TEE UND DROHUNGEN

Logen runzelte die Stirn. Grimmig betrachtete er den großen Saal, die schimmernden Spiegel, die vielen mächtigen Leute darin.

Er sah die großen Edelleute der Union ihm gegenüber finster an. Zweihundert oder mehr mochten es sein, die murmelnd auf der anderen Seite des Saales saßen. Ihre falschen Reden, ihr falsches Lächeln, ihre falschen Gesichter widerten ihn an wie eine Überdosis Honig. Aber er hatte keine bessere Meinung von den Leuten auf seiner Seite, die mit ihm und dem großen König Jezal ihre Plätze auf dem hohen Podest eingenommen hatten.

Da war zum einen der verächtlich dreinschauende Krüppel, der damals an dem Tag im Turm die ganzen Fragen gestellt hatte und der jetzt von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet war. Dann ein dicker Kerl, dessen Gesicht voller geplatzter Äderchen war und der aussah, als ob er jeden Tag mit einem Schluck begann. Dann ein groß gewachsener, hagerer Kerl mit schwarzem und aufwändig vergoldetem Brustpanzer, mit sanftem Lächeln und harten Augen. Eine so windige Gruppe Lügner, wie Logen sie noch nie gesehen hatte, aber einer war schlimmer als der ganze Rest.

Bayaz saß mit einem lockeren Grinsen im Gesicht da, als sei alles so gekommen, wie er es sich gedacht hatte.

War es ja vielleicht auch. Verdammter Zauberer. Logen hätte von Anfang an schlauer sein sollen, als einem Mann ohne Haare zu vertrauen. Die Geister hatten ihn gewarnt und gesagt, dass die Magi ihre eigenen Ziele verfolgten, aber er hatte nicht darauf gehört, war blindlings losgerannt und hatte aufs Beste gehofft, so wie immer. Wenn man eins über Logen Neunfinger sagen konnte, dann das – er hört nicht zu. Einer seiner vielen Fehler.

Seine Augen glitten zur anderen Seite, zu Jezal hinüber. Er sah so aus, als ob er sich in seinen königlichen Roben ganz wohl fühlte, mit der schimmernden goldenen Krone auf dem Kopf und einem goldenen Stuhl, der noch größer war als jener, den Logen bekommen hatte. Seine Frau saß neben ihm. Sie verströmte frostigen Stolz, das mochte sein, aber das tat ihr keinen Abbruch. Sie war so schön wie ein Wintermorgen. Und sie hatte diesen Gesichtsausdruck, wenn sie Jezal ansah. Einen wilden Blick, als ob sie sich kaum davor zurückhalten konnte, ihre Zähne in ihn zu schlagen. Der verdammte Glückspilz schien es immer bestens getroffen zu haben. Sie hätte gern auch ein bisschen an Logen knabbern dürfen, wenn sie gewollt hätte, aber welche halbwegs vernünftige Frau wollte das schon?

Sein finsterster Blick aber galt ihm selbst in den Spiegeln gegenüber, wie er oben auf dem Podest neben Jezal und seiner Königin saß. Er wirkte schlecht gelaunt und missmutig, wie ein vernarbtes und Angst einflößendes Ungeheuer neben diesem hübschen Paar. Ein Mann, aus Tod gemacht, den man in bunt gefärbtes Tuch und seltene weiße Pelze gehüllt, mit polierten Nieten und schimmernden Schnallen geschmückt hatte, um ihm dann noch eine große goldene Kette um die Schultern zu legen. Eine Kette, wie Bethod sie getragen hatte. Seine Hände ragten aus pelzbesetzten Ärmeln, gezeichnet und brutal, ohne den einen fehlenden Finger, und krallten sich um die Lehnen seines vergoldeten Stuhls. Die Kleider eines Königs, schon möglich, aber die Hände eines Mörders. Er sah aus wie der Bösewicht aus einem Kindermärchen. Der gewissenlose Krieger, der sich mit Feuer und Stahl an die Macht gekämpft hatte. Der über einen Berg von Leichen auf den Thron gestiegen war. Vielleicht war er dieser Mann.

