Kapitel 37
Sie saßen auf einer Bank an Menynders trübem Tümpel. Der alte Tork sagte kein Wort, als Sten die Zukunft des Altai-Clusters in düsteren Farben heraufbeschwor.
»Wir befinden uns an einem jener Punkte der Geschichte, die sowohl in die Katastrophe führen als auch neue Wege eröffnen können. Was als nächstes passiert, hängt von Ihnen ab.«
»Nicht von mir«, sagte Menynder. »Nur Leute, die noch Hoffnung haben, treffen Entscheidungen. Im Moment habe ich für mein Volk genausoviel Hoffnung wie darauf, in diesem verdammten Teich einen Fisch zu fangen.« Er machte eine Geste in Richtung des toten Gewässers.
»Irgend jemand wird Iskra ersetzen«, sagte Sten. »Aber wahrscheinlich tauscht ihr einen Despoten durch den anderen aus. Warum wollen Sie alles dieser Wahrscheinlichkeit überlassen?«
»Kein einzelnes Wesen ist in der Lage, den Altai-Cluster mit Erfolg zu regieren«, erwiderte Menynder. »Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Keiner von uns ist verdammt einfach im Umgang.«
»Doch, ist mir aufgefallen«, sagte Sten trocken.
»Wir sind einfach hoffnungslos. Wir töten einander genauso schnell, wie wir atmen. Der Mann an der Spitze ist zugleich der erfolgreichste Killer. So funktioniert unser dummes System nun einmal. Der größte und mieseste Stamm macht die anderen so oft wie möglich fertig. Und bleibt auf diese Art groß und mies.«
»Ich war gerade dabei, etwas anderes vorzuschlagen«, sagte Sten. »Ich wollte den Vorschlag machen, eine Art Koalitionsregierung zusammenzustellen.«
Menynder schnaubte verächtlich. »Koalition? Im Altai-Cluster? Sehr, sehr unwahrscheinlich.«
»Sie haben es doch beinahe schon einmal geschafft«, sagte Sten geradeheraus.
Menynders Augen wurden schmal. »Was meinen Sie?«
Sten wurde noch direkter. »Das berühmt-berüchtigte Dinner mit dem alten Khaqan. Ich habe dieser Geschichte nie so recht Glauben geschenkt.«
»Was glauben Sie denn dann?« Menynders Stimme war sehr kühl. »Meiner Ansicht nach war der alte Khaqan nicht einmal eingeladen«, sagte Sten. »Er hätte sich niemals mit Suzdal, Bogazi und Tork an einen Tisch gesetzt. Von einem gemeinsamen Essen ganz zu schweigen.
Ich glaube, daß Sie... General Douw... Youtang und Diatry
... vorher überhaupt nichts von seinem Erscheinen wußten. Sie saßen wahrscheinlich alle zusammen in diesem Raum, um gemeinsam zu überlegen, wie man ihn loswerden könnte. Und Sie sind das einzige Wesen in diesem Cluster, das dazu in der Lage ist, alle repräsentativen Wesen für einen bestimmten Plan an einem Tisch zusammenzubekommen.«
Stens Lächeln war kalt. »Und wenn das stimmt«, sagte er,
»dann kann man daraus eigentlich nur folgern, daß Sie auch das einzige Wesen sind, das imstande ist, eine Koalitionsregierung, wie sie mir vorschwebt, zusammenzustellen.«
Menynder sagte nichts. Stens Lob enthielt auch eine Anklage.
»Das einzige, was ich mir nicht zusammenreimen kann, ist, wie ihr den alten Halunken umgelegt habt.«
»Ich war es nicht«, sagte Menynder. Einen Herzschlag lang herrschte Stille. Dann: »Wir waren es nicht.«
Sten zuckte mit den Schultern. »Es ist mir gleichgültig, ob so oder so.«
»Sie würden einen Mörder zum Herrscher machen?«
Sten sah ihn an. »Nennen Sie mir einen hier, der kein Mörder ist.«
Menynder dachte eine Zeitlang nach. Endlich sagte er:
»Was passiert, wenn ich nicht auf Ihre Idee eingehe? Lassen Sie die Sache dann auf sich beruhen?«
Sten sah ihn unbarmherzig an. »Diesmal nicht.«
»Dann habe ich eigentlich gar keine Wahl«, sagte Menynder.
»Vielleicht nicht. Aber wir werden uns sicher noch besser verstehen, wenn Sie glauben, Sie hätten die Wahl.«
»Dann sage ich wohl besser ja, und zwar verdammt schnell«, erwiderte Menynder.
»Genauso sehe ich das auch«, lautete Stens Antwort.
»Schon wieder Menynder«, brauste der Imperator auf.
