Kapitel 32
Poyndex rief den Bericht noch einmal auf seinem Bildschirm ab. Es hatte sich nichts Wesentliches daran verändert, seit er ihn vor ungefähr drei Minuten zum letzten Mal gelesen hatte. Wäre es nicht der Bericht eines vertrauenswürdigen Feldagenten gewesen -
soweit ein
Agentenführer überhaupt jemals einer Quelle vertrauen darf -, so hätte er sicher angenommen, daß ihn jemand entweder auf den Arm nehmen wollte oder aber, daß dieser Bericht schon seit den weit zurückliegenden Tagen des Privatkabinetts zirkulierte.
Damals auf der Erde hatte Poyndex sich geschworen, von jetzt ab »ein besserer Mensch zu werden« und damit aufzuhören, auf alles und jeden Agenten anzusetzen, um herauszufinden, »was wirklich los war«. Aber das gelang ihm natürlich nicht. Niemand, der sich je in der Schattenwelt bewegt hatte, konnte noch ernsthaft daran glauben, daß sich die Wahrheit im hellen Scheinwerferlicht präsentierte.
Der Bericht besagte, daß jemand dem Kult des Imperators gewaltige Summen zuschob. Genau wie damals Kyes im Privatkabinett. Bei der Person handelte es sich nicht um einen
»anonymen Wohltäter«, dessen Spur sich problemlos zurückverfolgen ließ. Die Credits flössen durch alle möglichen Kanäle herein, die man eine Weile zurückverfolgen konnte, bis alle Spuren unweigerlich in einer Sackgasse endeten.
Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, ließ Poyndex die Daten über den Kult noch einmal mit einer offenen Suchfunktion bearbeiten. Nach wenigen Minuten hatte er eine Antwort.
Da ging eine ganze Menge vor sich. Hochrangige Kult-Mitglieder, über die bereits seit Poyndex' Tagen beim Mercury Corps Files existierten, ließen ihre Träume wahr werden. Dabei wurden sie kräftig unterstützt - häufig über die Köpfe ihrer früheren Vorgesetzten hinweg.
Poyndex' Nackenhaare stellten sich plötzlich steil auf. Seine Finger drückten hastig auf die Tasten, überstürzt brach er die Suchfunktion ab. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn.
Poyndex überlegte und grinste dann.
Wahrscheinlich war er paranoid. Aber sein ganzer Körper war von demselben Gefühl unmittelbar bevorstehender Gefahr erfüllt wie damals, als die Bombe aus den Imperialen Eingeweiden entfernt worden war.
Er war dankbar dafür, daß er seinen Computer so programmiert hatte, daß er mit Datenlücken und virtuellen Inputs arbeitete. Ein einigermaßen tüchtiger Experte hätte etwa die Suchfunktion zurückverfolgen können. So führte ihn die Spur lediglich zu einem jedermann zugänglichen Bücherei-Terminal auf einer weit entfernten Grenzwelt.
Der Kult des Imperators war aktiv.
Er schob eine verborgene Abdeckung am Rand der Tastatur zur Seite, brachte zwei Tasten gewaltsam miteinander in Berührung und gab so den OVERRIDE-Befehl, der ihn einen Fingernagel kostete.
Poyndex konnte sich nur eine einzige Person vorstellen, die es fertigbrachte, so viele Kultisten wie Marionetten hin und her zu bewegen, und die über so viele geheime Kanäle verfügte, durch die derartige Geldströme fließen konnten ...
Sein Computer löschte sich sofort selbsttätig und wurde entsprechend der herrschenden Militär-Regelung überschrieben. Dann löschte er sich erneut, um noch einmal überschrieben zu werden.
Der Ewige Imperator selbst...
Poyndex' Computer klickte, und das dritte und letzte Programm wurde geladen; Dateien und ein Programm, das alle Aktivitäten, die Poyndex im Laufe der letzten E-Woche durchgeführt hatte, ausschloß.
Welchen Vorteil konnte der Imperator aus dem Kult des Imperators ziehen?
Poyndex fühlte sich etwas sicherer.
Wollte er vielleicht, um alles in der Welt, daß man aus ihm einen Gott machte?
Eine Kälte, die noch jenseits des absoluten Nullpunkts zu liegen schien, kroch plötzlich in Poyndex' Glieder, und er spürte, daß er sich niemals mehr sicher fühlen und niemals mehr dem vertrauen würde, woran er bis jetzt immer noch geglaubt hatte.
Sr. Ecu, der emeritierte Diplomat des Universums, legte sich in die Kurve, wurde fast hinausgeschleudert und wünschte sich, seine Spezies verstünde mehr von den fraglos erhebenden Vorteilen des Profanen und des Obszönen.
Unter ihm war nichts als arktische Trostlosigkeit.
Graue Wogen schlugen mit gewaltiger Kraft gegen den einsamen, steil aufragenden Felsen zu seiner Rechten. Links neben ihm trieb ein monströser Eisberg dahin. Er schimmerte leuchtend blau auf der schieferfarbenen See - die einzige Primärfarbe, so weit das Auge reichte. Eine Farbe von geradezu schmerzender Verlorenheit.
Ecu wollte nicht über diese Welt zu Gericht sitzen, aber er fand, daß sie den ganzen Charme der Hölle des Christentums besaß, wenn auch ohne das Feuer.
Auf einem Floß aus Eis weit unter ihm bewegte sich ein winziger Punkt. Er fixierte den Punkt genauer, der sich als riesige, fleischige Wasserkreatur entpuppte, ein Wesen, das mit seiner schwabbeligen Speckschwarte, seinen Eckzähnen und seiner Haut wie geschaffen für diese gefrorene Hölle war, ein Geschöpf, das das Wetter wahrscheinlich für eine nette kleine Frühjahrsbrise hielt.
