Dank dir und deiner Freunde, insbesondere der Feuerelben, ist alles anders gekommen, als vom Baron geplant.“

Denny fuhr von seinem Platz hoch und öffnete eine seiner Taschen. Er zog den Gürtel des Barons heraus und hielt ihn dem Professor entgegen.

„Sind das vielleicht ihre Steine?“

Sauer begann auf einmal zu strahlen. „Du hast sie ihm abgenommen?“ Der Schulleiter nahm den Gürtel und überprüfte jeden einzelnen Edelstein. „Und sie sind alle beisammen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Freude du mir damit bereitest. Ich danke dir von ganzem Herzen. Dein Großvater wäre stolz auf dich.“ Professor Sauer tastete seine Anzugtaschen ab und holte aus einer mehrere Lederbänder hervor. Rasch entfernte er die Steine aus dem Gürtel und setzte sie in die Bänder ein. Anschließend klatschte er beherzt in die Hände und stand auf.

„So, Denny, wir sollten uns jetzt zur Abschlussfeier begeben, denn ich möchte nach so langer Pause nicht auch noch zu spät kommen. Außerdem werden die Zeugnisse traditionsgemäß vom Schulleiter übergeben.“

Während sie den kürzesten Weg unter Tage nahmen, beschäftige Denny noch eine einzige Frage: „Herr Professor! Wissen sie vielleicht mehr von Willi de Stieve?“

Denny wollte nicht ohne Willis Einwilligung von dessen Anwesenheit auf dem Kolleggelände und seiner wahrer Herkunft erzählen.

„Ja, soviel ich weiß, wird er weiter festgehalten und von Egidius Felten unter Druck gesetzt. Willi de Stieve wird dazu gezwungen, den Baron mit den seltensten und kostbarsten Edelsteinen zu versorgen.“

Sauer hielt einen Moment inne und schien nachzudenken. „Wenn ich es mir recht überlege, ist eine baldige Befreiung von de Stieve und seiner Familie denkbar.“

„Wie meinen sie das, Herr Professor?“

Der Schulleiter klopfte ihm lächelnd auf die Schulter.

„Das, mein lieber Denny, musst du jetzt noch nicht wissen.“


„Ach du wusstest nicht, dass unser Kolleg ein Orchester hat, stimmt´s?“

Denny schüttelte nur den Kopf.

„Der Tradition entsprechend, geben einige Schüler zum Jahresabschluss auf ihren Instrumenten immer ihr Bestes, obwohl sie heute das allererste Mal miteinander spielen.“

„Wie kann das denn gehen?“, fragte Denny ungläubig.

Der Schulleiter grinste. Mit einer kleinen Fingerbewegung stieß er die Flügeltür weit auf. In dem überfüllten Empfangssaal wurde es still. Sauer schritt unbeeindruckt hinein. „Was ist, Herrschaften?“, rief der Professor durch die Halle, „Ich möchte hören, was ihr könnt.“

Sauers Worte waren das Startzeichen, und das Orchester begann zu spielen. Verwundert blieb Denny stehen und starrte nach vorne zum Rednerpult. Er konnte zunächst nur Streich-, Blas- und andere Instrumente ausmachen, die nebeneinander gereiht und wie von Geisterhand ein gemeinsames Stück spielten. Dann sah er sie: Auf einer Empore - nahe des Rednerpultes - befand sich eine größere Anzahl von Schülern, von denen er sogar einige aus seiner Baumgemeinschaft kannte. An deren Armbändern leuchteten die Steine in verschiedenen Farben und verschiedener Intensität. Die Schüler bewegten sich unterschiedlich in gleichem Rhythmus und wirkten auf ihr jeweiliges Instrument.

Von der Musik ergriffen, lauschte Denny still, bis ihn jemand am Arm griff und an den Tisch der Uraner zog.

„Alter, wo warst du die ganze Zeit?“, flüsterte ihm Rüstem zu.

