FRAGEN

Oberst Glokta war natürlich ein hervorragender Tänzer, aber nun, da sich sein Bein so steif anfühlte, war es für ihn schwer, wirklich zu glänzen. Auch lenkte ihn das unaufhörliche Fliegengesumm ab, und sein Partner war überhaupt keine Hilfe. Ardee West sah sicherlich sehr gut aus, aber ihr ständiges Gekicher ging ihm allmählich auf die Nerven.

»Hören Sie auf!«, zischte der Oberst und wirbelte sie im Labor des Adeptus der Medizin herum, wobei die Präparate in den Gläsern im Takt der Musik pulsierten und wabbelten.

»Teilweise gegessen«, grinste Kandelau, dessen eines Auge durch das Augenglas enorm vergrößert wurde. Er deutete mit seiner Zange nach unten. »Das hier ist ein Fuß.«

Glokta schob das Gebüsch zur Seite, eine Hand auf den Mund gepresst. Dort lag der verstümmelte Leichnam, leuchtend rot und kaum noch als menschlicher Körper erkenntlich. Ardee lachte und lachte, als sie ihn sah. »Teilweise gegessen!«, kicherte sie ihm entgegen. Oberst Glokta fand diese Angelegenheit überhaupt nicht amüsant. Das Summen der Fliegen wurde lauter und lauter und drohte die Musik gänzlich zu übertönen. Und am schlimmsten war, dass es jetzt im Park auch noch fürchterlich kalt wurde.

»Wie leichtsinnig von mir«, sagte eine Stimme hinter ihm.

»Wie meinen Sie?«

»Ihn einfach da liegen zu lassen. Aber manchmal ist es besser, lieber schnell als allzu vorsichtig zu sein, was, Krüppel?«

»Ich erinnere mich daran«, murmelte Glokta. Es war sogar noch kälter geworden, und er zitterte wie Espenlaub. »Ich erinnere mich daran.«

»Natürlich!«, flüsterte die Stimme. Es war die einer Frau, aber nicht die von Ardee. Eine tiefe, zischende Stimme, die sein Auge zucken ließ.

»Was kann ich tun?« Der Oberst fühlte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Die Wunden in dem roten Fleisch klafften weit auf. Die Fliegen waren so laut, dass er die Antwort kaum verstehen konnte.

»Vielleicht sollten Sie zur Universität gehen und um Rat fragen.« Eisiger Atem strich über seinen Hals und verursachte ihm eine Gänsehaut. »Und wenn Sie schon mal da sind ... könnten Sie dort ja auch nach dem Samen fragen ...«

 

Glokta stolperte die Stufen hinunter und prallte am Ende der Treppe nach einer kleinen Drehung gegen die Wand. Der Atem fuhr zischend über seine nasse Zunge. Sein linkes Bein zitterte, und sein linkes Auge zuckte, als seien die beiden durch eine Bahn des Schmerzes miteinander verbunden, die durch seinen Hintern, seine Eingeweide, den Rücken, Schultern, Hals und Gesicht verlief und sich mit jeder Bewegung, so klein sie auch sein mochte, weiter zusammenzog.

Er zwang sich, still stehen zu bleiben. Langsam und ruhig zu atmen. Dann lenkte er seine Gedanken mühevoll weg vom Schmerz und auf andere Dinge. Beispielsweise auf Bayaz und seine gescheiterte Suche nach diesem Samen. Seine Eminenz wartet schließlich, und er ist nicht gerade für seine Geduld bekannt. Er bog den Hals einmal zu jeder Seite und fühlte die Knochen zwischen seinen verdrehten Schulterblättern knacken. Dann drückte er seine Zunge gegen das Zahnfleisch und schlurfte von der Treppe weg auf die kühle Dunkelheit zwischen den hohen Bücherstapeln zu.

