht-Siehst mit einem Haufen Verrückter.

Weiter, weiter, es sind alles bloß Schatten, genau wie ich es Sten gesagt habe, damals auf der Erstwelt, einer Welt, in der alles nur grau ist und es keine Wahrheit gibt.

Ich habe wirklich Besseres vom Ewigen Imperator verdients dachte er wütend. Und fragte sich, wie er seinen Imperator darauf aufmerksam machen konnte, wenn dieses Desaster hier hinter ihm lag.

>Zumindest wird es keine Entlassung und kein Kriegsgericht geben, wie es Mahoney aus welchen Gründen auch immer passiert ist<, dachte er. >Ich habe meine Anweisungen exakt befolgte

Und solange er das tut, kann ein Soldat nichts falsch machen.

»Landung auf Jochi in ... zwei E-Stunden«, sagte sein wachhabender Offizier.

Die altaianischen Soldaten marschierten voller Vertrauen auf den Platz der Khaqans. Der Widerstand war immer schwächer geworden. Jetzt standen sie kurz davor, den Palast zu stürmen und die verhaßten Imperialen endgültig zu vernichten.

Ein Freudenschrei ertönte. Hier war das Herz, hier war der Thron. Das hier war das Zentrum der Macht. Von jetzt an - und zu diesem Thema entwickelte jeder Soldat, je nach Zugehörigkeit zu welcher Spezies, unterschiedliche Gedanken

- würden die Herrscher des Altai-Clusters aus ganz anderem Holz geschnitzt sein.

Der Gegenangriff begann.

Die Mehrfachraketenwerfer waren von den Gleitern abmontiert und hinter Balustraden, Terrassen und Statuen verborgen worden. Auslöser wurden bedient, und die Raketen zischten davon, horizontal über den Platz hinweg.

Ohrenbetäubende Explosionen und ihre Echos erschütterten den Platz, und dann ging das Erste Bataillon zum Gegenangriff über. Es rollte einfach über die zurückweichenden altaianischen Soldaten hinweg.

Wenige Sekunden später dröhnte erneut der Donner über den Platz. Doch diesmal kamen die krachenden Schläge weder vom Sturm noch von den Raketenwerfern der Garde.

Feuer erhellte die Dunkelheit, die hier als Tageslicht galt, als die Imperialen Transporter aus dem Park aufstiegen und mit voller Geschwindigkeit nach oben, in Richtung Weltraum davonflogen.

Sten beobachtete, wie sie in den Sturmwolken verschwanden. >Sehr gut. Sehr gut<, dachte er. >Besser als auf Cavite.

Und jetzt wollen wir mal sehen, ob es noch eine Möglichkeit gibt, wie ich meinen eigenen, jugendlichen Arsch heil hier herausbekommen

Der Regen war mittlerweile zu einem windgepeitschten Wolkenbruch geworden, und Donnerschläge krachten pausenlos über Cinds Kopf, während der Sturm über den großen Platz der Khaqans röhrte.

Sie lag flach auf dem Boden, nutzte eine zerschossene Treppe als Deckung und achtete nicht darauf, daß sie in einer Pfütze lag, die sich langam vom Blut eines neben ihr liegenden Gardisten scharlachrot färbte.

Ihr eigenes Gewehr lag unbeachtet neben ihr.

Ein Präzisionsgewehr für Scharfschützen war hier denkbar fehl am Platz. Weit entfernt, auf der anderen Seite des Platzes, der mit abgestürzten Gleitern und zerstörten Panzern übersät war, aus deren Türen trotz des Sturms Flammen herausloderten, machte sich die Armee der altaianischen Konföderation zu einem zweiten Angriff bereit.

Zeit war vergangen. Wieviel Zeit, wußte sie nicht.

Der Feind formierte sich neu und griff an.

Zuerst hatten sie es mit Panzerfahrzeugen versucht, doch die in den oberen Stockwerken des Palastes stationierten Gardisten feuerten mit Pak-Geschützen auf die verwundbaren Oberdecks der Panzer.

