ZUM WOHLE DES LANDES

Bei dem Zimmer handelte es sich wieder um eine viel zu helle Schachtel. Die Wände waren wie üblich von dunklem Weiß und mit braunen Flecken übersät. Schimmel oder Blut oder beides. Der übliche zernarbte Tisch, die üblichen wackligen Stühle. Im Grunde schon an sich Folterinstrumente. Der übliche brennende Schmerz zog durch Gloktas Fuß, sein Bein, den Rücken. Manche Dinge ändern sich nie. Derselbe Gefangene, soweit man das sagen konnte, nun, da sein Kopf noch unter dem Leinensack steckte. Wie bei den vielen Dutzend anderen, die in den letzten paar Tagen durch diesen Raum gegangen sind, und den vielen Dutzend weiteren, die in den Zellen hinter der Tür schmoren und darauf warten, dass wir uns mit ihnen vergnügen.

»Nun gut«, sagte Glokta und machte eine müde Handbewegung, »fangen wir also an.«

Frost zerrte den Sack vom Kopf des Gefangenen. Ein langes, hageres kantesisches Gesicht mit tiefen Furchen rund um den Mund und einem sauber getrimmten schwarzen Bart, durch den sich graue Strähnen zogen. Ein weises, würdevolles Gesicht, dessen tief liegende Augen sich nun an das grelle Licht gewöhnten.

Glokta bekam einen Lachanfall. Jedes Kichern tat einen Stich durch sein steifes Rückgrat und erschütterte seinen steifen Hals, aber er konnte nicht dagegen an. Nach all diesen Jahren kann mir das Schicksal wirklich noch lustige Streiche spielen.

»Waff iffo lufftich?«, grunzte Frost.

Glokta wischte sich das tränende Auge. »Praktikal Frost, wir dürfen uns tatsächlich zutiefst geehrt fühlen. Unser jüngster Gefangener ist niemand anders als Meister Farrad, ehemals aus Jaschtawit in Kanta, inzwischen in bester Wohnlage direkt am Weg der Könige zu Hause. Wir befinden uns in der Gegenwart des besten Zahnarztes im ganzen Weltenrund.« Und diesen Aberwitz muss man doch wirklich zu würdigen wissen.

Farrad blinzelte ins grelle Lampenlicht. »Ich kenne Sie.« »Ja.«

»Sie sind der Mann, der Gefangener der Gurkhisen war.«

»Ja.«

»Der, den sie gefoltert haben. Ich erinnere mich ... man hat Sie zu mir gebracht.«

»Ja.«

Farrad schluckte. Als ob die Erinnerung allein ihm schon Übelkeit bereite. Er sah zu Frost auf, und die rosigen Augen blickten finster und ohne Lidschlag zurück. Er betrachtete den schmierigen, blutbefleckten Raum, die gesprungenen Fliesen, die vernarbte Tischplatte. Dann verharrte sein Blick auf dem Geständnisformular, das dort lag. »Nach all dem, was man Ihnen angetan hat – wie können Sie nun selbst so etwas tun?«

Glokta zeigte Farrad sein zahnloses Lächeln. »Wie könnte ich etwas anderes tun, nach all dem, was man mir angetan hat?«

»Wieso bin ich hier?«

»Aus demselben Grund wie jeder andere, der hierher kommt.« Glokta sah Frost dabei zu, wie der Albino die schweren Fingerspitzen auf das Formular legte und es mit Schwung über den Tisch zu dem Gefangenen herüberschnippte. »Um zu gestehen.«

»Was zu gestehen?«

»Nun, natürlich, dass Sie für die Gurkhisen spioniert haben.«

Die Furchen in Farrads Gesicht vertieften sich ungläubig. »Ich bin kein Spitzel! Die Gurkhisen haben mir alles genommen! Ich floh aus meiner Heimat, als sie kamen. Ich bin unschuldig, das müssen Sie doch wissen!«

