Schlittschuhlaufen

Als Arrow am Morgen durch das Bergdorf spazierte, hatte die Dämmerung gerade erst eingesetzt. Noch schliefen alle Bewohner des Ortes, während sich die letzten Nachtjäger zurück in ihren Bau begaben.

Sobald sie den kleinen Waldsee erreicht hatte, zog Arrow sich ihren Mantel aus und legte ihn zusammen mit Schal und Mütze über den kahlen Ast eines jungen Baumes. Während sie ihre Schuhe wechselte, traf auch Grey ein. Wie so oft hatte Anne, die Arrow wie eine Großmutter liebte, die Schleiereule ausgesandt, um ein Auge auf sie zu haben. Aber ihre Gesellschaft war in Ordnung, denn sie beobachtete nur und wollte weder Gespräche noch sonstige Aufmerksamkeiten.

Mit einem tiefen Atemzug bereitete Arrow sich auf die größte Herausforderung vor, der sie sich seit Einbruch des Winters zu stellen beabsichtigte. Mit viel Konzentration verwandelte sie sich in einen kleinen Wirbelsturm und fegte die Schneedecke von der dicken Eisschicht des Sees. Als sie damit fertig war, fand sie umgehend wieder ihre Balance und landete endlich nicht mehr auf ihrem Hinterteil, sondern sicher auf beiden Beinen. Voller Zuversicht und Tatendrang schlitterte sie los.

Inzwischen machten ihr die Kurven kaum noch Probleme. Sehr viel schwieriger gestaltete sich aber noch immer das Bremsen. Dass es Arrow größere Mühe bereiten würde, sich das Schlittschuhfahren beizubringen, als den Umgang mit ihren Mächten zu erlernen, hätte sie nie für möglich gehalten. Das zeigte wohl einmal mehr, dass ein Naturgeist ebenso wenig unfehlbar war wie jedes andere Lebewesen auch.

Gelegentlich versuchte sie eine Pirouette, doch auch dabei war es ihr noch nie gelungen, auf normalem Wege wieder Halt zu finden. Jedes Mal, wenn sie sich unmittelbar vor dem Hinfallen befand, verwandelte sie sich erneut in einen Windstoß und stand im nächsten Augenblick wieder sicher auf ihren Füßen.

Hinter den kahlen Büschen am Rande des Sees schaute Keylam ihr wie so oft zu. Stets gab Arrow sich die größte Mühe, ihn nicht zu wecken, wenn sie so zeitig das Bett verließ, doch bislang waren all diese Versuche kläglich gescheitert.

Der Blick, mit dem er sie ansah, war noch immer genauso hingebungsvoll wie bei ihrer ersten Begegnung. Er konnte nie genug von Arrow bekommen und ihr kämpferisches Wesen faszinierte ihn jeden Tag aufs Neue. Doch obwohl allein ihm ihre ganze Liebe gehörte, gab es noch immer einen Teil von ihr, der allzu oft sehr weit von ihm entfernt war.

Als Arrow ihre nächste Pirouette versuchte, schlich er sich unbemerkt aufs Eis. Natürlich gelang es ihr wieder nicht, ihr Gleichgewicht ohne Wirbelsturm zurück zu erlangen, doch dieses Mal wäre sie um ein Haar auch noch aus dieser rettenden Bewegung gestürzt.

Da stand er nun vor ihr in seiner schlanken Gestalt mit seinem langen schwarzen Wintermantel. Er sah so gut aus, dass es sich wie ein Traum anfühlte. Unter seinem sehnsüchtigen Blick wurde es Arrow heiß und kalt zugleich. Sein ganzes Wesen fesselte sie noch immer und zog sie dermaßen in seinen Bann, dass es ihr den Atem raubte. Es war eine Qual und eine Erlösung zugleich, denn sie liebte ihn, wie sie keinen Zweiten hätte lieben können.

Langsam machte Keylam einige Schritte auf sie zu. Dann strich er ihr mit einer Hand über das Haar, bevor er sanft ihren Nacken umschlang und sie innig küsste.

Seine Lippen waren weich wie eine Feder und er schmeckte nach Sommer. Obwohl Arrow ganz warm wurde, verursachte der Kuss ihr eine Gänsehaut.

Dann geschah das Unvermeidliche. Unter ihnen schmolz rasant die Eisschicht und sie sanken beide in den See, dessen Wasser sich zuerst noch stechend kalt und dann auf einmal angenehm warm anfühlte.

Sie brachen in schallendes Gelächter aus, denn es passierte nicht zum ersten Mal, dass der Sommer in Keylam erwachte, obwohl es längst tiefster Winter war.

Keylam half Arrow aus dem Wasser. Noch einmal küssten sie sich und verschmolzen währenddessen miteinander. Als der kleine wärmende Wirbelsturm nachließ, waren sie wieder vollkommen getrocknet.

Amüsiert schnappte Arrow ihre Sachen, rief Grey auf ihren Arm und ging dann Hand in Hand mit Keylam zum Schloss zurück.

Frühlingserwachen
titlepage.xhtml
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_000.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_001.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_002.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_003.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_004.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_005.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_006.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_007.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_008.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_009.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_010.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_011.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_012.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_013.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_014.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_015.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_016.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_017.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_018.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_019.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_020.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_021.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_022.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_023.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_024.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_025.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_026.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_027.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_028.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_029.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_030.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_031.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_032.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_033.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_034.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_035.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_036.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_037.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_038.html
CR!BS2A74NK6X79K4QFJ531PBWY6XY0_split_039.html