DIE GUNST DES MONDES
Der Hundsmann stand da, blinzelte zur Sonne empor und sah den Unionisten zu, wie sie in die andere Richtung davonschlurften. Besiegten Männern ist die verlorene Schlacht oft anzusehen, an den langsamen Bewegungen, der gebeugten Haltung, der schlammbespritzten Kleidung und an der Art, wie sie scheinbar mächtig interessiert auf den Erdboden starren. Der Hundsmann hatte das schon oft erlebt. Er hatte sich selbst so gefühlt, mehr als nur einmal. Das Bedauern über die Niederlage. Die Scham, geschlagen worden zu sein. Das Schuldgefühl, auch ohne schwere Verwundung einfach aufgegeben zu haben. Hundsmann wusste, wie es einem damit erging und was das für ein nagendes Gefühl sein konnte, aber Schuld war um einiges weniger schmerzhaft als ein Schwertstreich und heilte auch verdammt viel schneller.
Einige der Verwundeten waren gar nicht so übel dran. Sie humpelten mit Verbänden oder Schienen auf einen Stock gestützt herum oder hatten einen Arm um die Schultern eines Kameraden geschlungen. Verletzt genug, um für ein paar Wochen nur zu leichtem Dienst eingeteilt zu werden. Andere hatten weniger Glück gehabt. Einen davon glaubte der Hundsmann zu kennen. Es war ein Offizier, noch nicht alt genug, als dass ihm ein Bart gewachsen wäre; sein glattes Gesicht war nun vor brennendem Schmerz und Entsetzen verzerrt. Sein Bein hatte man ihm direkt unter dem Knie abgenommen, und seine Kleidung, die Bahre und die beiden Männer, die sie trugen, waren mit dunklem Blut bespritzt. Er hatte am Tor gesessen, als Hundsmann und Dreibaum nach Ostenhorm gekommen waren, um zur Union überzulaufen. Es war jener Kerl, der sie angesehen hatte, als seien sie zwei Scheißhaufen. Jetzt klang er nicht mehr so aalglatt und selbstgerecht, wie er auf seiner Bahre lag und brüllte, aber das entlockte dem Hundsmann kein Lächeln. Der Verlust eines Beins erschien ihm eine ziemlich harte Strafe für Überheblichkeit.
West stand ein Stückchen entfernt am Weg und sprach mit einem Offizier, der einen dreckigen Verband um den Kopf trug. Hundsmann konnte nicht hören, was sie sagten, aber er konnte es sich in etwa denken. Von Zeit zu Zeit deutete einer der beiden zu den Hügeln hinüber, durch die sie gekommen waren. Zwei steile, hässliche Erhebungen, größtenteils bewaldet, von einigen nackten Felshängen durchsetzt. West wandte sich ab und sah zum Hundsmann hinüber, und sein Gesicht war finsterer als das eines Totengräbers. Man musste kein Blitzmerker sein, um zu begreifen, dass der Krieg noch nicht gewonnen war.
»Scheiße«, murmelte der Hundsmann unterdrückt. Er spürte dieses ziehende Gefühl im Bauch. Diese Niedergeschlagenheit, die er sonst immer gespürt hatte, wenn er noch unbekanntes Gelände ausspähen sollte, wenn Dreibaum zu den Waffen rief, wenn es zum Frühstück nichts anderes als kaltes Wasser gab. Seit er Häuptling geworden war, schien ihn dieses Gefühl kaum noch zu verlassen. Alles war jetzt sein Problem. »Nichts zu machen?«
West schüttelte den Kopf, als er zu ihm herüberkam. »Bethod hat auf uns gewartet, und zwar mit einer großen Streitmacht. Er hat sich hier in diesen Bergen eingegraben. Sehr tief und sehr gut versorgt, und er sitzt genau zwischen uns und Carleon. Höchstwahrscheinlich hatte er sich bereits darauf vorbereitet, noch bevor er die Grenze überschritt.«
»Er hat schon immer gern vorausgeplant, dieser Bethod. Kommen wir nicht an ihm vorbei?«
»Kroy hat beide Straßen ausprobiert und auf beiden heftige Prügel bekommen. Jetzt hat es Poulder mit einem direkten Durchmarsch durch die Berge versucht und noch eine schwerere Niederlage eingesteckt.«
Hundsmann seufzte. »Wir kommen nicht um ihn herum.«
»Jedenfalls nicht, ohne Bethod eine hübsche Möglichkeit zu bieten, uns direkt ins Messer laufen zu lassen.«
»Und solche Möglichkeiten lässt sich Bethod nicht entgehen. Genau darauf wird er gehofft haben.«
»Das sieht der Lord Marschall auch so. Er möchte, dass du deine Männer nach Norden führst.« West sah zu den grau verhangenen Spitzen weiterer Berge in größerer Entfernung hinüber. »Er möchte, dass ihr eine Schwachstelle sucht. Bethod kann unmöglich den ganzen Höhenrücken halten.«
»Kann er nicht?«, fragte Hundsmann. »Ich denke, das werden wir erst noch herausfinden müssen.« Dann verschwand er in den Bäumen. Seine Jungs würden diese Aufgabe lieben.
