Um den rein dienstlichen Charakter seines Besuches zu demonstrieren, hätte Ispettor Bossi den Kostümverleih lieber in Uniform betreten. Andererseits wollte er um keinen Preis auffallen. Eigentlich absurd, dachte er. Für Napoleon oder Julius Cäsar würde niemand den Kopf drehen, aber der Anblick eines uniformierten Polizisten konnte in einem Kostümverleih leicht Unbehagen auslösen. Was durchaus verständlich war, denn es gab erstaunlich viele cavalieri, denen es Vergnügen bereitete, einen Maskenball in einer Krinoline zu besuchen. Unklar blieb dabei immer, ob die Entscheidung, ein Kleid zu tragen, eine Folge karnevalistischer Enthemmung war oder ob sich ein tieferes, unter heimatlichen Umständen scharf unterdrücktes Bedürfnis dahinter verbarg. Würde man auch bei ihm den Verdacht haben, dass sich ein lange unterdrücktes Bedürfnis Bahn brach? Bossi nahm sich vor, Signor Riccardi sofort darauf hinzuweisen, dass er aus rein dienstlichen Gründen ein Kleid benötige.
Riccardis Kostümverleih befand sich zwischen einem Maskenladen und einer Trattoria, und als Bossi das Geschäft kurz nach sieben Uhr betrat, sah er sofort, dass es sich um ein Etablissement gehobenen Zuschnitts handelte. Der Geschäftsraum erstreckte sich über die gesamte Grundfläche des Hauses und wurde von Dutzenden von Petroleumkandelabern erhellt, wie Bossi sie nur aus dem Teatro Fenice kannte. Überall an den Wänden waren mannshohe Spiegel angebracht, und in der Mitte des Raumes standen zwei Schneiderpuppen mit maskierten Köpfen, die offenbar Cäsar und Kleopatra darstellen sollten. Auf dem Fußboden lagen, höchst ungewöhnlich für Venedig, kostbare Teppiche, und passend dazu schien sich das Publikum vorwiegend aus den großen Hotels zu rekrutieren. Es roch nach Parfum und frisch gebrühtem Kaffee. Bossi fand die Atmosphäre angenehm und aufregend zugleich.
Zwei Paare, laut und lebhaft französisch sprechend, standen vor den Wandspiegeln, während zwei junge Schneiderinnen neben den jeweiligen Damen knieten und mit Nadel und Faden letzte Hand anlegten. Die Damen trugen seidene Reifröcke im Stil Marie Antoinettes, die Herren gepuderte, hinten zu einem Mozartzopf zusammengebundene Perücken, dazu Kniebundhosen und Schnallenschuhe. Ein drittes Pärchen, ebenfalls in Kostümen des 18. Jahrhunderts, war gerade im Begriff, das Geschäft zu verlassen. Bossi vermutete, dass es sich bei dem Signore in schwarzem Gehrock, der ihnen die Tür aufhielt, um den Prinzipal des Etablissements, Signor Riccardi, handelte. Der sich, nachdem er die Tür hinter dem Pärchen geschlossen hatte, seinem neuen Kunden mit einem verbindlichen Lächeln näherte.
Bossi erwiderte das Lächeln. «Signor Riccardi?»
Signor Riccardi verneigte sich.
«Ich bin Ispettor Bossi vom Kommissariat San Marco», sagte Bossi.
Wenn Riccardi über den Besuch eines Polizeibeamten irritiert war, dann zeigte er es nicht. Er zog nur kurz die linke Augenbraue nach oben und erneuerte sein verbindliches Lächeln. «Was kann ich für Sie tun, Ispettore?»
«Ich brauche ein Kleid», sagte Bossi, «eine blonde Perücke und ein Paar Schuhe.» Seine Stimme hörte sich plötzlich heiser an, was weniger daran lag, dass ihm die Situation peinlich war, sondern an der ihn völlig überraschenden Feststellung, dass es ihn auf einmal reizte, ein Kleid zu tragen.
Riccardi hob wieder die linke Augenbraue. «Wäre es nicht besser, wenn die Signora persönlich vorbeikommt?»
Bossi atmete tief ein, dann schüttelte er den Kopf. «Ich brauche das Kleid für mich selbst», erklärte er kühn. Und da es, nachdem er es ausgesprochen hatte, nun wirklich nicht mehr darauf ankam, fügte er gleich hinzu: «Außerdem eine blonde Perücke und Schuhe in meiner Größe.»
Himmel! Hatte er das wirklich gesagt? Ich brauche ein Kleid für mich selbst? Bossi fühlte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, er rot wurde und ihm Schweiß von der Schläfe auf den Kragen tropfte.
Was Signor Riccardi jedoch nicht zu bemerken schien. Er neigte nur höflich den Kopf. «Hatten Sie etwas, äh, Bestimmtes im Auge, Ispettore?»
Wie bitte? Etwas Bestimmtes? Was konnte damit gemeint sein? War das die Fangfrage, mit der Riccardi diejenigen erkannte, die den Karneval dazu benutzen, um ein lange unterdrücktes Bedürfnis auszuleben?
Bossi räusperte sich nervös. Seine blaue Dienstuniform fiel ihm ein und die goldenen Knöpfe, die er so gerne putzte. «Ich dachte an etwas Blaues mit goldenen Knöpfen», sagte er.
Signor Riccardi gestattete sich einen skeptischen Gesichtsausdruck. «Zu blonden Haaren? Ich furchte ...» Er wiegte stirnrunzelnd den Kopf und sah Bossi nachdenklich an.
Der beschloss jetzt, sich beraten zu lassen. «Und was würde besser zu blonden Haaren passen?»
Signor Riccardis Antwort kam sofort. «Ein schwarzes Kleid, Ispettore.»