Natürlich. Wie alle Spitzel, die in diesem Raum in den letzten paar Tagen gestanden haben. Aber sie alle haben gestanden, ohne Ausnahme. »Werden Sie das Geständnis unterschreiben?«

»Ich habe nichts zu gestehen!«

»Wieso kann eigentlich niemand die Fragen beantworten, die ich stelle?« Glokta streckte den schmerzenden Rücken aus, bewegte den knackenden Hals von einer Seite zur anderen, rieb sich dann mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Nichts half. Aber das ist schließlich immer so. Wieso müssen sie es immer so schwer machen, für mich ebenso wie für sich selbst? »Praktikal Frost, würden Sie diesem netten Herrn unsere bisherige Arbeit zeigen?«

Frost zog einen zerbeulten Eimer unter dem Tisch hervor und kippte seinen Inhalt ohne viel Federlesens vor dem Gefangenen aus. Zähne klapperten, rutschten und kreiselten über das Holz. Zähne aller Formen und Größen, in allen Schattierungen von Gelb bis Braun. Zähne mit blutigen Wurzeln, an denen noch ein wenig Fleisch hing. Ein paar rollten vom Rand des Tisches und hüpften über die speckigen Fliesen bis in die Ecken des engen Raums.

Farrad starrte entsetzt auf das blutige Durcheinander. So etwas hat sicher noch nicht einmal der König der Zahnärzte je gesehen. »Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie selbst schon einmal den einen oder anderen Zahn gezogen haben.« Der Gefangene nickte wie betäubt. »Dann können Sie sich sicherlich vorstellen, wie müde ich inzwischen bin, nachdem ich so viele entfernt habe. Deshalb würde ich mit Ihnen am liebsten so schnell wie möglich fertig werden. Ich habe Sie nicht gern hier, und ich bin mir sicher, dass Sie auch nicht gern hier sind. Wir können einander helfen.«

»Was muss ich tun?«, murmelte Farrad, dessen Zunge nervös im Mund herumfuhr.

»Das ist nicht besonders kompliziert. Zunächst unterschreiben Sie Ihr Geständnis.«

»Fffulligung«, brummte Frost, beugte sich vor und fegte ein paar Zähne von dem Schriftstück. Einer davon hinterließ einen langen, hellroten Streifen auf dem Papier.

»Dann nennen Sie zwei weitere.«

»Zwei weitere was?«

»Nun, zwei weitere gurkhisische Spione natürlich, aus Ihrem Volk.«

»Aber ... ich kenne keine Spione!«

»Dann müssen zwei andere Namen herhalten. Sie selbst wurden bereits mehrere Male genannt.«

Der Zahnarzt schluckte, dann schüttelte er den Kopf und schob das Papier weg. Ein tapferer Mann, und ein aufrechter dazu. Aber Tapferkeit und Aufrichtigkeit sind in diesem Raum schlechte Tugenden. »Ich werde unterschreiben. Aber ich werde keinen Unschuldigen belasten. Gott sei mir gnädig, aber das werde ich nicht tun.«

»Vielleicht ist Gott Ihnen gnädig. Aber er hält nun einmal nicht die Zange in unseren Räumen. Sperren Sie ihm den Mund auf.«

Frost packte Farrads Kopf von hinten mit seiner großen weißen Hand, und die Sehnen traten unter der blassen Haut hervor, als er ihm den Mund aufzwang. Dann schob er eine Zwinge zwischen Farrads Kiefer und drehte die Spannmutter so lange geschickt mit Finger und Daumen auf, bis sie weit aufstanden.

»Ah!«, gurgelte der Zahnarzt. »Ayrh!«

»Ich weiß. Und wir fangen ja erst an.« Glokta schlug den Deckel seines Kästchens zurück und beobachtete, wie das polierte Holz über geschärftem Stahl und leuchtendem Glas auseinanderklappte. Was, zum ... Zwischen den Werkzeugen klaffte eine beunruhigende Lücke. »Herrschaftszeiten! Haben Sie die Zange hier herausgenommen, Frost?«

»Nee«, grunzte der Albino und schüttelte verärgert den Kopf.

