Sie wurden von ihren Kameraden umjubelt. Die Zwillinge kämpften sich zu Denny und Rüstem durch und fielen ihnen um den Hals. Die schauten sich verlegen an, wobei sie nicht einmal wussten, wer von wem gedrückt wurde.

Inmitten der Feiernden erblickte Denny Tobi und Marco, die mit Platz- und Schürfwunden erschöpft an einem Baum lehnten. Nicht zuletzt den beiden, war der Sieg zu verdanken. Denny begann zu zählen und kam auf vierzehn uranische Spieler. „Sind die, die ausgefallen sind, schon zurück?“

„Also vier sind im Heilzentrum bei Dr. Heising.“ Moana wusste da natürlich Bescheid.

„Dann müsste noch einer fehlen!“, stellte Mian fest und sah sich um.

In diesem Moment erschien Mike Hesken auf dem Platz. Jemand war bei ihm. Denny traute seinen Augen nicht: Tessa. Sie lief neben dem unglücklich dreinblickenden Mike her. Denny druchströmte ein Glücksgefühl, als er seine Wächterin nach so langer Zeit wiedersah. „Wir haben die Meisterschaft!“

„Na, herzlichen Glückwunsch“, kam es von Tessa nicht minder laut zurück.

Beide fielen sich in die Arme. Rüstem und die Zwillinge kamen hinzu und beteiligten sich an der Umarmungsszene.

„Hesken!“, schrie jemand laut aus der Menge. „Wo um alles in der Welt bist du Karotten-Rambo abgeblieben?“

Bernd Pilgrim ging zielstrebig auf Mike zu. „Was war mit dir los? Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Während Denny und seine Leibwächter sich den Stein geholt haben, haben wir dich überall gesucht. Du hättest eigentlich bei ihnen sein müssen.“

Moana mischte sich jetzt energisch ein.

„Hör mal, Mike hat sich doch einfach nur verlaufen, denke ich.“

„Genau!“, schloss Tessa sich an. „Als ich auf dem Weg zum Beutling war, lief er mir orientierungslos entgegen.“

Auch Mian begann, Mike in Schutz zu nehmen. „Kann doch mal passieren, vielleicht hat er die Koordinaten falsch aufgeschrieben.“

„Stimmt“, gab er kleinlaut zu, „ich wollte Zeit sparen und habe sie ein wenig abgekürzt und dann hat auch noch mein Stift den Geist aufgegeben.“

„Zeig mir mal deine Notizen“, verlangte Bernd.

Mike zog ein zerknäultes Stück Papier hervor.

Bernd schüttelte ungläubig den Kopf. „Ey, man, so schreibt man sich doch keine Koordinaten auf. Da braucht man sich wirklich nicht wundern. Und die Richtungsanzeige deiner Skala stimmt ebenfalls nicht. Bist du danach gelaufen?“

Mike schämte sich entsetzlich.

„Nein, ich hab zum Schluss gar nichts mehr kapiert und nur noch versucht, meinem Vordermann zu folgen.“

„Pass mal auf!“, begann Bernd in oberlehrerhaftem Ton. „Das hier ist kompletter Schwachsinn. Der Breitengrad, den ich euch heute Morgen mitgeteilt habe, ist ein ganz anderer als der, den du da aufgeschrieben hast, und das Grad-Zeichen hast du so groß geschrieben, dass es wie eine Null aussieht. Auf deinem Zettel steht acht Komma drei Null. Es muss aber heißen, acht Komma drei Grad östlicher Länge, klar? Und schreib die Wörter das nächste Mal gefälligst aus, verstanden?“

Mike nickte stumm.

Denny hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört.

„Bernd, kannste mir mal den Zettel geben?“

„Von mir aus. Ist jetzt eh egal. Hauptsache wir sind Meister.“, drückte Denny den Zettel in die Hand und mischte sich wieder unters Volk.

Die Zwillinge wollten ihm folgen und drehten sich nach den Jungs um.

„Kommst du, Digger?“, rief Rüstem.