Er bewegte sich gequält, und das neue Tuch kratzte auf seiner klammen Haut. Er war einen langen Weg gegangen, seit er sich aus einem Fluss gezogen hatte und nicht einmal mehr ein Paar Stiefel sein Eigen hatte nennen können. Er hatte es von den Hohen Höhen geschafft, mit einem Topf als einzigem Begleiter. Viel lag hinter ihm, aber er war sich nicht sicher, ob er sich früher nicht sogar besser hatte leiden können. Er hatte gelacht, als er erfahren hatte, dass Bethod sich selbst König nannte. Jetzt saß er hier, tat genau dasselbe und war sogar noch schlechter für diese Aufgabe geeignet. Wenn man eins von Logen Neunfinger sagen konnte, dann das – er war ein Wichser. So einfach war das. Und das gibt ein Mann normalerweise von sich selbst nicht ohne weiteres zu.

Der Säufer, Hoff, übernahm den größten Teil des Geredes. »Das Fürstenrund liegt nun leider in Trümmern. Bis eine Halle errichtet wird, die dieser edlen Versammlung gerecht wird, ein neues Fürstenrund, größer und prächtiger als das alte, werden die Sitzungen des Offenen Rates ausgesetzt.«

Eine Pause folgte. »Ausgesetzt?«, wiederholte jemand. »Wie wird man uns dann hören?«

»Wo werden die Edelleute ihre Sache vertreten können?«

»Die Edelleute werden über den Geschlossenen Rat vertreten sein.« Hoff sprach in einem Tonfall, als redete er von oben herab mit einem Kind. »Oder Sie können sich an den Untersekretär für Audienzen wenden, um eine Anhörung vor dem König zu erhalten.«

»Aber das kann doch jeder Bauer!«

Hoff hob die Augenbrauen. »Das ist wahr.«

Ärger breitete sich unter den Edelleuten aus. Logen verstand vielleicht nicht besonders viel von Politik, aber er merkte, wenn eine Gruppe von Männern eine andere unter ihre Knute zwang. War nie eine besonders schöne Sache, aber zumindest war er diesmal auf der Seite von denen mit der Knute.

»Der König und die Nation sind ein und dasselbe!« Bayaz’ harte Stimme durchschnitt das Murren. »Sie haben Ihre Ländereien von ihm lediglich geborgt. Er bedauert, dass er nun einen Teil von ihnen zurückfordern muss, aber das ist in diesen Tagen leider notwendig.«

»Ein Viertel.« Der Krüppel fuhr sich mit der Zunge über das leere Zahnfleisch und machte dabei ein leicht schmatzendes Geräusch. »Von Ihnen allen.«

»Damit kommen Sie nicht durch!«, rief ein zorniger alter Mann aus der ersten Reihe.

»Meinen Sie, Lord Ischer?« Bayaz lächelte ihn an. »Wer dieser Meinung ist, darf gern Lord Brock in sein staubiges Exil folgen und seine gesamten Ländereien der Krone überantworten, nicht nur einen Teil.«

»Das ist eine Beleidigung!«, rief ein anderer Mann. »Der König war stets der Erste unter Gleichen, der Bedeutendste unter den Edelleuten, aber er stand nicht über ihnen. Unsere Stimmen haben ihn auf den Thron gebracht, und wir weigern uns ...«

»Sie wandeln auf einem schmalen Grat, Lord Heugen.« Das Gesicht des Krüppels wurde von hässlichen Krämpfen erfasst, als er grimmig auf die Versammlung blickte. »Sie möchten doch sicher lieber auf der Seite dieses Grats bleiben, auf der es sicher und warm ist – auf der loyalen Seite. Die andere Seite würde Ihnen nicht so gut gefallen, denke ich.« Eine lange Tränenspur lief von seinem zuckenden linken Auge die Wange hinab. »Der Generalinspektor wird Ihre gesamten Ländereien in den kommenden Monaten schätzen. Es wäre weise, wenn Sie alle ihm Ihre vollste Unterstützung gewähren würden.«

