ZWISCHEN PEST UND BLÄTTERN

Glokta bebte vor Lachen, keuchendes Gurgeln schlabberte durch seine leeren Kiefer, und der harte Stuhl knirschte unter seinem knochigen Hintern. Sein Husten und Röcheln hallte dumpf von den kahlen Wänden seines düsteren Wohnzimmers wider. Es klang ein kleines bisschen, als weinte er. Und vielleicht ist es auch ein wenig so.

Jedes Zucken seiner verdrehten Schultern trieb Nägel in seinen Hals. Jedes Anspannen seines Brustkorbs schickte Blitze aus Schmerz bis in die Zehen, die ihm noch verblieben waren. Er lachte, und das Gelächter tat weh, aber der Schmerz ließ ihn nur noch lauter lachen. Ach, welche Ironie! Ich kichere vor Hoffnungslosigkeit. Ich gluckse vor Verzweiflung.

Speichelblasen flogen von seinen Lippen, während er ein letztes, langes Wimmern ausstieß. Wie der Todeskampf eines Schafes, nur längst nicht so würdevoll. Dann schluckte er und wischte sich die tränenden Augen. Oh, so habe ich seit Jahren nicht mehr gelacht. Nicht mehr, seit die Folterknechte des Imperators an die Arbeit gingen, würde ich fast sagen. Und dennoch ist es nicht so schwer, damit aufzuhören. Schließlich ist hier eigentlich gar nichts wirklich lustig, oder? Er hob den Brief und las ihn erneut.

Herr Superior Glokta,

meine Auftraggeber beim Bankhaus Valint und Balk sind mit Ihren Fortschritten mehr als unzufrieden. Es ist nun bereits einige Zeit vergangen, seit ich Sie bat, uns über die Pläne von Erzlektor Sult zu informieren, vor allem, was sein stetiges Interesse an der Universität betrifft. Seitdem haben wir keine Nachrichten mehr von ihnen erhalten.
Möglicherweise glauben Sie, dass das plötzliche Auftauchen der Gurkhisen vor den Mauern unserer Stadt die Erwartungen meiner Auftraggeber geändert haben könnte.
Das ist jedoch nicht im Geringsten der Fall. Nichts wird ihre Erwartungen ändern.
Sie werden sich binnen einer Woche bei uns melden, oder wir sehen uns gezwungen, Seine Eminenz über Ihre geteilte Loyalität zu informieren.
Sicher muss ich Sie nicht eigens darauf hinweisen, dass es klug wäre, diesen Brief zu vernichten.

Mauthis

Glokta starrte im Licht der einzigen Kerze lange auf das Schreiben, und sein zerstörter Mund stand offen. Dafür habe ich die vielen Monate der Qual in der Dunkelheit der Gefängnisse des Imperators ausgehalten? Mich auf meine brutale Art durch die Tuchhändlergilde gefoltert? Mir einen blutigen Weg durch die Stadt Dagoska geschlagen? Um meine Tage so schmachvoll zu beenden, gefangen zwischen einem bitteren alten Bürokraten auf der einen und einer Bank verräterischer Schwindler auf der anderen Seite? All mein Hin-und-herWinden, Lügen, Schachern, mein Schmerz, all die Leichen auf diesem Weg ... nur dafür?

Eine neue Welle von Gelächter erschütterte seinen Körper, der sich prompt verkrampfte und seinen schmerzenden Rücken zittern ließ. Seine Eminenz und diese Bankiers haben einander verdient! Selbst während die Stadt um sie herum brennt, können sie keinen Augenblick in ihren Spielchen innehalten. Spielchen, die sich für den armen Superior Glokta als tödlich erweisen könnten, obwohl er nur versucht hat, sein verkrüppeltes Bestes zu tun. Er musste sich ein wenig Rotz unter der Nase wegwischen, so sehr hatte er über diesen letzten Gedanken lachen müssen.

Beinahe erscheint es eine Schande, ein derartig albernes Dokument zu verbrennen. Vielleicht sollte ich es lieber zum Erzlektor tragen? Ob er wohl den Witz an der Sache begreifen würde? Ob wir zusammen darüber lachen würden? Er streckte die Hand aus, hielt eine Ecke des Schreibens an die zuckende Kerzenflamme und sah, wie das Feuer an einer Seite des Bogens leckte und über die Buchstaben kroch, während sich das weiße Papier zu schwarzer Asche zusammenringelte.

