HÄUPTLINGSWÜRDE
»Verdammt kalte Nacht!«, rief der Hundsmann. »Dabei sollte doch jetzt wohl Sommer sein!« Die drei Männer sahen auf. Der, der ihm am nächsten stand, war ein alter Mann mit grauem Haar und einem Gesicht, dem man ansah, dass es oft dem Wetter ausgesetzt gewesen war. Der Mann direkt hinter ihm war jünger, und ihm fehlte unterhalb des Ellenbogens der linke Arm. Der dritte war noch ein Junge, der am Ende des Anlegers stand und auf das dunkle Meer hinausblickte.
Hundsmann tat so, als hinke er heftig, während er zu ihnen hinüberging; er schleppte ein Bein nach und verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen. Dann trat er unter die Lampe, die neben der Warnglocke von einem hohen Pfahl herabhing, und hob den Krug, so dass sie alle ihn sehen konnten.
Der Alte grinste und lehnte seinen Speer gegen die Mauer. »Ist immer kalt, hier unten am Wasser.« Er kam näher und rieb sich die Hände. »Nur gut, dass wir dich haben, damit wir uns warm halten können, was?«
»Joh. Da haben wir alle Glück.« Hundsmann zog den Stopfen aus dem Tonkrug und ließ ihn hinunterbaumeln, während er einen Henkelbecher nahm und einen Schluck eingoss.
»Kein Grund zur Schüchternheit, was, Junge?«
»Daran liegt’s doch bestimmt nicht.« Hundsmann goss weiter ein. Der Mann mit dem einen Arm musste den Speer absetzen, bevor er seinen Becher in Empfang nahm. Der Junge kam als Letzter näher und sah Hundsmann wachsam an.
Der Alte stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Bist du sicher, dass deine Mutter nichts dagegen hätte, wenn du hier mittrinkst, Junge?«
»Wen kümmert, was die sagt?«, knurrte der Angesprochene und versuchte, seine hohe Stimme rau klingen zu lassen.
Hundsmann reichte ihm einen Becher. »Wenn du alt genug bist, um einen Speer zu tragen, dann bist du auch alt genug zum Trinken, würde ich sagen.«
»Ich bin alt genug!«, gab der Kleine heftig zurück und riss dem Hundsmann den Becher aus der Hand, aber er schüttelte sich, als er daraus trank. Hundsmann erinnerte sich an seinen ersten Schluck, nach dem er sich richtig elend gefühlt und sich gefragt hatte, weshalb alle so viel Aufhebens um dieses Zeug machten, und er lächelte in sich hinein. Der Junge dachte vermutlich, dass sie sich über ihn lustig machten. »Wer bist du überhaupt?«
Der Alte sah Hundsmann beschwichtigend an. »Achte nicht auf ihn. Der ist noch so jung, dass er glaubt, sich durch Grobheit Respekt verdienen zu können.«
»Schon gut«, sagte Hundsmann, der sich nun selbst einen Schluck einschenkte und dann den Krug auf den Steinen absetzte. Er nahm sich Zeit, die nächsten Worte zu überdenken und sicherzugehen, dass er keinen Fehler machte. »Ich heiße Cregg.« Er hatte einmal einen Mann dieses Namens gekannt, der in einem Scharmützel oben in den Bergen umgekommen war. Hundsmann hatte ihn nicht sehr gemocht, und er wusste nicht, wieso ihm dieser Name plötzlich einfiel, aber einer war so gut wie der andere, dachte er. Bedeutsam tätschelte er seinen Schenkel. »Mich hat bei Dunbrec einer ins Bein gestochen, und es will nicht richtig heilen. Kann nicht mehr marschieren. Die Zeiten, in denen ich eine Stellung halten konnte, sind wohl vorbei. Deswegen hat mich mein Häuptling hierhergeschickt, damit ich mit euch am Meer Ausschau halte.« Er blickte über das Wasser, das im Mondlicht schwappte und funkelte, als ob es lebendig sei. »Kann aber auch nicht sagen, dass es mir leidtut. Um ehrlich zu sein, ich habe mein Maß an Kämpfen gesehen.« Das zumindest war keine Lüge.