Er folgte dem Pfad und kam bald zu der Stelle, wo seine Leute lagerten. Es wurden immer mehr. Wenn man alle mitrechnete, waren es inzwischen um die vierhundert, und es waren harte Kerle darunter. Vor allem solche, die noch nie viel für Bethod übrig gehabt hatten und die in den Fehden gegen ihn gekämpft hatten. Und auch gegen den Hundsmann natürlich. In den Wäldern wimmelte es vor ihnen, sie saßen um ihre Feuer, kochten, schärften ihre Waffen und pflegten ihre Ausrüstung, und ein paar erprobten sich im bewaffneten Kampf. Der Hundsmann verzog das Gesicht, als das helle Klingen von Stahl auf Stahl an seine Ohren drang. Das würden sie noch zur Genüge zu hören bekommen, aber mit blutigerem Ergebnis, dessen war er sich sicher.
»Häuptling!«, riefen sie ihm zu. »Der Hundsmann! Der Häuptling! Hey, hey!« Sie klatschten in die Hände und klopften mit ihren Waffen auf die Steine, auf denen sie saßen. Hundsmann reckte die Faust hoch, grinste den einen oder anderen an und sagte, »Joh, gut, gut« und dergleichen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er noch immer nicht die geringste Ahnung, wie man sich als Häuptling zu verhalten hatte, und daher gab er sich genau so, wie er es immer getan hatte. Seine Leute waren damit offenbar zufrieden. Das waren sie aber auch immer, dachte er. Bis sie ein paar Schlachten verlieren würden und dann zu dem Schluss kämen, dass sie einen neuen Häuptling brauchten.
Er gelangte zu dem Feuer, wo die besten der Namhaften Männer den Tag verbrachten. Von Logen war nichts zu sehen, aber der Rest der alten Truppe saß dort und sah gelangweilt aus. Die jedenfalls, die noch nicht tot waren. Tul sah ihn kommen. »Der Hundsmann ist wieder da.«
»Hm«, brummte Grimm, der ein paar Federn mit einem Rasiermesser stutzte.
Dow war damit beschäftigt, mit einem Stück Brot das letzte Fett aus einer Pfanne zu wischen. »Na, wie ist es der Union in den Bergen ergangen?« In seiner Stimme lag eine gewisse Verachtung, die andeutete, dass er die Antwort schon kannte. »Sie haben es komplett versaut, oder nicht?«
»Sie sind Zweiter geworden, wenn es das ist, was du wissen wolltest.«
»Das nenn ich versaut, wenn es nämlich nur zwei Parteien gegeben hat.«
Hundsmann holte tief Luft und ging nicht weiter darauf ein. »Bethod hat sich richtig gut eingegraben und bewacht alle Straßen nach Carleon. Niemand weiß einen leichten Weg, um ihn zu überwältigen oder aber zu umgehen. Er hat sich auf diese Lage ziemlich gut vorbereitet, denke ich mal.«
»Das hätte ich dir sagen können!«, bellte Dow und spuckte einen kleinen Schauer fettiger Krümel aus. »Er wird Kleinknochen auf einem dieser Berge haben und Schlohmähne auf dem anderen, und Schneebleich und Goring weiter draußen. Die vier werden es niemandem leicht machen, aber selbst wenn, dann wird Bethod mit seinen Schanka hinter ihnen lauern und mit seinem Scheiß-Gefürchteten, um die Union im Eiltempo abzumurksen.«
»Das ist ziemlich wahrscheinlich.« Tul hielt sein Schwert in die Höhe und machte sich dann wieder daran, die Klinge zu polieren. »Bethod hat immer gern vorausgeplant.«
»Und was sagen die, die unsere Leinen in der Hand halten?«, fragte Dow abfällig. »Was für Arbeit hat Wildzorn jetzt für seine Tierchen?«
»Burr will, dass wir ein Stück nach Norden ziehen, durch die Wälder, und gucken, ob Bethod irgendwo eine Schwachstelle übersehen hat.«
»Pah«, schnaubte Dow. »Bethod hat nicht die Angewohnheit, Schlupflöcher zu lassen. Es sei denn, mit Absicht, damit wir dort reinfallen. Und uns den Hals brechen.«
»Na, dann sollten wir wohl besonders vorsichtig darauf achten, wo wir hintreten, was?«
»Schon wieder den Scheiß-Laufburschen spielen.«
Hundsmann vermutete, dass er Dows Gemecker allmählich genauso satt hatte wie Dreibaum früher. »Was sonst gäbe es wohl zu tun? Das Leben ist nun mal so, man muss immer mal wieder Drecksarbeit übernehmen. Wenn du auch nur ein bisschen was wert bist, dann versuchst du, diese Arbeit so gut wie möglich zu erledigen. Welche Laus ist dir denn überhaupt über die Leber gelaufen?«
»Das hier!« Dow machte eine Kopfbewegung in Richtung Wald. »Bloß das hier! Es hat sich nichts geändert, was? Wir haben zwar die Weißflut überquert und sind wieder im Norden, aber Bethod hat sich da oben prachtvoll eingebuddelt, und die Union hat keine Möglichkeit, an ihm vorbeizukommen, ohne richtig was auf den Arsch zu kriegen. Und wenn sie ihn von den Bergen prügeln, was dann? Und wenn sie bis Carleon kommen und die Stadt erobern, um sie dann wohl in Brand zu setzen, genau wie Neunfinger letztes Mal, was dann? Das heißt doch gar nichts. Bethod wird weitermachen, wie immer, er wird kämpfen und sich wieder zurückziehen, und es wird immer ein paar neue Berge zum Verschanzen geben und ein paar neue Kniffe, um uns zu überlisten. Irgendwann hat dann die Union die Schnauze voll und verpisst sich wieder nach Süden, und wir werden es ausbaden müssen. Denn dann wird Bethod wieder umkehren, und haste nicht gesehen – wird er derjenige sein, der uns durch den ganzen verdammten Norden und zurück jagen wird. Winter, Sommer, Winter, Sommer, immer der gleiche Scheiß. Hier sitzen wir, weniger Leute als früher, aber wir drücken uns immer noch in den Wäldern rum. Kommt euch das nicht bekannt vor?«
