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Gideon Crew schlenderte um das Gepäckband herum, als wartete er auf seine Koffer. Er hatte kein Gepäck, natürlich nicht, aber er wollte sich ansehen, wer sonst noch da war. Mindy Jacksons Abschiedsworte klangen ihm noch im Ohr. »Nodding Crane ist nur insofern bemerkenswert, als ihn niemand bemerkt. Nur seine ausdruckslosen Augen und sein perfekter Körperbau sind auffällig.« Natürlich standen viele Asiaten am Gepäckkarussell, darunter mehrere, die perfekt auf Mindys wenig hilfreiche Beschreibung passten.
Werd’ nicht paranoid, ermahnte er sich. Konzentriere dich auf den nächsten Schritt.
Er zog seine Brieftasche heraus und blätterte in den Geldscheinen, die noch übrig waren. Ungefähr tausend. Nicht zum ersten Mal verspürte er einen Stich der Verärgerung, weil Glinn und seine Firma ihn offenbar im Stich gelassen hatten.
Bei Ihrer Rückkehr in die Staaten wird Nodding Crane auf Sie warten. Ich bezweifle, dass Sie das überleben.
Es lag auf der Hand, was als Nächstes zu tun war. Wenn Wu die Pläne nicht weitergegeben hatte, nachdem er durch den Zoll gegangen war, und wenn er die Pläne nicht bei sich getragen hatte, hatte er sie möglicherweise an irgendjemanden weitergereicht, bevor er durch den Zoll gegangen war. Praktischerweise befand sich Gideon jetzt in der Sicherheitszone der Zollabfertigung. Nach während er über sein weiteres Vorgehen nachdachte, erklang erneut die Endlosschleife der Lautsprecheranlage: »Bitte melden Sie verdächtige Personen oder unbeaufsichtigtes Gepäck der zuständigen Behörde.«
Carpe diem.
Er blickte sich um und entdeckte einen Wachmann des Flugsicherheitsdienstes. »Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe etwas Verdächtiges bemerkt und möchte es der zuständigen Behörde melden.«
»Ich kann das entgegennehmen«, sagte der Wachmann.
»Nein«, sagte Gideon pikiert. »Ich muss es der zuständigen Behörde melden. Es ist sehr wichtig.«
»Wie ich sagte, ich kann das entgegennehmen.«
»Aber in der Durchsage heißt es zuständige Behörde«, sagte Gideon lauter. »Nichts für ungut, aber Sie sind ein Wachmann. Ich möchte mit jemandem mit Amtsbefugnissen sprechen – genauso wie es die Durchsage verlangt. Es ist dringend. Ich habe etwas sehr Erschreckendes gesehen und muss es augenblicklich melden.« Er presste die Lippen zusammen und setzte eine trotzige Miene auf.
Die Augen des Wachmanns zuckten nervös. »Also gut, folgen Sie mir.«
Er ging Gideon voran durch einen Hinterausgang, vorbei an einem Labyrinth fensterloser Räume und Gänge, bis zu einer geschlossenen Tür. Der Wachmann klopfte an; eine Stimme rief sie hinein.
»Vielen Dank«, sagte Gideon, trat ein, drehte sich um und schlug dem Wachmann abrupt die Tür vor der Nase zu.
Als er sich wieder umwandte, erblickte er einen weichlichen, teigigen Mann hinter einem großen Schreibtisch, der vollständig mit Papieren bedeckt war. »Was soll das werden?«
Der Wachmann klopfte und wollte in das Zimmer hinein, aber Gideon, der neben der Tür stand, blockierte sie mit dem Fuß. Er warf seinen Pass auf den Schreibtisch und sagte: »CIA. Schicken Sie den Wachmann weg.«
Der Mann nahm den Pass, um ihn zu studieren. Wieder klopfte der Wachmann an. »Aufmachen.«
»Vielen Dank«, rief der Mann dem Sicherheitsbeamten zu. »Das reicht. Kehren Sie auf Ihren Posten zurück.«
Er widmete sich wieder dem Pass und blickte mürrisch auf die diplomatischen Stempel. »CIA? Haben Sie einen Dienstausweis dabei?«
»Natürlich nicht!«, entgegnete Gideon schroff. »Wir haben nie unsere Ausweise dabei, wenn wir unter diplomatischem Schutz arbeiten.«
Der Mann legte den Pass aus der Hand. »Okay, was ist los?«
Gideon starrte den Mann lange und feindselig an. »Captain Longbaugh?«
»Das steht auf meiner Dienstmarke. Aber nun sagen Sie mir lieber, was Sie wollen, Sir, denn wie Sie vielleicht sehen, bin ich beschäftigt.« Was er sehen konnte, war, dass Longbaugh den Umgang mit kleinen Beamten und Bürokraten gewohnt war. Er würde eine harte Nuss darstellen, die nur schwer zu knacken wäre.
