AUFS SCHLIMMSTE VORBEREITET

Glokta saß in seinem Esszimmer, blickte vor sich auf den Tisch und rieb sich mit einer Hand den schmerzenden Schenkel. Seine andere rührte geistesabwesend in dem reichen Juwelenschatz, der ausgebreitet auf der schwarzen Lederhülle lag.

Wieso tue ich das? Wieso bleibe ich hier und führe Befragungen durch? Ich könnte mit der nächsten Flut von hier verschwinden, und niemandem entstünde dadurch ein Verlust. Vielleicht eine Reise zu den schönen Städten Styriens? Eine Rundfahrt um die Tausendinseln? Schließlich bis ins ferne Thond oder bis ins entlegene Suljuk, um meine verdrehten Tage dort unter Menschen zu beenden, die kein Wort von dem verstehen, was ich sage? Ohne jemandem wehzutun? Ohne Geheimnisse zu bewahren? Ohne sich Gedanken über Schuld oder Unschuld zu machen, um Wahrheit oder Lügen, nicht mehr, als es diese kleinen Steinchen hier tun?

Die Juwelen funkelten im Kerzenlicht, berührten einander klackernd und kitzelten seine Haut, als er mit den Fingern erst in die eine, dann in die andere Richtung durch sie hindurchfuhr. Aber Seine Eminenz würde über mein plötzliches Verschwinden ja so weinen. Ebenso, könnte man meinen, das Bankhaus Valint und Balk. Wo im weiten Weltenrund wäre ich sicher vor den Tränen derart mächtiger Herren? Und wieso sollte ich fliehen? Damit ich den ganzen langen Tag

auf meinem verkrüppelten Hintern sitzen und darauf warten kann, dass mich gedungene Mörder aufspüren? Damit ich im Bett liegen und voll Sehnsucht an all das denken kann, was ich verloren habe?

Nachdenklich betrachtete er die Edelsteine: sauber, hart, wunderschön. Ich habe meine Wahl schon vor langer Zeit getroffen. Als ich das Geld von Valint und Balk annahm. Als ich den Ring des Erzlektors küsste. Sogar vor meiner Zeit im Gefängnis des Imperators, als ich über die Brücke ritt und mir sicher war, nur der unvergleichliche Sand dan Glokta könne die Welt retten ...

Ein lautes Klopfen hallte durch den Raum, und Glokta fuhr auf; der zahnlose Mund stand ihm offen. Solange es nicht der Erzlektor ist ...

»Öffnen Sie, im Namen des Erzlektors!«

Er zog eine Grimasse, als er sich von dem Stuhl erhob und ein Krampf sein Rückgrat erfasste; schnell schob er die Steine zu einem kleinen Haufen zusammen. Mehrere Hände voll und von unschätzbarem Wert. Schweiß trat ihm auf die Stirn.

Was, wenn der Erzlektor meinen kleinen Schatz entdeckte? Er kicherte vor sich hin, während er nach dem Lederetui griff. Ich wollte ja schon längst davon berichtet haben, wirklich, aber irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt dazu. Es ist doch letztlich nur eine Kleinigkeit – nicht mehr als das Lösegeld für einen König. Seine Finger griffen hastig nach den Steinen, und in seiner Eile stieß er einen zur Seite, der funkelnd mit hartem Klackern auf den Boden fiel.

Wieder klopfte es, diesmal lauter, und das schwere Schloss wurde von den harten Schlägen erschüttert. »Öffnen Sie!«

»Ich komme schon!« Mit einem Stöhnen ließ er sich auf alle viere nieder und suchte auf dem Boden herum; sein Hals pochte vor Schmerz. Dann entdeckte er den Ausreißer, einen flachen grünen Stein, der auf den Dielenbrettern lag und im Licht des Feuers leuchtete.

Hab ich dich, du Dreckstück! Er griff nach dem Stein, zog sich an der Tischkante hoch und faltete das Etui zusammen, einmal, zweimal. Keine Zeit, es zu verstecken. Kurz entschlossen schob er das Leder in sein Hemd, bis es hinter seinem Gürtel saß, dann schnappte er sich seinen Stock und humpelte zur Haustür, wischte sich den Schweiß vom Gesicht, rückte seine Kleidung zurecht und tat sein Bestes, einen ordentlichen Anblick zu bieten.

