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Logan wich einen Schritt zurück. Rush wollte mit der Hand nach seinem Ellbogen greifen, doch Logan streifte sie mit einer instinktiven Bewegung ab. Die Überraschung verebbte bereits wieder und wich zunehmend Neugier.

«Dr. Logan», sagte Stone. «Es tut mir leid, Sie so zu überrumpeln. Aber wie Sie sich ohne Zweifel denken können, bin ich gezwungen, so wenig aufzufallen wie möglich.»

Er lächelte, doch seine Augen lächelten nicht mit. Augen, die weitaus durchbohrender, weitaus strahlender waren, als das Foto auf dem Titelblatt der Fortune vermittelt hatte. Hinter diesen Augen brannte nicht nur unübersehbar ein wacher Intellekt, sondern ein unstillbarer Hunger – ob nach Antiquitäten, Reichtum oder schierem Wissen, vermochte Logan nicht zu sagen. Der Mann war größer, als er erwartet hatte, doch seine Gestalt unter der arabischen Kleidung war von oben bis unten genauso hager wie auf den zahlreichen Fotos in der Presse.

Stone nickte Rush zu. Als Rush sich umwandte, um die Tür von innen zu verschließen, schüttelte Stone Logans Hand und bedeutete ihm, am Tisch Platz zu nehmen. Logan gewann keinen neuen Eindruck aus dem Händeschütteln – er spürte nur eine wilde, ungebändigte Energie, die überhaupt nicht zu der hageren Gestalt mit den beinahe weiblichen Gesichtszügen passen wollte.

«Ich hatte nicht erwartet, Sie hier anzutreffen, Dr. Stone», sagte Logan, als er sich setzte. «Ich dachte, Sie würden Ihre Projekte heutzutage nur noch aus der Ferne leiten.»

«Genau das sollen die Menschen glauben», entgegnete Stone. «Meistens stimmt es auch, aber alte Angewohnheiten sind schwer abzulegen. Es gibt selbst heute noch Augenblicke, da kann ich nicht widerstehen, selbst ein wenig zu graben und mir die Hände schmutzig zu machen.»

Logan nickte. Er konnte das sehr gut verstehen.

«Abgesehen davon ziehe ich es vor, wann immer möglich persönlich mit wichtigen Mitgliedern eines neuen Teams zu reden – insbesondere bei einem Projekt von solch immenser Bedeutung wie dem aktuellen. Und natürlich war ich sehr neugierig darauf, Sie kennenzulernen.»

Logan war bewusst, dass die blauen Augen ihn immer noch aufmerksam musterten. In ihrer Intensität lag etwas beinahe Erbarmungsloses – dort vor ihm stand ein Mann, dem man so leicht nichts vormachen konnte.

«Also bin ich Teil des Teams?», fragte Logan.

Stone nickte. «Selbstverständlich. Obwohl, um ehrlich zu sein, ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet. Sie sind praktisch so etwas wie das Sahnehäubchen in letzter Minute.»

Rush nahm ihnen gegenüber am Tisch Platz. Stone schob die Schriftrolle beiseite, in der er gelesen hatte. Darunter kam ein dünner Hefter zum Vorschein. «Ich bin natürlich über Ihre Arbeiten im Bilde. Ich habe Ihre Monographie über den Wandelnden Draugen von Trondheim gelesen.»

«Das war ein interessanter Fall. Und es war schön, dass ich ihn publizieren durfte – das ist mir nur selten gestattet.»

Stone lächelte verständnisvoll. «Und es scheint, wir haben bereits eine Gemeinsamkeit gefunden, Dr. Logan.»

«Nennen Sie mich doch bitte Jeremy. Was für eine Gemeinsamkeit mag das sein?»

«Pembridge Barrow.»

Logan setzte sich überrascht auf. «Wollen Sie damit sagen, Sie haben …»

«In der Tat, das habe ich», erwiderte Stone.

