7. Großvaters Erbe
essa holte Denny wie versprochen vor dem Gebäude für Edelsteinkunde ab. Gut gelaunt kam sie den Freunden entgegen. „Hallo zusammen. Können wir gleich los, Denny?“
Lust hatte er keine. Viel lieber wäre er mit seinen Freunden zusammen geblieben. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie Freunde besessen. Freunde, mit denen er zusammen sein, und gemeinsam etwas unternehmen konnte, und sei es in der Bibliothek nach Büchern stöbern. Widerwillig schlurfte er auf Tessa zu.
Moana schob ihn energisch von hinten an.
„Nun mach schon. Geh ruhig mit. Wir kümmern uns schon um den <Grünen See> und treffen uns heute Abend um halb sieben im Gemeinschaftsraum, ja?“
„OK, dann bis später“, grummelte Denny und folgte Tessa in das Gebäude, das sie soeben verlassen hatten. Sie nahmen auch dieselbe Treppe, gingen aber noch tiefer hinunter. Denny fand sich in einem Labyrinth aus Gängen wieder. Er konnte kaum Schritt halten und merkte, dass sich seine Wächterin in diesem verästelten System perfekt auskannte.
„Grüner See?“ Tessas Neugier war geweckt. „Was hat der mit Edelsteinen zu tun? Nehmt ihr den gerade in Edelsteinkunde durch?“
„Nein, natürlich nicht! Aber ich kann dir später erklären, wo ich das gehört habe. Hast du denn eine Ahnung, was der <Grüne See> ist?“
Tessa dachte kurz nach.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber solch einen See gibt es nur einmal und zwar irgendwo in Südamerika. Angeblich existieren aber noch mehr davon. Wo, weiß ich auch nicht. Bislang gibt es nur irgendwelche Geschichten, dass er eigentlich gar nicht grün sein soll, und dass das Wasser etwas Besonderes ist. Endlich standen sie vor einer schweren reich verzierten Eichentür.
„Hör mal, Denny, benimm dich und keine flapsigen Ausdrücke, klaro? Die kann er sowieso nicht verstehen.“
„Ja, gebongt. Ist knäcke. Hab verstanden!“ Denny grinste - Tessa auch. Sie klopfte nicht, sondern schlug mit der Faust gegen das Türmonstrum. Es hörte sich seltsamerweise trotzdem wie ein Klopfen an.
Ein kaum hörbares <Herein> war zu vernehmen. Tessa zog die Tür mit beiden Händen auf und ließ Denny den Vortritt. Sie folgte ihm, lief geradewegs auf ein Sofa neben der Tür zu und machte es sich gemütlich.
Das Zimmer war hell und farbenprächtig beleuchtet. Denny hatte den Eindruck, dass das Zimmer durch Regenbogen erhellt wurde. Sie verteilten sich im gesamten Raum. Wie war so eine Wirkung möglich? Regale mit fußballgroßen Steinen, Skulpturen und Amuletten ließen an den Wänden kaum Platz und dieser war mit Bildern belegt. Ein riesiger, vollständig ausgehölter Bergkristall stand auf dem Boden und war zu einem Aquarium umfunktioniert. In seinem Inneren schwammen Fische, die Denny noch nie gesehen hatte. Zahlreiche aus Stein gearbeitete Springbrunnen trugen zum Farbenmeer im Büro des Direktors bei. Das Wasser nahm stets die Farben der Umgebungssteine an. Das Farbspiel faszinierte Denny. Erstaunt blieb er vor einem großen Fenster stehen, durch das er auf Wälder und Seen blicken konnte. Steinadler rauschten in weiter Ferne am Fenster vorbei. Wie konnte so etwas sein? Das Schulleiterbüro lag tief im Inneren der Erde - oder nicht? Waren Sie doch wieder nach oben gegangen, und er hatte sich getäuscht?
„Erstaunlich, nicht wahr?“ Vor lauter Eindrücken hatte er den Schreibtisch übersehen, hinter dem der Mann saß, der die Eröffnungsrede für die Schüler gehalten hatte.
„Guten Tag, Herr Professor!“ Denny ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der Professor war hinter seinem Schreibtisch aufgestanden. Seine Statur wirkte aus der Nähe betrachtet gewaltiger als gestern. Sein dunkles, lockiges Haar reichte bis zu den Schultern. Der gepflegte schwarze Vollbart verband beide Ohren miteinander. Er ließ lediglich freie Sicht auf seine Augenpartie, einschließlich der kräftigen Nase zu. Der Schulleiter hatte hellblau schimmernde Augen, die, wie Denny empfand, nicht so recht zu seinem Gesicht passten. Dieser große Mann trug, wie alle Schüler des Kollegs, einen einteiligen grünen Anzug. Darauf waren alle drei babylonischenZeichen der Baumgemeinschaften angebracht und zusätzlich war er mit goldenen Steinen besetzt.
„Willkommen, Denny! Ich bin Professor Sauer und wie du sicherlich schon mitbekommen hast, der Schulleiter.“Kräftig schüttelte er Dennys Hand. „Hattest du einen guten Start?“
„Ja, Herr Professor, hatte ich.“ Denny rieb sich seine Hand. Hatte der eine Kraft.
„Ich habe gehört, dass du bereits Freunde gefunden hast. Rüstems Großvater gehört wie ich zu den Ältesten unserer Gemeinschaft, ebenso wie dein Großvater dazu gehörte.“
Mit einer Handbewegung bat der Schulleiter Denny, auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz zu nehmen. „Tessa berichtete mir kurz von einigen Zwischenfällen mit den Xamamax. Könnte ich etwas mehr von diesen Vorfällen erfahren?“ Er sah Tessa erstmals an.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Denny und seine Wächterin dem Direktor bis ins Detail berichtet hatten, was bisher geschehen war. Die Begegnung mit Fred, dem Zwerg, verschwieg Denny. Diese Begebenheit hatte er für sich noch nicht einordnen können. Er wollte lieber noch abwarten, bis Rüstem und die Zwillinge etwas über den <Grünen See> herausgefunden hatten.
Professor Sauer schwieg eine Weile und wirkte nachdenklich. Dann schaute er Denny in die Augen.
„Denny, du musst wissen, dass auch die Xamamax eine Schule für Steinmagier haben. Diese liegt im Harz und wird <Brockenwald> genannt. Mittlerweile ist es die Regel, dass auch sie versuchen, junge Schüler wie dich für ihre Schule zu gewinnen, wobei die meisten eher gezwungen, ja, regelrecht verschleppt werden.“
„Aber wieso sind sie mir zweimal und immer zu zweit begegnet? An der Reaktion meiner Eltern und Tessa habe ich gemerkt, dass das sonst nicht üblich ist?“
„Ich kann mir vorstellen warum.“
„Nämlich?“
Professor Sauer sah zu Tessa hinüber, die kurz vorm Einnicken war. „Tessa? Würden Sie uns bitte einen Moment allein lassen? Ich würde gern mit Denny unter vier Augen sprechen.“
Tessa sprang. „Aber Herr Professor! Ich bin seine Wächterin! Wie soll ich ihn schützen, wenn mir Informationen fehlen?“