Brenne, so wie meine Hoffnungen, so wie meine Träume, so wie meine glorreiche Zukunft unter dem Palast des Imperators in Rauch aufging! Brenne, wie dank des Zorns des Imperators Dagoska brannte und Adua sicherlich auch noch brennen wird! Brenne, so wie ich gern König Jezal den Bastard brennen sähe und den Ersten der Magi, und Erzlektor Sult, und Valint und Balk und die ganze verdammte ...

»Auuu!« Glokta riss seine versengten Fingerkuppen in die Höhe, dann schob er sie in seinen zahnlosen Mund. Sein Gelächter war ruckartig verstummt. Seltsam. Egal, wie viel Schmerz wir erleben, wir gewöhnen uns doch niemals daran. Immer sind wir bestrebt, dem Schmerz zu entkommen. Nie finden wir uns damit ab. Eine Ecke des Briefes lag noch glimmend auf dem Fußboden. Er betrachtete das Papierstückchen finster und drückte das Feuer mit einem heftigen Stoß seines Stocks aus.

 

Der scharfe Geruch nach verbranntem Holz hing schwer in der Luft. Wie hundert angebrannte Abendessen. Selbst hier im Agriont war ein leichter grauer Schleier zu erkennen, der die Gebäude am Ende einer jeden Straße leicht ineinander verschmelzen ließ. Schon seit mehreren Tagen wüteten Feuer in den äußeren Bezirken, und der Beschuss durch die Gurkhisen hatte weder am Tag noch in der Nacht auch nur im Geringsten nachgelassen. Auch jetzt, während Glokta dahinschritt und sein Atem durch die Lücken zwischen seinen Zähnen pfiff, weil es ihn anstrengte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, war ein gedämpfter Knall zu hören, der anzeigte, dass wieder ein Feuergeschoss irgendwo in der Stadt eingeschlagen war, und er spürte das winzige Raunen einer Erschütterung durch die Sohlen seiner Stiefel.

Die Menschen auf der Straße erstarrten und sahen erschrocken nach oben. Diese wenigen Unglücklichen, die keine Entschuldigung fanden, um aus der Stadt zu fliehen, bevor die Gurkhisen kamen. Diese Unglücklichen, die zu wichtig oder nicht wichtig genug waren. Eine Hand voll Optimisten, die glaubten, die gurkhisische Belagerung würde nur eine vorübergehende Modeerscheinung sein – wie ein Gewitterregen oder kurze Hosen. Nun erkennen sie ihren fatalen Fehler – zu spät.

Glokta hinkte weiter voran, den Kopf gesenkt. Ihm hatten die Explosionen, die während der letzten Woche die Stadt in der Dunkelheit erschüttert hatten, keine Stunde Schlaf geraubt. Schließlich habe ich schon allein deswegen nicht geschlafen, weil mein Verstand immer im Kreis rotierte, wie bei einer Katze, die in einem Sack steckt und verzweifelt versucht, irgendeinen Ausweg aus dieser Klemme zu finden. An Explosionen bin ich seit meinem Urlaub im herrlichen Dagoska außerdem gewöhnt. Für ihn war der Schmerz, der durch seinen Hintern und sein Rückgrat wanderte, ein wesentlich größerer Grund zur Sorge.

Ah, welch Hochmut! Wer hätte sich je vorstellen mögen, dass eines Tages gurkhisische Stiefel über die fruchtbaren Felder Midderlands trampeln würden? Dass die hübschen Höfe und die verträumten Dörfer der Union von gurkhisischem Feuer erhellt sein würden? Wer hätte je gedacht, dass das schöne, florierende Adua sich von einem Stück des Paradieses geradewegs in ein Stück der Hölle verwandeln würde? Glokta merkte, dass er lächelte. Willkommen, ihr Leute! Willkommen! Ich war schon die ganze Zeit dort. Wie schön, dass ihr nun auch alle hier seid, um mir Gesellschaft zu leisten.

Er hörte gepanzerte Stiefel hinter sich die Straße entlangstampfen, schlurfte zu spät zur Seite, um einer dahineilenden Kolonne von Soldaten Platz zu machen, und wurde ruppig auf den Grasstreifen gedrängt, wobei sein linker Fuß auf dem rutschigen Boden ausglitt und einen schmerzhaften Stich sein Bein hinuntersandte. Die Kolonne marschierte achtlos weiter, und Glokta warf ihr einen grimmigen Blick zu. Die Leute haben nicht mehr die nötige Angst vor der Inquisition. Dazu haben sie alle zu viel Angst vor den Gurkhisen. Mit gequältem Gesicht und einem Fluch auf den Lippen entfernte er sich wieder von der Mauer, reckte den Hals und humpelte weiter.