»Ich komme! Sie müssen mich nicht ...«

Vier riesenhafte Praktikale drängten sich an ihm vorbei in seine Wohnung und warfen ihn dabei beinahe um. Auf dem Flur vor der Tür stand Seine Eminenz der Erzlektor mit unheilvoll gefurchter Stirn, und hinter ihm lauerten zwei weitere Praktikale. Eine überraschende Stunde für einen derart aufwändigen Besuch. Glokta hörte die vier Männer durch seine Wohnung trampeln, wo sie Türen öffneten und in Schränke guckten. Achten Sie gar nicht auf mich, meine Herren, fühlen Sie sich wie zu Hause. Nach kurzer Zeit erschienen sie wieder.

»Leer«, grunzte einer hinter seiner Maske hervor.

»Ha«, stieß Sult verächtlich hervor und schritt leichtfüßig über die Schwelle, wobei er sich mit abfälligem Gesicht umsah. Meine neue Unterkunft ist offenbar ebenso wenig annehmbar wie meine frühere. Die sechs Praktikalen nahmen entlang der Wände von Gloktas Esszimmer Aufstellung, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachteten ihn. Ziemlich viele große, starke Männer, um einen kleinen Krüppel im Auge zu behalten.

Sults Schuhe stießen heftig gegen die Dielenbretter, als er auf und ab schritt; die blauen Augen traten fast aus ihren Höhlen, und ein Ausdruck wilden Zorns lag auf seinem Gesicht. Man muss kein guter Menschenkenner sein, um zu bemerken, dass er gerade nicht besonders guter Laune ist. Ob ihm vielleicht eines meiner hässlichen Geheimnisse zu Ohren gekommen sein mag? Eine meiner kleinen Ungehorsamkeiten? Glokta spürte, wie ein schweißnasses Zittern seine verbogene Wirbelsäule emporkroch. Vielleicht die Tatsache, dass Magisterin Eider niemals hingerichtet wurde? Meine Übereinkunft mit Praktikalin Vitari, nicht die ganze Wahrheit zu erzählen? Eine Ecke des Lederetuis piekte leicht in seine Rippen, als er die Hüften hin und her schob, um bequemer zu stehen. Oder vielleicht jene andere Kleinigkeit, nämlich die Reichtümer, mit denen mich ein höchst verdächtiges Bankhaus bestochen hat?

Ungebeten drängte sich ein Bild in Gloktas Gedanken: Wie die Hülle um die Edelsteine hinter seinem Gürtel plötzlich aufplatzte und ihm ein unbezahlbarer Strom hübscher Steinchen aus den Hosenbeinen rollte, während der Erzlektor und seine Praktikalen mit verblüfften Gesichtern zusahen. Wie würde ich das wohl erklären? Angesichts dieser Vorstellung musste er ein Kichern unterdrücken.

»Dieser verdammte Bayaz!«, fauchte Sult, die weiß behandschuhten Hände zu bebenden Fäusten geballt.

Glokta entspannte sich ganz leicht. Offenbar bin nicht ich das Problem. Oder jedenfalls noch nicht. »Bayaz?«

»Dieser kahle Lügner, dieser grinsende Betrüger, dieser angejahrte Scharlatan! Er hat den Geschlossenen Rat in die Tasche gesteckt!« Haltet den Dieb! »Jetzt fängt dieser elende Wurm Luthar an, uns auf sein Geheiß hin Vorschriften zu machen! Sie haben mir gesagt, er sei ein rückgratloses Nichts!« Ich habe Ihnen gesagt, dass er früher einmal ein rückgratloses Nichts war, den Rest wollten Sie nicht hören. »Dieses verdammte Schoßhündchen scheint doch tatsächlich Zähne zu besitzen und will sie offenbar sogar einsetzen, und dieser Erste der verfluchten Magi hält seine Leine in Händen! Er lacht über uns! Er lacht über mich! Über mich!«, brüllte Sult und stieß sich den gebogenen Zeigefinger gegen die Brust.

