DIE RICHTIGE ENTSCHEIDUNG
Jezal trabte auf einem wunderschönen Falben über das Kopfsteinpflaster der Straßen, gefolgt von Bayaz und Marschall Varuz; eine zwanzigköpfige Abordnung Ritter der Wacht, die Bremer dan Gorst anführte, hielten sich in voller Kriegsmontur dahinter. Es war seltsam beunruhigend, die Stadt, in der es sonst vor Menschen wimmelte, derart ausgestorben zu sehen. Nur ein paar zerlumpte Straßenkinder, nervöse Stadtwächter und misstrauische Bürgerliche waren auf den Straßen unterwegs und machten dem König und seinen Getreuen eilends Platz, als sie vorüberritten. Die meisten Bürger, die in Adua geblieben waren, hatten sich inzwischen, wie Jezal vermutete, in ihren Schlafzimmern verbarrikadiert. Er hätte nur zu gern dasselbe getan, wäre ihm Königin Terez in dieser Hinsicht nicht zuvorgekommen.
»Wann haben sie die Stadt erreicht?«, verlangte Bayaz über das Klappern der Hufe zu wissen.
»Die Vorhut erschien vor dem Morgengrauen«, hörte Jezal Marschall Varuz zurückschreien. »Und weitere Einheiten der Gurkhisen sind den ganzen Morgen über von der Straße nach Keln herangerückt. Es gab ein paar Scharmützel in den Bezirken vor dem Kasamirwall, aber das hat sie nicht maßgeblich aufgehalten. Sie haben die Stadt bereits zur Hälfte eingeschlossen.«
Jezal wandte ruckartig den Kopf. »So schnell?«
»Die Gurkhisen kommen gern gut vorbereitet, Euer Majestät.« Der alte Soldat drängte sein Pferd neben Jezals. »Sie haben bereits damit begonnen, eine Palisade rund um Adua zu errichten, und sie haben drei große Katapulte mitgebracht. Dieselben, die sich schon bei der Belagerung Dagoskas als so nützlich erwiesen haben. Gegen Mittag werden wir rundum eingeschlossen sein.« Jezal schluckte. Es war etwas an diesem Wort »eingeschlossen«, das ihm höchst unangenehm die Kehle zuschnürte.
Die Reiter verfielen jetzt in gemessenen Schritt, während sie sich dem westlichsten Stadttor näherten. Es war eben jenes Tor, durch das er vor noch gar nicht langer Zeit im Triumph in die Stadt zurückgekehrt war, bevor man ihn zum Hochkönig der Union gekrönt hatte, und dieser aberwitzige Zufall gefiel Jezal nicht besonders. Im Schatten des Kasamirwalls hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die sogar noch größer war als jene, die ihn nach seinem eigentümlichen Sieg über die Bauern begrüßt hatte. Heute jedoch war kaum jemand in Feierlaune. Statt lächelnder Mädchen sah man nun finster dreinblickende Männer, statt frischer Blumen alte Waffen. Stangenwaffen ragten überall in allen Winkeln aus der Menge hervor wie ein ungebärdiger Wald, Spitzen und Schneiden schimmerten. Piken und Mistgabeln, Hackmesser und Bootshaken, Besen, von denen man das Reisig heruntergenommen und durch an den Stiel genagelte Messer ersetzt hatte.
Ein kleines Häuflein Königstreuer war um ein paar schielende Stadtwächter, einige aufgeblasene Händler mit Lederwesten und polierten Schwertern sowie gebeugte Arbeiter mit uralten Flachbogen und hartem Gesichtsausdruck ergänzt worden. Etwas Besseres war nicht zu haben gewesen. Die Männer wurden von Bürgern beider Geschlechter und aller Altersgruppen begleitet, die sich zufällig hier eingefunden hatten und mit einer erstaunlichen Vielfalt nicht zusammenpassender Rüstungen und Waffen ausgestattet waren. Oder mit gar nichts. Es war schwer zu sagen, wer Soldat und wer Bürger war, wenn es überhaupt noch einen Unterschied zwischen ihnen gab. Sie alle sahen Jezal an, als er abstieg und seine goldenen Sporen klirrten. Sahen ihm zu, wie er bemerkte, als er zwischen ihnen dahinschritt und seine gut bewaffnete Leibwache ihm rasselnd folgte.
»Sind dies die Verteidiger dieses Bezirks?«, fragte Jezal leise Lord Marschall Varuz, der sich ein wenig hinter ihm hielt.