Logan musterte den Schatzsucher mit neu erwachtem Respekt. Pembridge Barrow war eine von Stones kleineren, gleichwohl historisch bedeutsameren Entdeckungen gewesen. Ein Grab in Wales, das nach übereinstimmender Meinung der meisten Gelehrten die sterblichen Überreste Boadiceas, der englischen Königin des ersten nachchristlichen Jahrhunderts enthielt. Sie war in einem Streitwagen beigesetzt worden, umgeben von Waffen, Goldarmbändern und anderem Schmuck. Mit der Entdeckung des Grabes hatte Stone ein Rätsel gelöst, das die englischen Historiker jahrhundertelang beschäftigt hatte.

«Wie Sie wissen, hat die gelehrte Elite stets behauptet, Boadicea hätte den Tod durch römische Legionen gefunden, entweder in Exeter oder vielleicht auch in Warwickshire. Aber es war Ihre Dissertation – in welcher Sie argumentieren, dass sie diese Schlachten überlebte und mit vollen Ehren bestattet wurde –, die mich nach Pembridge führte», berichtete Stone weiter.

«Basierend auf den mutmaßlichen Bewegungen römischer Suchtrupps weit abseits der Watling Road», ergänzte Logan. «Nun, ich schätze, ich sollte mich geehrt fühlen.» Er war beeindruckt von Stones Gründlichkeit.

«Aber ich habe Sie nicht hergebeten, um über Pembroke zu reden. Ich wollte lediglich, dass Sie begreifen, worauf Sie sich einlassen.» Stone beugte sich vor. «Ich habe nicht vor, Sie einen blutigen Eid schwören zu lassen oder etwas ähnlich Melodramatisches.»

«Das freut mich zu hören.»

«Abgesehen davon, gehe ich natürlich davon aus, dass jemand, der auf Ihrem Gebiet arbeitet, vertrauenswürdig und verschwiegen ist.» Stone lehnte sich wieder zurück. «Haben Sie schon einmal den Namen Flinders Petrie gehört?»

«Sie meinen den Ägyptologen? Er hat das Neue Königreich bei Tell el-Amarna entdeckt, richtig? Und unter anderem auch die Merenptah-Stele.»

«Das ist richtig. Sehr gut.» Stone und Rush wechselten einen bedeutsamen Blick. «Dann wissen Sie wahrscheinlich auch, dass er zu der seltensten Sorte von Ägyptologen gehörte. Er war ein wahrer Gelehrter, gesegnet mit einem grenzenlosen Wissensdurst. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als alle anderen hektisch nach Schätzen gruben, suchte er nach etwas Beständigerem: Wissen. Er liebte es, von den bekannten Grabungsstellen – den Pyramiden und den Tempeln – abzuschweifen und weit nilaufwärts nach Tonscherben und Stücken von Piktogrammen zu suchen. Er machte die Ägyptologie in vielerlei Hinsicht zu einer respektablen Wissenschaft und sprach sich entschieden gegen Plünderungen und schludrige Dokumentation aus.»

Logan nickte. Bis jetzt hatte Stone ihm nichts Neues erzählt.

«Im Jahre 1933 war Sir Flinders Petrie der Grandseigneur der britischen Archäologie, geadelt vom König. Er hatte angeboten, dem Royal College of Surgeons seinen Kopf zu vermachen, sodass sein einzigartiges Genie bis in alle Ewigkeit studiert werden konnte. Als er in den Ruhestand ging, zogen er und seine Frau nach Jerusalem, wo er seine letzten Jahre zwischen den alten Ruinen verbringen konnte, die er so sehr liebte. Damit endet die Geschichte.»

Für einen kurzen Moment kehrte Stille ein. Dann zog Stone die schmuddelige Brille hervor, fummelte einen Moment daran herum und legte sie auf den Tisch.

«Nur dass sie in Wirklichkeit nicht damit endet. Weil Petrie im Jahr 1941 – nach Jahren des beschaulichen Ruhestands – Jerusalem ganz abrupt in Richtung Kairo verließ. Er informierte keinen seiner früheren Kollegen an der British School of Archeology über seine neue Expedition – und es besteht nicht der geringste Zweifel, dass es eine Expedition war. Er engagierte nur das absolute Minimum an Mitarbeitern – zwei oder höchstens drei, und auch das vermutlich nur wegen seines fortgeschrittenen Alters und seiner Gebrechlichkeit. Er stellte keinerlei Anträge auf Fördermittel – wie es scheint, hat er mehrere seiner wertvollsten Artefakte verkauft, um die Reise zu finanzieren. Nichts von alledem war typisch für Petrie – am merkwürdigsten von allem jedoch war seine große Eile. Er war stets für seine besonnene, vorsichtige und wissenschaftliche Arbeit bekannt gewesen. Doch diese Expedition nach Ägypten, während Nordafrika tief in den Wirren des Krieges steckte, war das genaue Gegenteil von Besonnenheit. Die Reise erscheint im Rückblick eher überstürzt, ja geradezu verzweifelt.»