Seit dem letzten Jahr hatte sich hier unten kaum etwas verändert. Wahrscheinlich schon seit ein paar Jahrhunderten nicht mehr. Die Gewölbe rochen nach Moder und Alter und waren nur von wenigen flackernden, rußgeschwärzten Lampen erhellt. Überall erstreckten sich durchhängende Regalbretter bis weit in die wabernden Schatten. Zeit, einmal wieder in den staubigen Abfällen der Geschichte herumzuwühlen. Der Adeptus der Geschichte schien sich ebenfalls kaum verändert zu haben. Er saß an seinem fleckigen Schreibtisch und studierte einen verschimmelt wirkenden Papierstapel im Licht einer einzigen unruhig brennenden Kerze. Als Glokta näher humpelte, kniff er die Augen zusammen.

»Wer ist da?«

»Glokta.« Der Superior warf einen misstrauischen Blick zur Decke. »Was ist mit Ihrer Krähe geschehen?«

»Tot«, brummte der uralte Bibliothekar traurig.

»Sie ist Geschichte, könnte man sagen!« Der Alte lachte nicht. »Nun gut. Das passiert uns allen irgendwann.« Einigen früher als anderen. »Ich habe ein paar Fragen an Sie.«

Der Adeptus der Geschichte reckte den Hals vor und spähte mit trüben Augen zu Glokta hinüber, als habe er noch nie zuvor einen Menschen gesehen. »Ich erinnere mich an Sie.« Ah, es geschehen also doch noch Wunder. »Sie haben mich nach Bayaz gefragt. Dem ersten Schüler des großen Juvens, dem ersten Buchstaben im Alphabet der ...«

»Ja, ja, das haben wir alles schon einmal gehabt.«

Der Alte sah ihn missmutig an. »Haben Sie die Schriftrolle wieder mitgebracht?«

»Der Schöpfer stürzte brennend und so weiter? Nein, tut mir leid. Die hat der Erzlektor.«

»Pah. Von diesem Mann höre ich dieser Tage viel zu oft. Die da oben reden dauernd über ihn. Seine Eminenz hat dies, Seine Eminenz hat das. Das hängt mir zum Hals raus!« Das kann ich bestens nachvollziehen. »Jeder dreht und wendet sich heutzutage. Überall herrscht Unruhe.«

»Da oben gibt es jede Menge Veränderungen. Wir haben einen neuen König.«

»Das weiß ich! Guslav, nicht wahr?«

Glokta stieß einen langen Seufzer aus und ließ sich in den Sessel auf der anderen Seite des Schreibtischs fallen. »Ja, ja, genau der.« Die popeligen dreißig Jährchen, die seitdem vergangen sind, wollen wir mal nicht mitzählen. Mich wundert, dass er nicht glaubt, Harod der Große säße noch auf dem Thron.

»Was wollen Sie diesmal?«

Ach, ein bisschen im Dunkeln umhertasten und nach Antworten suchen, die immer knapp außer Reichweite zu sein scheinen. »Ich möchte etwas über den Samen erfahren.«

Keine Regung zeichnete sich in dem faltigen Gesicht ab. »Über den was?«

»Er wurde in Ihrer kostbaren Schriftrolle erwähnt. Jenes Ding, dass Bayaz und seine Zaubererfreunde nach Kanedias’ Tod im Haus des Schöpfers suchten. Nach Juvens’ Tod.«

»Pah!« Der Adeptus machte eine wegwerfende Handbewegung, und das schlaffe Fleisch unter seinem Handgelenk schwabbelte. »Geheimnisse, Macht. Das ist nur eine Metapher.«

»Bayaz glaubt das offenbar nicht.« Glokta rückte seinen Sessel näher heran und sprach nun leiser. Obwohl niemand hier sein kann, der uns belauschen würde oder den unser Gespräch überhaupt interessierte. »Ich hörte, es sei ein Stück von der Anderen Seite, übrig geblieben aus der Alten Zeit, als die Teufel noch auf der Erde wandelten. Magie der reinsten Form, greifbar gemacht.«