 

Kronrichter Marovia wurde vom größten Fenster seines hallenden Dienstzimmers eingerahmt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Fenster gingen nach Westen hinaus. Die Richtung, aus der die größte Wucht des gurkhisischen Angriffs zu erwarten ist. Über den Dächern stiegen in einiger Entfernung Rauchsäulen in den blassen Himmel und verbanden sich zu einem dreckigen Wolkenvorhang, der das herbstliche Halblicht noch trüber wirken ließ. Marovia wandte sich um, als er Gloktas zehenlosen Fuß auf den dunklen Dielenbrettern knarren hörte, und sein zerfurchtes altes Gesicht verzog sich zu einem einladenden Lächeln.

»Ah, Superior Glokta! Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich freute, als man mir Ihren Besuch ankündigte! Seit Sie das letzte Mal hier waren, habe ich Sie sehr vermisst. Ich schätze Ihren ... offenherzigen Stil so sehr. Und ich bewundere ... die Hingabe, mit der Sie sich Ihrer Arbeit widmen.« Er vollführte eine lässige Handbewegung in Richtung Fenster. »Das Gesetz, so muss ich zugeben, pflegt in Zeiten des Krieges ein wenig schläfrig zu sein. Aber selbst während die Gurkhisen vor den Toren lagern, führt die Inquisition Seiner Majestät ihr edles Geschäft weiter, wie? Ich nehme an, Sie sind wieder einmal auf Geheiß Seiner Eminenz hier?«

Glokta hielt inne. Aber nur aus Gewohnheit. Ich muss der Inquisition meinen verdrehten Rücken zuwenden. Wie würde Sult mich nennen? Einen Verräter? Zweifelsohne, und noch Schlimmeres. Aber jeder Mann muss zunächst einmal sich selbst gegenüber treu sein. Ich habe meine Opfer gebracht. »Nein, Euer Gnaden. Ich komme im Auftrag von Sand dan Glokta.« Er humpelte zu einem Stuhl, zog ihn unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf fallen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Solche Nettigkeiten habe ich inzwischen weit hinter mir gelassen. »Um ganz ehrlich zu sein, brauche ich Ihre Hilfe.« Um ganz ehrlich zu sein, Sie sind meine letzte Hoffnung.

»Meine Hilfe? Sie haben doch sicherlich selbst mächtige Freunde?«

»Ich habe die bedauerliche Erfahrung gemacht, dass sich mächtige Männer keine Freunde leisten können.«

»Das ist bedauerlicherweise nur allzu wahr. Man erreicht meine oder selbst Ihre Stellung nicht, ohne zu begreifen, dass jeder Mann letzten Endes für sich allein kämpft.« Marovia schenkte ihm von oben herab einen wohlmeinenden Blick, während er auf seinem hochlehnigen Stuhl Platz nahm. Das beruhigt mich allerdings noch nicht im Geringsten. Seine freundliche Miene ist ebenso tödlich wie Sults grimmige, glaube ich. »Unsere Freunde sind stets jene, die für uns nützlich sein können. Wenn Sie dies berücksichtigen, welche Hilfe kann ich Ihnen anbieten? Und vor allem, welches Angebot können Sie im Gegenzug mir machen?«

»Dazu muss ich ein wenig weiter ausholen.« Glokta verzog das Gesicht, als ein Krampf sein Bein packte, und er versuchte, es unter dem Tisch gerade auszustrecken. »Darf ich offen mit Ihnen sprechen, Euer Gnaden?«

Marovia strich sich nachdenklich über den Bart. »Die Wahrheit ist eine seltene und kostbare Ware. Es erstaunt mich, dass ein Mann Ihrer Erfahrung sie so einfach weggeben will. Und dann noch an jemanden von der anderen Seite des Zauns, sozusagen.«

»Man hat mir einmal gesagt, dass ein Mann, der sich in der Wüste verirrt, das Wasser nehmen muss, das er angeboten bekommt, ganz gleich, woher es stammt.«

»Dann haben Sie sich verirrt? Sprechen Sie ganz offen, Herr Superior, und wir wollen sehen, ob ich Ihnen etwas aus meiner Feldflasche anbieten kann.«

