19. KAPITEL

“Stricken ist ein beruhigender und wohltuender Weg, seine Kreativität auszudrücken. Und wenn dabei ein warmes, nützliches und mit Liebe gestricktes Kleidungsstück herauskommt – was für ein Geschenk.”

(Meg Swansen, Schoolhouse Press)

Lydia Hoffman

Die drei Frauen meines Strickkurses saßen um den Tisch herum, begierig, die letzte Stunde unseres Unterrichts zu beginnen. Bevor ich jedoch anfangen konnte, ergriff Jacqueline das Wort.

“Ich möchte bekannt geben, dass ich mich dazu entschlossen habe, nicht an dem neuen Kurs teilzunehmen.” Damit meinte sie unsere Strickgruppe, für die ich pro Teilnehmerin fünf Dollar pro Woche veranschlagt hatte.

Niemand erhob Protest, also sah ich mich genötigt, etwas zu sagen. “Es tut mir leid, das zu hören, Jacqueline.” Und diese Worte meinte ich auch so. Es war nicht nur die Kauffrau, die aus mir sprach – wenn Jacqueline blieb, würde sie mit Sicherheit die hochwertigeren Garne kaufen. Nein, ich spürte echtes Bedauern.

“Mir nicht”, sagte Alix, ohne mit der Wimper zu zucken.

“Das habe ich auch nicht von dir erwartet”, erwiderte Jacqueline und gab sich gar nicht erst die Mühe, ihre Wut zu verbergen.

Ehrlich gesagt fühlte ich mich auch ein bisschen erleichtert, nicht mehr länger den Schiedsrichter zwischen den beiden spielen zu müssen. Obwohl es zugegebenermaßen auch den einen oder anderen amüsanten Moment gegeben hatte. Ich kann mich nicht erinnern, je zwei Frauen gekannt zu haben, die sich mit solcher Hingabe anfeindeten. Ich war eigentlich der Meinung gewesen, dass die Animositäten zwischen den beiden abgenommen hätten. Aber damit lag ich offenbar komplett falsch.

Jacqueline war undurchschaubar – und es war nicht leicht, sie zu mögen. Trotzdem versuchte ich es. Sie hatte sich wirklich bemüht, stricken zu lernen. Die Babydecke, die sie für ihr erstes Enkelkind anfertigte, war beinahe vollendet.

“Ich dachte, ich komme ein letztes Mal hierher und erzähle allen von meinem Entschluss.”

“Als ob uns das interessieren würde”, murmelte Alix.

Da ich hinter Alix stand, legte ich ihr meine Hand auf die Schulter – eine stumme Bitte, ihre Kommentare für sich zu behalten. Während der letzten sechs Wochen hatte ich gelernt, dass das Mädchen trotz seiner mürrischen Art eigentlich sehr sensibel war. Die leichteste Kritik reichte aus, um sie an allem zweifeln zu lassen.

“Ich glaube, ich könnte gar nicht mehr mit dem Stricken aufhören”, sagte Carol. Sie arbeitete momentan an einem Pullover für ihren Bruder. Das Kaschmirgarn, das sie dafür benutzte, war das teuerste in meinem Geschäft. Sie hatte sich für ein sanftes Grau entschieden.

“Ich werde auch weitermachen”, erklärte Alix und warf Jacqueline quer über den Tisch einen Blick zu, der ganz deutlich machte, dass sie der älteren Frau mangelnde Willenskraft unterstellte. “Und ich werde diese Decke fertig stricken – koste es, was es wolle.”

Ich bewunderte Alix’ Entschlossenheit. Sie wirkte im Umgang mit Stricknadeln und Wolle noch immer ein bisschen ungeschickt, aber sie gab nicht auf. In den ersten Wochen hatte sie mit Sicherheit genauso viele Reihen aufgeribbelt wie gestrickt. Dem Himmel sei Dank verstand sie endlich, was sie falsch machte, und zeigte erste Fortschritte. Neben der Arbeit im Videoladen blieb ihr jedoch einfach zu wenig Zeit zum Üben.

“Willst du mir unterstellen, ich sei ein Drückeberger?”, fragte Jacqueline und sah Alix herausfordernd an.

“Wenn du dich angesprochen fühlst … Aber keine Sorge. Ich werde dich bestimmt nicht vermissen.”

Die ständigen Zankereien zwischen den beiden zerrten an meinen Nerven. Doch bevor ich etwas sagen konnte, ergriff Carol das Wort.

“Ich habe Neuigkeiten”, sagte sie, um das Thema zu wechseln. Ich war ihr dankbar dafür.

“Oh, gut.” Ich gab mir gar keine Mühe, die Erleichterung in meiner Stimme zu verbergen.

