Was antwortet man einer blonden Signorina, die das Gespräch mit Hallo, Schätzchen eröffnet und eine auffällig tiefe Stimme hat? Er schwieg, deutete eine knappe Verbeugung an, während das Tier in seinem Inneren immer noch heulte. Er konnte nur hoffen, dass nichts von dem Jaulen nach außen drang und dass das Tier zur Vernunft kam. Denn natürlich war der Typ ein Witz. Wenn man direkt vor ihm stand, erkannte man sofort, mit wem man es hier zu tun hatte. Die schlampig montierte Perücke saß schief auf dem Kopf, und der Versuch des Burschen, seine großen Hände in schwarze Frauenhandschuhe zu zwängen, war eindeutig missglückt; es sah aus, als könnten die Nähte jeden Moment platzen. Komplettiert wurde das Bild durch einen verschmierten Lidstrich und ungeschickt aufgeklebte, bürstenartig wirkende Wimpern. Der Bursche war ein nachlässig aufgebrezelter Transvestit. Einen Moment lang erwog er, sich umzudrehen und ihn einfach stehenzulassen. Gab es Männer, deren Sinne beim Anblick dieser Vogelscheuche in Wallung gerieten? Sahen alle Transvestiten so aus, oder war er hier an ein besonders extremes Exemplar geraten? Merkwürdig, dachte er, dass der Kerl aus ein paar Metern Entfernung tatsächlich wie eine attraktive junge Frau auf ihn gewirkt hatte. Nur aus der Nähe blieb nicht viel davon übrig. Allerdings war auch merkwürdig, dass die Bestie in ihm nicht den geringsten Anstoß daran nahm. Er hatte fast den Eindruck, dass sich das Heulen noch verstärkt hatte — so als wäre die Bestie auf eine besonders leckere Beute gestoßen.
Was dann letztlich den Ausschlag gab, sich nicht abzuwenden, sondern ...Ja, was? Mit einem
Transvestiten auf ein Hotelzimmer zu gehen? Vorbei an einem Portier, der anzüglich grinste? Sich womöglich über ihn lustig machte? Er war sich nicht sicher, ob er einer solchen Situation emotional gewachsen war, obwohl das Projekt durchaus seine Reize hatte. Leber war Leber, wenn auch die Vorstellung, den Bauch des Mannes für die Operation zu entblößen, etwas Abartiges hatte. Eigentlich, dachte er, war es ein Skandal, dass die venezianischen Behörden bei Transvestiten beide Augen zudrückten.
Er räusperte sich und lächelte den Burschen freundlich an. «Champagner?»
Der stieß ein tuntiges Lachen aus und nickte affektiert. Beim Lachen sah man dunkelroten Lippenstift auf seinen Schneidezähnen. Der Mann machte einen nervösen Eindruck. Offenbar ging er diesem Geschäft noch nicht lange nach. Vielleicht, dachte er, war es ja seine Premiere. Und so, wie die Dinge lagen, auch seine Abschiedsvorstellung.
*
Eine halbe Stunde später überquerten sie Seite an Seite den Campo San Moise — auf den ersten Blick ein Pärchen wie viele, vielleicht auf dem Weg ins Hotel oder zu einem der zahlreichen Maskenbälle. Obwohl es sich deutlich abgekühlt hatte, schwitzte er so stark, dass er am liebsten seine Halbmaske vom Gesicht genommen hätte. Aber das würde er erst im Hotelzimmer tun. Das Tier in ihm hatte sein Jaulen eingestellt. Jetzt stieß es lediglich hin und wieder ein leises Knurren aus. Er bezweifelte, dass der Bursche an seiner Seite es hören konnte.