»Einige von ihnen, Euer Majestät. Begleitet von einsatzwilligen Stadtbewohnern. Ein bewegender Anblick.«
Jezal hätte den bewegenden Anblick herzlich gern für leistungsfähigere Soldaten eingetauscht, aber er vermutete, dass ein Anführer gegenüber seinen Leuten stets einen unbezwingbaren Eindruck erwecken sollte. Das hatte Bayaz ihm so oft eingeschärft. Musste das nicht auch in doppeltem, wenn nicht gar dreifachem Maße für einen König im Angesicht seiner Untertanen gelten? Zumal für einen König, dessen Griff um die erst kürzlich erworbene Krone bestenfalls als locker bezeichnet werden konnte.
Daher ging er aufrecht, reckte das vernarbte Kinn so hoch, wie er sich traute, und schwang den goldbestickten Mantel mit seiner behandschuhten Linken zur Seite. Er schritt durch die Menge mit jenem selbstbewussten Gang, der ihm schon immer eigen gewesen war. Eine Hand ruhte auf dem juwelenbesetzten Knauf seines Degens, und er hoffte bei jedem Schritt inbrünstig, dass niemand einen Schimmer der Untiefen von Angst und Zweifel hinter seinen Augen wahrnahm. Die Menge begann zu raunen, als er vorüberging, und Varuz und Bayaz eilten hinter ihm her. Einige deuteten Verbeugungen an, andere gaben sich keinerlei Mühe, auch nur den Anschein zu erwecken.
»Der König!«
»Ich dachte, er wäre größer ...«
»Jezal der Bastard.« Jezal wandte hastig den Kopf, aber es war unmöglich festzustellen, wer es war, der das gerade geäußert hatte.
»Das ist Luthar!«
»Ein großes Hurra für Seine Majestät!« Es folgte ein halbherziges Brummeln.
»Hier entlang«, sagte ein blassgesichtiger Offizier vor dem Tor und deutete entschuldigend auf eine Treppe. Jezal stieg mit klirrenden Sporen empor, mannhaft immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Als er auf den Wehrgang des Torhauses trat, verzog er missbilligend den Mund. Dort stand niemand anderer als sein alter Freund Superior Glokta, gebeugt auf seinen Stock gestützt und wie immer ekelhaft zahnlos grinsend.
»Euer Majestät«, schnarrte er verächtlich und mit unüberhörbarer Ironie. »Welch eine beinahe überwältigende Ehre.« Er deutete mit seinem Stock zur Brüstung auf der anderen Seite. »Die Gurkhisen befinden sich in dieser Richtung.«
Jezal formulierte im Geiste bereits eine angemessen giftige Erwiderung, während seine Augen Gloktas Stock folgten. Er blinzelte, und die Muskeln seines Gesichts erschlafften. Wortlos ging er an dem Krüppel vorbei. Sein vernarbter Kiefer klappte allmählich herunter, und der Mund blieb ihm offen stehen.
»Der Feind«, grollte Varuz. Jezal versuchte sich vorzustellen, was Neunfinger-Logen angesichts des Anblicks gesagt hätte, der sich nun zu seinen Füßen bot.
»Ach du Scheiße.«
Auf dem Flickenteppich der feuchten Felder, auf den Straßen und zwischen den Hecken, zwischen den Höfen und Dörfern und den wenigen Baumgruppen vor den Stadtmauern wimmelten Tausende gurkhisischer Soldaten. Die breite, gepflasterte Straße nach Keln, die sich in südlicher Richtung durch flaches Ackerland wand, war ein einziger wogender, schimmernder Fluss marschierender Männer. Gurkhisische Truppen in Reih und Glied strömten auf Adua zu und breiteten sich dann aus, um die Stadt mit einem breiten Ring aus Menschen, Holz und Stahl einzuschließen. Hohe Standarten reckten sich über das brodelnde Gedränge, goldene Symbole, die in der wässrigen Herbstsonne schimmerten. Die Standarten der Legionen des Imperators. Jezal zählte schon beim ersten oberflächlichen Blick zehn davon.
»Ein recht ordentliches Aufgebot an Männern«, sagte Bayaz mit bemerkenswerter Untertreibung.
Glokta grinste. »Die Gurkhisen reisen nicht gern allein.«
Die Palisade, von der Marschall Varuz zuvor gesprochen hatte, nahm bereits Gestalt an; eine dunkle Linie, die sich etwa hundert Schritt vor der Stadtmauer durch die matschigen Felder zog. Davor war ein seichter Graben ausgehoben worden. Diese Barriere war mehr als ausreichend, um zu verhindern, dass Nachschub von außen in die Stadt gelangte. Weiter entfernt wurden mehrere Lager errichtet: große Gruppen weißer Zelte erhoben sich in ordentlichem Geviert, und zwischendrin stiegen bereits die hohen, dunklen Rauchfahnen der Feuer von Küchen und Schmieden in den hellen Himmel. Das alles vermittelte den beunruhigenden Eindruck, als sei es nicht nur für kurze Zeit, sondern auf Dauer errichtet worden. Adua mochte noch in den Händen der Union sein, aber selbst der patriotischste Lügner hätte nicht mehr abstreiten können, dass das Hinterland bereits voll und ganz vom Imperator von Gurkhul beherrscht wurde.