So war es wohl, jetzt, da er es sagte, aber Hundsmann wusste nicht, was er daran hätte ändern können. »Logen ist ja wieder da, oder nicht? Das wird schon ein bisschen helfen.«
Dow schnaubte wieder. »Ha! Seit wann hat der Blutige Neuner irgendwas anderes gebracht als den Tod?«
»Jetzt aber mal langsam«, knurrte Tul. »Du bist ihm was schuldig, schon vergessen? Wir alle stehen in seiner Schuld.«
»Es gibt aber Grenzen, wie lange ein Mann in der Schuld eines anderen steht, würd ich sagen.« Dow warf seine Pfanne neben das Feuer, stand auf und wischte sich die Hände an seinem Mantel ab. »Wo hat er sich überhaupt rumgetrieben, hm? Hat uns da oben in den Tälern ohne ein Wort sitzen lassen, oder nicht? Hat uns den Plattköpfen überlassen und ist durch die halbe Welt gegondelt! Wer sagt uns denn, dass er sich nicht wieder verpisst, wenn er Lust hat, oder zu Bethod überläuft, grundlos jemanden umbringt oder sonst was macht?«
Hundsmann sah zu Tul hinüber, und Tul blickte mit schuldbewusstem Gesicht zurück. Sie alle hatten miterlebt, dass Logen wirklich verdammt dunkle Taten vollbracht hatte, wenn er in der Stimmung dazu gewesen war. »Das ist lange her«, sagte Tul. »Die Dinge ändern sich.«
Dow grinste nur. »Nein. Tun sie nicht. Die Geschichte kannst du dir selber erzählen, wenn du dann besser schläfst, aber ich werde ein Auge offen halten, das kann ich dir sagen! Wir reden hier vom Blutigen Neuner! Wer weiß, was der als Nächstes tun wird?«
»Ich habe da so eine Ahnung.« Der Hundsmann wandte sich um und sah Logen, der gegen einen Baum lehnte, und er wollte gerade lächeln, als er seinen Gesichtsausdruck sah. Es war ein Blick, den er aus vergangener Zeit gut kannte und der alle möglichen hässlichen Erinnerungen wieder aufleben ließ. Es war ein Blick, wie ihn die Toten haben, wenn das Leben aus ihnen gewichen ist und sie sich um nichts mehr kümmern.
»Wenn du was zu sagen hast, kannst du es mir wohl auch ins Gesicht sagen.« Logen kam auf sie zu, pflanzte sich direkt vor Dow auf und neigte den Kopf zu einer Seite; die Narben standen weiß in seinem müden Gesicht. Hundsmann spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten und ihn ein kalter Schauer überlief, obwohl die Sonne ihn wärmte.
»Komm schon, Logen«, bemühte sich Tul zu vermitteln, indem er so zu klingen versuchte, als ob die ganze Sache nur ein Scherz gewesen sei. Dabei war es doch so tödlich offensichtlich, dass von einem Scherz keine Rede sein konnte. »Dow hatte es nicht so gemeint. Er wollte nur ...«
Logen fiel ihm ins Wort, während er Dow mit seinen Leichenaugen lange ins Gesicht starrte. »Ich hatte gedacht, als ich dir die letzte Lehre erteilt habe, dass du nie wieder einen Nachschlag brauchen würdest. Aber offenbar haben manche Leute ein kurzes Gedächtnis.« Er ging noch einen Schritt näher an Dow heran, so nah, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten. »Na? Brauchst du noch eine Lektion, Kleiner?«
Hundsmann verzog gequält das Gesicht. Sie schienen so entschlossen, einander umzubringen, und er hatte keine Ahnung, wie er sie daran hindern sollte, wenn sie erst einmal mit dem Kampf begonnen haben würden. Es herrschte größte Spannung, und der Augenblick erschien wie eine Ewigkeit. Der Schwarze Dow hätte sich so etwas von keinem anderen Mann sagen lassen, tot oder lebendig, nicht mal von Dreibaum, aber schließlich zog sich ein gelbes Grinsen über sein Gesicht.
»Nein. Die eine Lektion hat gereicht.« Damit drehte er den Kopf zur Seite, hustete Schleim herauf und spuckte aus. Dann zog er sich zurück, ohne Eile, und grinste dabei noch immer, als ob er sagen wollte, dass er den Verweis zwar hingenommen hatte, aber nicht dafür garantieren könnte, dass es das nächste Mal genauso sein würde.
Nachdem er gegangen war und es kein Blutvergießen gegeben hatte, atmete Tul laut aus, als ob gerade großes Unheil an ihnen vorübergegangen wäre. »Na gut. Nach Norden also? Dann sollte wohl einer von uns die Jungs dazu bringen, dass sie sich in Bewegung setzen.«
»Hm«, sagte Grimm, ließ den letzten Pfeil in seinen Köcher gleiten und folgte ihm in den Wald hinein.