»Weiß schon, wie du dich fühlst«, sagte der Einarmige und machte mit seinem Armstumpf eine Bewegung in Hundsmanns Richtung. »Wie steht’s denn da oben?«
»Ganz gut. Die Union hockt immer noch vor den eigenen Mauern und versucht um jeden Preis reinzukommen, und wir sitzen auf der anderen Seite des Flusses und warten auf sie. So geht das schon seit Wochen.«
»Ich hab gehört, dass ein paar Jungs zur Union übergelaufen sind. Der alte Dreibaum, hieß es, war da oben und wurde in dieser Schlacht getötet.«
»Das war ein großer Mann, Rudd Dreibaum«, sagte der Alte, »ein großer Mann.«
»Joh«, nickte Hundsmann. »Das war er wohl.«
»Hab gehört, dass der Hundsmann seinen Platz eingenommen hat«, berichtete nun der Einarmige.
»Ehrlich?«
»So sagt man. Ein echt fieser Drecksack. Und ein Riesenkerl. Sie nennen ihn den Hundsmann, weil er mal einer Frau die Nippel abgebissen hat.«
Hundsmann blinzelte. »Ist ja ’n Ding. Tja, also, mir ist der nie begegnet.«
»Ich hab gehört, der Blutige Neuner war auch da oben«, flüsterte der Junge, und seine Augen weiteten sich, als habe er gerade einen Geist gesehen.
Die anderen beiden schnaubten verächtlich. »Der Blutige Neuner ist tot, Junge, und diesem bösartigen Arschloch weint niemand eine Träne nach.« Der Einarmige erschauerte. »Verdammt noch eins, es sind aber auch komische Ammenmärchen im Umlauf!«
»Ich sag nur, was ich gehört hab, das ist alles.«
Der Alte nahm noch einen Schluck Grog und machte ein schmatzendes Geräusch. »Spielt doch keine Rolle, wer wo ist. Der Union wird wahrscheinlich langweilig, wenn sie das Fort erst mal zurückerobert hat. Und wenn diesen Kerlen dann langweilig ist, fahren sie übers Wasser zurück nach Hause, und alles ist wieder wie früher. Keiner von denen wird hierher nach Uffrith kommen, das steht mal fest.«
»Nein«, sagte der Einarmige zufrieden. »Hierher kommen sie nicht.«
»Wieso halten wir dann hier nach ihnen Ausschau?«, quengelte der Junge.
Der Alte rollte mit den Augen, als habe er diese Frage schon zehnmal gehört und jedes Mal dieselbe Antwort gegeben. »Weil das die Aufgabe ist, die man uns anvertraut hat, Junge.«
»Und wenn man eine Aufgabe übernommen hat, dann erfüllt man sie am besten so gut wie möglich.« Hundsmann erinnerte sich, dass Logen ihm einmal dasselbe gesagt hatte, und Dreibaum auch. Beide waren nun nicht mehr da, wieder zu Schlamm geworden, aber die Worte waren immer noch genauso wahr wie früher. »Selbst wenn es eine langweilige Aufgabe, eine gefährliche oder eine dunkle ist. Selbst wenn man es lieber nicht täte.« Verdammt, er musste pissen. Das war einfach immer so in solchen Augenblicken.
»Das ist wohl wahr«, sagte der Alte und lächelte in seinen Becher hinein. »Bestimme Sachen müssen eben erledigt werden.«
»Das stimmt. Es ist wirklich eine Schande. Ihr scheint ziemlich nette Kerle zu sein.« Und damit griff der Hundsmann hinter sich, als ob er sich mal schnell am Hintern kratzen wollte.
»Schande?« Der Junge sah ihn verblüfft an. »Was meinst du mit Schan ...«
Dann erschien Dow hinter ihm und schnitt ihm die Kehle durch.