»Für ihre Organisation muss man sie ja bewundern«, sagte Varuz grimmig.
»Ja ... ihre Organisation ...« Jezals Stimme klang plötzlich so ächzend wie ein altes Dielenbrett. Angesichts dieses Anblicks ein tapferes Gesicht zu machen, erschien ihm eher irrsinnig als mutig.
Ein Dutzend Reiter hatte sich von den gurkhisischen Linien gelöst und ritt nun in gemächlichem Trab auf die Stadt zu. Zwei lange Wimpel wehten im Wind über ihren Köpfen, rote und gelbe Seide, mit kantesischen Schriftzeichen aus goldenem Faden bestickt. Auch eine weiße Flagge war dabei, allerdings so klein, dass sie kaum auffiel.
»Unterhändler«, knurrte der Erste der Magi und schüttelte den Kopf. »Sie sind doch nichts weiter als eine Entschuldigung für alte Narren, die gern den Klang ihrer eigenen Stimme hören und von gerechter Behandlung schwatzen wollen, bevor sie mit dem Gemetzel beginnen.«
»Was alte Narren angeht, die gern den Klang ihrer eigenen Stimme hören, sind Sie ganz sicher der absolute Fachmann.« Das war es, was Jezal dachte, aber er behielt es für sich, während er die gurkhisischen Reiter in düsterem Schweigen näher kommen sah. Ein hochgewachsener Mann war an ihrer Spitze, Gold schimmerte an seinem spitz zulaufenden Helm und auf seiner polierten Rüstung, und er ritt in jener aufrechten, hochmütigen Haltung, die schon aus der Ferne verriet, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen.
Marschall Varuz machte ein finsteres Gesicht. »General Malzagurt.«
»Sie kennen ihn?«
»Er befehligte die Truppen des Imperators während des letzten Krieges. Wir haben einander monatelang beharkt. Mehr als einmal haben wir mit ihm verhandelt. Ein höchst verschlagener Gegner.«
»Sie haben aber schließlich die Oberhand behalten, nicht wahr?«
»Letztlich ja, Euer Majestät.« Varuz sah wenig glücklich aus. »Aber damals hatte ich auch ein Heer zur Verfügung.«
Der gurkhisische Befehlshaber trabte die Straße hinauf und an den kleinen Grüppchen verlassener Häuser vorbei, die sich vor dem Kasamirwall aneinanderdrängten. Vor dem Tor zügelte er sein Pferd und sah mit stolzem Blick auf, eine Hand lässig auf die Hüfte gestützt.
»Ich bin General Malzagurt«, rief er mit starkem kantesischem Akzent, »der auserwählte Vertreter des glorreichen Uthman-ul-Dosht, Imperator von Gurkhul.«
»Ich bin König Jezal der Erste.«
»Natürlich. Der Bastard.«
Es war sinnlos, das zu leugnen. »Ganz genau. Der Bastard. Wieso kommen Sie nicht herein, Herr General? Dann können wir von Angesicht zu Angesicht miteinander sprechen, wie zivilisierte Männer.«
Malzagurts Augen glitten zu Glokta hinüber. »Entschuldigen Sie, aber die Reaktion Ihrer Regierung auf unbewaffnete Gesandte des Imperators war nicht immer ... von zivilisiertem Umgang. Ich denke, ich werde außerhalb Ihrer Mauern bleiben. Jedenfalls für den Augenblick.«
»Wie Sie wünschen. Wie ich annehme, kennen Sie Lord Marschall Varuz bereits?«
»Natürlich. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, seit wir in den trockenen Wüsten Landen miteinander rangen. Gern würde ich behaupten, ich hätte Sie vermisst ... aber das wäre gelogen. Wie geht es Ihnen, mein alter Freund, mein alter Feind?«
»Recht gut«, knurrte Varuz.
