67

Manuel Garza ging, bekleidet mit einer zerschlissenen Uniform der Stadtreinigung, die er aus den riesigen Kleiderschränken von EES ausgeliehen hatte, auf dem Fahrradweg entlang, der um das Nordende des Meadow Lake herumführte. In der Ferne war das Summen des Van Wyck Expressway zu hören. Es war nach elf; die Jogger, Radfahrer und Mütter mit Kinderwagen waren schon vor Stunden nach Hause gegangen und die Segelboote auf dem See an ihren Liegeplätzen festgemacht.

Mit dem Teleskop-Müll-Greifer, den er in der Hand hielt, spießte er ein Stück herumliegenden Abfall auf und steckte es in den Plastiksack, der an seinem Utensiliengürtel hing. Eine derartige Tarnung wäre in den achtziger Jahren, als New York noch schmutzig war, viel leichter gewesen. Heute war die Stadt quietschsauber und die Leute, die die Parks von Müll befreiten, nicht annähernd so unsichtbar wie damals. Er überlegte, ob das EES eine Brainstorming-Sitzung bezüglich einiger neuer Tarnidentitäten veranstalten sollte: Pendler vielleicht, Obdachlose oder Marathonläufer.

Wieder spießte er ein Stück Müll auf, während sich seine Miene verdüsterte. Der Gedanke an EES brachte ihn zurück auf Eli Glinn. Gleichgültig wie lange er schon für den Kerl arbeitete, Garza hatte ihn nie verstanden. Immer wenn er glaubte, dass das Alter den Mann milde gemacht oder eine besonders schwierige Operation ihn reformiert hätte, belehrte ihn Eli Glinn eines Besseren. Man konnte einfach nicht voraussagen, was er tun oder lassen würde. So wie damals in Litauen, als er damit drohte, die Atombombe zu zünden, weil der Kunde sich weigerte, die Abschlusszahlung zu leisten. Und er hatte auch nicht gescherzt, als er tatsächlich den Countdown startete, bevor der Kunde schließlich kapitulierte. Oder diese verhängnisvolle Expedition auf Feuerland, als sie verfolgt wurden und Glinn einen Eisberg in die Luft gesprengt hatte, um …

Garza verbannte diese besondere Erinnerung aus seinen Gedanken, wandte sich von dem See ab und ging zurück zu dem in der Nähe stehenden Elektrokarren der Parkbehörde. Erst heute Morgen, nach der Begegnung in der U-Bahn, hatte Glinn Garzas Bitte abgelehnt, mehrere Teams darauf anzusetzen, Crew während der letzten Phase seiner Mission zu beschatten. Glinn hatte aufmerksam zugehört und dann nur den Kopf geschüttelt. »Das machen wir nicht«, hatte er gesagt.

Das machen wir nicht. Garza verdrehte die Augen. Eine typische Glinn-Antwort. Sie enthielt keine Gründe, keine Erklärungen. Kurz und knapp.

Er setzte sich auf den Karren, verstaute den Müllspieß und schloss die Metallbox auf, die an die eine Seite des Fahrzeugs geschraubt war. Rasch führte er eine Bestandsaufnahme des Inhalts durch. 9-Millimeter-Glock mit Schalldämpfer, abgesägte Schrotflinte, Elektroschocker, Polizeifunkgerät, Nachtsichtgerät, Erste-Hilfe-Set, ein halbes Dutzend Dienstmarken von Bundes-, Landes- und städtischen Behörden in verschiedenen Größen. Befriedigt schloss er die Metallbox, dann fuhr er mit dem Karren nach Norden, in Richtung des Queens Museum of Art.

Glinn hatte es abgelehnt, Gideon Crew Teams an die Seite zu stellen. Deshalb war Garza in Eigeninitiative hierhergekommen. Es ging hier um eine entscheidende Mission, eine die Welt verändernde Mission. Ausgeschlossen, dass er Crew die Sache allein durchziehen lassen würde – zumal ein so gefährlicher Mann wie Nodding Crane involviert war.

Die Unisphere, hatte Crew gesagt. Garza konnte sie geradeaus in der Ferne erkennen: ein riesiger, glänzender silberner Globus, an der Basis von Springbrunnen gesäumt, auf der gegenüberliegenden Seite vom Long Island Expressway begrenzt. Das Problem war, dass Crew nicht gesagt hatte, ob sie sich direkt an der Unisphere oder nur irgendwo in der Nähe treffen würden. Dass das verdammte Ding mitten im Flushing Meadows Corona Park lag – dem zweitgrößten Park in New York City –, machte Garzas Aufgabe auch nicht gerade leichter. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Polizisten eingesetzt, in Uniform und Zivil, echte und falsche. Notfallsanitäter, staatliche und private. Scharfschützen, Entführungsspezialisten, Fluchtwagenfahrer, Enthüllungsjournalisten und was sonst noch alles, die alle im Park ausgeschwärmt wären. Aber so war er auf sich gestellt und musste seine Arbeit ganz allein machen.

Es hatte von Anfang an absolut keinen Sinn ergeben. Warum eine derart wichtige Mission jemandem wie Gideon Crew übertragen, einem Neuling ohne jede Erfahrung? Glinn hätte alle möglichen Agenten auswählen können, die unter Feuer ihren Mann gestanden hatten. Es war einfach nicht richtig, einen Stümper wie Crew auszusuchen, jemanden, der nicht seine Knochen hingehalten, nicht klein angefangen, sich nicht die Hierarchie hochgedient hatte – so wie zum Beispiel er, Garza. Gideon Crew war impulsiv, sein Handeln gründete mehr auf Wut und Adrenalin und weniger auf Umsicht. Garza war ein ziemlich nüchterner Typ, aber dieser Gedanke stieß ihm ungeheuer sauer auf.

Er sah wieder auf die Uhr: halb zwölf. Vor ihm glänzte die Unisphere vor dem Nachthimmel wie ein vorbeiziehender Meteor. Nicht viel Zeit – er wollte noch eine letzte Erkundungstour machen, dann den optimalen Posten aussuchen, von dem aus er die sich entfaltende Situation überwachen konnte. Er steuerte den Karren in Richtung der riesigen Kugel und trat fest aufs Gaspedal.