»Warum kommst du immer wieder mit diesem Typen an.«
»Weil er noch immer der beste Mann für diesen Job ist«, erwiderte Sten.
Der Ewige Imperator sah ihn durchdringend an. »Ist das so ein >Ich hab's ja gleich gesagt<, Sten? Willst du mir damit zu verstehen geben, daß ich Mist gebaut habe, als ich Professor Iskra ausgewählt habe?«
»Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, Sir.«
»Warum höre ich dann ständig diesen vorwurfsvollen Tonfall?« fragte der Imperator.
»Professor Iskra war der Beste aus einer armseligen Auswahl, Sir«, mischte sich Mahoney ein. »Daran hat nie jemand gezweifelt. Aus diesem Grunde glaube ich auch, Sir, daß Stens Idee jetzt ihre Vorteile hat.«
»Komitees verabschieden lausige Gesetze«, sagte der Imperator. »Das war schon immer so. Schneller als es sich irgend jemand vorstellen kann, hat jedes Mitglied seine eigene Tagesordnung, die auf reinem Egoismus basiert. Konsens wird zum Witz, für den man mit dem Verlust von Macht, Geld, Vergnügen oder allem gleichzeitig bezahlt.«
Der Imperator leerte sein Glas. Über Millionen Lichtjahre hinweg forderte sein holographisches Abbild Mahoney und Sten mit einer Geste dazu auf, dasselbe zu tun. »Verdammte Komitees«, sagte er. Seine Stimmung schien sich jetzt jedoch geändert zu haben.
Gläser wurden ausgetrunken und erneut gefüllt. Sten setzte zum Sprechen an, erhielt jedoch von Mahoney einen Wink und schloß daher die Lippen, um seinem ehemaligen Mentor das Spielfeld zu überlassen.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir«, sagte Ian. »Mit mehreren anderen gemeinsam zu regieren, das kann verdammt frustrierend sein. Aber, Sir, käme diese Möglichkeit in diesem Fall, als vorübergehende Lösung, nicht vielleicht doch in Frage? Und könnte daraus vielleicht eventuell nicht sogar doch ein Dauerzustand werden?«
»Erklärung«, forderte der Imperator.
»Eine Koalition zusammenzustellen hat vielleicht den Nebeneffekt, daß sich alles ein wenig beruhigt. Man schiebt der Gewalt einen Riegel vor.«
»Dieser Logik kann ich folgen«, sagte der Imperator.
»Weiter.«
»Wie wäre es, wenn wir der Koalition zeitliche Vorgaben machen? Das und das muß bis dann und dann erledigt sein.
Wenn nicht, ist damit die Koalition beendet. Automatisch.«
»So eine Art Sonnenuntergangs-Gesetz«, erwiderte der Imperator.
»Genau. Das Komitee muß bis zu dem von Ihnen genannten Zeitpunkt durch ein stabileres System ersetzt werden.«
Der Imperator dachte nach. Dann sagte er: »In Ordnung. Ihr habt gewonnen. An die Arbeit.«
»Danke, Sir«, erwiderte Sten und verbarg seine Erleichterung. »Eine Sache wäre da noch ...«
Der Imperator fegte den Rest des Satzes beiseite. »Ja. Ich weiß schon. Ihr braucht noch irgendeine dramatische Geste, mit der ich deutlich mache, daß ich diese Koalitionsidee unterstütze.«
»Genau, Sir«, erwiderte Sten.
»Wie wäre es mit einer königlichen Audienz? Schickt Menynder und die anderen zur Erstwelt. Ich sorge bei Hofe dafür, daß man auf sie aufmerksam wird. Gesegnet sei ihre heilige Friedensmission und der ganze Quatsch. Ich schicke sie als Helden zurück in ihre Heimat. Wird das ausreichen?«
»Das wäre ganz wunderbar, Sir«, sagte Sten.
Der Imperator beugte sich zu dem Knopf, der die Verbindung unterbrach. Er hielt kurz inne. »Seht zu, daß nichts schiefläuft«, knurrte er kurz. Dann war sein Bild verschwunden.
Sten drehte sich zu Mahoney. »Ian ... jetzt hast du aber verdammt noch mal einen gut bei mir!«
Mahoney lachte. »Trag es in deine Buchführung ein, Junge.
Trag es einfach dort ein.«
»Hier spricht Connee George, live vom Raumhafen Soward.