Fast im gleichen Augenblick legte sich Grimms dreckige Hand auf den Mund des Einarmigen, und die blutige Spitze einer Klinge glitt vorn aus dem Spalt seines Mantels. Hundsmann sprang vor und stach den Alten dreimal schnell zwischen die Rippen. Er keuchte, stolperte, die Augen geweitet, den Becher noch in der Hand, und grogversetzter Speichel troff aus seinem Mund. Dann stürzte er zu Boden.
Der Junge kroch ein kleines Stück davon. Er hatte eine Hand an den Hals gepresst, um das Blut am Herausströmen zu hindern, die andere griff nach dem Pfahl, an dem die Warnglocke hing. Er hatte ganz schön Mumm, fand der Hundsmann, mit einer durchgeschnittenen Kehle noch an die Glocke zu denken, aber er war kaum einen Schritt weit gekommen, als Dow hart auf seinen Kopf trat und ihn zerquetschte.
Hundsmann zuckte zusammen, als er die Knochen des Jungen knacken hörte. Er hatte es vermutlich nicht verdient, so zu sterben. Aber so ist es nun mal im Krieg. Eine Menge Leute müssen ihr Leben lassen, obwohl sie es nicht verdienen. Die Aufgabe hatte erfüllt werden müssen, sie hatten sie erfüllt, und sie waren alle drei noch am Leben. Das war schon eine Menge angesichts dessen, was sie erledigen sollten, aber dennoch hinterließ es irgendwie einen bitteren Geschmack in seinem Mund. Es war ihm nie leichtgefallen, aber jetzt, da er Häuptling war, fiel es ihm noch schwerer denn je zuvor. Seltsam, dass es so viel leichter ist, Leute umzubringen, wenn jemand anders es befiehlt. Eine harte Sache, das Töten. Härter, als man glauben möchte.
Außer natürlich, man war der Schwarze Dow. Dieser Drecksack tötete einen Mann genauso leicht, wie er mal eben pinkeln ging. Deswegen war er ja so verdammt gut darin. Hundsmann sah, wie Dow sich hinunterbückte, den Mantel vom schlaffen Körper des Einarmigen zog, ihn um die eigenen Schultern legte und den Leichnam dann ins Meer rollte, so achtlos, als ob er gerade Abfall entsorgte.
»Du hast zwei Arme«, sagte Grimm, der bereits den Mantel des Alten trug.
Dow sah an sich herunter. »Was genau willst du damit sagen? Ich werde mir nicht den Arm abhacken, damit die Verkleidung stimmiger ist, du Idiot!«
»Er meinte, du solltest ihn besser ein wenig verstecken.« Hundsmann sah Dow zu, wie der einen Becher mit einem dreckigen Finger auswischte, sich selbst einen Schluck einschenkte und ihn hinunterkippte. »Wie kannst du in so einem Augenblick trinken?«, fragte er und zog den blutigen Mantel des Jungen von dessen Leiche.
Dow zuckte die Achseln, während er sich noch einmal nachschenkte. »Ist doch eine Schande, das Zeug verkommen zu lassen. Und wie du schon gesagt hast, es ist verdammt kalt.« Er verzog den Mund zu einem hässlichen Grinsen. »Verdammt noch eins, du kannst echt reden, Hundsmann. Ich heiß Cregg.« Er machte ein paar humpelnde Schritte. »Hat mich doch einer in Dunbrec in den Arsch gestochen! Wo hast du das bloß her?« Mit dem Handrücken gab er Grimm einen Klaps auf die Schulter. »Verdammt großartig, was? Es gibt doch so ’n Wort dafür, oder nicht? Wie heißt das noch?«
»Glaubwürdig«, sagte Grimm.