»Ich ...«

»Zur Hölle mit Ihren Ausflüchten, Glokta! Ständig ertrinke ich geradezu in Entschuldigungen, aber was ich brauche, sind Antworten! Was ich brauche, sind Lösungen! Ich muss mehr über diesen Lügner wissen!«

Dann werden Sie jetzt vielleicht beeindruckt sein. »Tatsächlich habe ich mir bereits die Freiheit genommen, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen.«

»Was für Schritte?«

»Es gelang mir, seinen Wegkundigen in Gewahrsam zu nehmen«, sagte Glokta und gönnte sich den Anflug eines Lächelns.

»Den Wegkundigen?« Sult sah nicht besonders beeindruckt aus. »Und was hat dieser schwachsinnige Sternengucker Ihnen erzählt?«

Glokta hielt einen Augenblick inne. »Dass er mit Bayaz und unserem neuen König vor dessen Thronbesteigung quer durch das Alte Kaiserreich bis zum Ende der Welt reiste.« Er suchte nach Worten, die in Sults Art von Logik passen würden, nach Gründen und sauberen Erklärungen. »Sie suchten offenbar ... nach einem Relikt aus der Alten Zeit ...«

»Nach einem Relikt?«, fragte Sult, der nur noch finsterer dreinblickte. »Aus der Alten Zeit?«

Glokta schluckte. »So war es wohl, aber sie haben es nicht gefunden.«

»Also wissen wir jetzt eines von tausend Dingen, die Bayaz nicht getan hat? Pah!« Sult fuhr zornig mit der Hand durch die Luft. »Dieser Wegkundige ist ein Nichts, und er hat Ihnen weniger als nichts erzählt! Nur noch mehr Mythen und Legenden!«

»Natürlich, Euer Eminenz«, murmelte Glokta. Manchen Leuten kann man es einfach nicht recht machen.

Sult warf einen schlecht gelaunten Blick auf das VierseitsBrett, das vor dem Fenster stand, und seine weiß behandschuhte Hand schwebte über den Steinen, als wolle er einen Zug machen. »Ich kann schon nicht mehr zählen, wie oft Sie mich enttäuscht haben, aber ich werde Ihnen eine letzte Gelegenheit geben, sich zu beweisen. Nehmen Sie diesen Ersten der Magi noch einmal unter die Lupe. Finden Sie irgendeine Schwäche, eine Waffe, die wir gegen ihn verwenden können. Er ist der Krankheitsherd, ihn müssen wir ausbrennen.« Er stupste zornig gegen einen der weißen Steine. »Ich will ihn zerstört sehen! Ich will ihn erledigt sehen! Ich will ihn im Haus der Befragungen, in Ketten!«

Glokta schluckte. »Euer Eminenz, Bayaz hat sich im Palast eingerichtet, außerhalb meiner Reichweite. Sein Schützling ist unser neuer König ...« Was wir uns zumindest teilweise selbst zuzuschreiben haben. Er kniff die Lippen zusammen, aber es gelang ihm nicht, die Frage zu unterdrücken: »Wie soll ich das anstellen?«

»Wie?«, schrie Sult. »Wie, Sie verkrüppelter Wurm?« Er wischte wütend über das Spielbrett und schleuderte die Steine auf den Boden. Nun frage ich mich, wer wird sich wohl wieder bücken müssen, um die aufzuheben? Als würden sie vom Ton der Stimme des Erzlektors gesteuert, lösten sich die sechs Praktikalen von der Wand und machten einen bedrohlichen Schritt in die Raumesmitte. »Wenn ich mich um jede Kleinigkeit selbst kümmern wollte, dann würde ich Ihrer wertlosen Dienste überhaupt nicht bedürfen! Ziehen Sie los und sehen Sie zu, dass das erledigt wird, Sie schleimiger Krüppel!«

»Euer Eminenz ist zu freundlich«, murmelte Glokta und neigte erneut den Kopf. Aber selbst der niederste Hund braucht es gelegentlich einmal, dass man ihn hinter den Ohren krault, sonst geht er seinem Herrn irgendwann vielleicht einmal an die Kehle ...