Nun waren viele Männer auf den Beinen, blickten grimmig und schwenkten die Fäuste. »Das ist skandalös!« »Nie da gewesen!«

»Unakzeptabel!«

»Wir werden uns nicht einschüchtern lassen!«

Jezal sprang von seinem Thron, hob den juwelenbesetzten Degen und rammte das Ende der Scheide immer wieder auf das Podest, so dass die Schläge laut von den Wänden widerhallten. »Ich bin der König!«, brüllte er in den plötzlich völlig stillen Saal. »Ich biete Ihnen hier keine Wahl, ich verkünde einen königlichen Erlass! Adua wird wieder aufgebaut, prunkvoller denn je! Und das ist der Preis dafür! Sie haben sich zu sehr an eine schwache Krone gewöhnt, meine Herren! Glauben Sie mir, diese Tage liegen nun hinter uns!«

Bayaz beugte sich zu Logen hinüber und flüsterte: »Er macht das überraschend gut, nicht wahr?«

Die Edelleute murrten, setzten sich aber wieder hin, als Jezal weiterredete, und seine Stimme hallte mit lockerer Selbstsicherheit durch den Raum; den noch in der Scheide steckenden Degen hielt er weiterhin in der Faust. »Jene, die mich in der jüngsten Krise aus ganzem Herzen unterstützt haben, werden von dieser Maßnahme nicht betroffen sein. Aber diese Liste ist zu Ihrer aller Schande nur sehr kurz. Tatsächlich waren es Freunde von außerhalb der Grenzen der Union, die uns in unserer schweren Stunde Beistand leisteten!«

Der Mann in Schwarz erhob sich von seinem Stuhl. »Ich, Orso von Talins, werde meinem königlichen Sohn und meiner Tochter stets zur Seite stehen!« Er ergriff Jezals Gesicht und küsste ihn auf beide Wangen. Dann tat er dasselbe bei der Königin. »Ihre Freunde sind meine Freunde.« Das sagte er mit einem Lächeln, aber die Bedeutung war nicht zu verkennen. »Ihre Feinde? Ah. Sie alle sind kluge Männer. Alles andere können Sie sich denken.«

»Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich für unsere Rettung eingesetzt haben«, sagte Jezal. »Unsere Ergebenheit ist Ihnen sicher. Der Krieg zwischen der Union und dem Norden ist beendet. Der Tyrann Bethod ist tot, und dort hat sich nun vieles geändert. Ich bin stolz, den Mann, der ihn niederwarf, meinen Freund nennen zu dürfen. Neunfinger-Logen! König der Nordmänner!« Er strahlte und streckte die Hand aus. »Es passt, dass wir diese kühne neue Zeit als Brüder beginnen.«

»Joh«, sagte Logen und erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl. »Stimmt.« Er zog Jezal in seine Arme und gab ihm einen mächtigen Klaps auf die Schulter, der in der ganzen Halle zu hören war. »Ich denk mal, wir werden ab jetzt auf unserer Seite der Weißflut bleiben. Es sei denn, dass mein Bruder hier unten Ärger hat.« Er warf den missmutigen alten Männern in der ersten Rolle einen Friedhofsblick zu. »Ich sag’s nur, sorgt dafür, dass ich nicht wiederkommen muss.« Damit ließ er sich wieder auf den hohen Stuhl sinken und blickte weiter finster vor sich hin. Der Blutige Neuner hatte vielleicht keine große Ahnung von Politik, aber er wusste, wie man eine Drohung ausspricht.