»Verdammt noch mal. Können sich diese Drecksäcke denn nicht mit ihren eigenen Instrumenten behelfen? Gehen Sie einmal nach nebenan und schauen Sie, ob wir uns wenigstens eine leihen können.«

Der Praktikal schlurfte schwerfällig aus dem Zimmer und ließ die schwere Tür hinter sich offen. Glokta rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bein. Farrad starrte ihn an, Speichel troff aus einem Winkel des aufgesperrten Mundes. Seine hervorquellenden Augen glitten zur Seite, als aus dem Flur gedämpftes Schmerzgeheul zu hören war.

»Ich muss mich entschuldigen«, sagte Glokta. »Normalerweise sind wir wesentlich besser organisiert, aber in den letzten Tagen gab es einfach höllisch viel zu tun. So viele, die wir abfertigen müssen, verstehen Sie.«

Frost zog die Tür hinter sich zu und reichte Glokta, den Griff voran, eine rostige Zange. An den Greifbacken klebten getrocknetes Blut und ein paar gelockte Härchen.

»Etwas Besseres hatten sie nicht? Die ist ja völlig verdreckt!«

Frost zuckte die Achseln. »Mat daff eimm Umperffied?«

Gut beobachtet, würde ich sagen. Glokta stieß einen langen Seufzer aus, erhob sich mühsam von seinem Stuhl und beugte sich vor, um in Farrads Mund zu schauen. Was für schöne Beißerchen er hat. Ein vollständiger perlweißer Satz. Nun sollte man aber von einem preiswürdigen Zahnarzt auch ein preiswürdiges Gebiss erwarten können. Alles andere wäre ja schlechte Werbung für sein Handwerk.

»Mein Kompliment für Ihre Sauberkeit. Es ist eine seltene Freude, einen Mann befragen zu dürfen, der weiß, wie wichtig es ist, sich regelmäßig den Mund zu reinigen. Ich würde sagen, ich habe noch nie ein so schönes Gebiss gesehen.« Glokta klopfte fröhlich mit der Zange gegen einzelne Zähne. »Es ist wirklich eine Schande, sie alle herausreißen zu müssen, nur damit Sie in zehn Minuten gestehen und nicht schon jetzt, aber was will man machen.« Er schloss die Backen der Zange um einen Zahn und übte ein wenig Druck auf die Griffe aus.

»Gurlgh«, gurgelte Farrad. »Glaigh!«

Glokta spitzte den Mund, als dächte er nach, dann lockerte er die Zange. »Geben wir dem netten Herrn doch noch eine Gelegenheit zu sprechen.« Frost schraubte die Zwinge auf und zog sie mitsamt einem Spuckefaden aus Farrads Mund. »Gibt es eventuell etwas, das Sie uns sagen möchten?«

»Ich unterschreibe!«, keuchte Farrad, und eine lange Tränenspur rann über seine Wange. »Gott steh mir bei, ich unterschreibe!«

»Und Sie nennen uns zwei Komplizen?«

»Was auch immer Sie wollen ... bitte ... was auch immer Sie wollen.«

»Hervorragend«, sagte Glokta, während er dabei zusah, wie die Feder über das Geständnis kratzte. »Wer ist als Nächstes dran?«

In diesem Augenblick hörte er, wie das Schloss hinter ihm klapperte. Finsteren Gesichts wandte er sich um und machte sich bereit, den anmaßenden Eindringling anzubrüllen.

»Euer Eminenz!«, hauchte er stattdessen mit kaum verhohlener Bestürzung und erhob sich mit verzerrtem Gesicht mühsam von seinem Stuhl.