Stone verstummte, um einen Schluck aus der winzigen Kaffeetasse zu nehmen. Für einen Moment schwebte das Aroma von qahwa sada in der Luft.

«Wohin genau Petrie reiste – und warum –, wurde nie bekannt. Bekannt wurde, dass er fünf Monate später nach Jerusalem zurückkehrte. Allein, alle Mittel erschöpft. Er wollte nicht verraten, wo er gewesen war. Die Aura von Verzweiflung blieb, doch die Reise hatte seinen bereits gebrechlichen Leib noch mehr geschwächt. 1942, nicht lange nach seiner Rückkehr, starb er in Jerusalem, allem Anschein nach, während er Geld für eine weitere Expedition nach Ägypten aufzutreiben versuchte.»

Stone stellte die Tasse auf den Tonuntersetzer und sah Logan an.

«Nichts davon steht in den historischen Aufzeichnungen», erwiderte Logan. «Wie haben Sie das alles herausgefunden?»

«Wie ich Sachen herausfinde, Dr. Logan?» Stone breitete die Hände aus. «Ich suche in den dunklen Ecken, in die zu blicken sich andere nicht die Mühe machen. Ich suche in öffentlichen und privaten Aufzeichnungen, immer auf der Suche nach jenem einen verlorenen Dokument, das versehentlich unter die anderen gerutscht ist und dort vergessen wurde. Ich lese alles und jedes, was ich in die Finger kriege – einschließlich, wie ich hinzufügen darf, obskurer Doktorarbeiten.»

Logan legte eine Hand auf die Brust und verneigte sich spöttisch.

«Die Leute reden über das Geheimnis meiner Midas-Hände.» Stone stieß die letzten Worte beinahe verächtlich aus. «Was für ein Unsinn. Es gibt kein Geheimnis hinter harter gründlicher Arbeit. Das Vermögen, das ich mit der Bergung der spanischen Schatzschiffe gemacht habe, verschaffte mir die Ressourcen, die Dinge auf meine Weise zu tun. So konnte ich Forscher und Ermittler in alle Ecken der Welt senden und sie unauffällig nach jener aufregenden Lücke in den historischen Aufzeichnungen fahnden lassen, jenem Fetzen von uraltem Gerücht, das sich vielleicht als interessant erweisen konnte – und vielleicht sogar mehr als nur interessant

Die Bitterkeit verschwand genauso schnell aus Stones Stimme, wie sie gekommen war. «Im Fall von Flinders Petrie kam ich in den Besitz eines alten Tagebuchs, erstanden als Teil eines Konvoluts auf einem Basar in Alexandria. Das Tagebuch stammte von einem Forschungsassistenten Petries während seiner letzten Jahre in Jerusalem. Ein junger Mann, der nicht gefragt wurde, ob er zu dieser letzten Expedition mitkommen wollte und der hinterher aus Verdruss zur Armee ging. Er starb in der Schlacht am Kasserinpass. Wie dem auch sei, die Geschichte in seinem Tagebuch weckte mein Interesse. Was konnte in Petrie gefahren sein? Er machte sich wenig aus Schätzen und hatte ein gewaltiges Maß wissenschaftlichen Ruhms erlangt, ganz zu schweigen davon, dass er jedes Recht darauf hatte, seinen Lebensabend zu genießen. Was konnte in diesen Mann gefahren sein, dass er mit beinahe neunzig Jahren noch den Komfort und die Sicherheit seines Heims verließ und in ein Kriegsgebiet reiste? Es war ein Rätsel.»