»Wir haben den Krieg gewonnen!« Jezal rasselte mit dem goldenen Griff seines Degens, dann ließ er ihn elegant wieder in die Aufhängung an seinem Gürtel gleiten. »Jetzt müssen wir den Frieden gewinnen!«

»Wohl gesprochen, Euer Majestät, wohl gesprochen!« Der rotgesichtige Säufer erhob sich und verhinderte geschickt, dass weitere Einwände erhoben wurden. »Dann bleibt nur noch ein einziger Tagesordnungspunkt, bevor der Offene Rat einstweilen ausgesetzt wird.« Er wandte sich mit einem öligen Lächeln und einer Verbeugung um, während er sich die Hände rieb. »Lassen Sie uns Lord Bayaz danken, dem Ersten der Magi, der durch die Weisheit seines Ratschlusses und der Macht seiner Hohen Künste die Angreifer aus dem Lande trieb und die Union rettete!« Damit begann er zu klatschen. Der Krüppel Glokta tat es ihm nach, dann auch Großherzog Orso.

Ein untersetzter Edelmann in der ersten Reihe sprang auf. »Lord Bayaz!«, brüllte er und schlug die fetten Hände zusammen. Schon bald hallte der ganze Saal vor zögerlichem Applaus wider. Selbst Heugen machte mit. Selbst Ischer, der dabei allerdings ein Gesicht zog, als ob er seiner eigenen Beerdigung Beifall zollte. Logen ließ seine Hände, wo sie waren. Wenn er ehrlich war, dann war ihm schon übel, weil er überhaupt nur dabei war. Übel und wütend. Er lehnte sich zurück und starrte weiter finster vor sich hin.

 

Jezal sah den großen Würdenträgern der Union zu, wie sie murrend den Spiegelsaal verließen. Große Männer. Ischer, Barezin, Heugen und all die anderen. Männer, bei deren Anblick ihm früher der Mund offen gestanden hatte. Alle hatten sie Demut lernen müssen. Es gelang ihm kaum, das Lächeln von seinem Gesicht zu verbannen, während sie ihrer Unzufriedenheit hilflos grummelnd Luft machten. Beinahe fühlte es sich an, als wäre er König, aber dann fiel sein Blick auf seine Königin.

Terez und ihr Vater, Großherzog Orso, waren in ein äußerst hitziges Gespräch verwickelt, das in leidenschaftlichem Styrisch geführt und von beiden durch heftige Handbewegungen unterstrichen wurde. Dass er offenbar nicht das einzige Familienmitglied war, das sie zu verabscheuen schien, hätte Jezal beinahe ein wenig erleichtert, hätte er nicht vermutet, dass er selbst das Thema ihres Streits darstellte. Hinter sich hörte er ein leichtes Kratzen, und leicht angeekelt sah er das verzerrte Gesicht seines neuen Erzlektors neben sich.

»Euer Majestät.« Glokta sprach gedämpft, als ginge es um ein Geheimnis, und sah mit gerunzelter Stirn zu Terez und ihrem Vater hinüber. »Wenn ich fragen darf ... ist zwischen Ihnen und der Königin alles in Ordnung?« Seine Stimme wurde sogar noch leiser. »Wenn ich recht informiert bin, schlafen Sie kaum je im selben Raum.«

Jezal stand kurz davor, dem Krüppel ob seiner Unverschämtheit mit dem Handrücken ins Gesicht zu schlagen. Dann entdeckte er im Augenwinkel, dass Terez ihn ansah. Dieser Blick äußerster Verachtung war alles, was er als Ehemann üblicherweise von ihr zu erwarten hatte. Er ließ die Schultern hängen. »Sie erträgt es kaum, im gleichen Land zu sein wie ich, vom gleichen Bett gar nicht zu reden. Die Frau ist ein fürchterliches Luder!«, zischte er, dann senkte er den Kopf und sah zu Boden. »Was soll ich nur tun?«