Nicht gerade ein Beistandsversprechen, aber immerhin das Beste, was ich von einem Mann erwarten darf, der noch bis vor kurzem zu meinen bitteren Feinden zählte. Nun also ... mein Geständnis. Glokta ließ die Erinnerungen an die letzten Jahre noch einmal aufleben. Und was sind das für dreckige, beschämende, hässliche Erinnerungen. Wo fange ich nur an? »Es liegt schon einige Zeit zurück, dass ich Unregelmäßigkeiten bei den Geschäften der ehrbaren Tuchhändlergilde genauer zu untersuchen begann.«

»Ich kann mich gut an jene unangenehme Angelegenheit erinnern.«

»Bei meinen Nachforschungen entdeckte ich, dass die Tuchhändler Geld von einer Bank erhielten. Von einer reichen und mächtigen Bank. Valint und Balk.«

Glokta achtete sorgfältig auf Marovias Reaktion, aber der Kronrichter blinzelte nicht einmal. »Mir ist bekannt, dass ein solches Bankhaus existiert.«

»Ich vermutete, dass es an den Verbrechen der Tuchhändler beteiligt war. Magister Kault wies mich vor seinem unglückseligen Ende ausdrücklich darauf hin. Aber Seine Eminenz wünschte nicht, dass ich in dieser Richtung ermittelte. Zu viele Schwierigkeiten in schwierigen Zeiten.« Gloktas linkes Auge zuckte, und er fühlte, dass es zu tränen begann. »Entschuldigen Sie«, murmelte er, während er mit einem Finger darüber wischte. »Kurz darauf wurde ich nach Dagoska entsandt, um die Verteidigung der Stadt zu übernehmen.«

»Ihre außergewöhnliche Umsicht bei diesem Unterfangen war für mich die Quelle einigen Unbehagens.« Marovia bewegte missgelaunt die Kiefermuskeln. »Mein Glückwunsch. Sie haben Ihre Aufgabe bravourös erledigt.«

»Dafür gebührt das Lob nicht mir allein. Die Aufgabe, die mir der Erzlektor übertragen hatte, war unlösbar. Dagoska war von Verrätern durchsetzt und von den Gurkhisen eingekesselt.«

Marovia schnaubte. »Mein tiefstes Mitgefühl.«

»Wenn nur damals jemand Mitgefühl mit der Stadt gehabt hätte. Aber dort waren alle damit beschäftigt, einander ins Abseits zu drängen, wie es immer so ist. Dagoskas Verteidigungsanlagen waren in einem Zustand, der mir die Erfüllung meiner Aufgaben unmöglich machte. Ohne Geld konnte ich sie nicht weiter ausbauen ...«

»Und Seine Eminenz zeigte sich wenig spendabel.«

»Seine Eminenz machte keine einzige müde Mark locker. Aber in meiner größten Not trat ein unerwarteter Gönner an mich heran.«

»Ein reicher Onkel? Welch ein glücklicher Zufall.«

»Nicht ganz.« Glokta fuhr sich mit der Zunge über die salzig schmeckende Stelle, wo einmal seine Vorderzähne gewesen waren. »Mein reicher Onkel war niemand anderes als das Bankhaus Valint und Balk.«

Marovia runzelte die Stirn. »Sie schossen Ihnen Geld vor?«

»Nur dank ihrer Großzügigkeit konnte ich die Gurkhisen so lange daran hindern, die Stadt einzunehmen.«

»Wenn man also bedenkt, dass mächtige Menschen keine Freunde haben, was also haben Valint und Balk im Gegenzug erhalten?«

»Grundsätzlich?« Glokta sah dem Kronrichter fest ins Gesicht. »Was immer sie wollten. Kurz nach meiner Rückkehr nach Dagoska untersuchte ich den Tod von Kronprinz Raynault.«

»Ein schreckliches Verbrechen.«

»An dem der gurkhisische Gesandte, der dafür gehängt wurde, völlig unschuldig war.«

Marovia zeigte den kleinsten Anflug von Überraschung. »Wenn Sie das sagen?«

»Zweifelsohne. Aber der Tod des Thronerben schuf andere Probleme, Probleme, die mit der Wahl im Offenen Rat in Zusammenhang standen, und Seine Eminenz war mit dieser einfachen Antwort zufrieden. Ich versuchte, die Angelegenheit zu klären, aber ich wurde daran gehindert. Von Valint und Balk.«

»Sie haben also den Verdacht, dass diese Bankiers mit dem Tod des Kronprinzen zu tun haben?«

»Ich verdächtige sie aller möglichen Dinge, aber es mangelt leider an Beweisen.« Wie immer: zu viel Verdachtsmomente, zu wenig Beweise.