Dann kam eine Welle von schnellen Gleitern, die versuchte, durch die immer spärlicher werdenden Linien der Gardisten durchzubrechen. Sie wurden aufgehalten.

Dann griff die Konföderation mit Wogen um Wogen von Infanterie an. Schulter an Schulter marschierende Infanteristen, Männer wie Frauen, die Hurra-Rufe ausstießen und tapfer, geradezu selbstmörderisch in das fast ununterbrochene Gewehrfeuer hineinliefen.

Sie starben; aber die Imperialen Gardisten starben ebenfalls.

Sie hatte Alex gesehen, wie er sich fluchend einen provisorischen Verband auf eine nur oberflächliche Verwundung am Oberschenkel legte, bevor er sich wieder in die Schlacht stürzte. Auch Otho war getroffen worden.

Nachdem seine Wunden verbunden worden waren, war er jedoch auf der Suche nach einer Mörsercrew der Gardisten in die vorderste Gefechtslinie zurückgekehrt.

Cind fragte sich, wie vielen Attacken sie noch widerstehen konnten, zwei, drei oder nur noch einer, bevor sie von den Konföderierten überwältigt wurden.

Es hatte keine einzige Gelegenheit gegeben, sich aus dem Kampf zu lösen, um wenigstens den Versuch zu unternehmen, an Bord der Victory zu gelangen - falls das Schiff überhaupt noch am Boden war.

Sten warf sich neben ihr in den Matsch.

Beide sahen völlig verdreckt aus. Und blutig. Wenigstens war es nicht ihr eigenes Blut. Ihre Augen funkelten.

»Und?«

»Noch zwei Magazine übrig, Boß.«

»Hier.« Er schob ihr noch ein Magazin mit AM2-Patronen zu.

»Sei melodramatisch«, schlug sie vor. »Küß mich.«

Sten grinste, wollte gerade gehorchen und zuckte dann zurück, als er das Knirschen näherkommender Panzerketten hörte. »Oh, das hat ja noch gefehlt. Sieh mal!«

Die neue Angriffswelle bestand aus Panzerfahrzeugen und Infanterie. Und ganz vorne, im allerersten Panzer, stand ...

Cind griff nach ihrem ScharfschützenGewehr und justierte das Visier. Sie sah das kernige Gesicht und das silberne Haar.

»Er ist es! Möchtest du das Vorrecht?«

»Mach schon. Ich habe mich hier schon ausreichend amüsiert.«

Der Mann im Panzer war General Douw. Cind vermutete, daß er diesen Angriff für die letzte Attacke hielt, die die Imperialen Kräfte endgültig überwältigen würde. Deswegen hatte er beschlossen, sie selbst anzuführen.

Tapfer.

>Tapfer, aber dumm<, dachte Cind, als sie am Abzug zog und die AM2-Patronen die Brust von Douw zerfetzten.

»Vielen Dank«, sagte Sten.

Cind griff nach der Willygun. Die näherkommenden Soldaten hatten den Tod ihres Führers nicht einmal bemerkt.

Welle auf Welle schob sich auf den Platz. Cind taxierte die Reihen und entschloß sich dann zu warten, bis sie noch näher herangekommen waren.

Ihr Blick wanderte zum Himmel hinauf. Plötzlich riß sie die Augen auf.

»Jamchyyd und Kholeric«, flüsterte sie voller Verehrung und rief die Bhor-Götter an, als würde sie wirklich an deren Existenz glauben. »Sarla und Laraz.«

Wie eine große, schwarze Schlange schob sich der Zyklon über die Dächer der Stadt und hinterließ auf seinem Weg eine tiefe Schneise. Hinter der ersten, röhrenförmigen Wolke ... kam eine zweite heran. Eins ... zwei ... insgesamt zählte Cind sechs Zyklone, die wie Tänzerinnen in den Hüften hin und her zuckten und unaufhaltsam näherkamen.