„Nur einen Moment noch. Bin gleich bei euch, Kumpel!“

Auch Tessa wollte los. Sie wuschelte Denny durch die Haare und war im Begriff, zum Herrenhaus aufzubrechen. „Dann feiere mal schön, mein kleiner Steinmagier. Ich bleib auf jeden Fall noch ein paar Tage und werde mich morgen noch bei dir melden. Kann gut sein, dass Sauer sich zur Abwechslung mal wieder mit uns unterhalten möchte … falls er zufällig da sein sollte.“

Doch Denny hielt sie zurück.

„Bitte warte mal einen Moment. Ich wollte kurz noch was mit Mike besprechen.“

Tessa kräuselte die Stirn. „Ok! Ich setz mich solange vor euren Eingang.“

Denny drehte sich wieder Mike zu und sah sich das Papier genauer an.

„Kann ich den behalten?“

„Wegen mir. Ich brauche ihn sowieso nicht mehr.“

Denny legte seine Hand auf Mikes Schulter. „Na, komm schon. Das von heute kann doch jedem passieren.“

„Meinst du? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Hör auf, dich zu ärgern. Du hast dich genauso reingekniet wie alle anderen, also komm, feiere mit.“

Während Mike langsam zu den Feiernden trottete, lief Denny zu Tessa und zog sie am Ärmel hinter sich her. „Komm mit. Ich glaube, wir haben jetzt wirklich Grund zum Feiern.“

„Ich soll mit reinkommen? Das ist doch eure Feier!“

„Ich meine ja nicht diese Feier. Wir müssen erst die anderen holen, und dann gehen wir zu Agatha. Dort sind wir ungestört. Ich will euch nämlich was Interessantes zeigen.“ Er fand Rüstem und die Zwillinge mitten auf der Tanzfläche und schob sie sofort aus der Menge. „Kommt! Wir gehen zu Agatha!“, brüllte Denny gegen die laute Musik an.

Moana fing an zu jammern: „Oh nee! Nicht bei der geilen Mucke. Lass uns doch erst mal richtig feiern. Hat das nicht Zeit?“

„Was ist denn los?“ Auch Mian verausgabte sich gerade mit Begeisterung.

„Es ist wichtig“, drängte Denny, „ich muss euch unbedingt was zeigen. Ich bin mir zwar nicht sicher, aber es könnte sein, dass wir dem <Grünen See> ein bisschen nähergekommen sind.“

Das war das richtige Stichwort. Denny musste sich nicht noch einmal wiederholen. Sie drängten sich durch die hüpfende, schwitzende Masse und schlüpften zu Agatha in die Wohnung.

Waldemar saß, seine Pfeife rauchend, am Küchentisch. „Hab´s schon gehört, Leute! Herzlichen Glückwunsch. Habe eigentlich nichts anderes erwartet.“

„Danke!“, erwiderte Denny kurz und marschierte schnurstracks zum Küchentisch. Kommentarlos schob er Waldemars Pfeifenutensilien beiseite. Der blickte nur fassungslos auf diesen Vorgang.

„Was fällt euch auf?“ Denny legte Mikes Zettel auf den Tisch.

Rüstem verzog die Augenbrauen. „Das sind Mikes katastrophale Notizen. Was soll mir da auffallen?“

„Schaut sie euch an und denkt nach.“

Nun beugten sich alle über den Tisch und starrten auf den Zettel.

Moana wurde ungeduldig. „Nun sag schon. Spann uns nicht auf die Folter und erklär uns gefälligst, was das Ganze hier soll.“ Sie wollte weiterfeiern.

„Also gut! Mike hat hier unter dem Breitengrad lediglich das Wort Breite geschrieben und darunter nur den Buchstaben N, daneben hat er den Längengrad acht Komma drei vermerkt und das Gradzeichen ist so groß, dass man es für eine Null halten kann. Also acht Komma drei Null. Direkt darunter hat Mike mit dem Wort Länge wieder Längengrad gemeint und das O darunter soll die Abkürzung für Osten sein.“

Tessa verstand rein gar nichts, was daran lag, dass ihr noch einige Puzzlesteine fehlten.

Mian war die Erste, die ahnte, worauf Denny hinauswollte. „Na, dann leg doch jetzt mal das Zettelchen aus dem Paraiba-Kästchen daneben.“

Das ließ sich Denny nicht zweimal sagen. Mittlerweile stand auch die Übersetzung der anderen Zeichen darauf.