Es war nicht leicht zu begreifen, daß dieses unbekannte Wesen da unten auf dem Eisfloß wie ein primitiver Fischfresser aussah und dabei höchstwahrscheinlich einer der bedeutendsten Philosophen dieser Welt war. Oder einer der bedeutendsten Dichter.
Ein schneidender Windstoß erfaßte ihn, und Ecu verlor beinahe wieder die Kontrolle. Sein drei Meter langer Schwanz peitschte die Luft, als er versuchte, seinen Flug zu stabilisieren, während sich die großen weißen Flügel bogen, um dem Druck standzuhalten; die kleineren Beiflügel mit den rotgefärbten Spitzen waren ständig damit beschäftigt, Ecus übertriebene Korrekturen auszugleichen.
Er war zu alt und würdevoll für diesen Unsinn; für einen Alleinflug durch einen Polarsturm, als sei er eben erst flügge geworden und habe zum ersten Mal die Freuden des Fliegens für sich entdeckt.
Er dachte daran, daß das ganze Projekt, das er ausgeheckt hatte, nach billigem Melodram schmeckte, so, wie es Kindern und Einfaltspinseln gefiel, mit charakteristischen Helden und Verbrechern. Der Einzelgänger im Kampf gegen Das Böse und so weiter.
Davon abgesehen glaubte Sr. Ecu - und er litt sehr unter diesem Glauben -, daß er das einzige Lebewesen war, das sich dieses gewaltigen Bösen bewußt zu sein schien; dieses Bösen, das alles vernichten konnte. Das, so fuhr er in seinen Gedanken fort, war blanke Absurdität, und er mußte sich selbst dafür auf die Schulter klopfen, daß er jemand war, der gelernt hatte, daß es so gut wie keine Wahrheit gab und auch kein reines Licht der Erkenntnis. In diesem Bereich gab es lediglich verschiedene Grauschattierungen, die sorgfältig analysiert und interpretiert werden mußten.
Vielleicht hatte Rykor ihre Leute, die nur daraufwarteten, den Manabi gekonnt ruhigzustellen und ihn in einen gepolsterten Raum zu bringen, wo er den Rest seines Lebens damit verbringen würde, irgend etwas über den Ewigen Imperator vor sich hin zu brabbeln.
Vielleicht hatte er deswegen das Material vorausgeschickt und es mühsam in einen exotischen Code übertragen, dessen sie sich damals, in den Tagen des Tribunals, häufiger bedient hatten, als die Mitglieder des Privatkabinetts sich vor Gericht für ihre Verbrechen verantworten mußten.
Sr. Ecu versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen, und wünschte sich, mit ebensowenig Erfolg, daß er seinen inneren Aufruhr beruhigen könnte. Er dachte schuldbewußt daran, daß einer der Gründe für seinen undisziplinierten Geist in seiner tiefsitzenden Furcht zu suchen war. Furcht verhinderte logische Analysen.
Obwohl es keineswegs unbegründet war, sich zu fürchten.
Sr. Ecu hatte dem Ewigen Imperator bei vielen Gelegenheiten zur Seite stehen dürfen, und er hatte sogar seine eigene Spezies davon überzeugt, ihre Neutralität aufzugeben und den Imperator während der Tahn-Kriege heimlich zu unterstützen. Er gab sich jedoch keinerlei Illusionen darüber hin, was der Imperator vermutlich machen würde, wenn er irgendwelche Informationen über die Gedanken, den Glauben und die Mission Sr. Ecus erhielte.
Das war einer der Gründe dafür, warum er seine eigene Welt verlassen hatte, ohne jemand über seine Mission oder sein Ziel zu unterrichten. Er hatte die Reise in Rykors Heimat auf einem Freihandelsschiff der Zigeuner angetreten - eine weitere Beziehung, die aus den Tagen des Tribunals herrührte und von einem Mann initiiert worden war, der den Wunsch hatte, daß alle fliegen konnten: Sten.
Sten hatte Ecu durch ein simples Geschenk zur Unterstützung des Tribunals verleitet: ein selbstgebasteltes kleines holographisches Display von einem irdischen
»Luftzirkus« aus längst vergangenen Zeiten, in dem erdgebundene Menschen ihr Leben dadurch aufs Spiel setzten, daß sie in zweiflügeligen, mit Brennstoff betriebenen Flugzeugen herumflogen, für die jeder Archaeopteryx, der etwas auf sich hielt, nicht mehr als ein Naserümpfen übrig gehabt hätte.
Angesichts des Modells hatte sich Sr. Ecu sehr gewundert:
»Haben die das wirklich getan ... Sie müssen wissen, daß ich keine Vorstellung davon habe, wie es ist, durch einen dummen genetischen Zufall ständig an den Boden gefesselt zu sein.
Mein Gott, wie sehr sie sich wünschten, fliegen zu können.«
»Für ein bißchen Freiheit sind viele Wesen bereit, sehr viel zu riskieren«, hatte Sten erwidert.
Er fragte sich, wie es dem Menschen in seinem Altai-Cluster wohl ergehen mochte. Hoffentlich gut. Im Hinblick auf die neueste Nachrichtensperre hegte er jedoch den Verdacht, daß sich die ungünstige Situation noch weiter verschlechtert hatte.
Er überlegte, ob man Sten in die Sache mit einbeziehen sollte, falls Rykor etwas an seiner verrückten Theorie fand.