Ein travestito also. Das war nicht ganz das, was ihm persönlich vorschwebte — er war schließlich nicht pervers. Aber aus Erfahrung wusste er, dass es irgendwann einen Punkt gab, an dem das Tier in ihm das Kommando übernahm. Einen Punkt, an dem er nur noch versuchen konnte, die Angelegenheit in halbwegs vernünftige Bahnen zu leiten. Im Rudolfe war ihm das leider nicht gelungen. Als der Bursche ihn nach zwei Gläsern Champagner zum Tanz aufgefordert hatte - so als wäre es selbstverständlich, dass nicht der Mann einen entsprechende Aufforderung ausspricht —, da hatte er das Ansinnen zunächst abgewehrt, war damit aber auf wütenden Protest des Tieres gestoßen. Schließlich, als das Jaulen in ihm zu laut wurde, hatte er dem travestito seinen rechten Arm entgegengestreckt und ihn auf die Tanzfläche geführt. Dann hatten sie zusammen einen langsamen Walzer getanzt, und er war sich sicher, dass die anwesenden Herren sie beobachtet und sich womöglich grinsend gefragt hatten, ob der Esel mit der roten Halbmaske sich darüber im Klaren war, mit wem er da tanzte. Das war peinlich und erniedrigend, zumal sich der Bursche beim Tanz in einer fast obszönen Weise an ihn geschmiegt hatte.
Jetzt hatten sie die Calle delle Ostreghe hinter sich gelassen und betraten den Campo San Maurizio. Außer zwei kaiserlichen Offizieren und einem maskierten Pärchen mit einer Blendlaterne war ihnen niemand begegnet. Selbst in der Karnevalszeit schien sich der nächtliche Trubel auf die Piazza, die Piazzetta und die Riva degli Schiavoni zu beschränken. Dass ihre Unterhaltung sich auf den knappen Austausch von Belanglosigkeiten beschränkte, war ihm nur recht, denn es ging ihm einiges durch den Kopf. Würde ein travestito mehr Schwierigkeiten machen als eine mammola? Würde es ihm gelingen, die Lederschlinge so lange in ihrer erforderlichen Position zu halten, bis der travestito das Bewusstsein verlor? Der Bursche an seiner Seite sah nicht sehr kräftig aus, aber er war auch nicht gerade schmächtig. Er hatte kein gutes Gefühl bei alledem, doch er wusste, dass es aussichtslos war, das Tier in ihm jetzt noch zum Abbruch des Unternehmens zu bewegen.
Vom Campo San Maurizio ging eine kleine Calle ab, die am Canalazzo endete, und dort lag, auf der rechten Seite der Gasse, die Pensione Pollini, die der travestito ihm vorgeschlagen hatte.Von einer Pensione Pollini hatte er noch nie etwas gehört, aber das hatte nichts zu bedeuten. In Venedig gab es Dutzende von kleinen Stundenhotels. Er würde notfalls an Ort und Stelle entscheiden, ob es nicht doch besser war, das Unternehmen vorsichtshalber abzubrechen.
Dass auch die Concierges inzwischen misstrauisch waren, lag auf der Hand. Doch vermutlich, dachte er, würde ein Maskierter, der mit einem Transvestiten auftauchte, keinen Verdacht erregen.
Der Eingang der Pension lag fast am Ende der Gasse. Es war ein unscheinbares, dreistöckiges Gebäude, über dessen Eingang ein Öllämpchen einen schwachen Lichtschein auf ein Schild mit verblichenen Buchstaben warf. Wenige Schritte vor ihnen lagen bereits die Stufen zum Canalazzo. Ein paar erleuchtete Fenster auf der anderen Seite des Wassers schimmerten schwach in der Dunkelheit, aber es war zu diesig, um den Umriss der Gebäude zu erkennen. Plötzlich fiel ihm die Operation auf der Gondel ein und das Vergnügen, das er dabei empfunden hatte. Das Vergnügen, das er und das Tier dabei empfunden hatten.
