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»Was zum Teufel soll das?«
General Tucker erhob sich rasch, als Dajkovic Gideon in Handschellen in sein Arbeitszimmer stieß. Er trat hinter seinem Schreibtisch hervor, zog eine 45er und richtete sie auf Gideon.
Zum ersten Mal stand Gideon seinem Erzfeind von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Chamblee Tucker wirkte noch wohlgenährter und trinkfreudiger als auf den Dutzenden Fotos, die Gideon im Laufe der Jahre betrachtet hatte. Sein Hals quoll ein wenig über den gestärkten Kragen, die Wangen waren so glatt rasiert, dass sie glänzten, der Bürstenhaarschnitt makellos. In der Gesichtshaut zeichnete sich ein Netz kleiner Äderchen ab, das ihn als jemanden auswies, der regelmäßig und viel trank. Die Kleidung war typisch Washington: teure Krawatte, blauer Anzug, 400-Dollar-Schuhe. Das unpersönliche Arbeitszimmer passte ideal zu dem Mann – Holztäfelung, Inneneinrichter-Antiquitäten, Perserteppiche, an den Wänden prangten Fotos und lobende Erwähnungen.
»Spinnen Sie?«, rief Tucker. »Ich habe Ihnen doch nicht aufgetragen, ihn hierherzuschaffen. Mein Gott, Dajkovic, ich dachte, Sie könnten die Sache allein regeln!«
»Ich habe ihn hierhergebracht«, antwortete Dajkovic, »weil er mir etwas völlig anderes erzählt hat als das, was Sie gesagt haben. Und weil es sich verdammt plausibel angehört hat.«
Tucker sah ihn entgeistert an. »Sie glauben diesem Dreckskerl mehr als mir?«
»General, ich möchte nur dahinterkommen, was hier vor sich geht. Seit Jahren halte ich Ihnen den Rücken frei. Ich habe Arbeiten für Sie erledigt, saubere und schmutzige, und werde das auch weiterhin tun. Aber an diesem Berghang ist etwas Seltsames passiert. Ich fing an, dem Mann hier zu glauben.«
»Und was zum Teufel wollen Sie mir damit sagen?«
»Dass ich Zweifel habe, und sobald das geschieht, bin ich kein effizienter Soldat mehr. Sie wollen, dass ich den Kerl hier beseitige? Kein Problem. Ich befolge Ihre Befehle. Aber ich muss wissen, was vor sich geht, bevor ich ihm eine Kugel in den Kopf jage.«
Tucker sah ihn sehr lange an, dann unterbrach er den Blickkontakt und strich sich mit der Hand über die widerborstigen Haare. Er ging zu einem auf Hochglanz polierten Sideboard hinüber, öffnete eine Tür, holte ein Glas und eine Flasche Paddy hervor, knallte beides auf die Mahagoni-Oberfläche und schenkte sich zwei Fingerbreit ein. Er kippte den Whisky in einem Zug herunter. Dann blickte er wieder Dajkovic an.
»Hat jemand gesehen, wie Sie reingekommen sind?«
»Nein, Sir.«
Tucker schaute von Dajkovic zu Gideon und von Gideon wieder zu Dajkovic. »Was genau hat er Ihnen gesagt?«
»Dass sein Vater kein Verräter war. Und dass er selbst weder ein Terrorist noch mit Terroristen im Bunde ist.«
Tucker stellte sein Glas vorsichtig ab. »Also gut. In der Tat habe ich Sie ein wenig angeflunkert. Sein Vater hat keine Geheimnisse an die Sowjets verraten.«
»Und was hat er getan?«
»Sie dürfen nicht vergessen, Dajkovic, wir befanden uns damals in einem Krieg, im Kalten Krieg. Im Krieg geschehen hässliche Dinge. Kollateralschäden sind unvermeidlich. Wir hatten ein Problem; uns ist ein Fehler unterlaufen. Wir entwickelten einen fehlerhaften Code, was dazu führte, dass ein paar unserer Agenten umkamen. Wenn das herausgekommen wäre, hätte es die gesamte Kryptographie-Abteilung mitgerissen, und zwar zu einer Zeit, als wir verzweifelt ein neues Verschlüsselungsverfahren benötigten. Sein Vater musste zum Wohle des Ganzen geopfert werden. Sie wissen ja, wie es damals war. Entweder die oder wir.«
Dajkovic nickte. »Ja, Sir. Ich erinnere mich.«
»Und jetzt, zwanzig Jahre später, bedroht mich dieser Bursche. Erpresst mich. Versucht, alles niederzureißen, was wir aufgebaut haben, nicht nur meinen Ruf, sondern auch die Reputation einer ganzen Gruppe engagierter, patriotischer Amerikaner zu zerstören. Und deshalb muss er beseitigt werden. Verstehen Sie?«
»Ich habe verstanden«, sagte Dajkovic und lächelte leise. »Sie müssen nicht die Tatsachen verbiegen, um mich dazu zu bringen, dass ich etwas für Sie erledige. Ich bin hundert Prozent für Sie da, wann immer Sie mich brauchen.«
»Sind wir uns einig, was getan werden muss?«
»Absolut.«
Tucker warf einen Blick auf die Flasche und das Glas. »Wollen Sie auch einen?«
»Nein, danke.«
Tucker schenkte sich noch ein Glas ein und kippte den Inhalt runter. »Glauben Sie mir, es ist zu Ihrem Besten. Ich werde Ihnen ewig dankbar sein. Bringen Sie ihn durch die Garage nach draußen und vergewissern Sie sich, dass niemand Sie sieht.«
Dajkovic nickte und versetzte Gideon einen kleinen Stoß. »Gehen wir.«
Gideon drehte sich um und steuerte auf die Tür zu, Dajkovic im Schlepp. Sie betraten den Eingangsflur und gingen in Richtung Küche, dann in den hinteren Bereich des Gebäudes, von wo offenbar eine Tür hinaus in die Garage führte.