„Wow, du weißt was die Zeichen bedeuten?“, Tessa staunte nicht schlecht. Sie erhielt einen kurzen Bericht der Ereignisse während Dennys Praktikum.

„Also ich komme da noch nicht wirklich mit“, gab Moana zu.

„Ich will damit sagen, dass wir völlig falsch lagen. Es war keineVerabredung gemeint. Kein Datum und keine Uhrzeit … es sind verschlüsselte Koordinaten.“

„Unter acht Komma vier Null steht das angelsächsische Wort Länge und darunter das O für Osten. Das bedeutet ganz einfach acht Komma vier Grad östlicher Länge.“

Mian rümpfte die Nase. „Und was hat es dann mit dem Breitengrad auf sich? Auf dem Zettel steht fünf Punkt zwei und auf Mikes Zettel steht dreiundfünfzig!“

„Genau!“, bestätigte Denny. „Mike hatte sich den falschen Breitengrad aufgeschrieben, und zwar dreiundfünfzig, darunter das Wort Breite und darunter wiederum den Buchstaben N. Mit diesen Koordinaten musste er sich verlaufen.“

„Und wie muss es wirklich heißen?“, fragte Moana.

„Zweiundfünfzig! Deutschland liegt nie und nimmer am dreiundfünfzigsten Breitengrad“, versicherte Denny. „Mike hat mich durch sein Missgeschick und diese Schreibweise darauf gestoßen. Fünf Punkt Zwei bedeutet zweiundfünfzigster Breitengrad und nicht 5. Februar.“

Rüstem strahlte auf einmal.

„Zweiundfünfzig nördlicher Breite und acht Komma vier Null östlicher Länge. Wahnsinn! Alter, wie geil ist das denn? Wir haben `s raus!“

Tessa schwieg. Sie studierte und verglich wie Agatha und Waldemar stumm die beiden Zettel. „Alle Achtung, Denny. Wir hatten also die ganze Zeit die Koordinaten vom <Grünen See> in den Händen. Ohne Mike währen wir vielleicht nie darauf gekommen.“

Moana klatschte begeistert in die Hände. „So weit, so gut. Da wir jetzt endlich wissen, wo sich der See befindet, stellt sich die Frage: <Wann brechen wir auf?>“

„Moment!“, bremste Tessa. „Zuerst möchte ich den Rest erfahren. Denny kann mir in fünf Minuten doch nicht alles erzählt haben, oder?“

„Im Grunde schon … na gut, im Zeitraffer.“ Es dauerte eine volle Stunde, dann wusste Tessa alle Details. Agatha reichte Holunderbrot mit Sirup und die Siegesfeier der Uraner erfolgte erstmal ohne die vier Freunde.

Im Anschluss an die Berichterstattung fragte Waldemar: „Und wo ist dieser <Grüne See> denn nun?“

Rüstem wollte es auch wissen und zog die Karte des gesamten Teutoburger Waldes und seinen Kompass aus der Anzugtasche. Er fing an zu schmunzeln. „Habe vergessen, die Sachen nach dem Spiel wieder abzugeben. Manchmal kann Vergesslichkeit also auch nützlich sein.“

Gebannt starrten alle auf den Tisch und bestaunten Rüstems ausgeprägte Fingerfertigkeit. Im Handumdrehen hatte er mit Hilfe der Koordinaten den höchstwahrscheinlichen Standort des Sees bestimmt. Sofort legte er den Kompass auf den Punkt, wo sich ihr Mammutbaum befand und zog mit einem Stift eine gerade Linie quer über die Karte zum Zielpunkt. Zufrieden richtete sich Rüstem wieder auf und setzte den Kompass nochmals an. Denny und alle anderen im Raum warteten gespannt auf Rüstems Ergebnis.

Denny platzte vor Ungeduld. „Und? Wo ist er?“

„Agatha? Wo war bei dir noch mal das Klo?“ Rüstem genoss es, einmal der Einzige zu sein, der etwas Wichtiges wusste.