Das war einleuchtend. Bossi musste unwillkürlich an die Principessa di Montalcino denken, deren Lieblingsfarbe Schwarz war. Also ein schwarzes Kleid. Aber ... was für ein Kleid?
Über diesen Punkt hatte Bossi bereits auf dem Weg zu Riccardi nachgedacht. Fest stand, dass er weder ein aufwendiges Abendkleid noch eine ausladende Krinoline mit kompliziertem Drahtgeflecht tragen wollte — also nichts, worin er sich nicht frei bewegen konnte. Damit lief es auf ein Promenadenkleid hinaus. Außerdem wünschte er sich, dass seine schlanke Kavalleristentaille betont würde. Die Hüftpartie, überlegte er, ließe sich wahrscheinlich problemlos ein wenig aufpolstern, und der fehlende Busen würde sich irgendwie ...
Bossi schloss die Augen und sah sich, blondhaarig und kokette Blicke abfeuernd, durch ein Spalier glotzender Signori schreiten. Das Kleid, das er trug, war aus schwarzglänzendem Taft, schmal in der Taille, darüber und darunter gefällig ausgepolstert, sodass sich der Sanduhreffekt ergab, den die Männer schätzten.
«Ich möchte», sagte Bossi träumerisch, indem er wieder die Augen öffnete, «ein tailliertes Promenadenkleid.» Und setzte noch hinzu: «Aber ein fesches.»
O Gott. Was um Himmels willen redete er da? Hatte sich das weibisch angehört? Was war überhaupt mit ihm los? «Im Übrigen», fügte er hastig hinzu, wobei er versuchte, seiner Stimme einen polizeilichen Klang zu geben, «bin ich dienstlich hier.»
*
Sie stand am Tresen, hatte ein Glas in der Hand und betrachtete sich in dem großen Spiegel an der Wand. Hin und wieder lächelte sie ihrem Spiegelbild zu, drehte den Kopf kokett zur Seite und strich sich mit der freien Hand über die blonden Haare. Das Kleid, das sie trug, war ein schlichtes, hochgeschlossenes Promenadenkleid. Es war schwarz — ebenso schwarz wie ihre über den Ellbogen hinausreichenden Handschuhe. Ihr Profil war klassisch, gerade Nase, hohe Stirn, ein kräftig, aber nicht zu kräftig ausgebildetes Kinn, dazu eine schlanke, an den entsprechenden Stellen ansprechend gerundete Figur.
Sie gefiel ihm, und je länger er sie betrachtete, desto mehr regte sich in ihm. Er hatte sie jetzt seit einer Viertelstunde beobachtet und war sich sicher, dass sie ohne Begleitung ins Rudolfo gekommen war. Was nur bedeuten konnte, dass sie auf der Suche nach Anschluss war, ohne es jedoch eilig zu haben.
Um diese Zeit - es hatte noch nicht einmal neun geschlagen - war das Rudolfe noch halb leer. Zwei Dutzend Pärchen, alle mehr oder weniger kostümiert, drehten sich auf der Tanzfläche zu einem langsamen Walzer, gespielt von einem bemerkenswert schlechten Salonorchester. Der Rest des Publikums saß entweder an den Tischen, die die Tanzfläche säumten, oder schob sich langsam in Richtung Tresen. Es fiel ihm auf, dass es kaum jemanden gab, der nicht rauchte. Die Herren hatten entweder eine Zigarette oder eine Zigarre zwischen den Fingern, und der Qualm waberte lustlos wie eine zweite Decke über den Köpfen. Die richtige Stimmung, das wusste er aus Erfahrung, würde sich erst einstellen, wenn das Publikum aus dem Teatro Fenice und den anderen Theatern auf die Straße strömte, wild entschlossen, sich den Rest der Nacht ins Vergnügen zu stürzen.
Und er selbst? War er bereit? Und wenn - wozu? Jedenfalls war er auf alles vorbereitet. Das Messer und die Lederschlinge hatte er eingesteckt. Nicht dass er es unbedingt darauf angelegt hatte, heute Abend zu operieren. Er fühlte sich noch etwas erschöpft von seinem letzten Einsatz. Das Rudolfe hatte er nur betreten, weil es auf dem Weg lag und nicht, weil ihm der Sinn nach blutigen Abenteuern stand.
Jetzt war der langsame Walzer zu Ende. Die Paare auf der Tanzfläche lösten sich auf, gruppierten sich neu oder gingen zu den Tischen zurück. Vier befrackte Herren, jeder von ihnen eine Signorina am Arm, steuerten lachend den Ausschank an, was die blonde Frau veranlasste, sich mit ihrem Glas an das Ende des Tresens zu begeben. Dort, nur ein paar Schritte von ihm entfernt, blieb sie stehen, drehte den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Doch anstatt ihren Blick wieder von ihm abzuwenden, wie er es erwartet hatte, musterte sie ihn ein paar Sekunden lang. Dann nickte sie ihm zu und hob grüßend ihr Glas, was er nur als Aufforderung verstehen konnte, sich ihr zu nähern. Er deutete eine galante Verbeugung an, hob ebenfalls sein Glas und setzte sich in Bewegung.
Als er neben sie trat und dabei den Mund unter der Halbmaske zu einem schüchternen Lächeln verzog, erkannte er zweierlei: dass die Frau grüne Augen hatte und dass es sich in Wahrheit um einen Mann handelte. Woran genau er es erkannte, wusste er nicht, vielleicht, dachte er, weil ihr Kinn, aus der Nähe betrachtet, doch ein wenig zu kräftig war. Dann stellte er erschrocken fest, dass es ihn nicht störte — und dass das Tier in ihm in ein wildes Geheul ausgebrochen war.