Die Landung der Delegation aus dem Altai-Cluster wird hier jeden Moment erwartet, meine Damen und Herren. Und was für eine gewaltige Menge hier auf dem Landefeld zusammengekommen ist, um sie willkommen zu heißen, nicht wahr, Tohm!«
»Ja, das hier ist wirklich ein großes Erstwelt-Begrüßungsfest, Connee. Mein Gott! Was für ein bedeutender, historischer Augenblick! Ich bin sicher, unsere Zuschauer sitzen wie gebannt vor ihren Livies und warten auf einen exklusiven KRCAX-Erstweltblick auf diese wirklich ungewöhnliche und bemerkenswerte Delegation. Was wohl jetzt so in den Köpfen unserer Zuschauer vor sich geht, Connee? Das würde ich wirklich gerne wissen!«
»Wahrscheinlich genau dasselbe wie in meinem Kopf, nämlich - WOW, was für eine tolle Geschichte!«
»Das kann man wirklich sagen, Connee. Es ist wirklich ...
äh ... Sag uns doch mal, was du in diesem ... äh ... historischen Moment denkst, Connee.«
»Na ja, im offiziellen Pressebulletin des Imperators steht, daß sich an Bord vier Wesen befinden, die ein bestimmtes Ziel haben. Und dieses Ziel heißt - Frieden. Aber in dem Bulletin steht nicht alles, Tohm.«
»Nein, bestimmt nicht... äh ... oder?«
»Entschuldige mich, Tohm, ich will mal eben sehen, ob uns Captain P'wers noch ein bißchen näher ans Geschehen heransteuern kann. Können Sie zur linken Seite des Landefelds hinüberfliegen, Gary?«
»Ich werd's versuchen, Connee. Aber hier ist ziemlich viel los, und der Tower macht uns Schwierigkeiten bei der Freigabe.«
»Die machen eben auch ihre Arbeit, Gary, stimmt's? Und was für eine tolle Arbeit!«
»Genau, Connee ... Okay ... Moment... O Mann, woher kam denn der Gleiter?«
»Wahrscheinlich die Konkurrenz, Gary. Ha-ha.
Entschuldige, daß ich so aufgekratzt bin, Tohm; ich bin sicher, unsere Zuschauer werden dafür Verständnis haben.«
»Aber sicher, Connee. Die wissen doch, daß wir aus diesem Grunde das Nachrichten-Team Nummer Eins der Erstwelt sind, nämlich KRCAX-Erstwelt, Connee.«
»Keine Frage, Tohm. Jetzt sieh dir dieses Bild an!«
»Das ist ja echt beeindruckend. Sehr gute Arbeit, Captain P'wers!«
»Danke, Tohm. Verdammt! Raus aus meinem Luftweg, ihr Mist...«
»Aufpassen, Gary. Die Kids schauen auch zu. Ha-ha ... Jetzt haben wir also eine exklusive Aussicht für unseren exklusiven Live-Bericht. Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, Connee, noch etwas Hintergrundinformation zu liefern.«
»Richtig, Tohm. Nun ja, nach dem tragischen .Tod von Professor Iskra wartete der Ewige Imperator mit einem neuen Plan auf. Alle Fachleute sind sich darin einig, daß es sich bei diesem Plan um einen wahren Geniestreich handelt, der sämtliche Probleme im turbulenten Altai-Cluster auf einen Schlag lösen wird.
An Bord dieses Raumschiffes hier befinden sich Wesen, die ihre Region in eine neue Ära des Friedens führen wollen.
Vorsitzender dieser außerordentlichen Delegation ist Sr.
Menynder. Und sein Volk, die Tork, steht zu tausend Prozent hinter ihm.«
»Und so sollte es auch sein, Connee. Jetzt erzähl uns doch noch mal von den ... äh ... anderen. Wie du schon sagtest, eine sehr bemerkenswerte Gruppe, stimmt's, Connee?«
»Genau, Tohm ... Die Suzdal werden von Youtang angeführt, eine der fähigsten Diplomaten des Altai-Clusters.
Bei den Bogazi finden wir eine Persönlichkeit von vergleichbarer Bedeutung. Ihr Name ist Diatry Und, last not least, Sr. Gray, Führer der einflußreichen Jochianer.«
»Super zusammengefaßt, Connee. Jetzt darfst du unseren Zuschauern aber auch nicht vorenthalten, welche Festlichkeiten für diese ... äh ... bemerkenswerte Delegation geplant sind.«
»Ja, Tohm, du kannst sicher sein, daß wir hier auf der Erstwelt diese Gelegenheit nicht auslassen werden, unsere berühmte Gastfreundschaft zu demonstrieren. Es geht los mit der großen Begrüßung auf Soward.«
»Ich darf kurz unterbrechen, Connee, ich will unsere Zuschauer nur rasch daran erinnern, daß wir dieses Ereignis ebenfalls live übertragen werden. Sobald die Delegierten gelandet sind.«
»Na, mach schon, Tohm!«
»Äh ... alles schon passiert, Connee. Ha-ha.«
»Ha-ha. Okay Danach hat der Ewige Imperator eine große öffentliche Feier im Palast geplant. Die bringen wir natürlich auch.«
»Exklusiv, Connee. Live und exklusiv.«
»Genau, Tohm. Nach der Feier gibt es einen großen, fürstlichen Ball heute abend. Dann -«
»Tut mir leid, wenn ich Sie unterbrechen muß, Connee, aber vom Tower wird gemeldet, daß das Schiff jetzt hereinkommt.«
»Das braucht Ihnen nicht leid zu tun, Gary, es ist ja schließlich Ihr Job. Ha-ha. Schau'n wir mal, wie dicht wir herankommen können. Unsere Zuschauer sollen einen echten KRCAX-Erstwelt-Bericht erhalten.«
»Die im Tower werden ausflippen.«
»Keine Sorge, Captain P'wers. Das sind alles gute Kumpels.