Malzagurt deutete auf die große Zuschaustellung von Kampfkraft, die hinter ihm Aufstellung genommen hatte. »Und das unter diesen Umständen? Ihren anderen Begleiter kenne ich nicht ...«
»Es ist Bayaz. Der Erste der Magi.« Eine glatte, leise Stimme. Sie kam von einem der Begleiter Malzagurts. Einem Mann, der ganz in schlichtes Weiß gekleidet war, ein wenig nach der Art eines Priesters. Er wirkte kaum älter als Jezal, und er sah sehr gut aus mit seinem dunklen, völlig glatten und ebenmäßigen Gesicht. Eine Rüstung trug er nicht, auch keine Waffen. An seiner Kleidung und an seinem schlichten Sattel war keinerlei Schmuck. Und dennoch schienen ihm die anderen mit großem Respekt zu begegnen. Beinahe mit Angst.
»Ah.« Der General blickte nach oben und fuhr sich über den kurz geschnittenen grauen Bart. »Das ist also Bayaz.«
Der junge Mann nickte. »Das ist er. Eine lange Zeit ist verstrichen.«
»Nicht lange genug, Mamun, du verdammte Schlange!« Bayaz krallte sich mit gebleckten Zähnen an der Brustwehr fest. Der Alte Magus verstand es so gut, die Rolle des netten Onkels zu spielen, dass Jezal schon vergessen hatte, wie entsetzlich sein plötzlicher Zorn sein konnte. Erschrocken trat er einen Schritt beiseite und hätte beinahe die Hand gehoben, um sein Gesicht zu schützen. Die gurkhisischen Adjutanten und Bannerträger zuckten zurück, und einer musste sich sogar laut hörbar übergeben. Selbst Malzagurt büßte einen beträchtlichen Teil seiner heldenhaften Haltung ein.
Aber Mamun blickte so gleichmütig zum Torhaus hinauf wie schon zuvor. »Manche unter meinen Brüdern dachten, du würdest fliehen, aber ich wusste es besser. Khalul sagte stets, dein Stolz würde einst dein Ende sein, und hier ist der Beweis. Es erscheint mir jetzt seltsam, dass ich früher einmal dachte, du seiest ein großer Mann. Du siehst alt aus, Bayaz. Du bist geschwunden.«
»Dinge wirken kleiner, wenn sie sich hoch über dir befinden!«, grollte der Erste der Magi. Er bohrte die Spitze seines Stabs in die Steine zu seinen Füßen, und seine Stimme war nun von einer schrecklichen Drohung erfüllt. »Komm näher, Verzehrer, dann kannst du meine Schwäche genauer beurteilen, während du brennst!«
»Es gab einmal eine Zeit, da du mich mit einem Wort vernichten konntest, das bezweifle ich nicht. Aber nun sind deine Worte nur mehr leere Luft. Deine Macht ist mit den langsamen Jahren verronnen, während meine nie größer war als jetzt. Ich habe hundert Brüder und Schwestern hinter mir. Welche Verbündeten hast du, Bayaz?« Sein Blick glitt mit spöttischem Lächeln über die Zinnen. »Nur solche, wie du sie verdienst.«
»Ich mag noch immer Verbündete finden, die dich überraschen werden.«
»Das bezweifle ich. Vor langer Zeit verriet mir Khalul, was deine letzte, verzweifelte Hoffnung wäre. Die Zeit hat ihm recht gegeben, wie immer. Also bist du bis ans äußerste Ende der Welt gereist und hast die Schatten gejagt. Dunkle Schatten, fürwahr, für jemanden, der sich stets als so aufrecht bezeichnete. Ich weiß, dass du gescheitert bist.« Der Priester zeigte zwei Reihen vollkommener, weißer Zähne. »Der Samen ist aus dem Lauf der Geschichte verschwunden, schon vor langer Zeit. Begraben, dunkle Wegstunden unter der Erde. Versunken, tiefer als die bodenlose See. Deine Hoffnungen versanken mit ihm. Nur eine einzige Wahl ist dir noch geblieben. Willst du freiwillig mit uns kommen und von Khalul für deinen Verrat gerichtet werden? Oder müssen wir hineinkommen und dich holen?«
»Du wagst es, zu mir von Verrat zu sprechen? Du, der du die höchsten Grundsätze unseres Ordens verraten und das heilige Gebot des Euz gebrochen hast? Wie viele hast du gemordet, um deine Macht zu erlangen?«