Dows Augen leuchteten auf. »Glaubwürdig. Genau das bist du, Hundsmann. Du bist ein echt glaubwürdiger Drecksack. Du hättest denen erzählen können, du wärst Skarling Ohnekapp, und die hätten dir das abgekauft. Keine Ahnung, wie du es schaffst, bei so was ein dermaßen ernstes Gesicht zu machen!«
Hundsmann war nicht nach Lachen zumute. Ihm gefiel der Anblick der beiden Leichen nicht, die auf den Steinen ausgestreckt lagen. Er konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass der Junge sich ohne den Mantel erkälten würde. Natürlich kompletter Quatsch angesichts der Tatsache, dass er in einer Lache seines eigenen Blutes lag, die mindestens einen Schritt breit war.
»Ist doch egal«, brummte er. »Schafft die beiden weg und kommt rüber zum Tor. Man weiß nie, wann hier andere Leute auftauchen könnten.«
»Hast recht, Häuptling, hast recht, wie du sagst.« Dow rollte die beiden Toten ins Wasser, dann schob er den Klöppel aus seiner Aufhängung und schleuderte ihn weit hinaus ins Meer.
»Eine Schande«, sagte Grimm.
»Was denn?«
»Ist Verschwendung einer Glocke.«
Dow blinzelte ihn an. »Verschwendung einer Glocke, meine Fresse! Du hast ja plötzlich jede Menge zu sagen, und weißt du was? Ich glaube, ich konnte dich früher besser leiden. Verschwendung einer Glocke? Bist du übergeschnappt, Kumpel?«
Grimm zuckte die Achseln. »Die Südländer hätten vielleicht gerne eine, wenn sie hier ankommen.«
»Dann können sie verdammt noch mal nach dem Scheiß-Klöppel tauchen!« Damit ergriff Dow den Speer des Einarmigen und schritt zum offenen Tor, eine Hand in den gestohlenen Mantel gewickelt. Noch immer brummelte er vor sich hin. »Verschwendung einer Glocke ... bei den verdammten Toten ...«
Der Hundsmann stellte sich auf die Zehenspitzen und nahm die Lampe aus ihrer Halterung. Er reckte sie hoch, zum Meer gewandt, und hob eine Seite seines Mantels, um sie zu bedecken, dann machte er sie wieder frei. Bedeckte sie, machte sie frei. Nach einem weiteren Mal hängte er sie flackernd zurück auf den Pfahl. Eine winzig kleine Flamme, so schien es ihm, um all ihre Hoffnungen daran zu wärmen. Eine winzig kleine Flamme, die von weit draußen auf dem Wasser gesehen werden sollte, aber eine andere hatten sie nicht.
Er wartete die ganze Zeit darauf, dass die Sache schiefgehen würde, dass in der Stadt plötzlich Lärm ausbrechen, dass fünf Dutzend Carls aus dem offenen Tor stürmen und ihnen den Hals umdrehen würden, so wie sie es verdienten. Wenn er daran dachte, dann musste er sofort unglaublich dringend pinkeln. Aber sie kamen nicht. Es war nichts zu hören außer dem Quietschen der leeren Glocke, die an ihrer Befestigung hin und her schwang, und außer den kalten Wellen, die sich an Stein und Holz brachen. Es war alles genau so, wie sie es geplant hatten.
Das erste Boot glitt aus der Dunkelheit. Vorn im Bug saß Espe und grinste. Zwanzig Carls hatten sich hinter ihm im Boot zusammengedrängt und führten die Ruder ganz vorsichtig, die weißen Gesichter angespannt, die Zähne gefletscht in dem Bemühen, kein Geräusch zu machen. Dennoch zerrte jedes Knirschen und Klappern von Holz und Metall an Hundsmanns Nerven.
Espe und seine Jungs hängten Strohsäcke über die Bordseite, als sie das Boot in Ufernähe brachten, und verhinderten so, dass das Holz an den Steinen schabte – genau so, wie sie es sich eine Woche zuvor ausgedacht hatten. Sie warfen Taue an Land, und Hundsmann und Grimm fingen sie auf, zogen das Boot an den Anleger und banden es fest. Hundsmann sah zu Dow hinüber, der ruhig und gelassen nahe dem Tor an der Mauer lehnte, und Dow schüttelte leicht den Kopf, um anzudeuten, dass sich in der Stadt nichts rührte. Dann kam Espe die Treppe hoch, still und geschmeidig, und setzte sich in der Dunkelheit auf den Boden.
