Er betrat die Piazza von der Westseite durch die Alea Napoleónica, ein mittelgroßer, unauffälliger Mann in einem schwarzen Radmantel. Die bautta vor seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass er sich amüsieren wollte, vielleicht sogar auf ein galantes Abenteuer aus war. Jetzt, am frühen Abend, war die Piazza voller Menschen, und die meisten waren bereits für die Nacht gerüstet, indem sie Masken trugen, Halbmasken, Schnabelmasken, die Damen Perücken, die Herren schwarze Dreispitze, an der Seite die obligatorischen Kavaliersdegen.
Eine Fächerhändlerin näherte sich ihm, dann ein schwarzgekleideter Mann, der seinen Mantel öffnete und ein halbes Dutzend obszöner Fotografien entblößte, die am Innenfutter befestigt waren. Beide verscheuchte er mit einer Handbewegung. Er passierte Stände von Frittolini- und Maronenverkäufern, dann solche, an denen moleche angeboten wurden, Taschenkrebse, die lebend in siedendes Öl geworfen wurden. Unter den Arkaden der Neuen Prokurazien sah er die a giorno erleuchteten Fenster des Florian, auf der anderen Seite die Fenster des Quadri, davor die unvermeidlichen Gruppen kaiserlicher Offiziere, die sich in ihren weißen Mänteln vom Dunkelgrau des Nebels abhoben.
Denn heute Nachmittag war das Wetter umgeschlagen. Niedrige, zerfaserte Wolken hatten sich über der östlichen Lagune gebildet, sich später zu einer kompakten Decke zusammengeschlossen, und mit dem Einbruch der Dunkelheit war die berüchtigte venezianische nebbia über die Stadt gekommen. Jetzt lag der Nebel wie ein grauer, luftiger Brei auf der Piazza und schickte sich bereits an, die Gasbeleuchtung zu verschlingen.
Gut so, dachte er. Die Vorstellung, dass der Nebel die Stadt noch ein paar Tage in seiner Gewalt haben würde, gefiel ihm. Nicht dass das auch nur eines seiner Probleme gelöst hätte. Aber dichter, lähmender Nebel könnte die Dinge noch ein wenig in der Schwebe halten — vielleicht so lange, bis ihm etwas Überzeugendes eingefallen war.
Dass er die Stadt nicht verlassen hatte — er hätte noch in der Nacht den Dampfer nach Triest nehmen können —, war möglicherweise ein Fehler gewesen. Sich mit genügend Bargeld und auch ein wenig Schmuck zu versorgen hätte ihn vor kein Problem gestellt. Er wusste, wo beides verwahrt wurde. Den Diebstahl würde man erst am nächsten Morgen bemerken, und es würde dann noch ein paar Stunden dauern, bis der Verdacht auf ihn fiel.
Das Tier in ihm, dem er seine fatale Lage verdankte, hatte sich schweigend vor seinen Problemen zurückgezogen. Er hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass er, wenn es hart auf hart kam, auf seine Hilfe zählen konnte. Aber kam es jetzt wirklich hart auf hart? Ja, wahrscheinlich. Die paar Worte, die er vor zwei Tagen gesagt hatte, dieser unbedachte Halbsatz, waren der Strick, an dem er baumeln würde, falls ihm nicht bald etwas einfiel. Lächerlich, dachte er, dass ausgerechnet er einen solch albernen Fehler begangen hatte.
Er hatte den Campanile passiert und wandte sich, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, nach rechts. Als er auf den Molo zuging, drückte ein Wind vom Bacino di San Marco her eine neue Nebelbank auf die Piazetta, eine dunkelgraue, luftige Lawine, die langsam zwischen dem Dogenpalast und der Marciana in Richtung Piazza trieb. Er schätzte, dass die Sicht inzwischen höchstens drei Meter betrug. Wenn die nebbia anhielt — angeblich hatte es Winter gegeben, in denen der Nebel wochenlang blieb —, war die Stadt praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Selbst die Züge würden dann ihren Verkehr einstellen, und das einzige Transportmittel, dessen man sich noch bedienen konnte, war — ganz wie in alten Zeiten — die Gondel.
Als vor ihm ein Streichholz aufleuchtete und sofort wieder erlosch, blieb er stehen. Es flammte zum zweiten Mal kurz auf, erlosch wieder, und dann trat eine Frau aus der Dunkelheit auf ihn zu. Da es intensiv nach Wasser roch, konnte die Kaimauer nicht weit sein. Er schätzte, dass sie auf der Höhe der beiden Säulen standen. Die Frau war blond, aber ihre Haare konnten auch gebleicht sein. Erst jetzt sah er, dass zu ihren Füßen, dicht an ihr Kleid geschmiegt, ein kleiner, rundlicher Hund Platz genommen hatte — ein Mops. Er verabscheute Möpse.
«Sie heißt Anita», sagte die Frau in vertraulichem Ton, nachdem er ihr Feuer gegeben hatte. Und fügte dann hinzu: «So wie seine moglie.»
Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass der Name auf Garibaldis Frau anspielte. Vermutlich hatte er es mit einer Patriotin zu tun, die möglicherweise grün-rot-weiße Unterwäsche trug — eine patriotische mammola.
Der Mops gab jetzt, als hätte er seine Gedanken gelesen, ein empörtes Jaulen von sich, was Frauchen dazu veranlasste, sich zu bücken und das Tier auf den Arm zu nehmen. Als die Frau ihn ansah, setzte sie ein verführerisches Lächeln auf. Auch der Mops betrachtete ihn mit hervorquellenden, madeirafarbenen Augen. Beide, Mensch und Tier, hatten denselben fragenden Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Und das Tier in ihm? Sein eigenes Tier? Die Bestie, die beim Anblick dieses leckeren Häppchens eigentlich in wilde Ekstase geraten müsste? Er hatte eine Reaktion seines Tieres erwartet, das Erwachen aus dem depressiven Dämmerzustand, in den es versunken war. Es gab massenhaft kleine Hotels in der Nähe, und das Messer in der Tasche seines Gehrockes war so scharf, wie ein Messer nur sein konnte. Alles das wusste das Tier — oder spürte es zumindest. Dass es jetzt keine Reaktion zeigte, überraschte ihn. Und noch mehr überraschte und erschreckte ihn seine
eigene Reaktion auf die Frau, die hier in der nebeligen Dunkelheit vor ihm stand. Er hatte tatsächlich Lust, ihr die Kehle durchzuschneiden — er selbst. Und zwar sofort.
Er gab, soweit das unter seiner bautta möglich war, ihr Lächeln zurück. «Darf ich?» Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was er wollte. Dann streckte sie ihm den Hund entgegen.
Er nahm das Tier und bettete es in seine linke Armbeuge. Der Mops war warm wie ein scaldino. Sein Atem ging stoßweise, wobei das Vieh übelriechende Wölkchen in die Luft pustete. Sabber lief aus dem Maul und tropfte auf seine Ärmel. Plötzlich wusste er, was er tun würde.
Er drehte den Kopf erst nach der einen, dann nach der anderen Seite. Um sie herum begann nach drei oder vier Schritten dichter, dunkelgrauer Nebel. Wenn das Rasiermesser seine Arbeit erledigt hatte, würde er einfach in die nebbia abtauchen, so wie ein Bühnenkünstler, der nach der Vorstellung hinter dem Vorhang verschwindet. Und vielleicht fiel ihm ja anschließend sogar die Lösung für sein Problem ein. Außerdem brauchte er nach dieser dummen Panne dringend ein Erfolgserlebnis.
Er ging in die Knie und setzte den Mops vorsichtig ab. Wie erwartet wälzte sich das Vieh sofort auf den Rücken, stieß ein heiseres Grunzen aus und glotzte ihn mit seinen hervorquellenden Augen an. Was nur bedeuten konnte: Kraul mich. Die kurzen Beine paddelten in der Luft, der Mops sah jetzt aus wie ein Hamster, der in einem unsichtbaren Laufrad rennt. Also kraulte seine linke Hand den Hals des Mopses, während seine rechte in die Tasche seines Mantels glitt. Er zog das Messer heraus und klappte es mit einer ruckartigen Bewegung aus dem Handgelenk auf. Frauchen, die ihn vermutlich als Tierfreund klassifiziert hatte, war ebenfalls in die Knie gegangen.
Und da es keinen Grund gab, länger zu zögern, ging er ans Werk. Das Messer schoss durch die Luft und machte dabei ein zischendes Geräusch. Die Klinge traf die Kehle und fuhr durch das Fell wie ein heißes Messer durch Butter. Warmes Blut schoss empor und spritzte auf seine Hände. Der Mops zuckte kurz, gab mit seinem letzten Atemzug einen gurgelnden Laut von sich. Dann war er still.
Frauchen war, nach einer Schrecksekunde, die er benutzt hatte, um sich wieder zu erheben, in schrilles Geschrei ausgebrochen. Er klappte das Messer zu, machte ein paar schnelle Schritte in die Nebelwand hinein und konnte förmlich spüren, wie sich der Vorhang der nebbia hinter ihm schloss. War sie aufgesprungen? Folgte sie ihm? Nein, das hätte er gehört. Offenbar hatte sie genug Verstand, ihn nicht zu verfolgen und sich auf ihre Schreie zu beschränken. Piazzetta und Molo waren trotz des dichten Nebels nicht menschenleer, aber es würde mindestens zehn Minuten dauern, bis die Polizei auftauchte.
Natürlich rannte er nicht. Er ging nicht einmal besonders schnell. Als er vor sich die Kaimauer erkannte und die Gondeln sah, die im Wasser dümpelten, blieb er stehen. Nach kurzem Nachdenken wandte er sich nach links. Ein ausgiebiger Spaziergang auf der Riva degli Schiavoni, bis hin zum Arsenale und zurück, würde jetzt genau das Richtige sein. Bereits auf dem Ponte della Paglia fiel ihm die Lösung für sein Problem ein.