Mamun zuckte lediglich die Achseln. »Sehr viele. Ich bin nicht stolz darauf. Du ließest uns die Wahl zwischen verschiedenen dunklen Pfaden, Bayaz, und wir brachten die Opfer, die nötig waren. Es ist sinnlos, über die Vergangenheit zu streiten. Nun, da wir nach all diesen Jahrhunderten auf den gegenüberliegenden Seiten einer großen Kluft stehen, glaube ich nicht, dass einer von uns den anderen überzeugen kann. Die Sieger werden darüber befinden, wer im Recht war, so wie es immer war, sogar schon in den Jahren vor der Alten Zeit. Deine Antwort kenne ich bereits, aber der Prophet hat es mir aufgetragen, dir diese Frage zu stellen. Wirst du nach Sarkant kommen und für deine großen Verbrechen geradestehen? Wirst du Khalul über dich richten lassen?«
»Richten?«, fauchte Bayaz. »Er will über mich richten, dieser eingebildete alte Mörder?« Sein hartes, bellendes Lachen schallte von der Stadtmauer herab. »Komm und hole mich, wenn du es wagst, Mamun, ich werde auf dich warten!«
»Dann werden wir kommen«, murmelte Khaluls erster Zauberlehrling und blickte finster unter seinen schön geschwungenen Brauen herauf. »Wir haben uns lange Jahre darauf vorbereitet.«
Die zwei Männer starrten einander finster an, und Jezal verzog ebenfalls das Gesicht. Ihm gefiel es nicht, dass er plötzlich das Gefühl bekam, die ganze Sache sei eigentlich nur ein Streit zwischen Bayaz und diesem Priester, und er habe, obgleich er doch König war, wie ein Kind rein zufällig das Gespräch der Eltern belauscht, mit kaum einer Möglichkeit, den weiteren Fortgang der Dinge zu beeinflussen.
»Nennen Sie Ihre Bedingungen, Herr General!«, rief er nach unten.
Malzagurt räusperte sich. »Erstens: Wenn Sie die Stadt Adua dem Imperator übergeben, dann ist er bereit, Ihnen zu gestatten, weiterhin auf dem Thron zu bleiben – natürlich als sein Untertan, der ihm tributpflichtig ist.«
»Wie großzügig von ihm. Was ist mit dem Verräter, Lord Brock? Wir waren der Meinung, dass Sie ihm bereits den Thron der Union versprochen hätten.«
»Wir sind Lord Brock gegenüber zu nichts verpflichtet. Schließlich ist nicht er es, der die Stadt hält, sondern Sie.«
»Und wir haben wenig Respekt für jene, die sich gegen ihre alten Herren stellen«, fügte Mamun hinzu, der Bayaz dabei einen finsteren Blick zuwarf.
»Zweitens: Den Bürgern der Union wird es erlaubt, weiterhin gemäß ihrer Gesetze und Traditionen zu leben. Sie werden weiterhin ihre Freiheit genießen. Oder jedenfalls in dem Maße, wie sie es bisher getan haben.«
»Ihre Großzügigkeit versetzt mich in Erstaunen.« Jezal hatte Verachtung in seine Stimme legen wollen, aber letztlich klang es dann doch gar nicht so ironisch.
»Drittens«, rief der General mit einem nervösen Seitenblick auf Mamun. »Der Mann, der als Bayaz, Erster der Magi, bekannt ist, wird uns übergeben, gebunden und in Ketten, damit er zum Tempel von Sarkant gebracht und vom Propheten Khalul gerichtet werden kann. Dies sind unsere Bedingungen. Sollten Sie ablehnen, dann hat der Imperator verfügt, dass Midderland wie jede andere eroberte Provinz behandelt werden soll. Viele Menschen werden getötet und viele weitere versklavt werden. Wir werden gurkhisische Statthalter einsetzen, Ihr Agriont wird in einen Tempel verwandelt und die jetzigen Regenten ... werden in die Gefängnisse unter dem Palast des Imperators verbracht werden.«
Beinahe hatte Jezal schon den Mund geöffnet, um ganz spontan abzulehnen. Dann hielt er inne. Harod der Große hätte zweifelsohne auch in der größten Bedrängnis widersprochen und vermutlich sogar noch auf den Gesandten gepisst. Schon allein die Vorstellung, mit den Gurkhisen zu verhandeln, lief jeder seiner lang gehegten Überzeugungen zuwider.
Aber wenn er ein wenig darüber nachdachte, dann waren die Bedingungen viel großzügiger, als er je erwartet hatte. Jezal hätte als Untertan Uthman-ul-Doshts möglicherweise sogar mehr Entscheidungsgewalt, als wenn Bayaz ihm den ganzen Tag lang über die Schulter blickte. Er konnte jetzt mit einem Wort etliche Leben retten. Echte Leben von echten Menschen. Er hob die Hand und strich sich mit der Fingerspitze über die vernarbte Lippe. Auf der endlosen Ebene des Alten Kaiserreichs hatte er genug Qualen erduldet, um nun lange und ausgiebig nachzudenken, bevor er so viele Menschen, sich selbst eingeschlossen, ähnlichen Schmerzen aussetzte. Vor allem die Erwähnung der Gefängnisse unterhalb des Palasts des Imperators ließen ihn zögern.