Außerdem -«
»Weiß schon, Connee ... tun sie auch nur ihre Arbeit.«
Menynder warf einen Blick auf den Bildschirm, während sie sich dem Raumhafen näherten. Unwillig gestand er sich selbst ein, daß er aufgeregt war.
>Aufgeregt wie ein kleines Kind, du dummer alter Tork.
Aber was soll's? Seien wir doch ehrlich. Du warst in deinem ganzen Leben noch nirgendwo. Und jetzt sollst du tatsächlich die Erstwelt sehen. Das ist doch der Traum aller seit... seit eigentlich schon immer. <
Menynder kicherte in sich hinein und warf einen kurzen Blick auf die anderen Mitglieder der Delegation. Die waren mindestens genauso aufgeregt wie er selbst. Er stellte fest, daß Youtangs scharfes Grinsen ein dämliches Zucken hatte. Diatrys Schnabel stand weit offen, als sie auf alle Wunder der Erstwelt starrte. Gray, den Jochianer, konnte er nicht sehen. Er hörte jedoch, wie er vor Freude gluckste.
>Vergiß es, Menynder. Hier geht es um ein seriöses Geschäft. Ja. Klar. Aber warum kann ich gerade jetzt nicht noch einmal jung sein? Ich treffe den Ewigen Imperator. In seinem großen, waschechten Schloß. Vielleicht schüttle ich sogar die Hand des Imperators. Verdammt. Verdammt.
Verdammt. Wenn meine Mama mich doch jetzt sehen könnte.< Menynder sah, wie ein Gleiter plötzlich quer über den Bildschirm schoß. Auf seiner Seite stand KRCAX-Erstwelt.
Wahrscheinlich irgendein Nachrichtenteam, nahm er an.
Nachlässig fragte er sich, ob der Captain des Gleiters nicht vielleicht etwas zu dicht herangekommen war. Ach was. Hier waren die Besten der Besten versammelt, oder etwa nicht? Ein göttergleiches Nachrichtenteam der göttergleichen Erstwelt.
Richtige Profis. Er war sich sicher.
Aber - oh, verdammt noch mal. Der Gleiter kam immer näher! He ... was war hier los?
»Achtung!« schrie Gray. »Wir werden gleich -«
Menynder hatte noch eine Sekunde Zeit, den
Zusammenprall zu spüren, und er sah, wie der Bildschirm erst weiß und dann schwarz wurde, bevor er völlig erlosch. Er hörte noch das Knacken seines zusammenbrechenden Sessels.
Menynder wurde nach vorne geschleudert. Die Wand der Kabine raste auf ihn zu.
Er hörte Schreie Schreie Schreie. Und er dachte ... >O
Scheiße!<
»Sie hören KBSNQ, live vom Raumhafen Soward. Für alle Zuschauer, die erst jetzt eingeschaltet haben: Es hat sich hier, auf dem wichtigsten Raumhafen der Erstwelt, eine fürchterliche Tragödie ereignet.
Eine Delegation hochrangiger Persönlichkeiten aus dem Altai-Cluster, deren Ziel es war, hier Friedensgespräche mit dem Ewigen Imperator zu führen, ist beim Landeanflug mit dem Gleiter eines hiesigen Nachrichtenteams kollidiert.
Alle Wesen an Bord der beiden Maschinen sind wahrscheinlich tot. Eine Imperiale Untersuchungskommission befindet sich bereits vor Ort. Auf Anordnung des Ewigen Imperators werden alle Flaggen für eine einwöchige Trauerwoche auf halbmast gesetzt.
Wir kehren jetzt zu unserem normalen Programm zurück, das wir sofort unterbrechen werden, sobald sich neue Entwicklungen abzeichnen. Hier spricht Pyt'r Jynnings, live für KBNSQ. Geben Sie uns zweiundzwanzig Minuten - und wir geben Ihnen das Imperium.«