»Sie brauchen nicht aufzustehen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Glokta fand sich in einer höchst schmerzvollen Position erstarrt, irgendwo zwischen Sitzen und Stehen, und musste sich wenig elegant zurücksinken lassen, während Sult ins Zimmer rauschte und drei seiner riesigen Praktikalen schweigend hinter ihm in der Tür stehen blieben. »Sie können diese missgeborene Laune der Natur bitten, uns allein zu lassen.«

Frosts Augen verengten sich, huschten über die anderen Praktikalen und wieder zurück zu Sult. »Vielen Dank, Praktikal Frost«, sagte Glokta hastig. »Sie können unseren Gefangenen wieder wegbringen.«

Der Albino löste Farrads Handschellen und zerrte den Zahnarzt mit seiner weißen Faust vom Stuhl, schleppte den keuchenden Mann dann am Kragen zur Tür an der Rückseite des Raumes und stieß mit der freien Hand den Riegel auf. Ein letztes Mal starrte er Sult über die Schulter hinweg mit seinen rosafarbenen Augen an, und Sult starrte zurück. Dann schlug er die Tür hinter sich zu.

Seine Eminenz glitt Glokta gegenüber auf den Stuhl. Der ist sicher noch warm vom schwitzenden Hintern des tapferen und aufrechten Meister Farrad. Mit der Kante seiner behandschuhten Hand fegte Sult ein paar Zähne von der Tischplatte vor sich und ließ sie klickernd auf den Boden rollen. Und das tut er so lässig, als wären es Brotkrumen. »Eine tödliche Verschwörung ist im Agriont in Gange. Haben wir Fortschritte dabei gemacht, sie aufzudecken?«

»Ich habe den größten Teil der kantesischen Gefangenen befragt, eine ganz ordentliche Anzahl von Geständnissen erhalten, und es sollte kein Problem sein ...«

Sult machte eine verärgerte Handbewegung. »Das meine ich nicht, Sie Dummkopf. Ich beziehe mich auf diesen Bastard Marovia und seine Marionetten, den sogenannten Ersten der Magi und unseren sogenannten König.«

Auch jetzt noch, da die Gurkhisen schon an unsere Tore klopfen? »Euer Eminenz, ich hatte angenommen, der Krieg habe einstweilen Vorrang ...«

»Sie haben nicht genug Hirn, um irgendetwas anzunehmen«, blaffte Sult. »Welche Beweise haben Sie gegen Bayaz gesammelt?«

Ich bin in der Universität auf etwas gestoßen, an das ich besser nicht gerührt hätte, und dann wurde ich beinahe in meiner Badewanne ertränkt. »Bisher ... nichts.«

»Und was ist mit der Abstammung von König Jezal dem Ersten?«

»Auch bei diesem Weg scheint es sich ... um eine Sackgasse zu handeln.« Jedenfalls für mich und mein kleines Leben, falls meine Strippenzieher bei Valint und Balk davon erführen. Und sie erfahren schließlich alles.

Die Lippen des Erzlektors verzogen sich. »Was, zur Hölle, haben Sie dann überhaupt in letzter Zeit getan?«

In den letzten drei Tagen war ich damit beschäftigt, bedeutungslose Geständnisse aus den Mündern unschuldiger Männer zu reißen, damit es so aussieht, als arbeiteten wir höchst engagiert. Wann hätte ich denn da noch die Zeit finden sollen, um die Regierung zu stürzen? »Ich war damit beschäftigt, gurkhisische Spione zu suchen ...«

»Wieso höre ich von Ihnen eigentlich nie etwas anderes als Entschuldigungen? Wenn ich sehe, wie sehr Ihre Leistungsfähigkeit nachgelassen hat, dann frage ich mich allmählich, wie es Ihnen gelingen konnte, Dagoska so lange davor zu bewahren, den Gurkhisen in die Hände zu fallen. Sie haben sicherlich eine enorme Summe Geld gebraucht, um die Verteidigungsanlagen der Stadt zu stärken.«

