Tron zog die Flasche aus dem Champagnerkühler, verhedderte sich kurz mit der weißen Serviette, die um den Hals geschlungen war, schaffte es dann aber, sich ein weiteres Glas einzuschenken, ohne zu kleckern. Ein Leistung, wenn man in Betracht zog, dass er den Champagner bereits zu drei Vierteln geleert hatte und selten Alkohol trank. Er ließ die Flasche wieder in ihr Eisbett zurückgleiten und genoss das sonore Geräusch, mit dem die Eiswürfel opernmäßig klickten und klackten. Schon dieser Klang, fand Tron, konnte einen sensiblen Menschen in einen leichten Rausch versetzen. Er streckte prostend das Glas über den Tisch, sah, wie sich die Kerzen des Kronleuchters in dem Champagner spiegelten, und intonierte:
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Finch'hari dal vino, calda la
testa
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Als die Principessa die Augen nach oben drehte, brach er ab und räusperte sich verlegen.
«Tu dir keinen Zwang an,Tron», sagte die Principessa lächelnd. «Du hast es dir verdient.»
Tron fand, dass das Lächeln der Principessa dem einer Frau glich, die ihren ansonsten wohlgeratenen Kindern an Geburtstagen etwas durchgehen lässt. Würde sie ihn darauf hinweisen, dass er gerade unglaubliche Mengen von Erdbeersorbet verspeist hatte? Dass Erdbeeren im Winter nur zu unglaublichen Preise zu besorgen waren? Würde sie die bescheidene Summe erwähnen, die er als Commissario verdiente? Tron warf einen scheuen Blick über den Tisch. Nein — das würde sie heute nicht tun. Sie lächelte immer noch.
Sie hatten Lupi in seiner Wohnung verhaftet, auf die Questura gebracht und den ganzen Nachmittag lang verhört. Danach hatten sie, bereits im Hinblick auf das Gespräch mit dem Comte de Chambord, ein Protokoll angefertigt. Es gab keinen Grund, an den Aussagen Lupis zu zweifeln, denn in der Wohnung fanden sich unter anderem kompromittierende Briefe aus der Hand des Comtes.
Tron, dessen Kopf in eine leichte Schräglage gekippt war, sagte bescheiden: «Wir hatten Glück, das war alles. Ohne Sivrys Entscheidung, sich sofort an die Questura zu wenden, wären wir immer noch keinen Schritt weiter.»
«Auf jeden Fall», sagte die Principessa, «ist es eine unglaubliche Geschichte.» Sie griff ebenfalls nach ihrem Champagnerglas und trank einen Schluck. «Und er hat es sofort zugegeben?»
«Wir hatten die Schnupftabaksdose, die Quittung und die Aussage Sivrys», sagte Tron. «Es wäre sinnlos gewesen, den Diebstahl zu leugnen.»
«Wo ist Lupi jetzt?»
«Im Polizeigefängnis. Wir haben ein umfangreiches Protokoll aufgenommen.»
«Wie alt ist der Bursche?»
Tron zuckte die Achseln. «Ziemlich jung, Neapolitaner. Große, dunkelbraune Augen. Hübsch, aber ein Esel. Er hätte nichts Dümmeres tun können, als die Dose ausgerechnet zu Sivry in Kommission zu geben.»
«Warum hat Lupi den Comte bestohlen?»
«Weil er Geld brauchte», sagte Tron. «Und weil er wusste, dass der Comte nicht zur Polizei gehen würde. Er bezweifelt, dass dem Comte das Verschwinden der Dose überhaupt schon aufgefallen ist.»
«Der Comte de Chambord könnte abstreiten, die Dose jemals gesehen zu haben.»
«Das wird er nicht», sagte Tron. «Er wird erstaunt die Augen aufreißen und mich fragen, woher ich sie habe. Dann werde ich ihn mit Lupis Aussage konfrontieren und darauf hinweisen, dass wir kompromittierende Briefe gefunden haben.»
«War Lupi vorgestern Abend mit dem Comte zusammen?»
Tron schüttelte den Kopf. «Nein.»
«Also könnte der Mann», sagte die Principessa nachdenklich, «den Bossi vorgestern verhaften wollte, tatsächlich der Comte gewesen sein. Der damit ein zweites Geheimnis hätte.»
Tron machte ein skeptisches Gesicht. «Theoretisch. Bossi konnte leider nur sagen, dass beide Männer einen unauffälligen Mund und ein unauffälliges Kinn hatten. Eine brauchbare Personenbeschreibung sieht anders aus.»
«Dann bring Bossi mit dem Comte zusammen. Vielleicht erkennt er die Stimme wieder.»
«Bossi wird natürlich mitkommen», sagte Tron.
Die Principessa nippte an ihrem Mineralwasser. Sie behielt das Glas in der Hand und starrte ein paar Sekunden lang auf die prickelnden Bläschen, die an die Oberfläche stiegen und platzten. Dann stellte sie die Frage, die Tron bereits erwartet hatte. «Und wenn der Comte de Chambord nicht der Mann war, der vor Bossi geflohen ist?»
Tron kratzte die Reste seines Erdbeersorbets zusammen, um die Principessa nicht ansehen zu müssen. Beide dachten sie an Julien. «Dann ist der Ausweider jemand anders», sagte Tron. «Und zwar vermutlich eine Person, die ebenfalls im Palazzo Cavalli wohnt. In diesem Fall», setzte er hinzu, «weiß der Comte wahrscheinlich mehr, als er uns sagt.»
Es überraschte Tron nicht, dass die Principessa sofort begriff, was er meinte. «Weil der Comte etwas über einen Mann weiß, der zu viel über ihn weiß?»
Tron nickte. «Genau. Schweigen um Schweigen. Für das es jetzt keinen Grund mehr gibt. Nicht nachdem ich ihn mit der Aussage Lupis konfrontiert habe.»
Die Principessa sprach es schließlich aus. «Also bleiben Julien und Pater Francesco übrig.»
«Jedenfalls unter der Voraussetzung, dass es sich bei dem Mann, der sich in den Palazzo Cavalli geflüchtet hat, tatsächlich um den Ausweider handelt», sagte Tron.
«Wenn es aber doch der Comte war», sagte die Principessa matt, «dann hätte er nicht nur ein einfaches, sondern ein doppeltes Doppelleben geführt.» Das hörte sich nicht so an, als würde sie es glauben.