Stone verstummte. «Sie müssen eines wissen, Dr. Logan», fuhr er nach einigen Sekunden fort. «Ich habe hundert, nein zweihundert derartiger Rätsel im Tresor meines Forschungslabors in Kent. Einige davon habe ich selbst entdeckt, bei anderen habe ich eine Stange Geld bezahlt, um sie auszugraben. Sie sind alle interessant. Doch meine Zeit ist endlich. Ich fange kein Projekt an, bevor ich nicht sicher bin, genügend Wissen zusammengetragen zu haben, um das Rätsel erfolgreich zu lösen.»

Die Midas-Hand, dachte Logan. Laut sagte er: «Ich nehme an, dieser Forschungsassistent von Petrie war nicht die letzte Spur?»

Stone lächelte erneut, und als er Logans Blick erwiderte, kehrte der nüchterne, abschätzende Ausdruck in seine Augen zurück. «Petries Haushälterin. Einer meiner Mitarbeiter erfuhr von ihrer Existenz, fand heraus, wo sie lebte, und befragte sie kurz vor ihrem Tod in einem Hospiz in Haifa. Das war vor sechs Jahren. Sie war bereits halb weggedämmert. Doch unter sanfter Befragung erinnerte sie sich sehr deutlich an einen besonderen Nachmittag im Jahre 1941, als Petrie einem Gast einen Teil seiner riesigen Sammlung zeigte. Es war kein besonders wichtiger Gast, doch Petrie gestattete sich dieses Vergnügen häufiger. Wie dem auch sei, an diesem besonderen Nachmittag, an den sich die Haushälterin so glasklar erinnerte, erforschten Petrie und sein Gast den Inhalt einer Holzkiste von einer der frühesten Exkursionen des Ägyptologen an den oberen Nil. Und mit einem Mal richtete sich Petrie kerzengerade auf, wie erstarrt von einem elektrischen Schock. Er stammelte eine Minute lang wirres Zeug und entledigte sich mit einer Ausrede hastig seines Besuchers. Dann schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein – was er noch nie zuvor getan hatte. Das ist der Grund, warum sich die Haushälterin so gut an den Zwischenfall erinnern konnte. Wenige Tage später brach er zu seiner letzten Expedition nach Ägypten auf.»

«Er muss etwas in dieser Kiste gefunden haben», sinnierte Logan.

Stone nickte. «Definitiv. Etwas, das all die Jahre da gelegen hatte, unbeachtet – oder besser, niemals genauer untersucht bis zu jenem Tag, an dem der Gast eintraf. Petrie hatte eine derart riesige Sammlung angehäuft, dass er kaum jedes Teil im Detail kennen konnte.»

«Und ich nehme an – da wir hier in Ägypten sind –, dass Sie dieses Artefakt gefunden haben?»

«Das ist richtig», sagte Stone langsam. «Ich habe es gefunden.»

«Darf ich fragen, wie?»

«Dürfen Sie nicht.» Wenn es als Scherz gemeint war, ließ er sich nichts anmerken. «Meine Methoden sind, sagen wir, proprietär. Es genügt festzuhalten, dass es eine langwierige, mühsame, verzwickte – und kostspielige – Angelegenheit war. Wenn Sie annehmen, dass ich eine Menge Geld ausgegeben habe, um das Tagebuch zu finden und später die Haushälterin – und das habe ich –, dann lassen Sie sich gesagt sein, ich habe zwanzigmal mehr ausgegeben, um herauszufinden, was Petrie an jenem Tag 1941 entdeckt hatte. Trotzdem bin ich willens, das Artefakt mit Ihnen zu teilen – für einen kurzen Moment.» Und mit diesen Worten nahm Stone seine Kaffeetasse und hob sie an die Lippen.

Logan wartete darauf, dass Stone irgendeinen sorgfältig verschlossenen Behälter zum Vorschein brachte oder vielleicht Ethan Rush instruierte, einen Gegenstand aus irgendeiner staubigen Ecke des Raums zu holen, doch stattdessen nahm Stone einfach einen Schluck aus der winzigen Tasse. Dann nickte er in Richtung des abgewetzten Untersetzers auf dem Tisch, auf dem sich inzwischen ein feuchter dunkler Kaffeefleck abzeichnete.

«Nun nehmen Sie es schon», sagte er und lächelte von einem Ohr zum anderen.

Hüter des Todes
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