Der Alte schüttelte sich unter brüchigem Gelächter und bot dabei einen Einblick in seine verfaulte Mundhöhle, in der sich weniger Zähne befanden, als Glokta sie sein Eigen nannte. »Ich habe Sie nicht für einen abergläubischen Mann gehalten, Herr Superior.« Das war ich auch nicht, als ich das letzte Mal mit meinen Fragen hier erschien. Vor meinem Besuch im Haus des Schöpfers, vor meiner Begegnung mit Yulwei, bevor ich Schickel lächeln sah, als man sie mit heißen Eisen folterte. Was waren das für glückliche Zeiten, bevor ich je von Bayaz hörte und die Dinge noch alle einen einfachen Sinn ergaben. Der Adeptus wischte sich mit seiner lahmen Hand die tränenden Augen. »Wo haben Sie denn das gehört?«

Oh, von einem Wegkundigen mit dem Fuß auf einem Amboss. »Das kann Ihnen egal sein.«

»Nun, Sie wissen offenbar mehr darüber als ich. Ich habe einmal gelesen, dass Steine manchmal vom Himmel fallen. Manche sagen, es handele sich dabei um Bruchstücke von Sternen. Andere meinen, es seien Splitter, die aus dem Chaos der Hölle hervorgeschleudert werden. Es heißt, es sei gefährlich, sie zu berühren. Sie seien schrecklich kalt.«

Kalt? Beinahe fühlte Glokta den eisigen Atem an seinem Hals, und er bewegte unbehaglich die Schultern und zwang sich, sich nicht umzusehen. »Erzählen Sie mir von der Hölle.« Obwohl ich glaube, dass ich mehr über dieses Thema weiß als die meisten anderen Menschen.

»Was?«

»Von der Hölle, alter Mann. Von der Anderen Seite.« »Es heißt, dass alle Magie von dort käme, wenn man an solche Dinge glaubt.«

»Ich habe inzwischen gelernt, dem Thema ganz offen gegenüberzustehen.«

»Ein offener Verstand ist wie eine offene Wunde, empfänglich für ...«

»Den Spruch kenne ich schon, aber wir reden jetzt über die Hölle.«

Der Bibliothekar leckte sich die schlaffen Lippen. »Der Legende nach gab es eine Zeit, in der unsere Welt und die Unterwelt eins waren und die Teufel über die Erde streiften. Dann vertrieb Euz sie und erließ das Erste Gebot – laut dem er allen verbot, die Andere Seite zu berühren, mit Teufeln zu sprechen oder sich an den Toren zwischen beiden Welten zu schaffen zu machen.«

»Das Erste Gebot, aha.«

»Sein Sohn Glustrod hungerte nach Macht und ignorierte die Warnungen seines Vaters. Er spürte nach den Geheimnissen, rief die Teufel herbei und sandte sie wider seine Feinde. Angeblich führte seine Narretei zur Zerstörung von Aulcus und dem Sturz des Alten Kaiserreichs, und als er sich selbst zerstörte, ließ er die Tore weit geöffnet ... aber ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet.«

»Wer dann?«

Der Alte verzog das Gesicht. »Es gab Bücher dazu hier unten. Sehr alte. Wunderschöne Bücher aus der Zeit des Meisterschöpfers. Bücher über die Andere Seite. Über das, was beide Welten trennt. Über die Tore und die Riegel. Bücher über die Geheimnisverräter und wie man sie herbeiruft und aussendet. Ein Haufen erfundener Geschichten, wenn Sie mich fragen. Mythen. Reine Erfindung.«

»Es gab Bücher darüber?«

»Sie fehlen nun schon seit einigen Jahren in meinen Regalen.«

»Sie fehlen? Wo sind sie denn?«

Der Alte runzelte die Stirn. »Seltsam, dass ausgerechnet Sie mich das fragen ...«