Moana reagierte genervt. „Hör mal, du Pfeifenkopf! Wenn du nicht sofort die Info rüberwachsen lässt, wirst du in den nächsten Tagen auf keinem Klo sitzen können, kapito?“

„Ja, is` ja gut, man! Chill mal. Man wird doch wohl mal scherzen dürfen!“

„Mag sein, aber nicht jetzt. Nun sag schon. Wo isser?“

„Also …“, begann er langsam, „der <Grüne See> müsste sich genau zwischen Leopoldshöhe und Örlinghausen befinden und die Laufrichtung auf dem Kompass zeigt hundertfünfundfünfzig Süd-Süd-Ost an.“

„Klasse!“, schwärmte Mian. „Ich stelle schon mal eine Liste von Dingen zusammen, die wir mit Sicherheit benötigen, wenn wir uns aufmachen.“

„Nein!“, entschied Tessa. „Nicht, bevor der Frühling angebrochen ist und kein Schnee mehr liegt. Unter den Schneedecken in den Wäldern liegen Seen verborgen, die man im zugefrorenen Zustand nicht sehen kann. Ihr könntet im Eis einbrechen.“

Denny gab Tessa schweren Herzens Recht. „Stimmt, wir sollten auf den Frühling warten oder zumindest darauf, dass kein Schnee mehr liegt. Bis dahin bleibt genügend Zeit, uns auf die Exkursion vorzubereiten. Außerdem stehen demnächst Prüfungen der ersten Ebene an, und ich will nach dem Sommer unbedingt in die zweite.“

„Ich werde natürlich mitkommen!“, platzte Waldemar dazwischen. „Ja, was schaut ihr denn so? Ich bin schließlich der Einzige, der sich hier in den Wäldern auskennt.“

Denny nickte zustimmend und mit einem Grinsen. „Jemanden Ortskundigen wie dich zu haben, wäre mehr als nur hilfreich.“

Ab diesem Zeitpunkt begann ein energisches Warten auf die Schneeschmelze.

...und der grüne See
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
part0000_split_000.html
part0000_split_001.html
part0000_split_002.html
part0000_split_003.html
part0000_split_004.html
part0000_split_005.html
part0000_split_006.html
part0000_split_007.html
part0000_split_008.html
part0000_split_009.html
part0000_split_010.html
part0000_split_011.html
part0000_split_012.html
part0000_split_013.html
part0000_split_014.html
part0000_split_015.html
part0000_split_016.html
part0000_split_017.html
part0000_split_018.html
part0000_split_019.html
part0000_split_020.html
part0000_split_021.html
part0000_split_022.html
part0000_split_023.html
part0000_split_024.html
part0000_split_025.html
part0000_split_026.html
part0000_split_027.html
part0000_split_028.html
part0000_split_029.html
part0000_split_030.html
part0000_split_031.html
part0000_split_032.html
part0000_split_033.html
part0000_split_034.html
part0000_split_035.html
part0000_split_036.html
part0000_split_037.html
part0000_split_038.html
part0000_split_039.html
part0000_split_040.html
part0000_split_041.html
part0000_split_042.html
part0000_split_043.html
part0000_split_044.html
part0000_split_045.html
part0000_split_046.html
part0000_split_047.html
part0000_split_048.html
part0000_split_049.html
part0000_split_050.html
part0000_split_051.html
part0000_split_052.html
part0000_split_053.html
part0000_split_054.html
part0000_split_055.html
part0000_split_056.html
part0000_split_057.html
part0000_split_058.html
part0000_split_059.html
part0000_split_060.html
part0000_split_061.html
part0000_split_062.html
part0000_split_063.html
part0000_split_064.html
part0000_split_065.html
part0000_split_066.html
part0000_split_067.html
part0000_split_068.html
part0000_split_069.html
part0000_split_070.html
part0000_split_071.html
part0000_split_072.html
part0000_split_073.html
part0000_split_074.html
part0000_split_075.html
part0000_split_076.html
part0000_split_077.html
part0000_split_078.html
part0000_split_079.html
part0000_split_080.html
part0000_split_081.html
part0000_split_082.html
part0000_split_083.html
part0000_split_084.html
part0000_split_085.html
part0000_split_086.html
part0000_split_087.html
part0000_split_088.html
part0000_split_089.html
part0000_split_090.html
part0000_split_091.html
part0000_split_092.html
part0000_split_093.html
part0000_split_094.html
part0000_split_095.html
part0000_split_096.html
part0000_split_097.html
part0000_split_098.html
part0000_split_099.html
part0000_split_100.html
part0000_split_101.html
part0000_split_102.html