Als er, ein sentimentales Lächeln auf den Lippen, den Kopf drehte, blickte er in den Lauf einer Waffe. Waffe war eigentlich zu viel gesagt, denn das, was der Bursche in der Hand hielt, war trotz des schwachen Lichtes als einläufige Derringer zu identifizieren — eine Pistole, die unangenehm verletzen konnte, deren Gebrauch aber in den seltensten Fällen zum Tod führte. Eine typische Tuntenknarre mit mäßiger Durchschlagskraft, von Spielern und Frauenzimmern bevorzugt. Und offenbar auch von Transvestiten. Wenn der Bursche denn überhaupt einer war. Denn unter dieser Voraussetzung ergab alles plötzlich einen Sinn: die Aufforderung zu tanzen, das obszöne Anschmiegen auf der Tanzfläche, um zu prüfen, ob er seine Brieftasche dabeihatte. Und der preiswerte Tarif, der nur den Sinn hatte, ihn in diese dunkle Ecke zu locken. Ein Raubüberfall also. Grandios. Und was machte die Bestie, das wilde Tier in ihm? Es schien in Ohnmacht gefallen zu sein. Jedenfalls passte es zur Situation, dass die affektierte Stimme des Mannes plötzlich kalt und sachlich sagte: «Drehen Sie sich um, Signore. Nehmen Sie die Hände hoch und legen Sie sie an die Wand.»
Na, wunderbar. Er drehte sich langsam um, stellte dabei ohne Überraschung fest, dass sie in der dunklen Gasse allein waren, und legte die Hände an den Putz der Hauswand. Sollte er laut um Hilfe rufen? Die Häuser in der Gasse waren bewohnt, und die Anwohner konnten sofort herbeieilen. Aber was dann? Sollten sie den Mann festhalten und der Polizei übergeben? Nein, bloß keine Polizei. Andererseits war zu erwarten, dass der Bursche gleich seine Taschen durchsuchen würde. Und dabei nicht nur seine Brieftasche, sondern auch das Messer und die Lederriemen finden würde. Und dann? Würde es bei ihm klingeln?
Über das, was er jetzt tat, dachte er nicht lange nach. Er nahm die Hände von der Wand, duckte sich blitzschnell und wirbelte mit angehobenen Armen um seine Achse. Sein Ellbogen traf das Kinn des Mannes, gleichzeitig fiel ein Schuss und zersplitterte eine Fensterscheibe über ihm. Er schüttelte die Hand ab, mit der der Bursche seinen Gehrock gepackt hatte, machte einen Satz in die Dunkelheit und fing an zu rennen.
Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass der falsche Transvestit ihm folgen würde, aber der Bursche lief nun tatsächlich hinter ihm her. Am Ende der Calle Vetturi lief er links in die Calle Corfu hinein. Sein Verfolger, beim Rennen behindert durch das Kleid, war zurückgefallen, und an der Accademia hatte sich der Abstand abermals vergrößert. Er hetzte über den Campo della Caritä, stürzte die Accademia-Brücke hinauf und wandte sich auf der anderen Seite des Canalazzo, am Campo San Vidal, nach rechts. Inzwischen raste sein Herz, er bekam kaum noch Luft. Das große, schmiedeeiserne Haupttor des Gartens vom Palazzo Cavalli würde zu dieser Stunde verschlossen sein, aber die Mauer machte ein paar Schritte weiter einen scharfen Knick in Richtung San Marco, und die kleine Pforte an dieser Stelle war normalerweise nicht abgeriegelt. Er rannte um die Ecke, drehte den unauffälligen Knauf nach links und stieß die Pforte auf. Dann trat er in den Garten, schloss sofort die Tür hinter sich und schob den Riegel vor. Sein Puls raste, sein Atem ging schnell und stoßweise. Als er die Schritte seines Verfolgers auf der anderen Seite der Pforte vernahm, hielt er die Luft an, um besser hören zu können. Die Schritte wurden leiser, näherten sich wieder, und dann blieb der Mann vor der Pforte stehen, drehte am Knauf, rüttelte an der Tür, murmelte etwas Unverständliches und entfernte sich schließlich.
Er schloss die Augen und lehnte seine erhitzte Stirn an die Gartenpforte. Schließlich ging er mit weichen Knien zum Haus und fragte sich, was von einer Stadt zu halten war, in der man nachts seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte.