Tessa ließ sich immer noch nicht blicken. Nach dem Zwischenfall mit den Xamamax rechnete Denny damit, dass sie sich melden würde. Doch nichts dergleichen geschah. Nicht mal eine Nachricht überbrachte ihm seine Wächterin. Langsam kam Denny das merkwürdig vor.

Lediglich Direktor Sauer ließ Denny nach den Erlebnissen beim Stonecashtraining zu sich holen. Da Denny den Paraiba-Turmalin unter allen Umständen in seiner Nähe behalten wollte und versicherte, dass er ihn gut versteckt hätte und auch sonst nur spärliche Informationen preisgab, dauerte das Treffen keine Viertelstunde. Zum Schluss teilte ihm der Schuldirektor mit, dass er in den nächsten Monaten unterwegs sein würde und mit seiner Rückkehr erst zum Stonecash-Wettbewerb zu rechnen sei. Denny war das nur recht, so gewann er Zeit, um sich gemeinsam mit seinen Freunden einen Plan zur Auffindung des <Grünen Sees> auszudenken.

Die wenige, übrige Zeit nutzen Denny und Rüstem, um ihre Sprung- und Lauftechnik zu verbessern. Mittlerweile hatte sich die gesamte Mannschaft von Training zu Training gesteigert und war bestens aufeinander abgestimmt. Denny wurde vom Mannschaftskapitän als Geheimwaffe bezeichnet, was ihm natürlich gefiel.


„Ey, Alter, wir haben einen wahnsinnigen Vorteil“, schwärmte Rüstem. „Wenn du dich noch weiter steigerst, könntest du sogar als Schläfer eingesetzt werden.“

„Als Schläfer?“ Denny wunderte sich, dass er noch immer nicht alles über seine neue Lieblingssportart wusste. Immerhin hatte er den Begriff schon einmal gehört.“

„Klar, Mann! Ein Schläfer ist ein heimlicher Läufer, der während des Spiels voll unauffällig bleibt. Der Gegner denkt, jemand anderer ist der Läufer, weil die Leibwächter die ganze Zeit bei dem anderen sind.“

„Echt cool die Idee“ grinste Denny, „bin ja gespannt, was für Koordinaten wir erhalten und wohin es uns im Teutoburger Wald verschlagen wird. Wie kommen wir eigentlich an die Angaben dran?“

„Die Karte mit den Koordinaten wird durch den hausinternen Botendienst dem Kapitän überreicht.“

„Botendienst?“

Moana konnte endlich etwas beisteuern. „Ich weiß von Nihora, dass die Boten zwei Zwergenbrüder mit den Namen Willi und Wolli sind. Genauer gesagt sind es Zwillinge wie wir, aber sie sieht man wirklich immer nur zu zweit.“

„Warum?“, wollte Rüstem wissen.

„Weil sie allein keinen vollständigen Satz auf die Reihe kriegen. Echt schräg die beiden. Nihora meinte, wenn man die Augen zumacht, hat man das Gefühl, dass nur einer redet.“

„Gewonnen!“, rief Mian mit hochgestreckten Armen. Auf dem Spielbrett zwischen den beiden Geschwistern leuchtete das Sternkreiszeichen des Wassermanns rot auf.

„Ach, Menno! Schon das dritte Mal hintereinander“, murmelte Moana resigniert.

Mian rieb sich genüsslich die Hände. „Mach dir nichts draus. Der Sieg bleibt in der Familie. Nochmal?“

„Nö“, wehrte ihre Schwester ab, „so langsam werde ich müde.“

„Ok.“ Schnell räumte Mian das Spiel in den Trickkoffer.

„Ey, sagt mal“, Rüstems Blick ruhte auf dem Koffer, „ist der Stein da wirklich noch irgendwo drin?“

„Natürlich“, entrüstete sich Moana, „glaubst du, bei uns wäre sowas Kostbares nicht gut aufgehoben?“

„So war das nicht gemeint. Ey, komm schon, ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen. Außerdem gibt der megakrasse Farben ab, wenn Denny in der Nähe ist.“

Denny spürte dasselbe Bedürfnis, seinen Paraiba zu Gesicht zu bekommen und mal wieder in den Händen zu halten.

Moana gab einen ausgiebigen Gähnlaut von sich und gab scheinbar gelangweilt nach. „Na, meinetwegen. Aber danach ist Matratze angesagt, klar?“

„Ok!“, versprachen beide Jungen folgsam.

Mian war noch nicht müde und eifrig schob sie den Koffer aus der Ecke. Moana zog daraufhin die Schubladen in bestimmter Reihenfolge auf und holte das Kästchen mit Dennys Stein hervor.

