18. KAPITEL

Jacqueline Donovan

Jacqueline war Mitglied des Geburtstagsclubs, seit sie vor Jahren dem Seattle Country Club beigetreten war. Einmal im Monat kam eine Gruppe von neun Freundinnen zusammen, um Geburtstag zu feiern. Wenn in dem Monat gerade keine von ihnen wirklich Geburtstag hatte, feierten sie trotzdem.

Für den Juni entschieden sie sich, in ein mexikanisches Restaurant zu gehen. Während das Ambiente nicht gerade ihren gehobenen Ansprüchen genügte, war die Küche exzellent. Nachdem die Frauen ihr Essen in vollen Zügen genossen und schon einige Margaritas getrunken hatten, kamen vier Kellner mit riesigen Sombreros an ihren Tisch. Einer von ihnen hatte eine Gitarre umgehängt. Ein anderer schwang ein paar Rumbakugeln.

Señoritas, Sie feiern heute Geburtstag, ?”

Sí“, antwortete Bev Johnson, Präsidentin des Frauenclubs. “Ginny hat Geburtstag.” Sie wies quer über den Tisch auf eine Frau. Diese wurde rot und kicherte wie ein Schulmädchen.

Der Mann mit der Gitarre schlug ein paar Akkorde an und ging langsam rüber zu Ginny. “Möchten Sie die lange oder die kurze Version?”, fragte er.

Jacqueline sah, wie die ungewohnte Aufmerksamkeit ihre Freundin verwirrte. “Um Himmels willen, auf jeden Fall die kurze Version!”

Alle vier Kellner sanken sofort auf die Knie und begannen mit Hingabe ein mexikanisches Geburtstagslied zu singen. Die neun Frauen am Tisch lachten und applaudierten, und sogar Jacqueline stimmte mit ein.

Sie brauchte diese Ausflüge, um die Schwangerschaft von Tammie Lee aus ihren Gedanken zu verbannen. Paul schien immer noch verliebt in seine Frau zu sein, und auch Reese mochte sie. Jacqueline fühlte sich wie der Bösewicht in einem Theaterstück. Denn selbst wenn Tammie Lee nicht ganz so manipulativ und geschmacklos war, wie Jacqueline angenommen hatte, war sie doch immer noch nicht die Richtige für Paul.

Nachdem Ginny die Kerze auf ihrem kleinen Geburtstagskuchen ausgepustet und jede ein Stück davon probiert hatte, löste sich die Party auf. Jacqueline wartete gerade darauf, ihre Rechnung zu bezahlen, als Bev sich neben sie setzte.

“Ich habe letzte Woche Tammie Lee getroffen”, begann die Präsidentin des Frauenclubs.

Jacqueline erstarrte. Bev war das einflussreichste Mitglied der Vereinigung, und sie konnte nur erahnen, was ihre Freundin von Pauls Ehefrau hielt. Peinlich! Jacqueline konnte förmlich spüren, wie eine Hitzewelle ihr den Nacken hinaufkroch. Ihr fiel einfach keine passende Erklärung für Pauls Missgriff ein.

“Haywood sagte, er habe ihre Bewerbung für den Club befürwortet.” Haywood war Bevs Ehemann und im Club für die Aufnahmen neuer Mitglieder zuständig.

“Natürlich waren Reese und ich sehr froh, dass sie aufgenommen wurden.” Es war für Jacqueline einfach befriedigend zu wissen, dass die ganzen Jahre freiwilliger Tätigkeiten sich auszahlten.

“Wir haben Paul immer gemocht.”

Jacqueline lächelte. Jeder war begeistert von ihrem Sohn. Er war charmant, intelligent und wollte im Leben etwas erreichen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht mit ihm und all seinen Leistungen anzugeben.

“Ich kann verstehen, dass Tammie Lee im Kochbuch-Komitee mitarbeiten wird.”