“Montagmorgen bringt Doug mich in die Klinik. Dann findet der letzte Versuch der IVF statt.”

Obwohl sie bei diesen Worten lächelte, spürte ich – und ich war mir sicher, dass es den anderen genauso ging –, dass sie Angst hatte. Ich hoffte, dass dieses Mal alles gut gehen und Carol das Kind austragen würde. Während der letzten Wochen war sie immer wieder beim Arzt, aber sie berichtete im Kurs nur wenig von diesen Terminen. Ab und zu sprach sie mit mir über dieses Thema, wenn wir allein waren. Doch ich wusste längst nicht alles. Ich hoffte einfach nur für sie, dass alles gut ging.

Zu meiner Überraschung war es Jacqueline, die als Erste sprach. “Oh, meine Liebe, ich wünsche dir wirklich alles Gute. Reese und ich haben nur ein Kind, dabei hätten wir so gern ein zweites gehabt.”

“Im Augenblick würden Doug und ich schon mehr als dankbar sein, wenn wir eines bekämen!” Ihr Lächeln wirkte unsicher.

“Ich habe mir so sehr eine Tochter gewünscht.”

“Hast du nicht erzählt, dass dein Sohn und seine Frau ein kleines Mädchen erwarten?” Ich glaubte mich erinnern zu können, dass Jacqueline einmal so etwas erwähnt hatte.

“Ja.”

In letzter Zeit sprach Jacqueline nicht mehr viel über ihren Sohn und ihre Schwiegertochter. Vielleicht war etwas vorgefallen, was sie lieber nicht erzählen wollte. Bei Jacqueline konnte man das nie wissen. Während Carol und Alix sich aneinander gewöhnt hatten und einen lockeren Umgang pflegten, blieb Jacqueline auf Distanz. Langsam drängte sich mir der Verdacht auf, dass die einzigen Menschen, die Zugang zu ihr fanden, ihre Freundinnen aus dem Countryclub waren.

Alix hielt den Kopf gesenkt und konzentrierte sich auf ihre Strickarbeit. “Ich denke, nur Menschen, die wirklich Kinder haben wollen, sollten auch welche bekommen.” Schon früher hatte sie etwas Ähnliches geäußert – es schien ihr sehr wichtig zu sein. Ich konnte nur vermuten, dass es mit ihren eigenen Erfahrungen zusammenhing.

“Das glaube ich auch”, erwiderte Carol. “Was ich nicht verstehe, ist, warum so viele Paare, die Kinder lieben, solche Schwierigkeiten haben, eines zu bekommen. Wenn ich daran denke, wie lange ich den Wunsch nach einer eigenen Familie vor mir hergeschoben und wie viele Jahre ich vergeudet habe, könnte ich weinen. Ich habe geglaubt, ich hätte alle Zeit der Welt – ich konnte doch nicht ahnen, wie es wirklich werden würde.” Sie wirkte mit einem Mal verzweifelt.

“Was ist mit dir?”, fragte Alix und sah mich erwartungsvoll an.

Ich spürte, dass ich rot wurde. Eigentlich wusste ich nicht, warum das Thema Kinderkriegen mir überhaupt etwas ausmachte. Statt einer Antwort schüttelte ich nur den Kopf.

“Was?”, beharrte Alix. “Willst du keine Kinder?”

“Ich bin nicht verheiratet.”

“Das hat meine Mutter auch nicht davon abgehalten, Kinder in die Welt zu setzen. Sie war im sechsten Monat schwanger, bevor sie meinen Vater heiratete. Es war der schlimmste Fehler ihres Lebens, sagt sie. Aber das hat sie nicht daran hindern können, mich trotzdem zu bekommen.”

“Man kann ein Kind nicht für die Verhältnisse verantwortlich machen, in die es hineingeboren wurde”, sagte Carol.

“Tja, das habe ich anders in Erinnerung”, murmelte Alix und ordnete ihre Wolle. “Egal, ich habe es überlebt.”

“Du bist so eine hübsche junge Frau, du wirst bestimmt eines Tages heiraten”, sagte Jacqueline und sah mich an.

Sie überraschte mich immer wieder. Kurz zuvor hatte sie Mitgefühl und Verständnis für Carol gezeigt, und ihr Kommentar zu meiner Person war ein echtes Kompliment.

“Danke, aber …” Ich verschluckte den Rest des Satzes. Wenn es nicht unbedingt nötig war, verschwieg ich lieber die furchtbaren Details meines Lebens.

“Aber was?”, hakte Carol nach.

“Aber – also, ich denke, ich würde keine gute Ehefrau abgeben.”

“Warum nicht?”, wollte Alix wissen. “Du wärst bestimmt eine bessere Ehefrau, als meine Mutter es jemals war.”