Glokta benötigte alle Selbstbeherrschung, zu der er fähig war, um zu verhindern, dass sein Auge geradezu aus dem Gesicht herauszuckte. Halt still, du blödes Stück Glibber, sonst sind wir erledigt. »Die Gilde der Gewürzhändler konnte dazu überredet werden, einen hohen Betrag beizusteuern, als das eigene Überleben auf dem Spiel stand.«

»Wie ungewöhnlich großzügig von diesen Leuten. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann hat die ganze Sache mit Dagoska einen seltsamen Beigeschmack. Es hat mich stets gewundert, dass Sie sich dazu entschieden, Magisterin Eider auf eigene Faust aus dem Weg zu räumen, statt sie hierher zu mir zu schicken.«

Wenn es eben schon ziemlich dunkel war, dann wird es jetzt stockfinster. »Eine Fehleinschätzung meinerseits, Euer Eminenz. Ich dachte, ich würde Ihnen die Mühe ersparen, sie ...«

»Es ist für mich keine Mühe, Verrätern ein Ende zu bereiten. Das wissen Sie.« Zornige Falten legten sich um Sults kalte blaue Augen. »Könnte es sein, nach all dem, was wir gemeinsam erlebt haben, dass Sie mich für einen Dummkopf halten?«

Gloktas Stimme kratzte unangenehm in seiner trockenen Kehle. »Auf keinen Fall, Herr Erzlektor.« Nur für einen todbringenden Größenwahnsinnigen. Er weiß es. Er weiß, dass ich nicht ganz und gar sein ergebener Sklave bin. Aber wie viel weiß er? Und von wem hat er es erfahren?

»Ich habe Ihnen eine unmögliche Aufgabe gestellt, und daher war ich bereit, über bestimmte Dinge den Mantel des Schweigens zu breiten. Aber das geht nur so lange, wie Sie Erfolge liefern. Es wird mir allmählich lästig, Ihnen die Sporen geben zu müssen. Wenn Sie meine Probleme mit unserem neuen König nicht binnen der nächsten zwei Wochen lösen, dann werde ich Superior Goyle darauf ansetzen, die Antworten zu meinen Fragen hinsichtlich Dagoskas ans Licht zu bringen. Er wird sie für mich aus Ihrem verwitterten Fleisch ziehen, wenn es sein muss. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Klar wie Glas aus Visserine. Zwei Wochen, um die Antworten zu finden, oder ... Teile einer zerstückelten Wasserleiche am Kai gefunden. Aber dann, wenn ich die richtigen Fragen stelle, werden Valint und Balk Seiner Eminenz von unserer Abmachung berichten und ... vom Meerwasser aufgedunsen, schrecklich verstümmelt, gar nicht mehr zu erkennen. Schade um den armen Superior Glokta. Ein angenehmer und sehr beliebter Mann, aber er hatte so viel Pech. Wohin soll er sich nur wenden?

»Ich verstehe, Herr Erzlektor.«

»Und weswegen sitzen Sie dann noch hier herum?«

 

Ardee West öffnete selbst die Tür, ein halbvolles Weinglas in der Hand. »Ah! Superior Glokta, welch angenehme Überraschung. Kommen Sie doch herein!«

»Sie klingen beinahe erfreut, mich zu sehen.« Eine wirklich ausgesprochen ungewohnte Reaktion auf mein Erscheinen.

»Wieso sollte ich das nicht sein?« Sie trat elegant beiseite, um ihn vorbeizulassen. »Wie viele junge Frauen können sich rühmen, einen Folterknecht als Anstandsdame zu haben? Es gibt nichts, was mögliche Werber mehr anstachelt.«

Er humpelte über ihre Schwelle. »Wo ist Ihr Zimmermädchen?«

»Sie hat sich fürchterlich aufgeregt, weil doch die Gurkhisen oder sonst wer im Anmarsch sind, deswegen habe ich sie gehen lassen. Sie ist zu ihrer Mutter nach Martenhorm.«

»Und Sie haben auch schon alles für die Abreise gepackt, hoffe ich?« Er folgte ihr in das warme Wohnzimmer. Die Läden und Vorhänge waren geschlossen, und der Raum wurde von dem zuckenden Glühen der Kohlen im Kamin erhellt.