Jacqueline wurde nervös. Sie hatte gehofft, unter vier Augen mit der Leiterin des Komitees sprechen zu können. Sie wollte ihr vorschlagen, Tammie Lee vielleicht besser woanders einzusetzen. Der Gedanke an die Rezepte ihrer Schwiegertochter im Kochbuch des Countryclubs ließ Jacqueline erschaudern. Wie unangenehm! Sie konnte, sie durfte nicht zulassen, dass das passierte.

“Ja, ich wollte sowieso noch mit Louise darüber reden …”, begann Jacqueline.

“Das ist ein Geniestreich!”, unterbrach Bev sie und lächelte.

In diesem Moment war Jacqueline an der Reihe zu bezahlen. Wie in Trance legte sie das Geld auf den Tresen und atmete heftig ein. Sicherlich hatte sie Bev einfach nur missverstanden. Nachdem sie ihr Wechselgeld eingesteckt hatte, stand sie auf und trat zur Seite.

“Ein … Geniestreich?”, wiederholte Jacqueline, während die Frauen zum Ausgang strebten.

“Ja, wieso? Ich habe Tammie Lee vor ein paar Monaten zum ersten Mal getroffen. Haywood und ich haben uns sofort in sie verliebt. Sie ist wie eine frische Brise – und genau das braucht unsere Frauengruppe dringend. Sie ist so voller Leben. Findest du ihren Südstaatenakzent nicht auch so entzückend? Ich schwöre, ich könnte ihr den ganzen Tag zuhören.”

Jacqueline musste sich auf die Zunge beißen, um nicht herauszuplatzen, wie sehr Tammie Lees leierige Art zu sprechen sie ärgerte.

“Es ist kein Wunder, dass Paul sich Hals über Kopf in sie verliebt hat. Ich glaube beinahe, sie hat Haywood auch schon ein bisschen den Kopf verdreht.”

“Oh.” Jacqueline wusste nicht recht, wie sie darauf reagieren sollte.

“Das Komitee bringt alle zwei Jahre ein Kochbuch heraus – und immer sind es dieselbe Leute und dieselben Rezepte. Wie viele Rezepte für Preiselbeergötterspeise brauchen wir noch?”

Jacqueline verkniff sich die Bemerkung, dass sie diejenige war, die dieses Rezept beigesteuert hatte. Und noch heute schwärmten alle im Club davon.

“Tammie Lee hat einige wundervolle Ideen! Und offen gesagt denke ich darüber nach, sie zu fragen, ob sie nicht den Vorsitz des Komitees übernehmen möchte. Louise hat es einige Jahre lang gemacht und möchte sich mal an etwas Neuem ausprobieren.

“Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.” Jacqueline konnte sich nicht länger zurückhalten. Sie respektierte Bevs Ansichten, aber in diesem Fall lag ihre Freundin falsch. Tammie Lee würde sie alle blamieren.

“Ich weiß, dass ich sie eigentlich nicht bitten sollte, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Wo doch das Baby bald kommt …”, fuhr Bev fort, während sie sich dem Parkplatz näherten. Ihr BMW-Cabriolet stand direkt neben Jacquelines Mercedes. “Ich möchte sie nicht überfordern. Paul würde mir das nie verzeihen. Obwohl ich glaube, dass sie ein absolutes Naturtalent ist.”

“Jaja, sie wird alle Hände voll zu tun haben”, bestätigte Jacqueline. Sie stand wie angewurzelt neben Bevs Auto, zu überrascht, um sich überhaupt noch bewegen zu können. Bev nickte ihr zu, stieg ins Auto und fuhr ab.

War die ganze Welt verrückt geworden?, fragte sich Jacqueline. War sie die Einzige, die Tammie Lee als die unehrliche kleine Manipulatorin erkannte, die sie war?