>Und wie? In welcher Funktion? Um was zu tun?< verhöhnte er sich selbst.
>Tust du jetzt dasselbe wie alle diese Menschen, denkst du jetzt auch, daß die Lösung eines anscheinend unlösbaren Problems darin besteht, daß alle kollektiv aufgeben und alles einem Herrscher in schimmernder Rüstung überantworten, der sich anschließend fraglos als Tyrann entpuppt?
Dieses Denken hatte schließlich zur derzeitigen Situation geführt.
Das<, berichtigte sich Ecu selbst, >und AM2-< AM2. Das war das größte Problem. Ohne AM2 war das ganze Imperium verloren, mitsamt seinen Triumphen und Greueltaten.
>Und<, so beendete Ecu mürrisch seine Überlegungen, >es ist ebenfalls das AM2, das eine Lösung der gegenwärtigen Probleme verhinderte
Der Horizont bot jetzt freie Sicht, und ein Stück voraus konnte er eine Insel erkennen. Sie war ebenso grau und abweisend wie der Rest dieser Welt; gezackte Felsnadeln, die sich aus den massigeren Brocken knapp über dem Wasserspiegel der Untiefen erhoben. Es sah ausgesprochen öde aus, doch seine weißen, sensorischen Schnurrbarthaare sagten ihm deutlich, daß sich dort unten Leben befand.
Seine Augen bestätigten ihm dies, als er an einem der felsigen »Strande« Bewegungen wahrnahm. Mehrere Wesen, ähnlich demjenigen, welches ihm zugewinkt hatte, lagen verstreut auf steinigen Plateaus, die ab und zu von eiskalten Wellen überspült wurden, genau wie Menschen, die in der tropischen Sonne schmorten.
Heiseres Bellen übertönte das Heulen des Windes, als sich eines der Wesen auf seinen Hinterflossen zu voller Länge aufrichtete und zur Begrüßung schnaubte. Rykor ... das mußte sie sein.
Das Wesen watschelte ungeschickt einige Meter über Land, senkte dann den Kopf, glitt geschmeidig wie ein Aal in eine sich gerade brechende Welle hinein und verschwand.
>Was soll ich aus ihrem Benehmen jetzt folgern ?< dachte Sr. Ecu. >Glaubt sie etwa, ich würde ebenfalls tauchen und ihr unter Wasser folgen ?<
Der schwarze Felsen schob sich zur Seite, und in der Mitte einer Klippe öffnete sich ein geräumiger Tunneleingang. Um ihn und über ihm war die Klippe mit Antennen nur so gespickt.
Ecu flog in die Tunnelmündung hinein, lotete die Tiefe aus und klappte vorsichtig die Flügel ein, obwohl der Tunnel mehr als breit genug war, um einen mittelgroßen Raumfrachter aufzunehmen.
Das war Rykors Heimat - und ihr Büro.
Ian Mahoney verglich Rykor gerne scherzhaft mit einem Walroß. Die Übereinstimmung erschöpfte sich jedoch, bis zu einem gewissen Grad, in der äußeren Erscheinung; außerdem lebte Rykors Spezies ebenfalls, bedingt durch Evolution und Neigung, im Wasser. Die physische Ähnlichkeit war nicht besonders ausgeprägt - Rykor war dreimal so groß wie der größte Odobenus der Erde, sie war mehr als fünf Meter lang und wog über zweitausend Kilo.
Ihre Rasse war jedoch besonders für ihre geistigen Fähigkeiten bekannt, vor allem wenn es um intuitive Analysen oder um die Fähigkeit ging, aus abgesichertem Datenmaterial weiterführende Schlüsse zu ziehen. Deswegen waren diese Wesen in der Regel Dichter, Philosophen, Planer von Städten und Welten. Oder, wie im Falle von Rykor, Psychologen.
Als sie den Dienst quittierte, war sie die hochrangigste Psychologin im Imperialen Dienst. Ian Mahoney, damals Chef des Mercury Corps und der Sektion Mantis, hatte sich ihrer ebenfalls unter dem Mantel absoluter Verschwiegenheit als Spezialistin für Gehirnscans bei Spionen, Saboteuren, Mördern und Verrätern bedient.
Als Sten das Tribunal ins Leben rief, hatte er sie davon überzeugen können, ihre Sicherheit und Abgeschiedenheit aufzugeben. Und wie jedem, der an dem sich schließlich abzeichnenden Erfolg maßgeblich beteiligt gewesen war, hatte man ihr anschließend alles Erdenkliche angeboten. Aber nach der Rückkehr des Imperators war ihr plötzlich klargeworden, warum sie sich ursprünglich zurückgezogen hatte: Unzählige Bücher warteten darauf, geschrieben zu werden - ganze Bände über menschliche und die Verhaltensweisen anderer Rassen, die nur sie allein und sonst niemand kennengelernt hatte und erläutern konnte.
Rykor hatte außerdem genug davon, ihre Fähigkeiten in den Dienst eines anderen zu stellen und die analysierte Person/Kultur davon überzeugen zu müssen, ihr Verhalten zu ändern.
Jetzt sollte sie ihr Talent erneut für andere einsetzen, diesmal jedoch für ein viel umfassenderes Ziel - und für Ecu.
»Die Situation ist etwas ungewöhnlich«, entschuldigte sich Rykor. »Ich habe dieses Zimmer für Verhandlungen mit landgebundenen Freunden und Klienten konzipiert. Und auch als persönlichen Witz, schließlich habe ich so viele Jahre im Dienst des Imperiums in Salzwassertanks oder A-Grav-Sesseln zugebracht.«
Sr. Ecu wackelte, höflich seine Belustigung bekundend, mit den Schnurrbartfühlern; seine Rasse brauchte keine besondere Verstärkung ihres Egos, um klug zu scheinen.