»Das reicht!« Glokta blickte sich um, so schnell er konnte. Silber, der Universitätsverweser, stand am Fuß der Treppe, und sein starres Gesicht war erfüllt von Überraschung und von seltsamstem Entsetzen. Als hätte er einen Geist gesehen. »Das reicht nun wirklich, Herr Superior! Wir bedanken uns für Ihren Besuch.«

»Das reicht?« Glokta runzelte nun selbst die Stirn. »Seine Eminenz wird nicht erfreut sein, wenn ...«

»Ich weiß sehr gut, was Seine Eminenz sein wird oder nicht ...« Eine unangenehm vertraute Stimme. Superior Goyle arbeitete sich langsam die Treppe hinunter. »Und ich sage, es reicht. Wir danken Ihnen herzlich für Ihren Besuch.« Er lehnte sich nach vorn, und seine Augen traten wild hervor. »Sorgen Sie dafür, dass es Ihr letzter ist!«

Im großen Speisesaal hatte sich einiges verändert, seit Glokta in den Keller hinuntergegangen war. Vor den dreckigen Fenstern war dunkel der Abend heraufgezogen, und man hatte die Kerzen in den angelaufenen Leuchtern angezündet. Und dann befindet sich ja auch noch eine Auswahl von etwa zwei Dutzend Praktikalen der Inquisition in diesem Raum.

Zwei schlitzäugige Männer aus Suljuk starrten Glokta über ihre Masken hinweg an. Sie glichen einander, als seien sie Zwillinge; die Füße, die in schwarzen Stiefeln steckten, hatten sie auf den uralten Esstisch gelegt, und vor ihnen auf der Holzplatte lagen vier in ihren Scheiden steckende Krummsäbel. Drei dunkelhäutige Männer standen neben einem dunklen Fenster, mit rasierten Köpfen, jeder mit einer Axt in der Hand und einem Schild auf dem Rücken. Ein groß gewachsener Praktikal lauerte neben dem Kamin, lang und dünn wie ein Birkenbaum; blondes Haar hing ihm in das maskierte Gesicht. Neben ihm stand ein Kleiner, beinahe ein Zwerg, dessen Gürtel vor Schwertern strotzte.

Glokta kannte den riesigen Nordmann, den sie den Steinbeißer nannten, von seinem letzten Besuch in der Universität wieder. Allerdings sieht es so aus, als hätte er seit unserem letzten Treffen versucht, tatsächlich ein paar Steine zu beißen, was seinem Gesicht nicht gut getan hat. Seine Wangen wirkten schief, die Brauen eingedellt, sein Nasenrücken hatte einen deutlichen Knick nach links. Das zerstörte Gesicht war beinahe ebenso erschreckend wie der riesenhafte Streithammer, den er in den kräftigen Fäusten trug. Nicht ganz so sehr vielleicht.

Und so ging es weiter. Eine bedrohlichere Sammlung von Mördern hätte man sich kaum vorstellen können, und sie alle waren schwer bewaffnet. Offenbar hat Superior Goyle sein Kuriositätenkabinett wieder ein wenig aufgestockt. Inmitten dieser illustren Gesellschaft stand Praktikalin Vitari, die sich dort scheinbar ausgesprochen wohl fühlte; sie deutete hierhin und dorthin und gab Befehle. Man sollte ja nicht glauben, dass sie mütterliche Instinkte hat, wenn man sie so sieht, aber wahrscheinlich haben wir alle unsere verborgenen Talente.