»Gute Arbeit, Häuptling«, sagte er und lächelte über das ganze Gesicht. »Sauber und ordentlich.«
»Wir können uns später gegenseitig auf die Schultern klopfen. Helft den übrigen Booten beim Anlegen.«
»Hast ja recht.« Es kamen nun weitere Boote, noch mehr Carls, noch mehr Strohsäcke. Alle möglichen Leute, die im Lauf der letzten Wochen zu ihnen gestoßen waren. Männer, denen Bethods neue Vorgehensweise nicht gefiel. Schon bald hatte sich eine recht große Menge unten am Wasser versammelt. So viele, dass der Hundsmann kaum glauben konnte, dass man sie nicht entdeckte.
Sie taten sich zu Gruppen zusammen, ganz wie geplant, jede mit eigenem Häuptling und eigener Aufgabe. Ein paar der Jungs kannten sich in Uffrith aus, und sie hatten ihnen einen Plan der Stadt in den Sand gezeichnet, so wie Dreibaum es früher immer getan hatte. Hundsmann hatte sie alle dazu gebracht, ihn sich einzuprägen. Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sehr der Schwarze Dow deswegen gestänkert hatte, aber jetzt zahlte sich seine Hartnäckigkeit aus. Er hockte sich neben dem Tor hin, und sie alle schritten vorbei, eine dunkle und schweigsame Gruppe nach der anderen.
Tul war der Erste, gefolgt von einem Dutzend Carls. »Donnerkopf«, sagte Hundsmann, »du übernimmst das Haupttor.«
»Joh«, nickte Tul.
»Das ist die wichtigste Aufgabe, also versuche, sie möglichst still über die Bühne zu bringen.«
»Still, kein Problem.«
»Viel Glück, Tul.«
»Brauch ich nicht.« Damit eilte der Riese gefolgt von seinen Mannen davon und verschwand in den dunklen Straßen.
»Rotkapp, du übernimmst den Turm beim Brunnen und die Mauer daneben.«
»Geht klar.«
»Espe, du und deine Jungs, ihr haltet auf dem Marktplatz Wache.«
»Wir werden wachen wie die Eulen, Häuptling.«
Und so kamen sie vorüber, durchschritten das Tor und tauchten in die dunklen Straßen, und dabei waren sie nicht lauter als der Wind über dem Meer und die Wellen am Kai. Hundsmann gab jeder Gruppe ihre Aufgabe und klopfte ihnen auf ihrem Weg auf die Schulter. Der Schwarze Dow kam als Letzter, und hinter ihm ging eine Abordnung Männer mit harten Gesichtern.
»Dow, du übernimmst das Haus des Ältesten. Stapelt Brennholz an den Mauern auf, so wie wir gesagt haben, aber zünde es nicht an, verstanden? Tötet niemanden, den ihr nicht töten müsst. Noch nicht.«
»Noch nicht, geht in Ordnung.«
»Und Dow.« Der Kämpe wandte sich noch einmal um. »Dass mir auch kein Weibsvolk belästigt wird.«
»Wofür hältst du mich?«, fragte Dow, und seine Zähne schimmerten in der Dunkelheit. »Für ein Tier oder so was?«
Und dann war es vollbracht. Nur er und Grimm standen noch dort, zusammen mit einigen anderen, und sahen übers Wasser. »Hm«, sagte Grimm und nickte langsam mit dem Kopf. Von ihm war das tatsächlich das höchste Lob.
