Glückwünsche
Kaum, dass Dewayne seine Schwester losgelassen hatte, schlang auch schon Neve ihre Arme um sie. Die wunderschöne Elfe war in dicke Kleidung gehüllt. Da sie ansonsten von sehr zierlicher Gestalt war, konnte man ihren kugeligen Bauch unter den vielen Kleidern allerhöchstens erahnen.
Mit strahlenden Augen lächelte Neve Arrow an. Es stimmte, was die Leute sagten – eine Schwangerschaft schien eine ohnehin hübsche Frau noch schöner zu machen. Und das war die Elfe auch – schön wie eh und je. Nie zuvor hatte sie ihre Freundin so glücklich gesehen.
In den nächsten Minuten wurde Arrow regelrecht mit Glückwünschen überhäuft. Obwohl es mitten am Tag war, waren sogar Smitt und Bon sowie alle anderen Zwerge erschienen. Und kein einziger von ihnen ließ es sich nehmen, dem Geburtstagskind persönlich zu gratulieren. Gleich nach ihnen folgte Row, der zusammen mit Dewayne und Neve aus dem Elfenreich angereist war. Und Annes Augen strahlten voller Stolz, als sie ihren Schützling auch endlich mal in die Arme schließen konnte.
Sally überreichte Arrow freudestrahlend einen Satz Kochlöffel. Inzwischen zählte Arrow Sallys hartnäckige Versuche, aus ihr eine Hausfrau machen zu wollen, nicht mehr. Und obwohl das Geschenk der Köchin einmal mehr vergebens war wie zuvor schon Rezeptbücher, Pfannen und ein mehrteiliges Schlachtbeil-Set, rechnete Arrow ihr die liebevoll ausgesuchten Präsente hoch an. Die übrigen Anwesenden schüttelten über Mitbringsel dieser Art nur die Köpfe. Es war ja nicht so, dass Arrow es nicht schon mal mit dem Kochen versucht hätte. Allerdings war sie damit nirgendwo auf Gegenliebe gestoßen. Kein einziger ihrer Vorkoster hatte ihr nach ihren kläglichen Kochexperimenten auch nur den geringsten Hauch von Freundlichkeit vorgeheuchelt. Harold hatte Arrow sogar einen Vergiftungsversuch vorgeworfen. Einzig Adam war von ihrem Mahl ganz angetan gewesen. Er hatte gesagt, dass es ihn an die Kochkünste seiner Mutter erinnern würde. Und auch wenn er ums Verrecken nicht mehr als einen Löffel davon hatte zu sich nehmen wollen, war er von Arrows Bohnenmassaker – wie er es liebevoll genannt hatte - ganz begeistert gewesen.
Nachdem alle Gratulanten ihre Glückwünsche bekundet hatten und Arrow der Kochlöffelsatz gewaltsam von Smitt entwendet worden war, hielt sie nach Keylam Ausschau. Ganz im Hintergrund hielt er sich auf und warf ihr verstohlene Blicke zu. Als sie zu ihm ging, konnte sie sich ein charmantes Lächeln nicht verkneifen.
„Ich nehme an, dass es kein Zufall war, dass die letzten Fensterläden so unter Zeitdruck montiert wurden“, sagte sie schnippisch.
Keylam zuckte mit den Schultern. „Was sollte ich machen? Die Zwerge wollten unter gar keinen Umständen erst am Abend dazustoßen. Und ich nehme an, dass ein plumper Steingarten kein sehr reizvolles Geburtstagsgeschenk für dich gewesen wäre.“
Tatsächlich war jede noch so kleine Ritze perfekt abgedichtet worden. Kein einziger Sonnenstrahl hatte eine Chance, auch nur ein einzelnes Barthaar eines Zwerges in Stein verwandeln zu können, geschweige denn einen ganzen Zwerg. Alles war bis ins kleinste Detail durchdacht.
„Was ist das?“, fragte Arrow und deutete auf den samtenen Vorhang zwischen den wuchtigen Bücherregalen.