Glokta streckte den rechten Arm in die Luft. »Wem gehen wir denn an den Kragen?«

Alle Augen wandten sich ihm zu. Vitari schritt zu ihm herüber, die Stirn über der Nasenwurzel in Falten gezogen. »Was, zur Hölle, machen Sie denn hier?«

»Dasselbe könnte ich Sie fragen.«

»Wenn Sie wissen, was für Sie gut ist, fragen Sie hier überhaupt nichts.«

Glokta schenkte ihr sein leeres Lächeln. »Wenn ich wüsste, was für mich gut ist, hätte ich meine Zähne nicht verloren, und jetzt ist mir außer Fragen nichts mehr geblieben. Was gibt es hier in diesen staubigen Hallen, das für Sie von Interesse wäre?«

»Das geht mich nichts an, und Sie schon gar nicht. Wenn Sie Verräter suchen, sollten Sie vielleicht erst einmal bei sich zu Hause aufräumen.«

»Und was soll das nun wieder heißen?«

Vitari beugte sich zu ihm und flüsterte hinter ihrer Maske: »Sie haben mir das Leben gerettet, also will ich auch Ihnen einen Gefallen tun. Verschwinden Sie von hier. Verschwinden Sie und bleiben Sie weg.«

 

Glokta schlurfte über den Flur zu seiner schweren Eingangstür. Was Bayaz betrifft, so wissen wir nicht mehr als vorher. Nichts, was ein seltenes Lächeln auf das Gesicht Seiner Eminenz zaubern würde. Herbeirufen und aussenden. Götter und Teufel. Und immer neue Fragen. Ungeduldig drehte er den Schlüssel im Schloss; er sehnte sich danach, sich hinzusetzen und sein zitterndes Bein zu entlasten. Was hat Goyle dort in der Universität zu schaffen? Goyle und Vitari und zwei Dutzend Praktikale, bis an die Zähne bewaffnet, als ginge es in den Krieg? Er machte einen schmerzerfüllten Schritt über die Schwelle. Es muss doch eine ...

»Gah!« Er fühlte, wie ihm sein Stock weggerissen wurde, und dann taumelte er hart zur Seite und griff in die Luft. Etwas prallte gegen sein Gesicht und erfüllte seinen Kopf mit blendendem Schmerz. Und dann traf ihn der Fußboden im Rücken und presste ihm die Luft aus den Lungen. Er blinzelte und sabberte, sein Mund schmeckte salzig nach Blut, und der dunkle Raum drehte sich wild um ihn. Ach du meine Güte. Ein Faustschlag ins Gesicht, wenn mich nicht alles täuscht. So etwas verfehlt doch nie seine Wirkung.

Eine Hand packte seinen Mantelkragen und zog ihn hoch. Der Stoff schnitt ihm in den Hals und ließ ihn quäken wie ein gewürgtes Huhn. Die zweite Hand griff nach seinem Gürtel, und dann wurde er weggeschleift; seine Knie und die Schuhspitzen scharrten schlaff über die Dielenbretter. Aus Reflex wehrte er sich schwach, aber damit erreichte er nichts weiter, als dass ein scharfer Schmerz durch seinen Rücken fuhr.

Die Tür zum Badezimmer krachte gegen seinen Kopf und schlug dann gegen die Wand, und er wurde hilflos durch den verdunkelten Raum zur Wanne geschleppt, in der noch das dreckige Wasser vom Morgen stand. »Warten Sie!«, krächzte er, während er über den Rand gedrückt wurde. »Wer sind – blurghhhh!«

Das kalte Wasser schloss sich um seinen Kopf, und Luftblasen stiegen vor seinem Gesicht auf. So wurde er festgehalten, während er wild zappelte und die Augen vor Schreck und Angst unter Wasser weit aufriss, bis ihm die Lungen zu platzen drohten. Dann wurde er an den Haaren wieder hochgerissen, und Wasser floss von seinem Gesicht und tropfte in die Wanne. Eine sehr einfache Technik, aber zweifelsohne hochwirksam. Sie hat mich doch sehr aus der Fassung gebracht. Er holte keuchend Luft. »Was wollen ...«