Glokta dehnte den Hals erst zu einer, dann zur anderen Seite, und Jezal unterdrückte ein Erschauern, als er ein lautes Knacken vernahm. »Lassen Sie mich mit der Königin sprechen, Euer Majestät. Ich kann recht überzeugend sein, wenn ich es darauf anlege. Ich verstehe Ihre Schwierigkeiten. Schließlich habe ich selbst erst kürzlich geheiratet.«

Jezal wollte sich gar nicht vorstellen, was für ein Scheusal ein solches Ungeheuer als Ehemann akzeptiert hatte. »Tatsächlich?«, fragte er mit geheucheltem Interesse. »Wer ist denn die Dame?«

»Ich glaube, Sie beide sind entfernt miteinander bekannt. Sie heißt Ardee. Ardee dan Glokta.« Die Lippen des Krüppels gaben den Blick auf die ekelhafte Lücke zwischen den Vorderzähnen frei.

»Aber doch nicht ...«

»Die Schwester meines alten Freundes Collem West, genau.« Jezal starrte ihn sprachlos an. Glokta verbeugte sich steif. »Vielen Dank für Ihre Glückwünsche.« Damit wandte er sich ab, schlurfte zum Rand des Podests und humpelte die Stufen hinunter, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützte.

Jezal konnte den heftigen Schock, die überwältigende Enttäuschung und das bodenlose Entsetzen kaum verbergen. Er konnte sich nicht vorstellen, welche erpresserischen Maßnahmen dieses verdorrte Ungeheuer angewandt haben mochte, um sie in eine solche Falle zu locken. Vielleicht war sie lediglich verzweifelt gewesen, nachdem Jezal sie sitzen gelassen hatte. Vielleicht hatte sie nun, da ihr Bruder krank war, niemand anderen mehr, an den sich sie wenden konnte. Noch vor wenigen Tagen, an jenem Morgen im Hospital, hatte ihr Anblick etwas in ihm berührt, genau wie immer. Er hatte noch gedacht, dass sie vielleicht eines Tages, nach einiger Zeit ...

Jetzt waren selbst solche angenehmen Tagträumereien dahin. Ardee war verheiratet, mit einem Mann, den Jezal verabscheute. Ein Mann, der in seinem Geschlossenen Rat saß. Schlimmer noch, es handelte sich um jenen Kerl, dem er in einem Augenblick des Wahnsinns die völlige Leere seiner eigenen Ehe gestanden hatte. Er hatte sich schwach gezeigt, verletzlich, lächerlich. Bitter fluchte er vor sich hin.

Nun erschien es ihm, als hätte er Ardee mit unerträglicher Leidenschaft geliebt. Als hätten sie etwas miteinander geteilt, das er nirgendwo anders mehr finden würde. Wie hatte er das damals nur übersehen können? Wie hatte er zulassen können, dass es auseinanderfiel, für das hier? Die traurige Tatsache war wohl nur, nahm er an, dass Liebe an sich niemals wirklich genügte.

 

Logen spürte einen Stich heftiger Enttäuschung, als er die Tür öffnete, gefolgt von einer hässlichen Welle Zorn. Das Zimmer war leer, sauber und aufgeräumt, als habe dort nie jemand geschlafen. Ferro war verschwunden.

Nichts hatte sich so entwickelt, wie er gehofft hatte. Vielleicht hätte er inzwischen damit rechnen sollen. Schließlich war das noch nie anders gewesen. Und dennoch schaffte er es immer wieder, alles Gute, was in seiner Reichweite war, leichtsinnig zu verspielen. Er war wie ein Mann, dessen Tür zu niedrig ist, aber der niemals lernt, sich zu ducken, sondern jeden Tag seines elenden Lebens mit dem Kopf gegen den Türsturz prallt. Gern hätte er sich leidgetan, aber er wusste, dass er es nicht besser verdiente. Man konnte nicht tun, was er getan hatte, und dann darauf hoffen, dass am Ende alles gut würde.