»Und überprüfen Sie seine Geschichte, wo Sie schon mal dabei sind.«

»Welche Geschichte, Herr Erzlektor?«

»Dieses Märchen von Carmee dan Roth!« Sults Augen verengten sich noch weiter, und tiefe Falten gruben sich in seine Nasenwurzel. »Wenn wir die Leine schon nicht selbst in die Hand bekommen können, müssen wir eben den Hund einschläfern lassen, verstehen Sie?«

Glokta fühlte, wie sein Auge zuckte, obwohl er sich mühte, es ruhig zu halten. Wir finden einen Weg, um König Jezals Regierungszeit abrupt zu beenden. Gefährlich. Wäre die Union ein Schiff, dann hätte sie kürzlich einen schweren Sturm erlebt und würde noch immer sehr krängen. Einen Kapitän haben wir schon verloren. Wenn wir jetzt den nächsten ersetzen, bricht uns vielleicht das ganze Schiff auseinander. Dann

werden wir alle in tiefem, kaltem, unbekanntem Wasser schwimmen. Wie wär’s mit einem schönen kleinen Bürgerkrieg? Er warf einen düsteren Blick auf die Vierseits-Steine, die auf dem Boden lagen. Aber Seine Eminenz hat gesprochen. Wie hat Schickel noch gesagt? Wenn dein Meister dir eine Aufgabe anvertraut, dann tust du dein Bestes, um sie zu erfüllen. Selbst wenn es eine dunkle Aufgabe ist. Und einige von uns sind nur für dunkle Aufgaben geeignet.

»Carmee dan Roth und ihr Bastard. Ich werde die Wahrheit darüber herausfinden, Euer Eminenz, darauf können Sie sich verlassen.«

Sults abfälliger Gesichtsausdruck wurde noch verächtlicher. »Wenn ich das nur glauben könnte!«

 

Im Haus der Befragungen herrschte für diese späte Stunde reges Treiben. Glokta sah dennoch niemanden, als er den Korridor entlanghumpelte. Seine armseligen verbliebenen Zähne hatte er in die Unterlippe gebohrt, und seine Hand umkrallte den Griff seines Stocks, ganz rutschig vor Schweiß. Er sah niemanden, aber er hörte sie.

Stimmen drangen hinter den eisenbeschlagenen Türen hervor. Leise und beharrlich. Sie stellen Fragen. Hoch und verzweifelt. Sie sprudeln Antworten heraus. Gelegentlich unterbrach ein Aufschrei, ein Aufbrüllen oder Schmerzgeheul das lastende Schweigen. Das muss man nicht erklären. Severard lehnte an der dreckigen Wand, als Glokta auf ihn zuhumpelte. Er hatte einen Fuß gegen den Putz gestützt und pfiff tonlos hinter seiner Maske.

»Was ist denn passiert?«, fragte Glokta.

»Ein paar von Lord Brocks Leuten haben sich betrunken und sind dann ausfällig geworden. Ungefähr fünfzig Mann haben in der Nähe der Vier Ecken für ganz schön viel Wallung gesorgt. Haben von Rechten erzählt und rumgejammert, dass die Leute betrogen worden wären, und sie haben behauptet, Brock hätte König werden sollen. Sie meinen, es sei eine Kundgebung gewesen. Wir hingegen haben gesagt, es war Hochverrat.«

»Hochverrat, was?« Die genaue Definition ist bekanntermaßen höchst dehnbar. »Picken Sie sich die Rädelsführer heraus und lassen Sie ein paar Papiere unterschreiben. Angland ist wieder in den Händen der Union. Höchste Zeit, dass wir ein paar Verräter dort hinschicken.«

»Sie sind schon dabei. Sonst noch was?«

»Aber ja.« Wieder jongliere ich mit Messern. Eines kommt herabgesaust, zwei fliegen hoch. Immer mehr Klingen drehen sich in der Luft, und jede von ihnen hat eine tödliche Schneide. »Vorhin hatte ich Besuch von Seiner Eminenz. Er war kurz, aber für meinen Geschmack doch zu lang.«

»Arbeit für uns?«

»Nichts, was Sie reich machen wird, falls es das ist, worauf Sie hoffen.«

»Ich hoffe immer. Man könnte mich wohl einen Optimisten nennen.«

»Wie schön für Sie.« Ich neige eher zur anderen Richtung. Glokta holte tief Luft und stieß sie in einem langen Seufzer wieder aus. »Der Erste der Magi und seine kühnen Mitstreiter.«

»Schon wieder?«

»Seine Eminenz wünscht Informationen.«

»Aber sagen Sie ... dieser Bayaz ... ist er nicht ziemlich vertraut mit dem neuen König?«