Wieder ging es in die Dunkelheit, und die wenige Luft, die er hatte einsaugen können, blubberte in das dreckige Wasser. Wer auch immer es ist, lässt mich atmen. Ich werde nicht ermordet. Ich werde nur weich geklopft. Für Fragen. Der Aberwitz dieser Lage sollte mich eigentlich zum Lachen bringen ... wenn ich denn genug Luft dazu hätte ... Er drückte gegen die Wanne und schlug in das Wasser. Seine Beine traten sinnlos um sich, aber die Hand, die seinen Nacken gepackt hielt, war wie aus Stahl. Sein Magen zog sich zusammen, und seine Rippen hoben sich in dem verzweifelten Bemühen, Luft zu bekommen. Nicht atmen ... nicht atmen ... nicht atmen! Gerade bekam er die erste Portion dreckiges Wasser in die Lunge, als er wieder hochgerissen und auf den Boden geworfen wurde, wo er liegen blieb und gleichzeitig hustete, keuchte und sich übergab.

»Du bist Glokta?« Die Stimme einer Frau, kurz und ruppig und mit hartem kantesischem Akzent.

Sie hockte sich vor ihn auf den Boden, hielt das Gleichgewicht auf ihren Fußballen, während ihre Unterarme auf den Knien ruhten und ihre braunen langen Hände herunterhingen. Sie trug ein Männerhemd, das über ihren mageren Schultern sehr locker saß, und hatte die nassen Ärmel über den knochigen Handgelenken aufgerollt. Ihr schwarzes Haar war kurz abgeschnitten und stand ihr in fettigen Büscheln vom Kopf. Sie hatte eine dünne, blasse Narbe quer über ihrem harten Gesicht, einen verächtlichen Ausdruck auf den schmalen Lippen, aber es waren vor allem ihre Augen, die abstoßend wirkten, so gelb, wie sie im schwachen Licht leuchteten, das aus dem Flur hereinschien. Kein Wunder, dass Severard nicht begeistert war, als er ihr folgen sollte. Ich hätte auf ihn hören sollen.

»Du bist Glokta?«

Es hatte keinen Zweck zu leugnen. Er wischte sich mit zitternder Hand den bitteren Sabber vom Kinn. »Ich bin Glokta.«

»Wieso lässt du mich beschatten?«

Er schob sich unter Schmerzen in eine sitzende Position. »Wieso glaubst du, ich hätte irgendwas dazu zu sagen ...«

Ihre Faust traf ihn an der Spitze seines Kinns, schleuderte ihm den Kopf nach hinten und entrang ihm ein Keuchen. Seine Kiefer schlugen aufeinander, und ein Zahn bohrte sich in die Unterseite seiner Zunge. Schlaff sank er gegen die Wand, der Raum drehte sich um ihn, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Als er wieder einigermaßen klar sehen konnte, starrte sie ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich werde dich so lange weiter prügeln, bis du mir antwortest oder bis du stirbst.«

»Vielen Dank.«

»Dank?«

»Ich glaube, du hast mir meinen Hals tatsächlich ein ganz klein wenig gelockert.« Glokta lächelte und zeigte ihr seine blutigen Zähne. »Zwei Jahre lang war ich Gefangener der Gurkhisen. Zwei Jahre in den Gefängnissen des Imperators. Zwei Jahre, in denen man an mir herumgeschnippelt und gemeißelt oder mich versengt hat. Glaubst du, die Aussicht auf einen Klaps oder zwei schreckt mich?« Er schleuderte ihr sein blutiges Lachen entgegen. »Es tut mehr weh, wenn ich pisse! Glaubst du, ich hätte Angst zu sterben?« Gequält verzog er das Gesicht, als er sich zu ihr hinüberbeugte und ein Stich durch sein Rückgrat fuhr. »Jeder Morgen ... an dem ich lebend erwache ... ist für mich eine Enttäuschung! Wenn du Antworten willst, wirst du mir welche geben müssen. Eine Hand wäscht die andere.«