Logen stand einen Augenblick da und sah ihnen nach. Als sie außer Sicht waren, wandte er sich um und setzte sich ans Feuer, vornübergebeugt, die Arme auf die Knie gestützt und mit hängendem Kopf. »Den Toten sei Dank. Ich hätte mir fast in die Hosen geschissen.«
Hundsmann wurde klar, dass er die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte, und ließ sie nun keuchend aus den Lungen strömen. »Ich glaube, ich habe das fast sogar getan, jedenfalls ein bisschen. Musste das unbedingt sein?«
»Das weißt du doch. Wenn man einem Mann wie Dow irgendwelche Freiheiten gestattet, dann kennt er keine Grenzen. Dann haben irgendwann auch die anderen Jungs den Eindruck, dass der Blutige Neuner nicht halb so furchteinflößend ist, wie sie immer gehört haben, und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer von denen, die mir noch was vorzuwerfen haben, mit einer Klinge auf mich lauert.«
Hundsmann schüttelte den Kopf. »Das ist eine harte Sicht der Dinge.«
»So ist es aber nun mal. Die Dinge haben sich kein bisschen geändert. Das tun sie nie.«
Vielleicht stimmte das, aber sie würden sich sicherlich nicht ändern, wenn niemand ihnen die Möglichkeit dazu gab. »Trotzdem. Bist du sicher, dass so etwas nötig ist?«
»Bei dir vielleicht nicht. Du hast was an dir, dass dich die
Leute mögen.« Logen kratzte sich am Kinn und sah traurig in den
Wald. »Ich glaube, dafür habe ich die letzte Gelegenheit vor etwa
fünfzehn Jahren verspielt. Und noch eine werde ich nicht
bekommen.«
Die Wälder waren warm und vertraut. Vögel zwitscherten in den Zweigen und kümmerten sich einen feuchten Dreck um Bethod oder die Union oder überhaupt um die Angelegenheiten der Menschen. Kein Ort hatte je friedlicher gewirkt, und Hundsmann gefiel das gar nicht. Er schnupperte und ließ die Luft durch seine Nase und über seine Zunge strömen. In diesen Tagen war er doppelt vorsichtig, seit jener Pfeil herangesurrt und Cathil in der Schlacht getötet hatte. Vielleicht hätte er sie retten können, wenn er seiner eigenen Nase nur ein bisschen mehr vertraut hätte. Er wünschte, er hätte sie retten können. Aber wünschen half nichts.
Dow hockte sich hinter einen Busch und starrte in den stillen Wald. »Was ist, Hundsmann? Was riechst du?«
»Männer, würde ich sagen, aber irgendwie bitter.« Er schnupperte wieder. »Riecht wie ...«
Ein Pfeil flog zwischen den Bäumen hervor, schlug in den Baumstamm direkt neben dem Hundsmann und blieb dort zitternd stecken.
»Verflucht!«, kreischte er, rutschte auf seinen Hintern und riss sich hastig den eigenen Bogen von der Schulter, wie immer viel zu spät. Dow fiel fluchend neben ihn, und sie verhedderten sich ineinander. Beinahe hätte sich der Hundsmann an Dows Axt ein Auge ausgestochen, bevor er ihn zur Seite schieben konnte. Dann streckte Hundsmann seinen Männern die offene Handfläche entgegen, als Zeichen, dass sie anhalten sollten, aber sie waren bereits in Deckung gegangen, krochen auf dem Bauch liegend auf Bäume oder Felsen zu, zogen ihre Waffen und starrten in den Wald hinein.
Eine Stimme erklang zwischen den Stämmen vor ihnen. »Kämpft ihr für Bethod?« Wer auch immer es war, er sprach Nordisch mit einem seltsamen Akzent.
Dow und Hundsmann sahen sich einen Augenblick an, dann zuckten sie die Achseln. »Nein!«, brüllte Dow zurück. »Und wenn ihr das tut, dann macht euch am besten bereit, den Toten gegenüberzutreten!«
Es folgte eine Pause. »Wir kämpfen nicht für dieses Arschloch und werden es auch nie tun!«
»In Ordnung!«, rief nun der Hundsmann, der den Kopf gerade einmal um einen Zoll hob, den Bogen gespannt und schussbereit in den Händen. »Dann zeigt euch!«
In etwa sechs Schritt Entfernung trat ein Mann hinter einem Baum hervor. Hundsmann erschreckte sich so sehr, dass er beinahe die Sehne losgelassen und den Pfeil abgeschossen hätte. Weitere Männer lösten sich aus dem Wald um sie herum. Dutzende. Ihr Haar war verfilzt, ihre Gesichter mit brauner Erde und blauer Farbe beschmiert, ihre Kleidung bestand aus zerlumpten Pelzen und halb gegerbten Häuten. Aber die Spitzen ihrer Speere und Pfeile und die Klingen ihrer roh geschmiedeten Schwerter glänzten hell und sauber.
»Bergmenschen«, raunte Hundsmann.
»Wir sind Bergmenschen, und wir sind stolz darauf!« Eine volle, laute Stimme schallte aus dem Wald. Ein paar von den Männern rückten zur Seite, als ob sie jemandem Platz machen wollten. Hundsmann blinzelte. Ein Kind kam zwischen ihnen hindurch. Ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, mit dreckigen, nackten Füßen. Es trug einen riesigen Hammer über einer Schulter, der aus einem dicken Holzknüppel, vielleicht einen Schritt lang, und einem vernarbten Eisenklumpen von der Größe eines Ziegels bestand. Er war viel zu groß für die Kleine, als dass sie ihn hätte schwingen können. Sie hatte schon Schwierigkeiten, ihn zu tragen.