Mian und Moana bedachten ihn ebenfalls mit vorwurfsvollen Blicken.

„Wir haben die ganze Zeit bei Agatha und Willi auf dich gewartet und sind fast zu spät aufgebrochen“, zischte Moana.

„Tut mir leid! Ich hatte ein Gespräch mit Sauer.“ Denny brachte seine Freunde auf den neuesten Wissenstand, während die Musik spielte.

„Dann werden wir wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit, in der zweiten Ebene wieder mit den Xamamax zu tun haben“, schlussfolgerte Rüstem nachdenklich.

Denny nickte. „Höchstwahrscheinlich!“

Die Musik hörte auf und die Instrumente kamen zum Stillstand. Der Schulleitergab ein Räuspern von sich.

„Liebe Schülerinnen und Schüler der ersten bis achten Ebene! Bevor wir zur Zeugnisvergabe übergehen, möchte ich Ihnen noch folgendes mitteilen: <Die Älteren von Ihnen werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass es in Aule Meille Heilwasser zu kaufen gab. Das war vor über zehn Jahren. Ich freue mich, ihnen mitteilen zu dürfen, dass in diesem Jahr ein neuer Hüter des <Grünen Sees> in Erscheinung getreten ist. Seitdem kann in demselben Ort und an gleicher Stelle das heilende Wasser für Mensch und Tier wieder gewonnen werden. Haben sie bitte Verständnis dafür, dass der Name des neuen Hüters aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden darf.>“

Durch eine kurze Redepause gab der Schulleiter allen Anwesenden die Gelegenheit zum Applaudieren. Dann fuhr er weiter fort. „Kommen wir nun zur Zeugnisvergabe und beginnen wir mit den Abschlüssen der achten Ebene.“

Es folgte ein längerer und für die meisten der Kollegschüler eher langweiliger Zeitabschnitt, bei dem jeder einzelne Schüler aufgerufen wurde, um sein Zeugnis entgegenzunehmen. Denny, Rüstem und die Zwillinge waren die letzten, die ihr Zertifikat von Professor Sauer erhielten.

„Herzlichen Glückwunsch, Denny“ murmelte Sauer ihm leise zu und reichte ihm wie jedem Schüler die Hand, „mit vierhundertundfünf Punkten, hast du deine erste Hürde zum Steinmagier genommen. Wir sehen uns im nächsten Kollegjahr wieder. Grüß mir deine Eltern.“

Denny strahlte über das ganze Gesicht. Mit dieser Punktzahl war er mehr als zufrieden. Wenn man bedenkt, so dachte er, dass ihm die Kunde über seine Bestimmung erst sehr spät überbracht wurde.

Rüstem erhielt sage und schreibe vierhundertzwanzig Punkte, was im Wesentlichen daran lag, dass er in der Steinverarbeitung sowie in der Steinpflege der bessere Steinmetz war.

Mian und Moana hatten die gleiche Punktzahl. Mit vierhundertdreizehn Punkten waren sie sehr zufrieden und mit einer herzhaften Umarmung beglückwünschten sie sich gegenseitig.


Diesmal waren es die Schüler der ersten Ebene, die als erstes aus den Sofleusengehäuse stiegen, als ihnen ein tosender Begrüßungsapplaus der jubelnden Familienmitglieder und Bekannten entgegen brandete, der minutenlang anhielt.

Denny erkannte auf den Zuschauerrängen sofort seine Eltern. Neben ihnen stand Tessa, die er in den letzten Wochen im Kolleg nur selten gesehen hatte. Wehmütig drehte er sich um und sah auf den Eingang, der zu den Loren führte.