Sie starrte ihn lange an, ohne zu blinzeln. »Du warst Gefangener der Gurkhisen?«

Glokta deutete mit einer Handbewegung auf seinen verstümmelten Körper. »Sie haben all das hier getan.«

»Hm. Dann haben uns die Gurkhisen beide etwas genommen.« Sie ließ sich in den Schneidersitz sinken. »Fragen. Eine Hand wäscht die andere. Aber wenn du versuchst, mich anzulügen ...«

»Gut, dann also Fragen. Ich würde meine Pflichten als Gastgeber verletzen, wenn ich dir nicht den Vortritt ließe.«

Sie lächelte nicht. Aber sie scheint auch nicht unbedingt ein humorvoller Mensch zu sein. »Wieso lässt du mich beschatten?«

Ich könnte sie anlügen, aber was würde das nützen? Ich kann ihr genauso gut die Wahrheit sagen. »Ich beobachte Bayaz. Du und er, ihr scheint befreundet zu sein, und Bayaz ist derzeit nur schwer zu erwischen. Deswegen beobachte ich dich.«

Sie machte ein finsteres Gesicht. »Er ist kein Freund von mir. Er hat mir Rache versprochen, das ist alles. Erfüllt hat er sein Versprechen noch nicht.«

»Das Leben ist voller Enttäuschungen.«

»Das Leben besteht aus Enttäuschungen. Stell deine Frage, Krüppel.«

Sobald sie ihre Antworten hat, werden wir wieder baden gehen – vielleicht zum letzten Mal, in meinem Falle? Ihre flachen gelben Augen gaben nichts preis. Leer, wie die Augen eines Tiers. Aber was habe ich für eine Wahl? Er leckte sich das Blut von den Lippen und lehnte sich gegen die Wand. Immerhin sterbe ich dann ein wenig klüger. »Was ist der Samen?«

Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch ein klein wenig mehr. »Bayaz hat gesagt, es sei eine Waffe. Eine Waffe von sehr großer Kraft. Stark genug, um ganz Schaffa in Staub zu verwandeln. Er dachte, dass sie versteckt sei, am Ende der Welt, aber er hat sich geirrt. Er war nicht glücklich darüber, dass er sich irrte.« Kurz runzelte sie die Stirn. »Wieso folgst du Bayaz?«

»Weil er die Krone gestohlen und sie einem rückgratlosen Wurm aufs Haupt gesetzt hat.«

Sie schnaubte. »Da sind wir zumindest einer Meinung.«

»Es gibt Leute in meiner Regierung, die sich Sorgen über die Richtung machen, in die er uns führen wird. Große Sorgen.« Glokta leckte sich einen blutigen Zahn. »Wohin führt er uns?«

»Mir sagt er gar nichts. Ich vertraue ihm nicht, und er vertraut mir nicht.«

»Auch da sind wir einer Meinung.«

»Er wollte den Samen als Waffe nutzen. Nun hat er ihn nicht gefunden und muss andere Waffen einsetzen. Ich vermute, er führt euch in den Krieg. In einen Krieg gegen Khalul und seine Verzehrer.«

Glokta fühlte einen Schauer von Zuckungen seitlich über sein Gesicht laufen, die sein Augenlid flattern ließen. Verdammter verräterischer Glibber! Ihr Kopf fuhr herum. »Du weißt von ihnen?«

»Mir ist einmal einer über den Weg gelaufen.« Ach, was soll’s. »Ich habe ihn gefangen genommen, in Dagoska, und dieses Geschöpf dann befragt.«

»Was hat es dir erzählt?«

»Es sprach von Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit.« Zwei Dinge, die ich niemals wirklich erlebt habe. »Es sprach von Krieg und Opfer.« Zwei Dinge, von denen ich schon viel zu viel gesehen habe. »Es sagte, dein Freund Bayaz habe seinen eigenen Herrn getötet.« Die Frau zuckte angesichts dessen mit keiner Wimper. »Es sagte, seinen Vater, den Propheten Khalul, verlange es seitdem immer noch nach Rache.«