Der Raum war ein wohlgezielter Vergeltungsschlag. Es handelte sich um eine sehr hohe und ausgedehnte Gezeitenhöhle, deren über dem Wasser liegender Eingang mit einer durchsichtigen Wand verschlossen war. Ecu vermutete, daß die Wand wahrscheinlich mobil war und sich dem Stand der Gezeiten anpaßte. Sah man auf das Meer hinaus, so schien sich, abgesehen von den gischtübersprühten Steinen, in deren Schutz sich eine kleine, vergleichsweise ruhige Lagune gebildet hatte, nichts zwischen dem
Betrachter und der donnernden Brandung zu befinden. Die Geräusche des Windes und des Meeres wurden in den Raum übertragen und ihre Lautstärke von einem Soundboard kontrolliert. Rykor und ihre Gefährten tauchten einfach unter der Mauer hindurch, um in die Höhle zu gelangen, während es für Landlebewesen einen eigenen Eingang gab.
Ecu schwebte knapp oberhalb des künstlichen Simses, den Rykor für landgebundene Besucher hatte bauen lassen. Er hob und senkte sich ebenfalls mit den Gezeiten und befand sich immer ein paar Zentimeter oberhalb der sanften Wellen in der Höhle.
Der Sims war mit allem erdenklichen Komfort und allen Extras ausgestattet. Es gab Bildschirme, Funkanlagen und Computer. Über dem Konferenzraum lagen die Apartments und Eßzimmer.
Rykors Privat—
und Arbeitsbereich waren durch
Unterwassertunnel zugänglich, die von Raum zu Raum führten.
Die Geräte, die Rykor für ihre normale Arbeit benutzte, waren entweder unempfindlich gegen Umwelteinflüsse oder versiegelt.
»Ich bin mit den Umgangsformen Luftwesen gegenüber nicht vertraut«, sagte Rykor. »Einmal abgesehen von der praktischen Seite, ein Luftwesen zu beherbergen. Sie, äh ...«
»Ob ich schlafe?« Erneut zuckten Ecus Fühler, und nach einem kurzen Moment der Verlegenheit kräuselten sich auch Rykors Gesichtshaare, und ihr gewaltiges Lachen hallte von den Wänden wider, bis das akustische System die Lautstärke ausgesteuert und reduziert hatte.
»Nein«, erwiderte er. »Mein Rasse landet nur selten. Und dann auch nur zu einem genau festgelegten Zweck.« Er erklärte nichts. Rykor stellte keine Fragen.
»Darf ich Ihnen eine kleine Erfrischung anbieten? Manabis gehören keinesfalls zu den Rassen, denen man bei gesellschaftlichen Anlässen besonders häufig begegnet. Es war daher nicht leicht, in Erfahrung zu bringen, was zu ihrer bevorzugten Kost gehört. Ich denke jedoch, daß Sie die folgende Spezialität, in Form eines Sprays, schätzen werden.
Obwohl die Mikroorganismen hier nicht exakt kopiert werden können, haben wir die Mischung synthetisiert.«
Sie streckte eine Flosse aus und berührte die Tasten einer neben ihr schwebenden Tastatur. Auf einem erhöht angebrachten Bildschirm leuchtete eine chemische Formel auf, Ecu betrachtete die Abbildung. Dann »lachte« er erneut auf.
»Ihre Quelle ist zuverlässig, Rykor. In der Tat mögen wir diese organische Mischung sehr gerne. Aber sie macht uns flugunfähig, und wir werden so >voll wie die Strandhaubitzen«, wie unser gemeinsamer Freund Kilgour das gerne nennt. Vielleicht später. Vielleicht fühle ich mich später, wenn wir unsere Diskussion einmal begonnen haben, entspannter und weniger besorgt.
Vielleicht wollen Sie mich mit diesem Gebräu nur ruhigstellen, denn ich fürchte, die grundlegenden Reaktionen meines Gehirns werden allmählich unvorhersehbar.«
»Manabi werden nicht verrückt«, sagte Rykor ungerührt.
»Vielleicht bin ich der erste.«
In der Höhle war es still, abgesehen von den schwachen Hintergrundgeräuschen von Meer und Wind. Rykor ließ sich reglos eine Zeitlang treiben.
»Nein«, sagte sie schließlich bestimmt. »Sie sind nicht verrückt. Ich habe Ihre Unterlagen durchgesehen. Ich habe sie intellektuell und elektronisch analysiert. Ich habe auch meinem vertrautesten Mitarbeiter die Durchsicht gestattet - erschrecken Sie nicht: Er ist eines der Jungen meiner Schwester und überaus vertrauenswürdig, denn die Verlockungen des Imperiums interessieren uns nicht, und bis jetzt hat auch noch niemand versucht, unsere Moral durch Fangrechte in den Imperialen Flüssen zu untergraben.«
Sie lachte wieder, und Ecu fühlte, wie er sich entspannte.