»Banken«, brummte Marovia. »Die sind aus Luft gemacht. Sie spinnen das Geld aus Vermutungen, Lügen und Versprechen. Geheimnisse sind ihre Währung, mehr noch als Gold.«

»Das habe ich inzwischen auch festgestellt. Aber ein Mann, der sich in der Wüste verirrt ...«

»Ja, ja! Bitte fahren Sie fort.«

Glokta stellte zu seiner Überraschung fest, dass er allmählich richtig Spaß an der Sache hatte. Beinahe verhaspelte er sich, so schnell sprudelten die Worte jetzt aus ihm heraus. Nun, da ich all die Geheimnisse wegwerfe, die ich so lange gehortet habe, kann ich gar nicht mehr aufhören. Ich

fühle mich wie ein Geizhals in verschwenderischer Einkaufslaune. Entsetzt und gleichzeitig auch befreit. Gequält und doch entzückt. Es ist wohl ein bisschen so, als schneide man sich die eigene Kehle durch, könnte ich mir vorstellen – ein wundervolles Gefühl der Erleichterung, aber man kann es eben nur ein einziges Mal erleben. Und so wie das Durchschneiden der eigenen Kehle wird auch diese Sache mit meinem hässlichen Tod enden. Nun gut. Es hat sich ja schon seit einiger Zeit abgezeichnet, oder nicht? Und nicht einmal ich selbst könnte behaupten, ich hätte ihn nicht schon zehnmal verdient.

Glokta beugte sich vor. Selbst hier, selbst jetzt habe ich das Bedürfnis, das, was jetzt kommt, ganz leise auszusprechen. »Erzlektor Sult ist mit unserem neuen König nicht glücklich. Vor allem ist er unzufrieden mit dem Einfluss, den Bayaz auf ihn ausübt. Sult musste feststellen, dass seine Macht sehr stark beschnitten wurde. Er glaubt, dass Sie irgendwie hinter dieser ganzen Sache stecken.«

Marovia runzelte die Stirn. »Tut er das?«

Das tut er, und ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Möglichkeit wirklich ganz ausschließen wollte. »Er hat mir den Auftrag gegeben, Mittel und Wege zu finden, um Bayaz loszuwerden ...« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Oder den König abzusetzen. Sollte ich scheitern, dann hat er, wie ich vermute, andere Pläne. Pläne, bei denen irgendwie die Universität eine Rolle spielt.«

»Sie beschuldigen damit Seine Eminenz den Erzlektor des Hochverrats.« Marovias Augen leuchteten so hell und hart wie ein Paar neu geschmiedete Nägel. Misstrauisch und dennoch so begierig. »Haben Sie etwas herausgefunden, was sich gegen den König verwenden ließe?«

»Bevor ich das auch nur in Erwägung ziehen konnte, haben mich Valint und Balk recht gewaltsam davon abgehalten.«

»Sie haben so schnell davon erfahren?«

»Ich muss an dieser Stelle leider einräumen, dass offenbar jemand in meiner unmittelbaren Nähe nicht so vertrauenswürdig ist, wie ich immer hoffte. Die Bankiers verlangen nicht nur, dass ich Seiner Eminenz den Gehorsam verweigere, sie bestehen auch darauf, dass ich ihn selbst beschatte. Sie wollen all seine Pläne kennen. Ich habe nur noch wenige Tage, um sie zufriedenzustellen, und Sult traut mir längst nicht mehr. Er würde mich nicht einmal den Inhalt seiner Latrine sehen lassen, vom Inhalt seiner Gedanken ganz zu schweigen.«

»Ach du meine Güte.« Marovia schüttelte langsam den Kopf. »Ach du meine Güte.«

»Zu meinen Problemen kommt hinzu, dass ich Anlass zu der Befürchtung habe, dass der Erzlektor über die Geschehnisse in Dagoska wesentlich weniger im Unklaren ist, als es erst den Anschein hatte. Wenn jemand hier geredet hat, dann vielleicht mit beiden Seiten.« Wer einmal einen Mann verrät, dem fällt es nicht schwer, es ein zweites Mal zu tun. Glokta stieß einen langen Seufzer aus. So sieht es nun aus. Alle Geheimnisse wurden verraten. Die Kackgrube ist ausgeleert. Meine Kehle ist von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. »Das ist die ganze Geschichte, Euer Ehren.«