Mit zusammengebissenen Zähnen verließ er das Zimmer und schritt den Flur hinunter. Die nächste Tür drückte er ohne anzuklopfen auf. Die hohen Fenster waren geöffnet, Sonnenlicht durchflutete den luftigen Raum, und die Wandbehänge flatterten leicht in der milden Brise. Bayaz saß vor einem der Fenster und hielt eine Teetasse in der Hand. Ein unterwürfiger Diener in einer Samtjacke, der auf den gespreizten Fingern der anderen Hand ein Tablett mit Tässchen balancierte, schenkte ihm aus einer silbernen Kanne ein.

»Ah, der König der Nordmänner!«, rief Bayaz. »Wie geht ...«

»Wo ist Ferro?«

»Weg. Sie hat ein ziemliches Durcheinander hinterlassen, aber ich habe hinter ihr aufgeräumt, wie ich es so oft ...« »Wohin?«

Der Magus zuckte die Achseln. »Nach Süden, könnte ich mir vorstellen. Wenn ich eine Vermutung aussprechen müsste, würde ich sagen, dass es mit Rache oder dergleichen zu tun hat. Sie hat ja immer sehr viel von Rache gesprochen. Eine äußerst schlecht gelaunte Frau.«

»Sie hat sich verändert.«

»Große Ereignisse, mein Freund. Niemand von uns ist noch ganz derselbe. Möchten Sie vielleicht auch eine Tasse Tee?«

Der Diener tänzelte mit bebendem Silbertablett auf ihn zu. Logen packte ihn an seiner Samtjacke und schleuderte ihn durchs Zimmer. Der Mann schrie auf, als er gegen die Wand schlug und zwischen seinen Teetassen ausgestreckt auf dem Boden liegen blieb.

Bayaz hob eine Augenbraue. »Ein schlichtes ›Nein‹ hätte auch genügt.«

»Scheiß drauf, du alter Drecksack.«

Der Erste der Magi runzelte die Stirn. »Aber aber, Meister Neunfinger, Ihr scheint heute ja in äußerst ruppiger Stimmung zu sein. Ihr seid nun König, und es steht Euch schlecht an, Euch auf diese Weise von Euren niederen Leidenschaften beherrschen zu lassen. Könige dieser Art bleiben nie lange auf dem Thron. Ihr habt noch immer Feinde im Norden. Calder und Scale haben sich sicherlich oben in den Bergen verschanzt und hecken etwas aus. Gute Manieren sollten mit guten Manieren vergolten werden, habe ich stets gedacht. Ihr wart nützlich für mich, und ich kann im Gegenzug ebenfalls nützlich für Euch sein.«

»So wie für Bethod?«

»Genau so.«

»Hat ihm nicht viel gebracht.«

»Als er meine Unterstützung genoss, ging es mit ihm aufwärts. Dann wurde er stolz und widerborstig und verlangte, dass alles nach seinem Willen geschehen sollte. Ohne meine Hilfe ... nun, den Rest kennt Ihr wohl.«

»Halte dich aus meinen Angelegenheiten raus, Zauberer.« Logen ließ die Hand auf den Griff von Kanedias’ Schwert fallen. Wenn Schwerter Stimmen haben, wie ihm der Magus einmal erzählt hatte, dann ließ er es nun eine grimme Drohung aussprechen.

Aber Bayaz’ Gesicht zeigte lediglich einen feinen Hauch Verärgerung. »Ein geringerer Mann wäre nun vielleicht verletzt. Habe ich nicht Euer Leben von Bethod erhandelt? Habe ich Euch nicht einen Lebenszweck gegeben, als Ihr nichts mehr hattet? Habe ich Euch nicht ans Ende der Welt geführt und Euch Wunder gezeigt, wie nur wenige Männer sie je zu Gesicht bekommen? Das sind wirklich schlechte Manieren. Sogar das Schwert, mit dem Ihr mich bedroht, habe ich Euch einst geschenkt. Ich hatte gehofft, wir könnten zu einer ...«