Es war bizarr, dass ausgerechnet ihm eine so wichtige Entscheidung zufiel. Einem Mann, der noch vor einem Jahr stolz zugegeben hätte, von nichts eine Ahnung zu haben und das auch völlig in Ordnung zu finden. Aber inzwischen zweifelte Jezal daran, dass Menschen, denen solche Entscheidungen auferlegt waren, wirklich wussten, was sie taten. Man konnte bestenfalls versuchen, diesen Anschein aufrechtzuerhalten. Und sich vielleicht gelegentlich bemühen, dem wild dahinbrausenden Fluss der Ereignisse einen kleinen Schubs in die eine oder andere Richtung zu geben und verzweifelt zu hoffen, dass sie sich als die richtige erweisen würde.
Aber was war die richtige?
»Geben Sie mir Ihre Antwort!«, rief Malzagurt. »Ich muss meine Vorbereitungen treffen!«
Jezal verzog das Gesicht. Er war es leid, dass Bayaz ihm ständig Vorschriften machte, aber zumindest hatte der alte Drecksack eine gewisse Rolle dabei gespielt, ihn auf den Thron zu bringen. Er war es leid, von Terez übersehen zu werden, aber sie war immerhin seine Frau. Von allem anderen einmal abgesehen, war sein Geduldsfaden allmählich sehr dünn geworden. Er wollte einfach nicht mehr mit vorgehaltener Waffe von einem aufgeblasenen gurkhischen General und seinem blöden Priester herumgeschubst werden.
»Ich lehne Ihre Bedingungen ab!«, rief er leichtfertig von der Brüstung. »Ich lehne sie gänzlich und vollständig ab. Es ist nicht meine Angewohnheit, meine Ratgeber, meine Städte oder meine Regierungshoheit aufzugeben, nur weil ich dazu aufgefordert werde, noch dazu von einem Haufen gurkhisischer Hundesöhne ohne Manieren und mit noch weniger Verstand. Sie sind hier nicht in Gurkhul, und hier steht Ihnen Ihr hochfahrendes Gehabe noch weniger gut zu Gesicht als dieser lächerliche Helm. Ich vermute, Sie werden eine harte Lektion erteilt bekommen, bevor Sie diese Gestade wieder verlassen. Darf ich vielleicht noch hinzufügen, bevor Sie davonschleichen, dass ich es Ihnen und Ihrem Priester nahelege, sich gegenseitig zu ficken? Und wer weiß? Vielleicht könnten Sie ja den großen Uthman-ul-Dosht – und gern auch den allwissenden Propheten Khalul – dazu überreden, dabei mitzumachen!«
General Malzagurt runzelte die Stirn. Schnell tauschte er sich mit einem Adjutanten aus, da er offenbar die Feinheiten der letzten Bemerkung nicht ganz verstanden hatte. Nachdem ihm die Bedeutung aber vollständig klar geworden war, machte er eine zornige, kurze Handbewegung und bellte einen Befehl auf Kantesisch. Jezal sah, dass Männer mit Fackeln in den Händen zwischen den vor den Toren verstreuten Gebäuden dahinliefen. Der gurkhisische General warf einen letzten Blick zum Torhaus hinauf. »Verdammte Rosigs!«, fauchte er. »Bestien!« Damit riss er an den Zügeln seines Pferdes und galoppierte davon, und seine Offiziere folgten ihm.
Der Priester Mamun blieb noch einen Augenblick, und Trauer lag auf seinem vollkommenen Gesicht. »So sei es. Wir werden uns rüsten. Möge Gott dir vergeben, Bayaz.«
»Du brauchst die Vergebung nötiger als ich, Mamun! Bete für dich selbst!«
»Das tue ich. Jeden Tag. Aber in meinem ganzen langen Leben habe ich nie ein Zeichen dafür entdecken können, dass Gott vergebender Natur ist.« Mamun wandte sein Pferd und ritt vom Tor wieder auf die gurkhisischen Linien zu, durch die verlassenen Häuser, an deren Wänden bereits hungrig die Flammen leckten.
Jezal holte tief und abgehackt Luft, als seine Augen zu den zahllosen Männern glitten, die sich auf den Feldern bewegten. Verdammt noch mal, dauernd brachte ihn seine große Klappe in Schwierigkeiten. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Er fühlte Bayaz’ väterliche Hand auf seiner Schulter, jene richtungsbestimmende Bewegung, die ihn in den letzten Wochen so oft erzürnt hatte. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um sie nicht abzuschütteln.