»Rache«, zischte sie und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich werde ihnen zeigen, was Rache ist!«

»Was haben sie dir angetan?«

»Sie haben meine Leute getötet.« Sie löste ihre Beine aus dem Schneidersitz. »Sie haben mich versklavt.« Nun stand sie geschmeidig auf und sah auf ihn herab. »Sie haben mir mein Leben gestohlen.«

Glokta fühlte, wie sich einer seiner Mundwinkel nach oben bog. »Noch eine Sache, die wir gemeinsam haben.« Und ich habe das Gefühl, meine gekaufte Zeit ist nun verbraucht.

Sie streckte ihre Hände aus und packte wieder seinen nassen Mantel. Dann hob sie ihn mit schrecklicher Kraft vom Boden, und er fühlte, wie sein Rücken an der Wand emporglitt. Leiche in der Badewanne gefunden ...? Seine Nasenflügel blähten sich, die Luft zischte hart in seine blutige Nase, sein Herz klopfte vor Anspannung. Zweifelsohne wird sich mein verkrüppelter Körper wehren, so gut er kann. Aus einem nicht zu unterdrückenden Reflex angesichts der Knappheit von Atemluft. Zweifelsohne werde ich mich winden und um mich treten, genau wie Tulkis, der gurkhisische Botschafter, als sie ihn aufgehängt und ihm wegen nichts und wieder nichts die Eingeweide rausgerissen haben.

Nun, da er stand, gab er sein Bestes, um sich auf den verdrehten Beinen zu halten und sich so gerade aufzurichten, wie er es überhaupt vermochte. Immerhin war ich einst ein stolzer Mann, selbst wenn das jetzt schon so lange zurückliegt. Es ist wohl kaum das Ende, auf das Oberst Glokta gehofft hat. Von einer Frau in einem dreckigen Hemd in der Badewanne ertränkt. Werden sie mich über dem Badewannenrand hängend finden, mit dem Arsch in der Luft? Aber was spielt es für eine Rolle? Es zählt nicht, wie man gestorben ist, sondern wie man gelebt hat.

Sie ließ seinen Mantel los und glättete dessen Vorderseite mit einem Schlag ihrer Hand. Und wie war mein Leben in den letzten Jahren? Was gibt es schon, das mir wirklich fehlen würde? Treppen? Suppe? Schmerz? In der Dunkelheit zu liegen und mich von den Erinnerungen vergangener Taten quälen zu lassen? Morgens beim Aufwachen den Gestank meiner eigenen Kacke zu riechen? Werde ich meine Teestunde mit Ardee West vermissen? Vielleicht ein wenig. Aber die Teestunden mit dem Erzlektor? Wenn ich so darüber nachdenke, dann frage ich mich, wieso ich es nicht schon vor Jahren selbst getan habe. Er starrte in die Augen seiner Mörderin, hart und hell wie gelbes Glas, und er lächelte. Ein Lächeln reiner Erleichterung. »Ich bin bereit.«

»Wofür?« Sie drückte ihm etwas in die schlaffe Hand. »Wenn du noch mehr mit Bayaz zu regeln hast, dann lass mich dabei aus dem Spiel. Das nächste Mal werde ich nicht so freundlich sein.« Langsam zog sie sich zur Tür zurück, ein helles Rechteck vor der schattendunklen Wand. Dann wandte sie sich um, und die Tritte ihrer Stiefel auf dem Korridor wurden leiser. Abgesehen von dem leisen Tropfgeräusch des Wassers, das von seinem nassen Mantel rann, war schließlich alles still.

Und so scheint es, habe ich überlebt. Wieder einmal. Glokta hob die Augenbrauen. Der Trick ist vielleicht, es nicht zu wollen.