Moana wollte den verschlossenen Paraiba gerade auf den Tisch setzen, als sie ins Straucheln geriet und rücklings über einen Sessel fiel. Die Holzschachtel glitt aus ihren Händen, schlug auf dem Dielenboden auf und zerbrach in alle Einzelteile.

Sie starrten einen Moment wie versteinert auf die Trümmer. Denny warf sich auf die Knie und entdeckte den Stein unter dem Sessel. Der Turmalin hatte sofort zu leuchten begonnen, als er in Dennys Händen lag. Vorsichtig drehte er ihn. Zu seiner Erleichterung hatte der Stein nichts abbekommen.

Moana war auf einen Schlag wieder hellwach. Erschrocken stammelte sie: „Oh Denny! So ein Mist! Es … es tut mir so leid. Ich … ich hab einen Moment nicht aufgepasst. Ist er noch ganz?“

„Schon ok“, erwiderte Denny, der seinen grell leuchtenden Stein sanft auf den Tisch legte.

Rüstem versuchte Moana zu beruhigen: „Dem Paraiba ist nichts passiert. Gleich morgen besorg ich einen neuen Kasten oder was ähnliches für ihn.“

„Es tut mir trotzdem schrecklich leid.“ Moana schaute sich den Edelstein vorsichtshalber noch einmal von allen Seiten an, um ganz sicher zu sein, dass wirklich nichts passiert war. Mian kehrte inzwischen die Einzelteile der Schachtel zusammen.

„Moment mal!“

Moana schreckte zusammen. „War die Schachtel doch wertvoll?“

„Nein, nein! Da … da liegt was Weißes dazwischen.“

Denny sah es jetzt auch, bückte sich und zog ein kleines zusammengerolltes Stück Papier heraus. „Die Schachtel muss einen doppelten Boden gehabt haben“, stellte er erstaunt fest. Vorsichtig rollte er den Zettel auf. Die Größe entsprach dem eines Kassenbons aus dem Supermarkt.

Neugierig schaute ihm Rüstem über die Schulter und sah nur Zahlen, Buchstaben und Zeichen, die ihm fremd waren. „Was steht `n da?“

„Könnte eine Botschaft sein …“, dachte Denny laut nach und breitete das Zettelchen neben seinem hell erleuchteten Paraiba für alle sichtbar auf dem Tisch aus:










„Hab keinen Plan, was das heißen könnte“, murmelte Rüstem und kratzte sich am Hinterkopf.

„Da ging es wohl um eine Art Verabredung an einem 5.2. um 8 Uhr 40“, mutmaßte Mian.

„Glaube ich auch“, stimmte ihr Moana zu, „aber in welchem Jahr genau? Und wer ist N. O.? Die Zeichen darunter habe ich auch noch nie gesehen.“

Denny war ratlos. Er wusste weder mit der Uhrzeit noch mit dem Datum etwas anzufangen. Wer konnte sich hinter N. O. verbergen? Soviel er auch grübelte, er kannte niemanden, dessen Vor- oder Nachname mit diesen Buchstaben begannen. Auch seine Freunde zuckten ratlos mit den Schultern oder schüttelten den Kopf.

„Eines steht fest“, war er sich sicher, „da stehen Datum und Uhrzeit. Vielleicht ist an diesem Tag etwas passiert oder es könnte noch etwas passieren um acht Uhr vierzig eines fünften Februars.“

„Und das darunter?“ Rüstem tippte mit dem Finger auf die Zeichen.

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„Keine Ahnung. Womöglich eine Art Geheimschrift. Aber sicher bin ich mir nicht“, tippte Denny.

Die Schwester packten die Überbleibsel der Schachtel in eine Plastiktüte und verstauten sie zusammen mit dem Stein wieder in dem Trickkoffer.

„Also!“, fasste Denny  zusammen, „Wir haben den Paraiba-Turmalin, wissen, dass es im Teutoburger Wald einen <Grünen See> gibt und kennen einen Zeitpunkt aus der Vergangenheit oder der Zukunft.“

„Was wir nicht wissen“, fuhr Rüstem fort, „ ist, was diese Zeichen darunter bedeuten und wer N. O. ist?“

Denny seufzte hörbar auf. „Richtig. Wir tappen sozusagen weiter im Dunklen“

Moana fing an zu lächeln. „Aber es spricht ja wohl nichts dagegen, wenn Mian und ich uns mal wieder in der Bibliothek umschauen und dort in den alten Runenbüchern blättern.“ Eifrig schrieb sie die geheimnisvollen Zeichen auf ein anderes Stück Papier.

Moanas Vorschlag fand ohne Ausnahme Zustimmung. Moanas Zettel steckte Denny ein.