Gideon zog ein Notizbuch aus der Tasche und konsultierte es. »Am siebten Juni, um zwölf Uhr dreiundzwanzig, ist ein Fluggast namens Mark Wu mit einem Flieger der Japan Airlines hier gelandet. Er wurde nach Verlassen des JFK verfolgt, und in Spanish Harlem wurde sein Taxi von der Straße abgedrängt. Vielleicht haben Sie von dem Unfall gelesen. Acht Menschen kamen dabei ums Leben, unter ihnen auch Mr. Wu.«
»Mir ist die Sache bekannt.«
»Wir benötigen eine Kopie der Überwachungsbänder, die seine Bewegungen vom Zeitpunkt, als er das Flugzeug verließ, bis zu dem Zeitpunkt, als er das Taxi mietete, festgehalten haben.«
Longbaugh starrte ihn nur an. »Dafür muss ich irgendetwas Schriftliches sehen.«
Gideon trat einen Schritt vor. »Wir haben es hier mit einer laufenden terroristischen Aktion zu tun, und Sie wollen ›irgendetwas Schriftliches sehen‹? Sind wir immer noch nicht weiter, und das nach dem elften September und zwei Kriegen?«
»Sir, wir haben unsere Vorschriften …«
Gideon beugte sich vor, schrie Longbaugh wie ein Militärausbilder mitten ins Gesicht und traf ihn dabei mit Spucke. »Vorschriften? Schriftliches? Wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen?«
Mit dieser Vorgehensweise, das war ihm selbst klar, ging er ein hohes Risiko ein, er konnte aber auch hoch belohnt werden. Wenn sie nicht funktionierte, war er erledigt.
Aber es klappte. »Sie müssen ja nicht gleich schreien«, sagte Longbaugh und lehnte sich zurück, jählings und gründlich verängstigt. »Ich bin mir sicher, wir finden eine Lösung.«
»Dann finden Sie eine Lösung! Sofort!«
Longbaugh geriet gehörig ins Schwitzen, er hatte sichtlich Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Plötzlich sagte Gideon in sehr viel sanfterem, freundlicherem Ton: »Schauen Sie, Captain, ich weiß, Sie sorgen sich, ob Sie das Richtige tun. Ich respektiere das. Ich werde bei Ihren Vorgesetzten ein gutes Wort für Sie einlegen, sobald das hier zu Ende ist. Aber Sie müssen verstehen, Schriftliches dauert seine Zeit. Und wir haben keine Zeit.« Er beugte sich vor. »Ich will Ihnen mal etwas verraten. Ich darf es eigentlich nicht, aber ich merke, Sie sind vertrauenswürdig. Wir haben einen Flieger auf halbem Weg über den Pazifik mit einem bekannten Terroristen an Bord – man hat den Dreckskerl in Lagos an Bord gelassen. Und wir haben Grund zu der Annahme, dass er hier einen Terroranschlag plant.«
»Oh, mein Gott.«
»Oh, mein Gott, das kann man wohl sagen. Wir sind in dieser Angelegenheit schwer ins Hintertreffen geraten und versuchen, Boden gutzumachen. Wir fluten, während wir hier reden, die Ankunftshalle mit verdeckten Ermittlern, aber ich muss diese Bänder sehen. Es scheint da eine wichtige Verbindung zu geben.«
»Verstehe.«
»Und können wir das wirklich, wirklich unauffällig regeln?«, bat Gideon. »Denn wenn wir den Kerl oder seine Komplizen verängstigen …« Den Rest ließ er ungesagt.
Jetzt hatte er Longbaugh hundertprozentig auf seiner Seite.
»Ich bin dabei.« Longbaugh erhob sich. »Kommen Sie mit.«
Die Operationszentrale des Sicherheitsdienstes im Keller des Flughafengebäudes war ziemlich beeindruckend: Wände voller Monitore und Bedienungstische mit den neuesten Gerätschaften. Der Raum war in gedämpftes Licht getaucht, kaum jemand sprach, Dutzende Leute starrten auf Monitore, nicht nur auf Standorte im und am Flughafen, sondern auch auf die Einspielungen der Gepäck-Scanner und Röntgengeräte und der Videokameras, die die Rollbahnen und Hangars überwachten.
Die Effizienz dieser Leute war erstaunlich. Zwanzig Minuten später verließ Gideon den Zoll mit einer frisch gebrannten, knallheißen DVD.