»Zuerst lassen Sie mich Ihnen jedoch für das Paket, das Sie uns geschickt haben, meinen herzlichen Dank aussprechen«, fuhr sie fort. »Es ist mein erstes >authentisches< Buch von der Erde. Eine Frage: War der Band ursprünglich bereits wasserdicht?«
»Dafür habe ich gesorgt.«
»Ah. Den Verdacht hatte ich schon. Auf eine eher traurige Art und Weise fand ich es sehr interessant und charmant. Ich stellte mir diesen primitiven Menschen vor, wie er im dunkelsten aller Zeitalter dasaß und schrieb und in düstere Zeiten hinausstarrte.«
»Damals gab es nur Hexenfreuds, so wurden sie, glaube ich, genannt, die zauberten und in Kochtöpfen fürchterliche Zaubertränke zusammenbrauten, und ihre Erzählungen wurden an den großen Lagerfeuern weitergegeben, um die wirklichen und die eingebildeten Ungeheuer der Dunkelheit fernzuhalten.«
Sie schnaubte voller Mitgefühl. »Und dieser arme Mann stellte sich also vor, daß es eines Tages Regeln für die Psychologie geben würde; daß eine Wissenschaft daraus entstehen würde.
Abgesehen von - wie nannte er es doch? Psychohistorik? Es war ein faszinierender Entwurf»
Ich finde diesen Traum faszinierend. Auch wenn mir klar ist, daß wir die Zillionen Einzelwesen, in denen sich intelligentes Leben manifestiert, niemals mittels irgendeines Programms berechnen können werden, um eine Gesamtaussage zu machen. Schließlich haben wir noch nicht einmal das u-Körper-Problem der Astronomie gelöst.
Ich gestehe aber, daß ich die Hauptfigur der Geschichte, diesen Seiden, eher widerwärtig fand. Er erinnerte mich zu sehr an einige meiner frühen Erzieher, voll falscher Wahrheiten und jämmerlicher Vorurteile, und obendrein ist er zu sehr von sich eingenommen.
Aber ich schweife ab.
Mir ist jedenfalls klar, warum Sie mir dieses Buch geschickt haben, und in welchem Zusammenhang dieser fiktive, unsichere Versuch, Ordnung in eine rätselhafte Welt zu bringen, mit dem ebenso rätselhaften Imperium steht, über das Sie uns Daten vorlegen.
Eine Frage. Wie sind Sie bei der Auswahl der Daten vorgegangen - haben Sie nur Daten aufgenommen, die Ihre Theorie bestätigten?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Ecu. »Ich habe versucht, eine so komplette Zusammenstellung wie möglich vorzunehmen.«
»Ihre diplomatischen Erfahrungen berechtigen zu der Hoffnung, daß Sie wissen, wie man eine vorurteilsfreie Auswahl trifft«, entgegnete Rykor. »Ich habe mir erlaubt, Ihr Material in symbolische Logik zu übertragen.«
Sie berührte erneut einige Tasten, und verschiedene Bildschirme leuchteten auf. Obwohl Ecu sich dieser Technik bei der Ausübung seiner Kunst nur selten bediente, besaß er einige Kenntnisse auf diesem Gebiet.
Das Material war zwar in Computersprache
zusammengefaßt, aber dennoch dauerte es fast eine Stunde, bis alles auf dem Bildschirm zu sehen war.
Den meisten Leuten wäre es als unverständliches Zeichengewirr erschienen und daher wahrscheinlich nicht übermäßig deprimierend. Aber das galt nicht für die beiden erfahrenen Wesen in der Meereshöhle. Endlich erlosch die letzte Seite.
»Trifft meine Zusammenfassung annähernd zu?« fragte Rykor.
»Nicht annähernd. Exakt.« Ecus Flügel sackten mutlos nach unten. Die Situation war also genauso schrecklich, wie er es sich vorgestellt hatte.
»Um Ihre These noch einmal in Worten
zusammenzufassen«, fuhr Rykor kalt und präzise fort: »Es besteht also kein Zweifel daran, daß sich das Imperium in den größten Schwierigkeiten befindet. Dies wäre an sich kein Grund zur völligen Panik, schließlich ist es nicht zum ersten oder fünfzigsten Mal, daß dem Imperium eine Katastrophe droht. Ihre Theorie besagt jedoch, daß der wirtschaftliche, soziale und politische Verfall vom Imperium selbst vorangetrieben wird. Insbesondere durch die Handlungen, die der Ewige Imperator seit seiner ... Rückkehr ausgeführt hat.«
»Das war der Punkt, an dem ich plötzlich Angst vor der eigenen intellektuellen Inkompetenz bekam«, sagte Sr. Ecu.
»Ganz im Gegenteil. Da ich Sie hinsichtlich Ihrer geistigen Gesundheit beruhigen konnte, wäre es jetzt nicht an der Zeit für eine kleine Erfrischung? Schließlich bin ich nun mit meinen Überlegungen an der Reihe, und ich werde noch so manche interessante Information hinzufügen, in deren Besitz ich gelangt bin, seit mich Ihr Paket erreichte.«
»Vielen Dank. Ich füge mich gerne.«
»Es ist in einem Druckbehälter rechts neben Ihnen.
Aktivieren Sie - ja, mit diesem ziemlich großen Hebel.«
Feuchtigkeit zischte in die Luft. Einen Moment lang fühlte sich Sr. Ecu, als werde er hochgehoben, und das erinnerte ihn kurz an längst vergangene Zeiten auf der Erde, als er einfache Flugwesen gesehen hatte, die im Sprühregen herumtobten.
Rykor gönnte sich eine Art dicke Torfscheibe, die anscheinend über dem offenen Feuer getrocknet worden war.
»Fischleder«, erklärte sie. »Hing oberhalb der Gischt, windgetrocknet. Kommt einem Rauschmittel so nahe, wie es meiner manchmal recht simplen Spezies nur möglich ist. Wir forschen aber noch daran.