11. Der Prinz von Gessim

Es war spät geworden. Denny und Rüstem wollten gerade zurück in ihr Zimmer, als Denny unvermittelt stehen blieb und den Finger zum Mund führte. „Psst!“ Denny bewegte sich nicht mehr. „Draußen auf dem Gang …!“

Rüstem, Mian und Moana blieben ebenfalls wie angewurzelt stehen und rührten sich nicht vom Fleck. Auch sie hörten jetzt die Geräusche an der Zimmertür.

Rüstem, schon in Türnähe, schlich sich langsam an sie heran. Schlagartig riss er sie auf, konnte aber niemanden entdecken. Jemand hastete geräuschvoll die Wendeltreppe hinunter.

„Los!“, zischte Rüstem. „Hinterher! Vielleicht hat der was mitgehört.“

Denny und die Mädchen folgten Rüstem, der  in Sekundenschnelle an der Treppe ankam und hinunter raste. Erst unten im Gemeinschaftsraum holten sie ihn ein. Doch dort regte sich nichts mehr. Nur die Bergkristalle fingen an zu schimmern. Es gab nur zwei Möglichkeiten, den Gemeinschaftsraum zu verlassen. Zum einen gab es die normale Eingangstür - die aus Dennys Sicht zu weit vom Treppenabsatz entfernt lag - zum anderen die kleine Wohnungstür zu Agathas Reich ganz in der Nähe.

Dennys Augen richteten sich auf letztere und verengten sich.

„Ich denke, jetzt ist die richtige Zeit, mal bei Agatha reinzuschauen.“


Moana schritt langsam auf die Tür zu und drückte vorsichtig die Klinke nach unten … unverschlossen. Sie schauten in einen Korridor. Denny und seine Freunde mussten sich beim Eintreten ducken. Moana zückte einen Bergkristall und sorgte damit erst einmal für Licht. „Vorsicht“, hauchte sie, „hier geht eine Treppe hinunter.“

Unten angkommen, standen sie vor einer weiteren Tür. Licht schimmerte darunter hervor. Schatten waren zu erkennen, die sich im Licht hin und her bewegten. Flüsternde Stimmen waren zu hören.

Wie auf Kommando krempelten sie ihre Ärmel hoch. Denny dachte angestrengt nach, mit welcher Wirkung er sich im Falle einer Auseinandersetzung verteidigen sollte. Vor Agatha brauchten sie wohl keine Angst zu haben. Er plante eine Zweierkombination <Roter Aventurin-Hämatit>.

Die Freunde schauten sich an und Denny hob die Hand um die Finger bis drei zählen zu lassen. Rüstem und die Zwillinge hoben den Daumen, sie hatten begriffen. Beim dritten erhobenen Finger riss Denny die Tür mit einem Ruck auf und sie stürmten in den Raum. Es war Agathas Küche. Ein sitzendes Zwergenpaar am Küchentisch schreckte auf. Agatha schlug die Hände vors Gesicht. Ihr gegenüber saß ein Zwerg, der Denny bekannt vorkam. Der Zwerg griff zu seiner auf dem Tisch liegenden Spitzhacke und stürmte auf die Freunde los. Drei Finger zeigten auf ihn und der kleine feuerrote Ball, der aus Dennys Fingern schoss, traf den Zwerg mit voller Wucht, sodass er rücklings gegen den Küchentisch krachte und seine Hacke fallen ließ. Sofort richtete sich der Zwerg wieder auf, schnappte sein Werkzeug und warf es Denny entgegen. An Moanas Lederband leuchtete ein Jadestein. Sie brachte die Spitzhacke noch im Fliegen zum Stehen und ließ sie in die Ecke fliegen.

Rüstem schien nicht an eine Wirkung gedacht zu haben, sondern stürmte auf den Zwerg zu und schmiss sich ihm entgegen. Der geriet ins Straucheln und landete wieder auf dem Rücken. Rüstem setzte sich rasch auf ihn und drückte seine Arme auf den Boden.

Agatha rührte sich nicht. Mian behielt sie im Auge.

Denny bemerkte, dass Rüstems Kräfte langsam nachließen und der Zwerg nicht die Absicht hegte, aufzugeben. Strampelnd und fluchend stemmte sich der Zwerg mit aller Kraft gegen Rüstem. Denny eilte seinem Freund zu Hilfe und versuchte, die Zwergenbeine festzuhalten … was wenig half. Der Kleinwüchsige verfügte über eine enorme Kraft für seine Größe.

Moana eilte herbei, kniete sich neben den Zwerg, tippte ihm mit dem Finger auf den Kopf und siehe da, er wurde augenblicklich steif und rührte sich nicht mehr. Die Augen starrten an die Decke.

„Was habt ihr getan?“ In Agathe kehrte das Leben zurück und entsetzt schaute sie auf die Nachwuchsmagier.

„Keine Angst, Agatha!“, versuchte Mian sie zu beruhigen. „Er bleibt nur für eine kurze Weile in diesem Zustand.

...und der grüne See
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