Hundsmann deutete zum Pfahl hinauf. »Hol uns diese Glocke mal
runter, ja?«, sagte er. »Vielleicht haben wir ja doch noch
Verwendung dafür.«
Bei den Toten, sie war verdammt laut. Hundsmann musste halb die Augen schließen, und sein ganzer Arm bebte, als er mit dem Griff seines Messers auf die Glocke einschlug. Zwischen all diesen Gebäuden fühlte er sich nicht besonders wohl, eingezwängt zwischen Mauern und Zäunen. Er hatte wenig Zeit seines Lebens in Städten verbracht, und an diese Zeiten erinnerte er sich nicht allzu gern. Entweder hatte er etwas verbrannt oder nach einer Belagerung irgendwelches Unheil angerichtet, oder er hatte in Bethods Kerkern vor sich hin gedarbt und darauf gewartet, umgebracht zu werden.
Er blinzelte dem Durcheinander von Schieferdächern entgegen, sah Mauern aus alten grauen Steinen, schwarzem Holz, dreckig grauem Putz, die im dünnen Regen speckig glänzten. Es erschien ihm ein seltsames Leben, in so einer Schachtel zu schlafen und jeden Tag an genau demselben Ort aufzuwachen. Schon allein die Vorstellung machte ihn unruhig, als ob ihn die Glocke nicht schon völlig durchgerüttelt hätte. Er räusperte sich und setzte die Glocke neben seinen Füßen auf dem Kopfsteinpflaster ab. Dann blieb er abwartend stehen und legte die Hand dabei an den Schwertgriff, in der Hoffnung, dass diese Geste vermittelte, dass er es wirklich ernst meinte.
Aufgeregte Schritte waren aus einer der Gassen zu hören, und ein kleines Mädchen lief auf den Platz. Ihr klappte der Unterkiefer herunter, als sie die Männer dort stehen sah, ein Dutzend bärtige, bewaffnete Kerle, mit Tul Duru in ihrer Mitte. Höchstwahrscheinlich hatte sie noch nie einen so großen Mann gesehen. Mit einem Ruck fuhr sie herum und wollte in die andere Richtung rennen, wobei sie fast auf dem nassen Pflaster ausrutschte. Dann sah sie Dow, der auf einem Holzstapel direkt hinter ihr saß und sich lässig gegen die Mauer lehnte, das gezogene Schwert auf den Knien, und sie erstarrte.
»Ist schon gut, Kleine«, knurrte Dow. »Du kannst bleiben, wo du bist.«
Nun kamen weitere Menschen auf sie zu, sie eilten von allen Seiten auf den Platz und bekamen alle denselben Schreck, als sie den Hundsmann mit seinen Leuten erblickten. Es waren vor allem Frauen und Jungen, ein paar alte Männer waren auch dabei. Die Glocke hatte sie aus dem Bett geholt, und sie waren noch ganz verschlafen, mit roten Augen und verquollenen Gesichtern, in hastig übergestreiften Kleidungsstücken und mit allem bewaffnet, was ihnen in die Hände gefallen war. Ein Junge mit einem Schlachterbeil. Ein alter Mann, der über ein Schwert gebeugt stand, das noch älter zu sein schien als er selbst. Ein Mädchen in vorderster Reihe trug eine Mistgabel. Sie hatte dunkles Haar und einen Ausdruck in ihrem Gesicht, der den Hundsmann an Schari erinnerte. Hart und nachdenklich, so wie sie ihn immer angesehen hatte, bevor sie beieinander lagen. Hundsmann sah finster auf ihre nackten Füße und hoffte, dass er sie nicht würde umbringen müssen.
Wenn man sie einschüchtern und auf diese Weise überwältigen konnte, würde es am leichtesten und schnellsten gehen. Daher versuchte Hundsmann, wie jemand zu reden, den man fürchten musste, und nicht wie einer, der sich gleich in die Hosen machte. Wie Logen geredet hätte. Nun gut, das wäre vielleicht ein bisschen furchteinflößender als nötig. Besser wie Dreibaum. Hart, aber gerecht; jemand, der für alle das Beste wollte.
»Ist der Älteste hier?«, knurrte er.