Bleiben wir beim Thema. Ich habe bemerkt, daß Sie in Ihre Dateien auch die Katastrophe aufgenommen haben, um deren Lösung sich unser junger Kreuzritter Sten derzeit bemüht: den Altai-Cluster. Er unterstützt dort einen Wahnsinnigen, wie Sie zweifellos wissen, einen Dr. Iskra. Wußten Sie, daß Iskra jahrelang vom Imperator unterstützt wurde, während er im Exil war? Um Kontrolle über den vorherigen Herrscher auszuüben?
Außerdem habe ich herausgefunden, daß Sten den direkten Befehl vom Imperator hat, Iskra auf alle Fälle im Amt zu halten, koste es, was es wolle.«
Ecus Körper wurde von einem eingebildeten Windstoß durchgeschüttelt. »Woher haben Sie diese Informationen?«
fragte er.
»Darüber darf ich keine Auskunft geben. Mein Kollege befindet sich innerhalb des Systems und daher in unmittelbarer Gefahr.«
Rykor hielt inne und ließ die Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche klatschen. »Merkwürdig«, überlegte sie laut.
»Da sage ich plötzlich, daß das Leben eines Freundes in Gefahr ist, nur weil dieser Freund unserem verehrten Imperator nahesteht und ein anderer Freund einfach die Wahrheit gesagt hat.«
»Auch ich spüre eine potentielle körperliche Gefahr«, gestand Ecu.
Rykor ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: »Eine zweite Tatsache. Ich weiß nicht mehr, wann es mir aufgefallen ist.
Aber ich versichere Ihnen, es war im Rahmen eines ganz normalen Untersuchungsgebiets. Wie gesagt, die genauen Umstände sind mir entfallen, aber ich fragte mich plötzlich, inwiefern der Imperator in finanzieller Hinsicht von seiner Regentschaft profitierte. Oder war ihm die Macht, die er ausübte, Anreiz genug? Ich ging der Sache nach.
Selbstverständlich war ich äußerst vorsichtig. Ich fand jedoch heraus, daß der Imperator tatsächlich fast unglaubliche Kapitalmengen angehäuft hatte und in Bereichen investierte, die durch seine Regierung finanziell unterstützt wurden. Diese Investitionen wurden auf so vielen Umwegen gemacht, daß man die Spur unmöglich bis zum Imperator zurückverfolgen konnte. Ich fand diese Aktivitäten grundsätzlich weder moralisch noch unmoralisch. Ich stellte fest, daß die Investitionen während schwieriger Zeiten dazu benutzt worden waren, die Wirtschaft zu unterstützen ... und auch die Politik.
Daraus läßt sich ableiten, daß diese Profite von den meisten als
>moralisch< eingestuft werden würden. Menschen würden es, glaube ich, als >schmieriges Geld< bezeichnen.«
»Schmiergeld.«
»Ach ja, Schmiergeld ist der richtige Ausdruck. Vor einigen Tagen habe ich sehr sorgfältig einige dieser Fonds zurückverfolgt.
Der persönliche Reichtum des Imperators vermehrt sich von Sekunde zu Sekunde mit geradezu abenteuerlichen Zuwachsraten. In Zeiten, die von den meisten als schwierig eingestuft werden, bereichert sich unser Imperator an der Armut seines eigenen Imperiums.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte Ecu, ganz ohne seine normale Sanftmut.
»Zum ersten Mal bin ich mit Ihrer Anwendung dieses Wortes einverstanden, obwohl es keine medizinische Bedeutung hat. Übrigens - noch ein paar Fakten für das, was Sie gerade gesagt haben. Haben Sie den Imperator bei seinen letzten Auftritten in den Livies beobachtet? Natürlich sieht man ihn immer seltener, und die Kameraeinstellung ist schmeichelhaft und stets aus großer Entfernung gewählt. Aber wenn man genau die Art und Weise beobachtet, in der seine Augen hin und her wandern - wie ein geprügelter Erdenhund, der auf den nächsten Schlag wartet. Oder wie jemand, der tiefer und tiefer in eine sogenannte manisch-depressive Psychose hineingleitet.«
Ecu wünschte erneut, seiner Rasse stünde wenigstens eine drastische Ausdrucksweise zur Artikulierung besonderer Gefühle zur Verfügung. Rykor deutete nichts anderes an, als daß das Imperium derzeit von einem Wahnsinnigen regiert wurde, und dieser Gedanke war unglaublich, beinahe unvorstellbar. Dennoch erinnerte ihn etwas daran, wie oft er es schon mit wahnsinnigen Herrschern zu tun gehabt und dabei stets ein vages, unpersönliches Mitgefühl für die armen Wesen, die tyrannisiert wurden, empfunden hatte.
»Noch ein Teilchen im großen Puzzle«, fuhr Rykor fort.
»Der Imperator hat den Befehl zur militärischen Aufrüstung gegeben. Die Cairenes beispielsweise sind nach dem Ende des Tahn-Kriegs verlassen worden. Die Raumflotte brauchte keine weiteren Schiffe mehr, und Patron Sullamora war tot.
Dann aber, und diesen Punkt verstehe ich nicht, wurden die Cairenes nach der Rückkehr des Imperators mit AM2 nur so vollgepumpt. Sie werden sich daran erinnern, daß die physische Rückkehr des Imperators auf einem Schiff von Dusable, der Zentralwelt der Cairenes, ihren Anfang nahm.
Nun gut, dem Imperator war geholfen worden, und die Bewohner von Dusable wurden dafür belohnt.