Gedankenverloren stieg sie in ihren Wagen und fuhr nach Hause. Als sie in der Garage neben ihrem Haus ankam, war sie überrascht. Sie konnte sich rückblickend gar nicht an die Fahrt erinnern. Eben noch war sie auf dem Parkplatz des Restaurants, und nun stand sie auf einmal hier.

Eine weitere Überraschung erwartete sie in der Küche – Reese war zu Hause. Er trug einen seiner besten Anzüge. Also war er entweder früh heimgekommen oder wollte gleich wieder aufbrechen, um seine kleine Blondine auszuführen. Jacqueline fragte nicht. Sie wusste es lieber gar nicht, anstatt sich sicher zu sein, dass er sie belog.

Sie legte ihre Handtasche beiseite und warf einen Blick auf die Post. Als sie fertig war, ging sie zur Hausbar und griff nach einer Flasche Gin. “Möchtest du auch einen?”

“Ich muss noch fahren.”

Sie zuckte die Schultern. “Ich nicht.” Die Margaritas vom Mittagessen hatten bereits ihre Wirkung verloren.

“Was ist los?”, fragte er.

“Warum glaubst du, dass etwas nicht stimmt?”

Er runzelte die Stirn. “Ich habe dich noch nie so früh am Nachmittag Alkohol trinken sehen.”

“Manchmal muss das einfach sein.” Sie drehte sich um und betrachtete den Mann, mit dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hatte. Sie kannte ihn so gut – und auch wieder überhaupt nicht.

“Wo bist du gewesen?” Er schaute sie an.

Sie konnte nicht genau sagen, ob es ihn wirklich interessierte. Vielleicht wollte er auch nur höflich sein. Jacqueline fand es nur seltsam, dass er sie überhaupt danach fragte. Das hatte er in letzter Zeit einige Male getan, aber sie konnte sich nicht erklären, warum.

“Ich war mit meinen Freundinnen unterwegs. Du weißt doch, unser monatliches Geburtstagsessen.”

“Du könntest Tammie Lee mal zu einer deiner Verabredungen mitnehmen.”

Das konnte nur ein Witz sein. “Warum sollte ich das tun?”

“Weil sie deine Schwiegertochter ist. Und weil es eine nette Art wäre, sie in der Familie willkommen zu heißen.”

“Ich bin keine Heuchlerin. Sie ist nicht willkommen. Ich dulde sie lediglich, und selbst das fällt mir zunehmend schwer.” Wenn nur noch ein Mensch in ihrer Umgebung anfing, Loblieder auf Tammie Lee anzustimmen, würde Jacqueline – und das schwor sie – einen Schreikrampf bekommen. “Warum glaubt eigentlich jeder, dass dieses Mädchen so wunderbar ist? Ich verstehe das nicht!”

Einen Moment lang blickte Reese sie an. “Hast du dich jemals gefragt, warum Paul sich in sie verliebt hat?” Seine Stimme klang kühl und kontrolliert. Das war normalerweise ein sicheres Zeichen dafür, dass er wütend wurde.

“Natürlich verstehe ich, warum Paul sie geheiratet hat. Seine Hormone haben ihn geleitet – nicht sein gesunder Menschenverstand.”

“Nein, so war es nicht”, rief er und schlug mit der flachen Hand auf die Anrichte.

Sie zuckte bei diesem untypischen Gefühlsausbruch unwillkürlich zusammen.

“Tammie Lee ist liebevoll, fürsorglich und großzügig. Der einzige Mensch, der das nicht sehen will, bist du. Und das alles nur, weil du für unseren Sohn einen anderen Plan hattest. Mach doch endlich die Augen auf!”

Sie starrte ihn an. “Willst du damit sagen, dass ich gefühlskalt und selbstsüchtig bin?” Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden!

Im ersten Moment sah es so aus, als würde er ohne ein weiteres Wort das Zimmer verlassen. Aber offensichtlich entschied er sich dagegen und hielt noch einmal inne. “Vielleicht solltest du dir diese Frage selbst beantworten”, erwiderte er.

Dann ging er hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.