»Nun, ich habe beschlossen, in der Stadt zu bleiben.«

»Tatsächlich? Die tragische Prinzessin, die sich in ihrem Schloss der Schwermut hingibt? Von den treulosen Dienstboten verlassen, ringt sie nun die hilflosen Hände, während ihre Feinde schon den Burggraben umstellt haben?« Glokta schnaubte. »Sind Sie sicher, dass Ihnen diese Rolle liegt?«

»Besser als Ihnen die des Ritters auf dem weißen Schlachtross, der heranstürmt, um die Jungfrau mit blitzender Klinge zu befreien.« Sie sah verächtlich an ihm herunter. »Ich hatte auf einen Helden gehofft, der zumindest noch die Hälfte seiner Zähne hat.«

»Ich dachte, Sie seien inzwischen daran gewöhnt, nicht alles zu bekommen, worauf Sie hofften.« Bei mir ist es längst so, das weiß ich.

»Nun, was soll ich sagen. Ich bin nun mal eine Romantikerin. Sind Sie deswegen hierhergekommen, um meine Träume wie Seifenblasen platzen zu lassen?«

»Nein. Das tue ich schon, ohne es wirklich darauf anzulegen. Ich dachte eher an einen Schluck Wein und eine Unterhaltung, bei der es zur Abwechslung einmal nicht unterschwellig um meine zerstückelte Leiche geht.«

»Zu diesem Zeitpunkt kann ich schwer voraussagen, welche Richtung unsere Unterhaltung nehmen könnte, aber den Schluck Wein kann ich Ihnen versprechen.« Sie schenkte ihm ein Glas ein, und er leerte es mit vier großen Schlucken. Dann streckte er es ihr wieder hin und lutschte an seinem süßen Zahnfleisch.

»Aber nun einmal im Ernst, es wird höchstens noch eine Woche dauern, bevor die Gurkhisen Adua belagern werden. Sie sollten die Stadt so schnell wie möglich verlassen.«

Erneut füllte sie sein Glas, dann ihr eigenes. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die halbe Stadt denselben Gedanken gefasst hat? Jede flohzerbissene Mähre, die nicht für die Truppen requiriert wurde, wechselt inzwischen für fünfhundert Mark den Besitzer. Ängstliche Bürger strömen in alle Ecken Midderlands. Ganze Trecks schutzloser Flüchtlinge quälen sich eine Meile pro Tag durch Schlamm und Dreck, während das Wetter allmählich kälter wird, beladen mit allen Wertgegenständen, die sie besitzen, und sind so leichte Beute für jede Räuberbande im Umkreis von hundert Meilen.«

»Das ist wahr«, musste Glokta zugeben, während er sich auf seine schmerzgeplagte Weise in den Sessel am Feuer hineindrehte.

»Und wo sollte ich überhaupt hin? Ich habe keinen einzigen Freund oder Verwandten irgendwo in Midderland. Wollen Sie, dass ich mich irgendwo im Wald verstecke, zwei Hölzer aneinanderreihe, bis ich mir ein Feuer machen kann, und Eichhörnchen mit der Hand nachstelle? Wie könnte ich unter solchen Umständen überhaupt betrunken bleiben? Nein danke, ich bin hier viel sicherer und habe es weitaus gemütlicher. Ich habe Kohlen für mein Feuer, und der Keller ist bis unters Dach gefüllt. Ich kann es hier monatelang aushalten.« Sie machte eine lässige Handbewegung in Richtung Wand. »Die Gurkhisen kommen von Westen, und wir sind auf der Ostseite der Stadt. Selbst im Palast könnte ich nicht sicherer sein.«