Sten erinnerte sich: >... tausend Menschen in vierzig Minuten töten ... einen Strohhalm durch einen Amboß hindurchtreiben ... fünf Einsatzschiffe umwerfen ... einen Viertelklick weit ...<

Die Tornados wirbelten unterwegs Abfall und Schutt auf.

Ein Dach. Einen Schuppen. Einen Gleiter. Einen Mannschaftstransporter. Ein zerschmettertes Einsatzschiff.

Einen Mann. All diese Dinge schleuderten sie herum, zerstörten sie, verstümmelten sie bis zur Unkenntlichkeit und benutzten sie dann als Waffen.

Cinds Ohren dröhnten; sie schluckte.

Das Röhren war jetzt lauter als das Gewehrfeuer, und die altaianischen Truppen hielten in ihrem Marsch inne. Sie drehten sich herum - und sahen die Zyklone.

Der erste Wirbelrüssel hatte soeben den Platz der Khaqans erreicht.

Wie ein Staubsauger, der kleine Staubhäufchen beseitigt, raste er durch die Soldaten und ihre Waffen. Schleuderte sie hoch, warf sie achtlos beiseite.

Sten sprang auf die Füße.

Schreiend. Kreischend. Ungehört.

Er winkte - Zurück! Zurück! - und weg. Zur Victory!

Der zweite Tornado hatte den Platz der Khaqans erreicht.

Die Rüssel drehten sich und wirbelten herum, als seien sie sich über ihr weiteres Vorgehen noch nicht sicher.

Die Imperialen Soldaten wichen vor diesen neuen Dämonen, denen keiner gewachsen war, zurück.

Sie gerieten nicht in Panik. Sie rannten, aber langsam, halfen den Verletzten, die nur humpelnd vorankamen; mit all ihren Waffen, die sie nur zurückließen, um beim Transport von Krankentragen zu helfen.

Dort, wo der breite Boulevard auf den Platz mündete, blieben Sten und Alex stehen. Hier hatte Sten die Victory in Richtung Botschaft entlangdonnern lassen. Seither schienen Jahrhunderte vergangen zu sein.

Als ein weiterer Tornado die Bühne betrat, verwandelte sich der Platz der Khaqans in einen schwarzen Wirbel.

Palastmauern wurden eingerissen und in die Luft geschleudert, deren Druck so niedrig war, daß fast ein Vakuum entstand. Der Zyklon nahm die umherfliegenden Teile auf und jagte sie Tausende von Metern hoch in die dichte Wolkendecke hinein.

Der Luftkanal schwankte noch einmal mit heulendem Wind und zunehmender Geschwindigkeit nach vorn, mitten durch den Palast hindurch, der einst der Stolz der Khaqans gewesen war und für kurze Zeit Dr. Iskra beherbergt hatte.

Der Palast verschwand in einem großen Wirbel.

Die Kollegen des Tornados, die sich aus dieser großen, bedrohlichen, mauerähnlichen Wolke herausentwickelten, kamen näher und mähten unerbittlich die altaianischen Soldaten nieder, und damit die unsichere Konföderation, für die sie gekämpft hatten, sowie die sinnlose Eitelkeit des Palastes.

Und sie ließen nichts zurück. Nichts als Chaos.

Die Victory stand noch immer wartend auf ihrem Landeplatz im Park der Botschaft.

Jochi lag eine AE unter ihnen, als Sten auf der persönlichen Frequenz des Imperators mit höchster Sendeleistung einen offenen Funkspruch abstrahlte; ein zweiter Funkspruch gleichen Inhalts ging an die Imperiale Verwaltung: ALLE IMPERIALEN EINHEITEN IN GUTER

VERFASSUNG VON JOCHI EVAKUIERT UND

UNTERWEGS MIT KURS ERSTWELT. ALTAI-CLUSTER

IN OFFENER REBELLION GEGEN DAS IMPERIUM.

STEN

>Jetzt kannst du mich meinetwegen vors Kriegsgericht bringen, du verrückter Bastard< dachte er.