So geht es nun einmal in der Politik zu. Vergessen Sie also das goldene Kalb und seine Eier, oder wie die Kreatur hieß.
Der Reichtum der Cairenes wuchs beständig. Ich habe herausgefunden, daß im letzten E-Jahr .mit den dortigen Werften fast einhundert Verträge abgeschlossen wurden.
Andere Anbieter wurden gar nicht erst gefragt. Wir haben Frieden - wozu also Kriegsschiffe bauen? Es sind noch ausreichend viele aus anderen Kriegen übrig. Auf den Schrottplätzen stapeln sich Schiffe, die niemals in Dienst gestellt wurden.«
»Könnte es nicht sein«, überlegte Ecu und übernahm dabei freiwillig die Rolle des Advocatus diaboli, »daß der Imperator hier Geld aus politischen Gründen abgezweigt hat?«
»Natürlich. Aber ich vermeide es, über Fakten nachzudenken, die ich nicht nachvollziehen kann. Ein Vorurteil meiner wissenschaftlichen Fakultät.
Aber hier ist noch ein weiteres Teilchen aus demselben Puzzle. Eine meiner Kolleginnen - sie war eine von den Menschen, denen ich logisches Denken nahezubringen versuchte - bekam einen interessanten Auftrag. Sie ist psychologische Expertin bei der Rekrutierung. Sie bereitete, nach sehr genauen Vorgaben, eine Kampagne auf den Tahn-Welten vor.«
»Wie bitte?«
»Ja. Unsere früheren Feinde, denen es mittlerweile noch schlechter geht als dem Imperium. Übrigens ist nicht das Geringste unternommen worden, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Durch die Rekrutierung von Offizieren und Soldaten versucht man, diese Tatsache zu verschleiern.«
»Das ist allerdings übel«, sagte Ecu. »Aber es geschieht häufig, daß das Militär, historisch gesehen, dort am lautesten mit dem Geldbeutel klingelt, wo die Armut am größten ist.«
»Richtig. Wenn Sie sich erinnern, war der Imperator fest entschlossen, die alten militärischen Auswüchse, die die Tahn so selbstmörderisch als >Kultur< bezeichneten, zu unterbinden.
Heutzutage benutzen die Imperialen Werbeoffiziere aber eine Strategie bei ihrer Kampagne, die keine Gelegenheit ausläßt, daran zu erinnern, daß es jetzt an der Zeit für die Tahn-Krieger ist, sich zu erheben und die Scharte auszuwetzen. Sie sollen beweisen, daß sie immer noch über die gleiche Muskelkraft wie ihre Ahnen verfügen, obwohl diese für das Böse kämpften.
Jetzt ist für dich die Zeit gekommen, junger Mann, das Imperium zu verteidigen. Und so weiter und so fort.«
Ecu trieb nachdenklich bis unter die Decke, nahe an den höchsten Punkt der Höhle. »Vielleicht wäre es wirtschaftlich gesehen noch sinnvoll, bei schlechter Wirtschaftslage das Geld für eigentlich unnötige Waffen auszugeben«, sagte er. »Aber dann wirbt man keine Soldaten und Raumschiffsbesatzungen an. Sie sind in Friedenszeiten zu teuer und sorgen nur für Unruhe. Soziale Grundversorgung und Volksküche sind da wesentlich kosteneffizienter, wenn man in der Lage ist, einen kühlen Kopf zu bewahren. Warum Soldaten anwerben, wenn es keine Feinde gibt?« beendete er seine Überlegungen.
»Möglicherweise sieht der Imperator einen Feind«, sagte Rykor sanft. »Denken Sie daran, wie die Natur der Könige beschaffen ist. Denken Sie daran, was aus ihnen wird.«
»Aber der Imperator ist unsterblich«, sagte Ecu, dessen natürlicher Gleichmut erschüttert war. »So etwas hat es noch nie zuvor gegeben.«
»Noch nie zuvor. Das stimmt. Es hat sich etwas geändert.
Aber das kümmert mich nicht.« Sie drückte wieder ein paar Tasten. »Für jede Generation ist es ebenso einfach wie trügerisch, über das Armageddon zu jammern. Computer hingegen sind weder jähzornig noch übellaunig.
Ich mache Programme. Vorhersagen.
Wenn wir uns ausgeruht haben, werden wir das Material gemeinsam durchgehen, um sicher zu sein, daß nicht irgendwo ein Fehler steckt. Ich bin zu folgenden Schlußfolgerungen gekommen: Das Imperium stellt letztendlich unter Beweis, daß es keine genetische Besonderheit ist. Wie alle vorhergehenden Imperien auch, verhärtet es sich, wird korrupt, verfällt und ist jetzt zum Niedergang verdammt, allerdings nicht durch historische Prozesse oder äußere Feinde. Der Grund dafür ist ein einziges Wesen: Der Ewige Imperator.«
Dies stimmte genau mit Sr. Ecus Schlußfolgerungen überein.
»Ich nehme an«, sagte Rykor, nachdem eine ganze Zeit lang nachdenkliches Schweigen geherrscht hatte, »daß Sie nicht nur hergekommen sind, um sich Ihre geistige Gesundheit bestätigen zu lassen. Sie sind ein viel zu rationales Wesen, um nur aus diesem Grund und mit dem zusätzlichen Risiko für Ihre Spezies und Ihre eigene Person eine so weite Reise anzutreten.«
»Richtig«, bestätigte Ecu. Und plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke: Hier war er also, Meister der Diplomaten. Berater.