Glokta hob eine Augenbraue, als ein erstickter Schmerzensschrei den Flur hinunterhallte. Vertraut? Bayaz hätte ihn sich genauso gut aus Ton formen können. »Deswegen müssen wir ihn ja im Auge behalten, Praktikal Severard. Zu seinem eigenen Schutz. Mächtige Männer haben mächtige Feinde, nicht nur mächtige Freunde.«

»Meinen Sie, dass der Wegkundige noch etwas weiß?« »Nichts, das uns weiterhilft.«

»Schade. Ich habe mich allmählich schon daran gewöhnt, dass dieser kleine Drecksack bei uns ist. Er hat eine tolle Geschichte über einen großen Fisch auf Lager.«

Glokta saugte an seinem leeren Zahnfleisch. »Lassen Sie ihn einstweilen, wo er ist. Vielleicht weiß Praktikal Frost seine Märchen zu schätzen.« Er hat schließlich viel Humor.

»Wenn der Wegkundige uns nicht nützt, wen quetschen wir dann aus?«

Gute Frage. Neunfinger ist weg. Bayaz selbst hat sich sicher im Palast eingemauert, und sein Lehrling weicht kaum von seiner Seite. Der frühere Jezal dan Luthar ist mittlerweile leider außerhalb unserer Reichweite ... »Was ist mit dieser Frau?«

Severard hob den Kopf. »Sie meinen diese braune Schlampe?«

»Sie ist doch noch in der Stadt, oder nicht?«

»Soweit ich weiß, ja.«

»Dann folgen Sie ihr und finden Sie heraus, was mit ihr los ist.«

Der Praktikal hielt inne. »Muss ich?«

»Wieso? Haben Sie Angst?«

Severard hob seine Maske an und kratzte sich darunter. »Es gibt Leute, denen ich lieber folgen würde.«

»Das Leben ist eine lange Abfolge von Dingen, die wir lieber täten.« Glokta sah den Korridor entlang und versicherte sich, dass niemand dort war. »Wir müssen auch ein paar Dinge über Carmee dan Roth herausfinden, die angebliche Mutter unseres jetzigen Königs.«

»Was für Dinge?«

Glokta beugte sich zu Severard herüber und zischte ihm leise ins Ohr: »Zum Beispiel, ob sie wirklich ein Kind gebar, bevor sie starb. Ob es sich bei dem Kind um die Frucht der überaktiven Lenden König Guslavs handelte. Und ob dieses Kind dann tatsächlich zu dem Mann heranwuchs, den wir jetzt auf dem Thron haben. Sie wissen schon, welche Fragen Sie stellen müssen.« Fragen, die uns richtig in Schwierigkeiten bringen können. Fragen, die manche Leute als Hochverrat bezeichnen würden. Denn die Definition ist ja bekanntermaßen höchst dehnbar.

Severards Maske sah aus wie immer, aber der Rest seines Gesichts machte einen recht bestürzten Eindruck. »Sind Sie sicher, dass wir da herumstochern sollten?«

»Warum fragen Sie nicht den Erzlektor, ob er sich sicher ist? Mir gegenüber hat er sich ziemlich sicher angehört. Holen Sie sich Frost zu Hilfe, wenn Sie auf Schwierigkeiten stoßen.«

»Aber ... was suchen wir denn? Wie werden wir ...«

»Wie?«, zischte Glokta. »Wenn ich mich um jede Kleinigkeit selbst kümmern wollte, dann würde ich Ihre Dienste überhaupt nicht benötigen. Ziehen Sie los und sehen Sie zu, dass das erledigt wird!«

Als Glokta noch jung und gut aussehend, flink und vielversprechend, bewundert und beneidet gewesen war, hatte er viel Zeit in den Tavernen von Adua zugebracht.

Obwohl ich mich nicht erinnere, je so tief gesunken zu sein, nicht einmal in meinen dunkelsten Stunden, dass ich hier gelandet wäre.