Als Nächstes kam ein kleiner Junge. Er hatte sich einen runden Schild auf den Rücken geschnallt, der für ihn viel zu breit war, und eine große Axt, die er mit beiden Händen trug. Ein zweiter Junge ging neben ihm, bewaffnet mit einem Speer, der zweimal länger war als er selbst und dessen helle Spitze hoch über seinem Kopf hin und her wackelte. In den Sonnenflecken, die das Blätterdach durchließ, schimmerte Gold unter der Klinge. Der Junge sah immer wieder nach oben, um zu vermeiden, dass die Spitze gegen einen Ast schlug.
»Ich träume«, murmelte der Hundsmann. »Oder nicht?« Dow runzelte die Stirn. »Wenn das ein Traum ist, dann aber ein ganz schön komischer.«
Sie waren nicht allein, diese drei Kinder. Ein riesiger Kerl tauchte hinter ihnen auf. Um seine enorm breiten Schultern lag ein ausgefranster Pelz, und ein breites Halsband hing bis auf seinen fetten Bauch hinunter. Es bestand aus Knochen. Fingerknochen, wie Hundsmann sah, als er näher kam. Menschenfinger. Dazwischen hingen flache Holzstücke, in die seltsame Zeichen eingeschnitten waren. Ein gelbzahniges Grinsen war aus seinem graubraunen Bart herausgefräst, das aber nicht dazu beitrug, dass sich der Hundsmann besser fühlte.
»Ach du Scheiße«, stöhnte Dow. »Lasst uns zurückgehen, nach Süden, und mit dem ganzen Mist aufhören.«
»Wieso? Kennst du den?«
Dow wandte den Kopf ab und spuckte aus. »Na klar. Crummock-i-Phail.«
Beinahe wünschte sich der Hundsmann nun, es wäre doch ein Hinterhalt gewesen und keine Unterredung. Denn das wusste ja jedes Kind. Crummock-i-Phail, Häuptling der Bergmenschen, war wohl der verrückteste Drecksack im ganzen verdammten Norden.
Der Mann schob die Speere und Pfeile sanft aus dem Weg, als er näher kam. »Das ist jetzt wohl nicht mehr nötig, was, meine Schönen? Wir sind doch alle Freunde oder haben zumindest dieselben Feinde, was sogar noch besser ist, versteht ihr? Wir alle haben jede Menge Feinde da oben in den Bergen, oder nicht? Der Mond weiß, dass ich einem guten Kampf nie abgeneigt bin, aber ein Angriff gegen die großen Felsen, über denen Bethod und seine Arschkriecher sich verschanzt haben? Das wäre wohl für jeden ein bisschen zu viel Kampf, was? Sogar für eure neuen Freunde aus dem Süden.«
Er blieb direkt vor ihnen stehen, und die Fingerknochen schwangen klappernd hin und her. Die drei Kinder hielten hinter ihm inne, hantierten mit ihren riesenhaften Waffen herum und sahen Dow und den Hundsmann böse an.
»Ich bin Crummock-i-Phail«, sagte er. »Häuptling aller Bergmenschen. Oder jedenfalls aller Bergmenschen, die was taugen.« Er grinste, als sei er gerade bei einer Hochzeit hereingeschneit. »Und wer führt bei diesem netten Ausflug wohl die Aufsicht?«
Hundsmann spürte wieder dieses ziehende Gefühl, aber es war nicht zu ändern.
»Das bin wohl ich.«
Crummock sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Tatsächlich? Du bist aber ein ziemlich kleiner Kerl, dass du all diesen großen Jungs hier sagen kannst, was sie tun sollen, nicht wahr? Dann musst du aber einen ganz schön großen Namen auf deinen Schultern tragen, wenn ich mich nicht irre.«
»Ich bin der Hundsmann. Das hier ist der Schwarze Dow.«
»Du hast aber eine seltsame Truppe hier bei dir«, sagte Dow und warf einen düsteren Blick auf die Kinder.
»Ah, und wie! Und wie! Und eine so tapfere! Der Junge mit dem Speer, das ist mein Sohn Scofen. Der mit meiner Axt ist mein Sohn Rond.« Crummock sah das Mädchen mit dem Hammer an und runzelte die Stirn. »An den Namen dieses Jungen erinnere ich mich nicht.«
»Ich bin deine Tochter!«, rief das Mädchen.
»Was, hatte ich keine Söhne mehr übrig?«
»Scenn ist zu alt geworden, dem hast du sein eigenes Schwert gegeben, und Sceft ist noch zu klein, um irgendwas zu tragen.«
Crummock schüttelte den Kopf. »Kommt mir trotzdem nicht richtig vor, dass ein Weibsbild den Hammer nimmt.«
Das Mädchen schmetterte die Waffe auf den Boden und trat Crummock vors Schienenbein. »Dann kannst du das Scheißding selber schleppen, du alter Drecksack!«
»Aua!«, brüllte er, lachte und rieb sich gleichzeitig das Bein. »Jetzt erinnere ich mich an dich, Isern. Dein Tritt hat dich wieder in mein Gedächtnis zurückgebracht. Du kannst den Hammer nehmen, natürlich. Die Kleinste muss immer die größte Last tragen, was?«
»Willst du die Axt, Pa?« Der kleinere Junge hielt die Waffe schwankend in die Höhe.