Vielleicht hat sie recht. Hier kann ich zumindest auch ein

bisschen über sie wachen. »Nun, ich beuge mich Ihrer Sicht der Dinge. Oder vielmehr, ich würde mich beugen, wenn mein Rücken dies zuließe.«

Sie nahm ihm gegenüber Platz. »Und wie ist das Leben an den Schaltstellen der Macht?«

»Kühl. Wie es in der Nähe der Macht nun einmal so ist.« Glokta strich sich mit dem Finger über die Lippen.

»Ich befinde mich derzeit in einer schwierigen Lage.«

»Mit Zwickmühlen habe ich ein wenig Erfahrung.«

»Diese hier ist ... recht kompliziert.«

»Nun, dann schildern Sie die Situation doch einmal so, dass auch ein dusliges Frauenzimmer wie ich sie begreifen kann.«

Was kann es noch schaden? Ich sehe ohnehin schon dem Tod ins Auge. »Gut, gehen wir einmal von einem dusligen Frauenzimmer aus. Stellen Sie sich vor ... Sie hätten, als Sie einmal unbedingt eine bestimmte Vergünstigung brauchten, zwei sehr reichen und mächtigen Männern Ihre Hand versprochen.«

»Hm. Einer allein wäre da genug.«

»Keiner wäre in dieser besonderen Lage noch besser. Sie sind beide alt und von überwältigender Hässlichkeit.«

Sie zuckte die Achseln. »Hässlichkeit wird den Reichen und Mächtigen schnell nachgesehen.«

»Aber beide dieser Verehrer neigen zu Ausbrüchen gewalttätiger Eifersucht. Zu gefährlichen Ausbrüchen. Sie haben gehofft, sich zu gegebener Zeit aus der einen oder der anderen Verpflichtung herauswinden zu können, aber nun rückt der Tag der Hochzeiten heran, und Sie stellen fest, dass Sie ... immer noch mit beiden verbandelt sind. Sogar mehr denn je. Was tun Sie?«

Sie schürzte die Lippen und holte tief Luft, dachte nach, dann warf sie eine Haarsträhne mit großer Geste über die Schulter. »Ich würde sie beide mit meiner unvergleichlich geistreichen Art und meiner glühenden Schönheit in den Wahnsinn treiben und dann ein Duell zwischen beiden in die Wege leiten. Wer auch immer es gewönne, bekäme meine Hand, und natürlich würde keiner der beiden ahnen, dass ich einst auch seinem Rivalen die Ehe versprach. Da sie beide alt sind, würde ich auf den baldigen Tod meines künftigen Gatten hoffen und mich auf das Dasein einer reichen und angesehenen Witwe freuen.« Sie grinste ihn mit hoch erhobenem Kopf an. »Was sagen Sie dazu, mein Herr?«

Glokta blinzelte. »Ich fürchte, die Metapher trägt doch nicht bis hierher.«

»Oder ...« Ardee sah mit zusammengekniffenen Augen zur Decke und schnippte plötzlich mit den Fingern. »Ich könnte mich einer typisch weiblichen List bedienen ...« Sie warf die Schultern zurück und schob ihren Busen vor. »Um nämlich einen dritten Mann zu umgarnen, der sogar noch reicher und mächtiger ist als die anderen beiden. Jung und gut aussehend und von kräftiger Statur, würde ich sagen, da es ja eine Metapher ist. Ihn würde ich heiraten und mit seiner Hilfe die beiden anderen zugrunde richten, sie mittellos und enttäuscht zurücklassen. Ha! Was meinen Sie nun?«

Glokta fühlte, wie sein Augenlid zuckte, und er drückte seine Hand dagegen. Interessant. »Ein dritter Verehrer«, murmelte er. »Der Gedanke ist mir überhaupt noch nicht gekommen.«