»Sie sollten eine Rede vor Ihren Untertanen halten«, sagte der Magus.
»Was?«
»Die richtigen Worte könnten jetzt entscheidend sein. Harod der Große konnte spontan zu den Leuten sprechen. Habe ich Ihnen von dem Tag erzählt, an dem er ...«
»Nun gut!«, schnitt ihm Jezal das Wort ab. »Dann tue ich das.«
Mit der Begeisterung eines Verurteilten, der zum Schafott geht, trat er zur Brüstung auf der anderen Seite. Zu seinen Füßen hatte sich die Menge in ihrer ganzen verwirrenden Unterschiedlichkeit versammelt. Jezal musste sich zwingen, nicht mit den Händen an seiner Gürtelschnalle herumzuspielen. Aus irgendeinem Grund quälte ihn die Vorstellung, ihm könnten vor all diesen Menschen die Hosen herunterrutschen. Eine alberne Vorstellung. Er räusperte sich. Nun hatte ihn jemand gesehen und deutete zu ihm empor.
»Der König!«
»König Jezal!«
»Der König spricht!«
Die Menge wogte hin und her, floss vor dem Torhaus auseinander, ein Meer hoffnungsvoller, angsterfüllter, bedürftiger Gesichter. Nach und nach ließ der Lärm auf dem Platz nach, und atemlose Stille bereitete sich aus.
»Liebe Freunde ... liebe Landsleute ... liebe Untertanen!« Seine Stimme war von einer angenehmen Befehlsgewalt durchdrungen. Ein guter Anfang, sehr ... rhetorisch. »Unsere Feinde mögen zahlreich sein ... sehr zahlreich ...« Jezal fluchte innerlich. Ein solches Eingeständnis konnte kaum den Mut der Massen wecken. »Aber ich beschwöre Sie alle: Fassen Sie sich ein Herz! Unsere Verteidigungsanlagen sind stark!« Er schlug auf die feste Mauer unter seiner Hand. »Unsere Tapferkeit ist unüberwindlich!« Er klopfte sich gegen den polierten Brustpanzer. »Wir werden standhalten!« So war es besser! Er entdeckte, dass er tatsächlich ein natürliches Rednertalent besaß. Die Menge begann sich nun für seine Sache zu erwärmen, das spürte er. »Wir müssen nicht auf ewig aushalten! Lord Marschall West ist bereits auf dem Weg, um uns mit seinen Truppen zu Hilfe zu eilen ...«
»Wann?«, rief jemand laut, und darauf folgte eine Welle zornigen Gemurmels.
»Äh ...« Jezal, aus dem Konzept gebracht, warf einen nervösen Blick auf Bayaz, »äh ...«
»Wann werden sie hier sein? Wann?«, zischte der Erste der Magi Glokta zu, und der Krüppel machte eine abrupte Bewegung, die offenbar jemandem galt, der unten in der Menge stand.
»Schon bald! Darauf können Sie sich verlassen!« Verdammter Bayaz, das war eine schreckliche Vorstellung gewesen. Jezal hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie man dem aufgebrachten Volk Mut einflößen konnte.
»Was ist mit unseren Kindern? Und mit unseren Häusern? Werden sie unsere Häuser verbrennen? Wird es dazu kommen?« Eine ganze Reihe ängstlicher Zwischenrufe drang empor.
»Haben Sie keine Angst! Ich beschwöre Sie ... bitte ...« Verdammt! Es war nicht an ihm zu bitten, er war der König. »Die Truppen sind unterwegs!« Jezal entdeckte schwarze Gestalten, die sich einen Weg durch das Gedränge bahnten. Praktikale der Inquisition. Sie schoben sich zu seiner Erleichterung geradewegs in die Richtung, aus der die Zwischenrufe gekommen waren. »Sie haben den Norden bereits verlassen! Sie können jeden Tag hier sein, um diesen gurkhisischen Hunden eine Lektion ...«
»Wann? Wann werden ...« Schwarze Knüppel zuckten inmitten der Menge hoch und wieder herunter, und die Frage wurde von einem hohen, schrillen Schrei unterbrochen.
Jezal tat sein Bestes, um die Unruhe zu übertönen. »Wollen wir in der Zwischenzeit zulassen, dass gurkhisischer Abschaum ungestört über unsere Felder reitet? Über die Felder unserer Väter?«
»Nein!«, brüllte jemand zu Jezals großer Erleichterung.