»Nun, Herr Superior, da sitzen Sie ja wirklich ganz schön in der Klemme.« In einer recht tödlichen, um genau zu sein. Marovia stand auf und ging langsam durch das Zimmer. »Lassen Sie uns kurz annehmen, Sie seien wirklich gekommen, damit ich Ihnen helfe, und nicht, um mich in eine peinliche Lage zu bringen. Erzlektor Sult besitzt die Möglichkeiten, wirklich ernsthafte Schwierigkeiten zu machen. Und die übergroße Ichbezogenheit, die nötig ist, um genau das zu einer solchen Zeit auch zu versuchen.« Das würde ich nicht im Geringsten bestreiten. »Wenn Sie mir stichhaltige Beweise liefern könnten, dann wäre ich natürlich durchaus bereit, sie dem König vorzulegen. Aber ohne dergleichen kann ich gegen ein Mitglied des Geschlossenen Rates nicht vorgehen, gegen den Erzlektor schon gar nicht. Ein unterschriebenes Geständnis wäre am besten.«

»Sults unterschriebenes Geständnis?«, wiederholte Glokta leise.

»Ein solches Dokument würde für uns beide eine Menge Probleme lösen. Sult wäre verschwunden, und die Bankiers hätten Sie nicht mehr in der Hand. Natürlich würden die Gurkhisen noch immer vor unseren Toren lagern, aber man kann ja nicht alles haben.«

»Das unterschriebene Geständnis des Erzlektors.« Und soll ich vielleicht auch noch den Mond vom Himmel holen, wo ich gerade dabei bin?

»Oder Sie bringen einen anderen Stein ins Rollen, der groß genug wäre, um eine Lawine auszulösen – vielleicht das Geständnis eines anderen, der ihm nahe steht. Soweit ich weiß, sind Sie doch der Fachmann, wenn es um Geständnisse geht.« Der Kronrichter blickte Glokta unter seinen schweren Brauen an. »Bin ich falsch informiert, was das betrifft?«

»Ich kann keine Beweise aus der leeren Luft hervorzaubern, Euer Gnaden.«

»Wer sich in der Wüste verirrt, muss nach allen Strohhalmen greifen, die sich ihm bieten, wie dünn sie auch sein mögen. Finden Sie Beweise und bringen Sie sie mir. Dann kann ich tätig werden, keinen Augenblick früher. Sie verstehen sicherlich, dass ich um Ihretwillen keine Risiken eingehen kann. Es ist schwer, einem Mann zu vertrauen, der erst einen Herrn wählte und sich nun nach einem anderen umsieht.«

»Wählte?« Glokta fühlte sein Augenlid wieder zucken. »Wenn Sie glauben, dass ich irgendetwas von dem lächerlichen Schatten eines Lebens, den Sie hier vor sich sehen, gewählt habe, dann irren Sie sich gewaltig. Ich wählte Ruhm und Erfolg. Leider war in der Schachtel nicht das drin, was auf dem Deckel stand.«

»Die Welt ist voller tragischer Geschichten.« Marovia ging wieder ans Fenster, wandte sich um und sah in den allmählich dunkler werdenden Himmel. »Vor allem jetzt. Sie können kaum erwarten, dass die Ihre auf einen Mann meiner Erfahrung Eindruck macht. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.«

Weitere Kommentare erscheinen sinnlos. Glokta bewegte sich schaukelnd nach vorn, brachte sich dann mithilfe seines Stocks auf die Beine und humpelte zur Tür. Aber ein winziger Hoffnungsschimmer lugt nun in das feuchte Verlies meiner Verzweiflung ... Ich brauche nur noch ein Geständnis über Hochverrat vom Kopf der Inquisition Seiner Majestät ...

»Und – Herr Superior!« Wieso kann eigentlich nie jemand mit dem Reden fertig werden, bevor ich aufgestanden bin? Glokta drehte sich wieder um, so dass er ins Zimmer blickte, und seine Wirbelsäule brannte. »Wenn jemand in Ihrer Nähe redet, dann müssen Sie ihn zum Schweigen bringen. Nur ein Narr würde darüber nachdenken, Verräter aus dem Geschlossenen Rat zu bekämpfen, bevor er das Unkraut im eigenen Rasen nicht ausgemerzt hat.«

»Oh, machen Sie sich über meinen Garten keine Sorgen.« Glokta warf dem Kronrichter sein ekelhaftestes Lächeln zu. »Ich schärfe bereits meine Schere.«