Inzwischen fühlte er sich kaum mehr fehl am Platze, als er zwischen der Kundschaft hin und her humpelte. Hier war es die Norm, verkrüppelt zu sein, und er hatte mehr Zähne als der Durchschnitt. Fast jeder Gast war von entstellenden Narben oder schwächenden Verletzungen gezeichnet oder mit Schwären oder Warzen gesegnet, die jeder Kröte zur Ehre gereicht hätten. Es gab Männer, deren Gesichter so rau waren wie die Kruste auf einer abgestandenen Schüssel Haferbrei. Männer, die stärker zitterten als Blätter im Sturm und die nach alter Pisse stanken. Männer, die aussahen, als würden sie einem Kind die Kehle durchschneiden, nur um ihre Messer zu wetzen. Eine betrunkene Hure lehnte in einer Haltung an einem Stützpfosten, die nicht einmal ein völlig verzweifelter Seemann hätte erregend finden können. Derselbe Geruch von saurem Bier und Hoffnungslosigkeit, altem Schweiß und frühem Tod, den ich von den Stätten meiner wüstesten Ausschweifungen in Erinnerung habe. Nur stärker.

An einer Seite des stinkenden Gastraumes gab es einige abgetrennte Nischen. Unter gewölbten Torbogen hingen traurige Schatten, darunter saßen noch traurigere Betrunkene. Und wen könnte man in einer solchen Umgebung zu treffen erwarten? Glokta schlurfte bis zur letzten Nische und hielt dort inne.

»Na, wer hätte das gedacht. Ich hätte nicht geglaubt, Sie lebend wiederzusehen.«

Nicomo Cosca sah sogar noch heruntergekommener aus als bei ihrem ersten Treffen, falls das möglich war. Er hatte sich vor der glitschigen Wand hingelümmelt, die Hände baumelten frei herab, sein Kopf war zur Seite gekippt, und die Augen hielt er kaum geöffnet, während er zusah, wie Glokta sich unter Schmerzen auf einen Stuhl ihm gegenüber sinken ließ. Seine Haut hatte in dem flackernden Licht, das eine einzige billige Kerzenflamme verströmte, eine seifige Farbe, dunkle Tränensäcke lagen unter seinen Augen, und Schatten zuckten über sein verhärmtes, knochiges Gesicht. Der Ausschlag an seinem Hals hatte sich weiter ausgebreitet und rankte jetzt bis zu seinem Kiefer hoch wie Efeu an einer Ruine. Wenn er sich noch ein bisschen weiter Mühe gibt, dann sieht er bald fast genauso krank aus wie ich.

»Superior Glokta«, keuchte er mit einer Stimme, die so brüchig war wie Baumrinde. »Es freut mich, dass Sie meine Nachricht erhalten haben. Was für eine Ehre, dass wir entgegen aller Wahrscheinlichkeit unsere Bekanntschaft erneuern können. Demnach haben Ihre Herren Ihre Bemühungen im Süden nicht mit einer durchgeschnittenen Kehle belohnt?«

»Es hat mich zwar ebenso überrascht wie Sie, aber so ist es.« Obwohl dafür ja auch immer noch genug Zeit ist. »Wie lief es in Dagoska, nachdem ich die Stadt verlassen hatte?«

Der Styrer blies die hohlen Backen auf. »Wenn Sie schon so fragen – in Dagoska herrschte Chaos. Viele Männer kamen um. Viele gerieten in die Sklaverei. So ist es nun mal, wenn die Gurkhisen zum Abendessen vorbeikommen, nicht wahr? Gute Männer fanden ein übles Ende, und schlechten Männern erging es kaum besser. Für sie alle ging es böse aus. So auch für Ihren Freund, General Vissbruck.«

»Nach dem, was ich hörte, schnitt er sich selbst die Kehle durch.« Unter stürmischem Beifall der Öffentlichkeit. »Wie konnten Sie entkommen?«

Coscas Mundwinkel kräuselten sich, als hätte er gern gelächelt, ohne aber die Energie dazu aufbringen zu können. »Ich habe mich als Dienstmädchen verkleidet und mich nach draußen gevögelt.«

»Eine originelle Idee.« Aber es ist wohl wahrscheinlicher, dass Sie den Gurkhisen die Tore öffneten und dafür die Freiheit erhielten. Ob ich in Ihrer Lage wohl dasselbe getan hätte? Vermutlich. »Und welch ein Glück für uns beide.«

»Es heißt, das Glück sei eine Frau. Sie fühlt sich stets zu jenen hingezogen, die sie am wenigsten verdienen.«

»Mag sein.« Obwohl ich zwar auch unwürdig bin, mir aber doch kein Glück beschieden ist. »Es ist jedenfalls ein glücklicher Zufall, dass Sie gerade jetzt in Adua auftauchen. Die Lage ist ... sehr unsicher.«