»Willst du den Hammer?« Das Mädchen zog ihn am Stiel aus dem Unterholz und schubste ihren Bruder aus dem Weg.
»Nein, meine Schätzchen, im Augenblick brauche ich nur Worte, und von denen habe ich auch ohne eure Unterstützung mehr als genug. Ihr könnt eurem Vater bald wieder bei Mord und Totschlag zusehen, wenn alles gut geht, aber heute haben wir für Äxte oder Hämmer keine Verwendung. Wir sind nicht zum Töten hergekommen.«
»Warum seid ihr dann hier?«, fragte der Hundsmann, der sich allerdings nicht sicher war, ob er das wirklich wissen wollte.
»Gleich zum Geschäft, und keine Zeit für Nettigkeiten?« Crummock neigte den Kopf zur Seite, die Arme hochgereckt, dann hob er einen Fuß und schüttelte ihn. »Ich kam hierher, weil ich in der Nacht erwachte, und ich ging in die Dunkelheit hinaus. Der Mond flüsterte mir etwas zu. Im Wald, versteht ihr? In den Bäumen und in den Stimmen der Eulen auf den Bäumen, und wisst ihr, was der Mond gesagt hat?«
»Dass du komplett bescheuert bist?«, knurrte Dow.
Crummock klatschte sich auf den dicken Schenkel. »Du hast für einen hässlichen Kerl eine hübsche Art zu reden, Schwarzer Dow, aber nein. Der Mond sagte ...« Und er winkte den Hundsmann zu sich heran, als wolle er ein Geheimnis mit ihm teilen. »Ihr habt den Blutigen Neuner bei euch.«
»Und was, wenn es so wäre?« Logen trat ruhig aus den hinteren Reihen, die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt. Tul und Grimm kamen mit ihm nach vorn und sahen finster auf die Bergmenschen mit ihren bemalten Gesichtern, auf die drei schmutzigen Kinder und vor allem auf ihren großen, dicken Vater.
»Und da ist er ja auch!«, brüllte Crummock und streckte einen Finger, dick wie ein Würstchen, aus. »Nimm die Faust von deiner Klinge, Blutiger Neuner, bevor ich mir in die Hosen pisse!« Er ließ sich mit den Knien in den Dreck fallen. »Das ist er! Das ist der Mann!« Er robbte auf Knien über den Waldboden und umklammerte Logens Bein, gegen das er sich nun drängte wie ein Hund an seinen Herrn.
Logen starrte ihn an. »Lass mein Bein los.«
»Das werde ich!« Crummock löste sich mit einem Ruck und ließ sich auf seinen fetten Hintern fallen. Einen derartigen Auftritt hatte Hundsmann noch nie gesehen. Offenbar entsprachen die Gerüchte über seine Verrücktheit durchaus der Wahrheit. »Weißt du was Schönes, Blutiger Neuner?«
»Da wüsste ich ein paar Sachen.«
»Dann erzähl ich dir noch was. Ich habe gesehen, wie du gegen Schama Ohnherz gekämpft hast. Ich sah, wie du ihn ausgeweidet hast wie ein Schwein für den Kochtopf, und ich hätte es selbst nicht besser machen können. So ein schöner Anblick!« Hundsmann runzelte die Stirn. Er war auch dabei gewesen, aber er konnte sich nicht daran erinnern, dass daran etwas schön gewesen war. »Damals habe ich gesagt ...« Crummock erhob sich auf die Knie. »... und ich habe es immer wiederholt ...« Damit kam er auf die Füße. »... und ich habe es noch einmal gesagt, als ich von den Bergen kam, um nach dir zu suchen ...« Jetzt hob er den Arm und deutete auf Logen: »... dass du ein Mann bist, der in der Gunst des Mondes steht wie kein Zweiter!«
Hundsmann sah zu Logen hinüber, und Logen zuckte die Achseln. »Wer will schon sagen, was dem Mond gefällt und was nicht? Was hat es damit auf sich?«
»Was hat es damit auf sich! Ha! Ich könnte ihm zusehen, wie er die ganze Welt umbringt, und was wäre das für ein herrlicher Anblick! Was es damit auf sich hat, das werde ich dir erklären. Ich habe einen Plan. Er trat mit den kalten Quellen tief unter der Erde zutage, und er wurde von den Bächen unter den Steinen getragen und ans Ufer des heiligen Sees direkt neben mir an Land gespült, als ich gerade meine Zehen in das eisige Nass tauchte.«
Logen kratzte sich an seinem vernarbten Kiefer. »Wir haben noch eine Aufgabe zu erfüllen, Crummock. Wenn du etwas Wichtiges zu sagen hast, dann komm mal zur Sache.«
»Das werde ich tun. Bethod hasst mich, und das Gefühl ist beidseitig, aber dich hasst er noch mehr. Weil du gegen ihn aufgestanden bist und weil du der lebendige Beweis dafür bist, dass ein Mann im Norden sein eigener Herr sein kann, ohne vor diesem Bastard mit seinem goldenen Hut, seinen zwei fetten Söhnen und seiner Hexe das Knie zu beugen und ihnen den Arsch zu lecken.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Obwohl ich mich tatsächlich gern dazu breitschlagen ließe, sie zu lecken. Kannst du mir bis hierhin folgen?«
»Kein Problem«, sagte Logen, aber Hundsmann war sich nicht so sicher, ob das wirklich der Wahrheit entsprach.