Verlegen fuhr Keylam sich durch sein dunkles Haar. „Das sollte mein Geburtstagsgeschenk für dich werden.“
Als Arrows Augen schon zu leuchten begannen musste Keylam sie schweren Herzens bremsen. „Ich habe es noch nicht fertigstellen können“, sagte er. „Eigentlich möchte ich es dir erst präsentieren, wenn es vollendet ist.“
Dankbar lächelte Arrow ihn an. „Kein Problem“, erwiderte sie. „Ich lasse mich gern von dir überraschen.“
„Es tut mir wirklich leid“, versuchte Keylam sich abermals zu rechtfertigen. „Plötzlich hatten wir jede Menge um die Ohren. Erst die Fenster und dann musste auch immer jemand für deine Ablenkung sorgen. Und auf einmal war da noch ...“ Bevor er weitersprechen konnte, presste Arrow sanft ihren Mund auf seine weichen Lippen. Keylam schmeckte nach Erdbeeren und roch, wie so oft , nach Ölfarben. Arrow war glücklich, dass er wieder mit dem Malen begonnen hatte. Er beherrschte eine Technik, die es wohl verstand, seinen Bildern Leben einzuhauchen. Und es füllte ihn aus. Die alten Kunstwerke waren längst alle freigelegt und restauriert worden. Darüber hinaus gab es aber noch genügend jungfräuliche Wände, die endlich eine eigene Geschichte erzählen wollten. Viele Lücken hatte Keylam schon gefüllt, doch über die Hälfte der Schlossräume wartete noch immer gänzlich nackt auf Farben und Darstellungen.
Als Arrow sich aus dem Kuss löste, lächelte sie schelmisch. „Und bis dein Kunstwerk soweit ist, kann ich mich ja noch an den anderen Geschenken erfreuen.“ Verstohlen holte sie einen der Kochlöffel hinter ihrem Rücken hervor.
Keylam entglitten die Gesichtszüge. „Das ist doch wohl hoffentlich nicht dein Ernst“, sagte er beinahe flehend.
„Keine Sorge – ich koche nicht damit. Aber Smitts Gesicht, wenn er mich damit sieht, wird super.“
Keylam lachte und Arrow versteckte das gerettete Exemplar hinter den gesammelten Werken eines Dichters namens Schmotz. Niemand hatte je eines dieser Bücher in die Hand genommen. Zum Schreiben von Gedichten war dieser Mann offenbar nie bestimmt gewesen, denn sie waren dermaßen schlecht verfasst, dass ihm auch noch viele Jahre nach seinem Tode jegliche Art von Berühmtheit verwehrt wurde.
Vorsichtig holte Keylam einen kleinen Topf mit Schneeglöckchen hinter seinem Rücken hervor und reichte ihn seiner Liebsten. Seit Arrow einst erwähnt hatte, dass sie diese zauberhaften Frühlingsboten als besonders schön erachtete, bekam sie regelmäßig welche von ihm geschenkt. Und obwohl sie ihn schon oft gebeten hatte, ihr sein Geheimnis, diese Blumen außerhalb des Frühlings erblühen zu lassen, zu offenbaren, war er immer verschwiegen geblieben. Nicht einmal Anne war es in ihren Gewächshäusern gelungen, Schneeglöckchen wachsen, geschweige denn blühen zu lassen. Aber das Ungewöhnlichste dabei war, dass es eigentlich gar nicht in Keylams Macht stehen durfte, Frühblüher gedeihen zu lassen. Und am Abend, sobald er eingeschlafen war, hatten sich die Schneeglöckchen dann auch jedes Mal wieder in den Winterschlaf zurückgezogen. Es war ein ganz besonderer Ausdruck seiner Liebe zu ihr und deshalb wollte er diese Geste auch als solche bewahren. Deshalb blieb es sein Geheimnis und allein dafür liebte Arrow ihn umso mehr.
Wie bei so vielen Anlässen wurde auch bei diesem ausgiebig gelacht und getanzt. Obendrein sorgten Sallys Speisen für ein himmlisches Festmahl. Und obwohl Dewaynes Anwesenheit das gesamte Schloss in ein Frühlingsparadies verwandelt hatte, roch es überall schon nach Tannen, Zimt und anderen vorweihnachtlichen Düften. Es war eine interessante und zugleich verwirrende Mischung aus Frühling und Winter. Anne hatte sogar ihre berühmten Weihnachtsplätzchen gebacken – zum allerersten Mal vor dem dreiundzwanzigsten Dezember.
Das Fest ging bis spät in die Nacht. Obwohl Feierlichkeiten in dieser Welt zur guten Etikette gehörten, sprengte dieses Vergnügen den Rahmen bei weitem. Das gesamte Schloss wurde bis auf einen kleinen Teil der Privaträume zum Tanzsaal umfunktioniert. Immer wieder tanzten und wirbelten sie durch sämtliche Zimmer und Gänge.
Als sich das Fest auf seinem Höhepunkt befand, riefen Dewayne und Neve die noch immer tanzenden Arrow und Keylam zu sich ...