Glokta hörte ein Quieken und Rascheln, und eine große Ratte schoss unter seinem Stuhl hervor, um einen Augenblick bestens sichtbar auf dem Boden zu verharren. Cosca schob eine unsichere Hand unter seine fleckige Jacke und zog sie ruckartig wieder hervor. Ein Messer flog durch die Luft und blitzte kurz auf, dann bohrte es sich gut einen oder zwei Schritt neben dem Ziel in die Dielenbretter. Die Ratte blieb kurz sitzen, als wolle sie ihre Verachtung ausdrücken, dann huschte sie zwischen die Tischbeine und Stühle und die Stiefel der anderen Gäste.

Cosca leckte sich die fleckigen Zähne, als er aus der Nische glitt, um sich sein Messer zurückzuholen. »Ich war früher einmal ein überragender Messerwerfer, wissen Sie.«

»Schöne Frauen hingen an meinen Lippen.« Glokta saugte an seinem leeren Zahnfleisch. »Die Zeiten ändern sich.«

»Ja, so sagt man. Es ändert sich alles Mögliche. Neue Regenten bringen neue Sorgen. Und Sorgen beleben das Geschäft, jedenfalls für jemanden in meinem Beruf.«

»Es könnte sein, dass ich schon bald für Ihre besonderen Talente Verwendung habe.«

»Da würde ich sicherlich nicht ablehnen.« Cosca neigte seine Flasche und steckte die Zunge in ihren Hals, um den letzten Tropfen herauszulutschen. »In meiner Börse herrscht äußerste Ebbe. So sehr, dass ich nicht einmal eine Börse habe.«

Zumindest in dieser Hinsicht kann ich aushelfen. Glokta versicherte sich, dass man sie nicht beobachtete, dann warf er etwas auf die unebene Tischplatte und sah, wie es mit einem Klackern und einer Drehung vor Cosca liegen blieb. Der Söldner nahm das Ding zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt es vor die Kerzenflamme und sah es mit seinen blutunterlaufenen Augen an. »Das scheint ein Diamant zu sein.«

»Sagen wir, Sie stehen auf Abruf für mich bereit. Ich denke, Sie könnten sicher einige Männer in ähnlicher Lage finden, die Sie unterstützen. Verlässliche Männer, die nichts erzählen und keine Fragen stellen. Ein paar gute Leute, die uns kurzfristig aushelfen könnten.«

»Ein paar schlechte Leute, meinen Sie also?«

Glokta grinste und zeigte dabei seine Zahnlücke. »Nun ja. Ich denke, das hängt ganz davon ab, ob man der Auftraggeber oder der Auftrag ist.«

»Das ist wohl so, ja.« Cosca ließ die leere Flasche auf die verzogenen Bodenbretter fallen. »Und worin besteht die Aufgabe, Herr Superior?«

»Im Augenblick nur darin, zu warten und sich außer Sicht zu halten.« Er lehnte sich mit gequältem Gesicht ein wenig aus der Nische heraus und schnippte mit den Fingern nach einem mürrischen Schankmädchen. »Noch eine Flasche von dem, was mein Freund hier trinkt!«

»Und später?«

»Ich bin sicher, dass ich etwas finden werde, das Sie für mich tun können.« Glokta schob sich unter Schmerzen weit genug nach vorn, um zu flüstern: »Unter uns gesagt, ich habe das Gerücht gehört, die Gurkhisen seien im Anmarsch.«

Cosca verzog gequält das Gesicht. »Die schon wieder? Müssen wir uns mit denen rumschlagen? Diese Ärsche halten sich nicht an die Regeln. Gott und Rechtschaffenheit und Glauben.« Er erschauerte. »So was macht mich nervös.«

»Nun, wer auch immer an die Tür klopfen wird, ich bin sicher, dass ich eine heldenhafte Verteidigung organisieren kann – gegen eine große Übermacht und ohne Hoffnung oder Hilfe.« Schließlich besteht bei mir kein Mangel an Feinden.

Die Augen des Söldners leuchteten auf, als das Mädchen geräuschvoll eine volle Flasche vor ihn auf den unebenen Tisch setzte. »Ah, Schlachten ohne Aussicht auf Sieg. Dafür habe ich eine Schwäche.«