Erfahrener Ratgeber. Graue Eminenz für ein halbes Tausend Herrscher, jemand, den sogar der Ewige Imperator um Rat gebeten hatte, und dessen Rat akzeptiert worden war. Hier stand er nun und brauchte Rykors Rat, als wäre er ein emotional verwirrter Nestflüchter.
Er begriff, warum Rykor so viel Ansehen genoß.
»Sie wollen wissen, was wir unternehmen müssen, um dies zu verhindern«, sagte Rykor.
»Richtig«, erwiderte Ecu erneut.
»Ich weiß es nicht. Ich habe überlegt und werde weiter überlegen. Aber ich habe keine Antwort parat.
Ich will Ihnen jedoch einen Gedanken nicht vorenthalten, denn alles, was ich gesagt habe, ist immer noch eine Spur grauer als die schwärzeste Mitternacht. Bedenken Sie eines: Was wäre geschehen, wenn der Imperator nicht zurückgekehrt wäre? Ich meine damit nie mehr zurückgekehrt, nicht einen oder zwei Tage später.«
»Das totale Chaos wäre ausgebrochen«, sagte Ecu. »Ein Rückfall in die Barbarei.«
»Einverstanden. Aber der Grund dafür wäre der Verlust von AM2 gewesen, richtig? Die An-und Abwesenheit des Imperators ist nicht wichtig genug, um alles zusammenstürzen zu lassen.«
»Ja«, erwiderte Sr. Ecu vorsichtig. »Dem stimme ich zu.«
»Vielen Dank. Aber ist es nicht so, daß jede Rasse, jede Kultur schwierige Zeiten durchlebt hat? Unter Umständen sogar recht häufig?«
Sr. Ecus Körper krümmte sich leicht zum Zeichen des Einverständnisses.
»Und haben sie sich immer davon erholt?«
»Das kann man nicht sagen«, erwiderte Ecu. »Manche Rassen, von denen wir nichts wissen, sind vielleicht in die totale Barbarei zurückgefallen. Oder sie sind in völliger Anarchie versunken und haben sich gegenseitig ausgelöscht.«
»Lassen wir also >immer< beiseite«, fuhr Rykor fort. »Aber im allgemeinen trifft es durchaus zu. Und ist es nicht auch wahr, daß die nächste Stufe nach diesem Pesthauch der Verwilderung eine Renaissance ist?«
»O ja. Sie muntern mich wirklich auf, obwohl ich nicht glaube, daß das Imperium davon betroffen ist. Es ist schon zu lange gegenwärtig, es ist zu alt, zu allmächtig.«
»Nicht, wenn AM2 aus der Gleichung herausgenommen wird.«
»Aber der Imperator ist der einzige, der weiß, wo sich AM2
im Rohzustand befindet, oder wie es synthetisiert wird.«
»Sr. Ecu«, sagte Rykor mit sanftem Vorwurf. »Sie sind zu gut erzogen und zu klug, um ernsthaft daran zu glauben, es gäbe nur einen möglichen Erfinder für eine Erfindung. Einen Maler für ein Bild. Oder einen Philosophen für die Entwicklung eines Gedankengebäudes.«
Sr. Ecu sagte: »Sie muntern mich wiederum auf. Aber ich fürchte, daß ich nicht an die Zukunftsaussichten irgendeines
>Manhattan-Projekts< glaube, das nach AM2 sucht. Das Privatkabinett hat es schließlich auch nicht geschafft.«
»Das Privatkabinett war - und hier muß ich mich wieder eines semantisch sehr vorbelasteten Wortes bedienen - böse.
Ein weniger schuldbeladenes Wort wäre >ich-bezogen<. Ich bediene mich jedoch lieber des Ausdrucks >böse<. >Böse< ist das Gegenteil von >gut< - beide Worte in Anführungszeichen und wird definiert als kurzsichtig, nur den eigenen Vorteil suchend, faul und unehrlich. Dadurch war ihre Suche von Anfang an begrenzt und zum Scheitern verurteilt.«
»Rykor, wie können Sie, mit all Ihrer Erfahrung, nur so optimistisch sein?« staunte Ecu amüsiert. »Ich habe das Böse mindestens ebenso häufig triumphieren sehen wie das Gute.«
»Um einmal in Kilgours merkwürdiges Gebrabbel zu verfallen, daß er tatsächlich für eine verständliche Sprache zu halten scheint: saubere Gedanken, sauberer Körper. Wählen Sie selbst.
Jetzt aber«, sagte sie, während sie ihren schweren Körper aus dem Wasser auf das Sims und von dort in einen A-Grav-Sessel wuchtete, »lassen Sie uns in einen der höhergelegenen Räume gehen, wo Essen und weitere Sprays unserer harren. Es gibt keinen Grund, noch heute nacht in Panik zu verfallen.
Selbst die Entropie vollzieht sich in langsamen, gemessenen Schritten.«
Auf dem Weg nach oben und immer weiter hinein ins Innere des Felsens schwebte Ecu ein Stück über Rykors A-Grav-Sessel, in die Betrachtung ihrer schwierigsten Probleme versunken. Er stellte fest, daß beide mehr oder weniger beiläufig die Tatsache akzeptiert hatten^ daß der Imperator aus dem Wege geräumt oder zumindest unschädlich gemacht werden mußte. Abgesehen von der Frage nach AM2 gab es noch eine weitere: Wer sollte, im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte, um eine menschliche Redewendung zu gebrauchen, dieser kolossalen Katze eigentlich das Fell abziehen?
Wieder schoß ihm ein Name durch den Kopf.
Der Mann, der sich wünschte, daß alle fliegen könnten.
Sten.