„Ey, Digger!“, Rüstem klopfte ihm von hinten auf die Schulter. „Die Ferien gehen schnell vorüber. Glaub mir. Du hast dann das Gefühl, kaum Zuhause gewesen zu sein und schon musst du zum Beutling zurück.“

„Ach, so schlimm ist es doch auch nicht“, erwiderte Denny, „eigentlich bin ich unheimlich gern zuhause. Aber im Beutling habe ich euch gefunden. Die besten Freunde, die man sich nur wünschen kann.“

Denny verabschiedete sich auf der Bühne von Rüstem und den Zwillingen, dabei ließen sie sich ausgiebig Zeit. Die Vier waren die Letzten, die die Ränge hochliefen, um zu ihren Angehörigen zu gelangen.

Tessa hatte seinen Eltern mit Sicherheit mittlerweile alles erzählt, was im ersten Jahr im Kolleg geschehen war. Überglücklich fiel er seinen Eltern in die Arme. Denny spürte, wie stolz seine Eltern auf ihn waren.

„Wisst Ihr schon alles?“

Salomé streichelte ihm sanft übers Haar und drückte Denny fest an sich.

„Ja, mein Schatz! Tessa war so lieb. Und ich bin heilfroh, dass dir nichts passiert ist. Das hätte anders ausgehen können.“

„Hätten wir eher davon erfahren, hätten wir uns sofort auf dem Weg zum Beutling gemacht. Ob wir gedurft hätten oder nicht“, erklärte Samuel, nicht ohne Tessa einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, die in dem Moment wegschaute.

„Zeigst du ihn mir nachher, wenn wir Zuhause sind?“, fragte ihn Samuel neugierig.

„Wen?“, fragte Denny irritiert.

„Na, deinen Paraiba!“

„Na, auf jeden! Das wird das Erste sein, was ich euch zeigen werde. Aber niemand sonst darf davon wissen, ok?“

„Selbstverständlich! Tessa, du bist heute natürlich herzlich eingeladen. Salomé hat extra deine Lieblingsdonuts gebacken.“

Tessas Augen leuchteten auf. „Gerne! Ich kümmere mich mal um Dennys Gepäck. Das steht sicher schon unten im Waldbühneneingang.“

Fabienne kam soeben von oben und befand sich auf der gleichen Tribühnenstufe neben Denny. Der drehte sich schnell zu seinen Eltern um. „Geht bitte schon mal vor. Wir sehen uns unten bei meinen Taschen, ok? Ich möchte mich kurz von einer Mitschülerin verabschieden.“

Lächelnd gingen die Eltern voraus.

„Nochmal vielen Dank für alles, Fabienne. Wenn du und die Elben nicht gewesen wären, stünde ich jetzt wohl nicht hier.“

„Schon ok, Denny!“, erwiderte sie und blickte verlegen zur Seite.

Ein älterer Mann schob sich an Fabienne und Denny vorbei. „Hör mal Kleines, ich fahr schon mal den Wagen vor, ja? Ich habe da vorhin zu weit weg geparkt.“

„In Ordnung, Vati!“

Als Fabiennes Vater verschwand, fragte Denny neugierig: „Wo ist denn deine Mutter? Hatte sie heute keine Zeit?“

Fabienne‘ wies unauffällig mit einem Blick zum Ende einer Zuschauerbank. Zwischen Sträuchern entdeckte Denny eine runde Lichtgestalt mit den Regenbogenfarben. Denny winkte ihr versteckt zu, woraufhin ein kurzes Aufblitzen - wie dass einer Kamera bei Nacht - erfolgte. Niemand der noch Anwesenden im Zuschauerraum bemerkte es.

„Ok, ich muss jetzt zu meinen Eltern runter. Die warten bestimmt schon auf mich. Wünsche dir schöne Ferien und bis zum nächsten Schulbeginn, ja?“

„Ja, bis dann“, lächelte Fabienne, „Tschau, Denny.“


Mit kräftigem Schwung schlug er die Wagentür zu und ging um den Wagen herum auf die Fahrerseite. Denny stockte der Atem: in seinem Gesicht prangten eine deutlich sichtbare, kreuzförmige Narbe auf der linken Gesichtshälfte und knapp darüber eine Augenklappe.

...und der grüne See
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