»Nein.«

»Ich verstehe. Nicht einmal ...«

»Wir sind miteinander fertig. So wie’s aussieht, werde ich nie zu einem besseren Menschen, aber ich kann versuchen, ein nicht noch schlimmerer zu werden. Das zumindest kann ich tun.«

Bayaz kniff die Augen zusammen. »Nun, Meister Neunfinger, Ihr überrascht mich am Ende doch. Ich hielt Euch für mutig, aber dennoch beherrscht, für berechnend und dennoch leidenschaftlich. Vor allem aber hielt ich Euch für realistisch. Aber die Nordmänner neigten stets schon zur Launenhaftigkeit. Ich stelle fest, dass Ihr gerade in einer widerspenstigen und zerstörerischen Stimmung seid. Nun endlich sehe ich den Blutigen Neuner.«

»Schön, dass ich dich enttäusche. Offenbar haben wir uns gegenseitig falsch eingeschätzt. Ich habe dich für einen großen Mann gehalten. Jetzt aber erkenne ich meinen Fehler.« Langsam schüttelte Logen den Kopf. »Was hast du hier getan?«

»Was ich getan habe?« Bayaz stieß ein schnaubendes, ungläubiges Lachen aus. »Ich habe drei reine Arten der Magie miteinander verquickt und eine neue daraus erschaffen! Offenbar begreift Ihr meine Leistung nicht, Meister Neunfinger, aber ich vergebe Euch. Mir ist klar geworden, dass Bücherwissen noch nie Eure größte Stärke war. Ein solches Unterfangen ist seit der Alten Zeit nicht mehr versucht worden, als Euz seine Gaben unter seinen Söhnen verteilte.« Bayaz seufzte. »Niemand wird meine größte Leistung je zu würdigen wissen, so wie es aussieht. Niemand außer Khalul vielleicht, und es ist unwahrscheinlich, dass er mir je dafür gratulieren wird. Nun, eine solche Kraft wurde im Weltenrund nicht mehr entfesselt, seit ... seit ...«

»Glustrod sich selbst zerstörte und Aulcus gleich mit?«

Der Magus hob die Augenbrauen. »Nun, da Ihr es erwähnt ...«

»Und die Folgen sind in etwa dieselben, scheint mir, wenn man davon absieht, dass du mit ein bisschen weniger gewissenlosem Morden ausgekommen bist und einen kleineren Teil einer kleineren Stadt in Schutt und Asche gelegt hast, noch dazu in einer weniger bedeutsamen, geringeren Zeit. Sonst besteht wohl kein Unterschied zwischen dir und ihm?«

»Ich hätte gedacht, das sei doch völlig offensichtlich.« Bayaz hob seine Teetasse und warf Logen über ihren Rand einen milden Blick zu. »Glustrod hat verloren.«

Logen stand lange da und dachte darüber nach. Dann wandte er sich um und stolzierte aus dem Zimmer, wobei ihm der Diener ängstlich auswich. Auf dem Flur hallten seine Schritte von der vergoldeten Decke, und das Rasseln von Bethods schwerer Kette auf seinen Schultern klang wie Gelächter in seinen Ohren.

Wahrscheinlich hätte er dafür sorgen sollen, dass der gewissenlose alte Drecksack weiter auf seiner Seite blieb. So, wie die Dinge im Norden vermutlich standen, mochte es durchaus dazu kommen, dass Logen seine Hilfe brauchen würde, sobald er zurückkehrte. Wahrscheinlich hätte er diese stinkende Pissbrühe, die Bayaz Tee nannte, trinken und dabei lächeln sollen, als ob es sich um Honig handelte. Wahrscheinlich hätte er lachen und den Magus einen alten Freund nennen sollen, damit er zur Großen Bibliothek des Nordens gekrochen kommen konnte, wenn die Dinge schiefgingen. Das wäre schlau gewesen. Das wäre realistisch gewesen. Aber es war nun einmal so, wie Logens Vater schon immer gesagt hatte ... So realistisch war er nie gewesen.