Diese Unterhaltung ging in eine Richtung, die mir unangenehm war. “Ehemänner haben … Erwartungen.”

Stirnrunzelnd sah Alix mich an. “Was soll das heißen?”

Ich konnte sehen, dass die anderen beiden genauso neugierig waren. “Ich bin bereits zweimal an Krebs erkrankt. Es scheint in unserer Familie leider eine Veranlagung dafür zu geben.”

“Bist du im Moment auch krank?”

“Gott sei Dank nicht. Doch bei meiner älteren Schwester sind vor Kurzem bei einer Routineuntersuchung Unregelmäßigkeiten aufgetaucht.” Margarets zweite Mammografie hatte glücklicherweise ergeben, dass kein Knoten in ihrer Brust vorhanden war. Ich hatte sie zum Arzt begleitet und versucht, ihr die Unterstützung zu geben, die sie brauchte. Danach lud sie mich zum Essen ein, um das gute Ergebnis zu feiern.

Seit wir Teenager waren, hatte ich mich meiner Schwester nicht so nahe gefühlt. So unglaublich es klingen mochte, ich war dankbar für den Fehlalarm. Zum ersten Mal seit Jahren hatten meine Schwester und ich etwas gemeinsam – Angst. Und zum ersten Mal überhaupt war ich es, die durch ihre persönlichen Erfahrungen über größere Kenntnis verfügte.

“Warum kannst du nicht heiraten?”, fragte Alix.

Ich seufzte. Eigentlich verspürte ich keine Lust, dieses Thema zu vertiefen. “Es gibt keine Garantie dafür, dass der Krebs nicht zurückkommt”, erklärte ich.

Die drei Frauen starrten mich verständnislos an.

“Nur für den Fall, dass du es noch nicht mitbekommen hast: Im Leben gibt es so gut wie nie irgendwelche Garantien”, erwiderte Alix. “Das solltest du eigentlich wissen.”

“Wenn es eine Garantie gäbe, wäre ich längst Mutter”, fügte Carol hinzu.

“Sie hat vollkommen recht”, pflichtete Jacqueline ihr bei.

Meine Schwester hatte etwas Ähnliches gesagt. Unser gemeinsames Essen verlief gut, bis sie Brad erwähnte. Der UPS-Fahrer war mir schon seit einigen Tagen nicht mehr über den Weg gelaufen. Der Gedanke an ein mögliches Treffen mit ihm verunsicherte mich nach wie vor. Nachdem ich ihn zweimal zurückgewiesen hatte, bezweifelte ich ohnehin, dass er mich überhaupt noch einmal fragen würde. Warum sollte er? Deutlicher hätte ich nicht sagen können, dass ich nicht interessiert war.

“Ich hatte so lange keine Verabredung mehr … ich weiß gar nicht, wie ich mich verhalten sollte”, sagte ich meinen neuen Freundinnen. Das entsprach der Wahrheit.

“Wieso? Du verhältst dich ganz normal”, erwiderte Carol, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt.

“Sei einfach du selbst”, fügte Jacqueline hinzu. Zu meinem Erstaunen holte sie ihr Strickzeug hervor. Ich hatte den Eindruck gehabt, sie würde ihren Entschluss verkünden und dann gehen wollen. Es freute mich, dass sie sich den anderen nun wieder anschloss.

“Hey, bist du vielleicht sogar scharf auf einen ganz bestimmten Typen?”

Natürlich konnte eine solche Frage nur von Alix kommen. “Ganz sicher nicht.” Mein Dementi kam schnell und bestimmt. Wieder einmal spiegelte die Röte in meinem Gesicht meine Verlegenheit wider.

“Du bist es doch!”, stellte Carol fest, die mich beobachtete. Sie lachte leise. “Also gut. Raus mit der Sprache. Wer ist es denn?”

Ich schüttelte den Kopf. “Es ist zu spät.”

“Es ist niemals zu spät”, erwiderte Jacqueline.

“Sag uns den Namen”, beharrte Alix.

Sie würden sicher keine Ruhe geben. Und mir fiel kein Weg ein, das Thema zu wechseln.

“Komm schon, Lydia”, wiederholte Alix. “Sag es uns.”

Ich zögerte kurz, doch mit einem tiefen Seufzer gab ich schließlich nach und erzählte ihnen von Brad. “Er wird mich nicht noch einmal um eine Verabredung bitten”, schloss ich.

“Wahrscheinlich nicht”, stimmte Alix mir zu. “Jetzt musst du ihn eben fragen, ob er mit dir ausgeht.”

Jacqueline und Carol nickten. Es schien, als hätte Brad nicht nur meine Schwester, sondern den gesamten Strickkurs auf seiner Seite.