»Pfeif einfach kurz, wenn du irgendwo stecken bleibst, dann fange ich noch mal von vorn an. Ich sehe die Sache so. Wenn Bethod eine gute Möglichkeit wittern würde, euch allein zu schnappen, ohne eure Freunde von der Union, diese Sonnenscheinliebhaber aus dem Süden, die hier wie Ameisen rumkrabbeln, dann würde er vielleicht einiges dafür geben, das auszunutzen. Vielleicht könnte man ihn damit sogar von seinen schönen Bergen locken, wenn er so eine Möglichkeit geboten bekäme, jedenfalls denke ich mir das so, hmmmm?«
»Du setzt darauf, dass er mich wirklich sehr hasst.«
»Was? Zweifelst du daran, dass ein Mann dich so sehr hassen könnte?« Crummock wandte sich ab und breitete seine langen Arme in Richtung Tul und Grimm aus. »Aber es geht ja nicht nur um dich, Blutiger Neuner! Es geht um euch alle, und auch um mich, und um meine drei Söhne!« Das Mädchen warf den Hammer wieder hin und stemmte die Arme in die Hüften, aber Crummock redete weiter, ohne auf es zu achten. »Ich denke, eure Jungs sollten sich mit meinen Jungs zusammentun, dann hätten wir um die achthundert Speere. Wir ziehen in den Norden, als wollten wir zu den Hohen Höhen hinauf, um Bethod in den Rücken zu fallen und uns mit seiner Rückseite zu amüsieren. Ich denk mal, das wird ihn fuchsteufelswild machen. Ich glaube, dass es ihm nicht gelingen wird, der Aussicht darauf zu widerstehen, uns alle wieder zu Schlamm werden zu lassen.«
Hundsmann dachte darüber nach. Man konnte davon ausgehen, dass viele von Bethods Männern allmählich unruhig wurden. Dass es ihnen nicht gefiel, auf der falschen Seite der Weißflut zu kämpfen. Vielleicht hatten sie auch schon gehört, dass der Blutige Neuner zurück war, und glaubten inzwischen selbst auf der falschen Seite zu stehen. Bethod würde nur zu gern ein paar Köpfe für alle sichtbar auf Pfähle stecken. Den von Neunfinger und Crummock-i-Phail, von Tul Duru und dem Schwarzen Dow, und vielleicht auch den vom Hundsmann. Das würde ihm gefallen, diesem Bethod. So würde er dem Norden beweisen, dass es keine andere Zukunft gab als mit ihm. Das würde ihm sogar sehr gefallen.
»Mal angenommen, wir würden weiter nach Norden ziehen«, fragte der Hundsmann, »wie würde Bethod überhaupt davon erfahren?«
Crummock grinste noch breiter denn je. »Oh, das weiß er, weil seine Hexe davon erfahren wird.«
»Verdammte Hexe«, warf der Junge mit dem Speer ein, dessen Arme von dem Bemühen zitterten, die Waffe gerade zu halten.
»Diese Hexe mit ihren Zaubersprüchen und dem bemalten Gesicht, die Bethod bei sich hat. Oder ist sie es, die ihn bei sich hat? Das ist vielleicht sogar die Frage. Aber so oder so, sie sieht uns zu. Oder nicht, Blutiger Neuner?«
»Ich weiß, wen du meinst«, sagte Logen, der gar nicht glücklich aussah. »Caurib. Ein Freund von mir hat mir einmal gesagt, sie habe das Lange Auge.« Hundsmann hatte nicht den Hauch einer Ahnung, worum es ging, aber wenn Logen die Sache derart ernst nahm, dann war es sicher besser, dasselbe zu tun.
»Das Lange Auge, was?«, grinste Crummock. »Dein Freund hat einen hübschen Namen für einen üblen Trick. Sie sieht alle möglichen Dinge damit. Alles Mögliche, von dem es für uns besser wäre, wenn sie es nicht täte. In diesen Tagen traut Bethod ihren Augen mehr als seinen eigenen, und er wird sie nach uns Ausschau halten lassen, und nach dir ganz besonders. Sie wird beide ihrer Langen Augen nach dir offen halten, da kannst du sicher sein. Ich bin vielleicht kein Zauberer«, und damit ließ er eines der hölzernen Zeichen an seiner Kette herumwirbeln, »aber der Mond weiß, dass ich, was magische Kräfte angeht, auch nicht völlig unbeleckt bin.«
»Und was, wenn es sich so entwickelt, wie du sagst?«, grollte Tul. »Was passiert dann? Abgesehen davon, dass wir Bethod unsere Köpfe geben?«
»Oh, mir gefällt mein Kopf an der Stelle, an der er ist, mein Großer. Wir locken ihn immer weiter nach Norden, das ist es, was mir der Wald erzählt hat. Es gibt einen Ort oben in den Bergen, einen Ort, den der Mond sehr liebt. Ein befestigtes Tal, über das die Toten meiner Familie wachen, und die Toten der Berge, seit die Welt erschaffen wurde.«
Hundsmann kratzte sich den Kopf. »Eine Festung in den Bergen?«
»Eine starke, hohe Höhe. Hoch und stark genug, dass nur wenige Männer sehr vielen so lange standhalten können, bis man ihnen zu Hilfe kommt. Wir locken ihn in das Tal, und eure Freunde von der Union folgen in gemächlichem Abstand. Weit genug entfernt, dass seine Hexe sie nicht kommen sieht, weil sie so sehr damit beschäftigt ist, uns zu beobachten. Und dann, während Bethod ganz und gar darin aufgeht, uns das Lebenslicht auszublasen, schleichen sich die Südländer von hinten an und ...« Er klatschte schallend die Handflächen zusammen. »Wir zerquetschen ihn zwischen uns, den schafsfickenden Drecksack!«
»Schafsficker!«, fluchte das Mädchen und trat nach dem Hammer, der auf dem Boden lag.