»Das bin ich«, krächzte der Alte mit dem Schwert, dessen Gesicht vor Schreck ganz starr wirkte, entsetzt, dass zwanzig bewaffnete Fremde mitten auf seinem Marktplatz standen. »Brass heiße ich. Wer, zur Hölle, seid ihr?«
»Ich bin der Hundsmann, und das hier ist Harding Grimm; der große Kerl dort drüben ist Tul Duru Donnerkopf.« Ein paar machten große Augen und murmelten sich etwas zu. Offenbar hatten sie diese Namen schon einmal gehört. »Wir sind mit fünfhundert Carls hierhergekommen und haben letzte Nacht eure Stadt erobert.« Erschrecktes Luftholen und einzelne Schreie folgten auf diese Nachricht. Es waren wohl eher nur zweihundert, aber es wäre unklug gewesen, den Leuten das zu sagen. Sonst wären sie vielleicht auf den Gedanken gekommen, ihr Heil im Kampf zu suchen, und er wollte keine Frau erstechen oder selbst von einer erstochen werden. »In der Nähe sind noch mehr Krieger, eure Wächter sind allesamt gefesselt, jedenfalls die, die wir nicht töten mussten. Ein paar meiner Jungs, und ihr solltet wissen, dazu zählt auch der Schwarze Dow ...«
»Das bin ich.« Dow ließ sein hässliches Grinsen sehen, und einige Leute rückten angstvoll von ihm ab, als hätte man ihnen gesagt, dass dort, wo er stand, die Hölle lauerte.
»... nun, sie waren dafür, gleich die Fackeln an eure Häuser zu halten und mit dem Morden anzufangen. Eben so vorzugehen, wie wir es taten, als der Blutige Neuner unser Anführer war. Ihr wisst schon, was ich meine.« Ein Kind begann zu weinen, ein schniefendes, ersticktes Geräusch. Der Junge starrte in seine Richtung, und das Beil zitterte in seiner Hand; das dunkelhaarige Mädchen blinzelte und hielt die Mistgabel noch fester gepackt. Sie hatten begriffen, was er sagen wollte. »Aber ich dachte mir, ich gebe euch die Möglichkeit, euch zu ergeben, da die Stadt schließlich voller Frauen und Kinder und so ist. Ich habe eine Rechnung mit Bethod zu begleichen, nicht mit euch. Die Union möchte diese Stadt als Hafen nutzen, um Männer und Nachschub an Land bringen zu können. Die Soldaten werden binnen einer Stunde mit ihren Schiffen hier sein. Ziemlich viele. Das wird mit oder ohne eure Zustimmung geschehen. Damit will ich sagen, wir können diese Angelegenheit auf blutige Weise erledigen, wenn ihr es so haben wollt. Die Toten wissen, dass wir reichlich Übung darin haben. Oder ihr könnt eure Waffen niederlegen, falls ihr welche habt, und wir können uns einigen, ganz sauber und ... wie heißt das noch?«
»Zivilisiert«, sagte Grimm.
»Genau. Zivilisiert. Was sagt ihr dazu?«
Der alte Mann befingerte sein Schwert und sah dabei aus, als ob er sich lieber darauf abgestützt denn es geschwungen hätte. Er hob den Blick zu den Mauern, von denen einige der Carls hinunterschauten. Dann ließ er die Schultern hängen. »Wie es scheint, habt ihr uns überrumpelt. Der Hundsmann, sieh mal an. Ich habe schon gehört, dass du ein schlauer Drecksack bist. Hier sind sowieso kaum noch Leute, die gegen euch kämpfen könnten. Bethod hat jeden Mann mitgenommen, der einen Speer und einen Schild zur gleichen Zeit tragen konnte.«
Er sah sich zu dem traurigen Grüppchen hinter sich um. »Werdet ihr die Frauen in Frieden lassen?«
»Das werden wir.«
»Jedenfalls die, die in Frieden gelassen werden wollen«, sagte Dow und warf dem Mädchen mit der Mistgabel einen lüsternen Blick zu.