»Nein! Wir werden diesen kantesischen Sklaven zeigen, wie freie Bürger der Union sich wehren!« Eine Salve lauwarmer Bestätigungsrufe. »Wir werden mutig wie die Löwen kämpfen! Wild wie die Tiger!« Jetzt wurde er allmählich warm, und die Worte kamen aus seinem Mund, als ob er sie wirklich so meinte. Vielleicht war es auch so. »Wir werden kämpfen wie zu den Zeiten von Harod! Von Arnault! Von Kasamir!« Lauter Beifall brandete auf. »Wir werden nicht ruhen, bis diese gurkhisischen Teufel über das Meeresrund zurückgetrieben sind! Es wird keine Verhandlungen geben!«
»Keine Verhandlungen!«, rief jemand.
»Verdammt seien die Gurkhisen!«
»Wir werden uns niemals ergeben!«, bellte Jezal und schlug mit der Faust auf die Brustwehr. »Wir werden um jede Straße kämpfen! Um jedes Haus! Um jedes Zimmer!«
»Um jedes Haus!«, kreischte jemand in wilder Erregung, und die Bürger Aduas schrien ihre Zustimmung heraus.
Nun, da Jezal fühlte, dass die Stimmung auf seiner Seite war, riss er seinen Degen mit angemessen kriegerischem Klingen aus der Scheide und hielt ihn hoch über seinen Kopf. »Und ich werde mein Schwert voller Stolz an Ihrer Seite ziehen! Wir werden füreinander kämpfen! Wir werden für die Union kämpfen! Jeder Mann ... jede Frau ... Helden allesamt!«
Darauf folgte ohrenbetäubender Beifall. Jezal schwenkte seine Klinge, und eine schimmernde Welle pflanzte sich über der Menge fort, als die Speere in die Luft gereckt, an die Brustpanzer geführt und mit dem Schaft auf den Boden gestoßen wurden. Jezal lächelte breit. Die Menschen liebten ihn und waren mehr als bereit, für ihn zu sterben. Gemeinsam würden sie siegen, das spürte er. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen.
»Schön gemacht«, raunte ihm Bayaz ins Ohr. »Schön ...«
Nun war Jezal mit seiner Geduld am Ende. Er fuhr mit gebleckten Zähnen zu dem Magus herum. »Ich weiß, wie es gemacht war! Ich brauche Ihre dauernde ...«
»Euer Majestät.« Das war Gorsts piepsende Stimme. »Wie können Sie es wagen, mich zu unterbrechen? Was zur Hölle ist ...«
Jezals Wutausbruch wurde von einem rotglühenden Schimmer unterbrochen, den er aus dem Augenwinkel wahrnahm, gefolgt von einer donnernden Explosion. Er riss den Kopf herum und sah, dass Flammen in einiger Entfernung aus dem Meer von Dächern zu seiner Rechten schlugen. Unten auf dem Platz holten die Menschen wie aus einem Mund erschrocken Luft, und dann zog sich eine Welle nervöser Bewegung durch die Menge.
»Der gurkhisische Beschuss hat begonnen«, sagte Varuz.
Ein Feuerstreif stieg über den gurkhisischen Linien in den weißen Himmel. Jezal folgte mit offenem Mund seiner Bahn, als er auf die Stadt zuschoss. Er schlug in einigen Gebäuden ein, diesmal zu Jezals Linken, und helles Feuer loderte hoch in die Luft. Das schreckliche Krachen erreichte seine Ohren erst einen Augenblick später.
Von unten erschollen laute Rufe. Befehle vielleicht, oder auch Panikschreie. Die Menge begann nun in alle Richtungen gleichzeitig zu strömen. Die Menschen liefen auf die Mauer zu, eilten zu ihren Häusern oder irrten ohne bestimmtes Ziel herum, und es entstand ein wildes Gedränge aus schubsenden Körpern und schwankenden Stangenwaffen.
»Wasser!«, schrie jemand.
»Feuer!«
»Euer Majestät.« Gorst führte Jezal bereits wieder zur Treppe. »Sie sollten sofort in den Agriont zurückkehren.«
Jezal zuckte zusammen, als sich die nächste markerschütternde Explosion ereignete, diesmal sogar noch näher als die vorigen. Rauch erhob sich bereits in öligen Fahnen über der Stadt. »Ja«, murmelte er und ließ es zu, dass man ihn in Sicherheit brachte. Dann merkte er, dass er noch immer den Degen gezogen hatte, und schob ihn beinahe ein wenig schuldbewusst in die Scheide zurück. »Ja, natürlich.«
Furchtlosigkeit, so hatte Logen Neunfinger einmal erklärt, ist närrische Angeberei.