Sie alle sahen einander einen Augenblick an. Hundsmann fand, dass sich das alles nach keinem besonders guten Plan anhörte. Ihm gefiel auch der Gedanke nicht, ihr Leben davon abhängig zu machen, dass es stimmte, was dieser verrückte Bergmensch sagte. Aber es klang zumindest nach einer Möglichkeit. Und das immerhin so weit, dass er nicht einfach nein sagen konnte, egal, wie gern er das vielleicht getan hätte. »Wir müssen darüber reden.«
»Natürlich müsst ihr das, meine neuen besten Freunde, natürlich.
Aber denkt nicht zu lange darüber nach, hört ihr?« Crummock grinste
breit. »Ich bin schon viel zu lange weg von den Hohen Höhen und von
meinen wunderschönen Kindern und meinen wunderschönen Frauen, und
auch die wunderschönen Berge selbst werden mich vermissen. Denkt an
die Vorteile, die diese Sache hat. Wenn Bethod uns nicht folgt,
dann habt ihr ein paar schöne Nächte in den Hohen Höhen, bevor der
Sommer vergeht; ihr könnt euch an meinem Feuer wärmen und meine
Lieder hören und die Sonne über den Bergen untergehen sehen. Hört
sich das so schlecht an? Wirklich?«
»Denkst du darüber nach, auf den Vorschlag dieses verrückten Drecksacks einzugehen?«, brummte Tul, kaum dass sie außer Hörweite waren. »Hexen und Zauberer und dieser ganze verdammte Quatsch? Das hat er doch alles spontan erfunden!«
Logen kratzte sich das Gesicht. »Er ist nicht annähernd so verrückt, wie er sich anhört. Er hat Bethod die ganzen letzten Jahre widerstanden. Als Einziger. Seit zwölf Wintern hat er sich versteckt, hat kleine Überfälle durchgeführt und ist immer einen Schritt voraus gewesen. Schön, weit oben in den Bergen, aber trotzdem. Man muss so glitschig wie ein Fisch und so hart wie Eisen sein, um das zu schaffen.«
»Du vertraust ihm also?«, fragte Hundsmann.
»Vertrauen?« Logen schnaubte. »Scheiße, nein. Aber seine Fehde mit Bethod geht tiefer als selbst die unsere. Was die Hexe betrifft, so hat er recht, ich habe sie gesehen, und ich habe ein paar andere Dinge im letzten Jahr gesehen ... wenn er sagt, dass sie uns beobachten kann, dann denke ich mal, dass ich ihm das glaube. Und wenn sie uns nicht sieht und Bethod nicht kommt, na, dann haben wir doch nichts verloren?«
Der Hundsmann hatte wieder dieses leere Gefühl, schlimmer denn je. Er sah zu Crummock hinüber, der im Kreise seiner Kinder auf einem Stein saß, und der Verrückte zeigte einen Mund voller gelber Zähne, als er ihm zugrinste. Er war sicherlich kein Mann, an den man all seine Hoffnungen knüpfen wollte, aber Hundsmann fühlte bereits, dass der Wind aus einer anderen Richtung wehte. »Wir gehen trotzdem ein verdammt großes Risiko ein«, brummte er. »Was, wenn Bethod uns einholt und dann doch bekommt, was er will?«
»Wir müssen eben schnell sein!«, knurrte Dow. »Wir sind im Krieg. Man geht halt Risiken ein, wenn man auf Sieg setzt!«
»Hm«, brummte Grimm.
Tul nickte mit seinem großen Kopf. »Wir müssen irgendwas tun. Ich bin nicht hierhergekommen, um Bethod auf einem Berg sitzen zu sehen. Wir müssen ihn dort runterholen.«
»Und zwar an einen Platz, wo wir ihn in die Zange nehmen können!«, zischte Dow.
»Aber es ist deine Entscheidung.« Logen klopfte dem Hundsmann auf die Schulter. »Du bist der Häuptling.«
Er war der Häuptling. Er erinnerte sich, wie sie das beschlossen hatten, damals, als sie an Dreibaums Grab standen. Hundsmann musste zugeben, dass er Crummock am liebsten gesagt hätte, er solle sich ins Knie ficken, um dann umzudrehen, zurückzulaufen und West zu erzählen, dass sie nichts außer Wald gefunden hätten. Aber wenn man einmal eine Aufgabe übernommen hat, dann muss man sie auch erfüllen. Das hätte Dreibaum gesagt. Hundsmann seufzte tief, und das Gefühl in seinem Bauch wurde so intensiv, dass er beinahe glaubte, er müsse sich übergeben. »In Ordnung. Aber dieser Plan wird uns höchstens ins Grab bringen, wenn die Union nicht bereit ist, ihren Beitrag zu leisten und vor allem rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein. Wir werden Wildzorn davon erzählen und ihren Häuptling Burr wissen lassen, was wir planen.«
»Wildzorn?«, fragte Logen.
Tul grinste. »Eine lange Geschichte.«