»Wir lassen sie in Ruhe«, knurrte der Hundsmann und sah ihn scharf an. »Dafür werde ich sorgen.«
»Nun gut«, keuchte der alte Mann, schlurfte zu ihm hinüber und verzog das Gesicht, als er sich vor dem Hundsmann hinkniete und ihm die rostige Klinge zu Füßen legte. »Du bist ein besserer Mann als Bethod, jedenfalls meiner Meinung nach. Ich denke, ich sollte dir für deine Gnade danken, jedenfalls, wenn du Wort hältst.«
»Hm.« Der Hundsmann fühlte sich nicht allzu gnädig. Er bezweifelte, dass der Alte unten am Kai ihm gedankt hätte, oder der Einarmige, der von hinten erstochen worden war, oder der Junge, dem man das ganze Leben gestohlen hatte.
Einer nach dem anderen kamen die übrigen Leute nach vorn und legten ihre Waffen ab, wenn man denn von Waffen reden wollte. Es war ein Haufen alter, rostiger Werkzeuge und allerlei Müll. Der Junge kam als Letzter und ließ sein Beil ebenso fallen. Dann warf er dem Schwarzen Dow einen ängstlichen Blick zu, lief hastig zu den anderen zurück und hielt sich an der Hand des schwarzhaarigen Mädchens fest.
Und so standen sie da, zusammengedrängt, und der Hundsmann konnte ihre Angst beinahe riechen. Sie warteten darauf, von Dow und seinen Carls an Ort und Stelle in Stücke gehackt zu werden. Sie warteten darauf, in ein Haus getrieben und eingeschlossen zu werden, bevor man dann das Gebäude anzündete. Hundsmann hatte all das schon miterlebt. Daher machte er ihnen keinen Vorwurf, dass sie sich aneinanderdrängten wie Schafe auf einer Winterweide. Er hätte es nicht anders getan.
»In Ordnung!«, bellte er. »Das war’s! Geht zurück in eure Häuser oder wohin auch immer. Die Union wird noch vor Mittag hier sein, und dann wäre es besser, wenn die Straßen leer wären.«
Sie sahen blinzelnd zum Hundsmann, zu Tul und zum Schwarzen Dow, und dann blickten sie einander an. Sie schluckten und zitterten und bedankten sich murmelnd bei den Toten. Dann löste sich die Menge langsam auf und verteilte sich; alle gingen ihrer Wege. Lebend, zu ihrer aller Erleichterung.
»Schön gelöst, Häuptling«, raunte Tul in Hundsmanns Ohr, »Dreibaum selbst hätte es nicht besser machen können.«
Dow glitt an seine andere Seite. »Was die Frauen angeht, also, wenn du mich fragst ...«
»Ich frag dich aber nicht«, sagte Hundsmann.
»Habt ihr meinen Sohn gesehen?« Eine Frau war noch da, die nicht nach Hause wollte. Sie ging von einem Mann zum nächsten, die Augen halb voller Tränen und das Gesicht vor Sorge verzerrt. Hundsmann senkte den Kopf und sah in die andere Richtung. »Mein Sohn, er hatte Wache, dort unten am Wasser. Habt ihr ihn gesehen?« Sie zupfte an Hundsmanns Mantel, und mit gebrochener, erstickter Stimme fragte sie wieder: »Bitte, wo ist mein Sohn?«
»Glaubst du, ich wüsste von jedem, wo er sich aufhält?«, blaffte er in ihr nasses Gesicht. Dann stolzierte er davon, als ob er jede Menge wichtiger Dinge zu tun hätte, und dabei dachte er die ganze Zeit: Du bist ein Feigling, Hundsmann, du bist ein verdammter Scheiß-Feigling. Ein schöner Held, der gerade eine Hand voll Frauen, Kinder und alter Männer mit einem Trick überlistet hat.
Es ist nicht leicht, Häuptling zu sein.