Als Gideon die eine seiner mit Handschellen gefesselten Hände auf den Türknauf legte, spürte er, dass die Tür abgeschlossen war. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel eine rasche Bewegung und begriff sofort, was passierte. Er warf sich gerade zur Seite, gegen Dajkovics Schulter, als sich Tuckers Schuss löste, aber die Kugel traf Dajkovic dennoch in den Rücken und schleuderte ihn nach vorn gegen die verschlossene Tür, während ihm gleichzeitig die Waffe aus der Hand geschlagen wurde. Mit einem Stöhnen sank er zu Boden.
Während sich Gideon blitzartig umdrehte und zu Boden warf, sah er ganz kurz Tucker in der Tür zur Küche stehen, breitbeinige Schusshaltung, Pistole in der Hand. Wieder feuerte Tucker, dieses Mal auf ihn, und pustete nur wenige Zentimeter von Gideons Gesicht entfernt ein Loch in die mexikanischen Bodenfliesen. Gideon sprang auf und machte ein Täuschungsmanöver, so als wollte er Tucker angreifen.
Der dritte Schuss löste sich im selben Moment, als Gideon einen Satz im rechten Winkel vollführte, sich auf Dajkovic warf und die 45er packte, die an der Wand gegenüber lag. Er brachte sie gerade in Anschlag, als ein vierter Schuss an seinem Ohr vorbeipfiff. Er hob die 45er, aber Tucker zog sich hinter die Tür zurück.
Gideon verschwendete keine Zeit, er packte Dajkovic am Hemd und zog ihn hinter eine Waschmaschine, dann ging er selbst in Deckung. Er überlegte wie verrückt. Was würde Tucker tun? Er konnte sie nicht am Leben lassen, konnte nicht die Polizei rufen, konnte nicht fliehen.
Es würde ein Kampf bis zum Ende werden.
Gideon spähte in den leeren Türrahmen, dorthin, wo Tucker gestanden hatte. Die Tür führte in das große, dunkle Esszimmer. Dort würde Tucker auf sie warten.
Gideon hörte ein Husten; Dajkovic ächzte und stand auf. Fast gleichzeitig ertönten rasch hintereinander Schüsse aus Richtung Tür. Gideon duckte sich, und sofort schlugen zwei weitere Schüsse in die Waschmaschine ein, und Wasser spritzte aus einem durchtrennten Schlauch.
Gideon drückte einmal ab, aber Tucker war schon wieder im Esszimmer verschwunden.
»Geben Sie mir die Waffe«, keuchte Dajkovic, und ohne eine Antwort abzuwarten, schloss sich seine mächtige Faust um die 45er in Gideons Hand und nahm sie. Er versuchte aufzustehen.
»Warten Sie«, sagte Gideon. »Ich laufe durch das Zimmer zum Küchentisch da. Er wird zur Tür gehen, um von dort auf mich zu schießen. Dadurch wird er direkt hinter dem Türrahmen stehen. Schießen Sie durch die Wand.« Dajkovic nickte. Gideon holte tief Luft, dann sprang er hinter der Waschmaschine hervor und flitzte hinüber hinter den Tisch, wobei er jedoch zu spät erkannte, dass er Tucker freie Schussbahn bot.
Mit einem Aufschrei rappelte sich Dajkovic auf wie ein verwundeter Bär. Blut triefte ihm aus dem Mund. Die Augen weit aufgerissen, stürmte er auf die Tür zu und feuerte durch die Wand rechts von der Tür. Und dann blieb er plötzlich mitten in der Küche stehen, taumelnd, immer noch brüllend, in die Wand feuernd, bis das Magazin leer war.
Einen Moment lang war in dem dunklen Esszimmer keine Bewegung auszumachen. Dann torkelte der massige Tucker, aus einem halben Dutzend Schusswunden Blut spritzend, über die Schwelle und schlug auf dem Boden auf wie ein Kadaver. Und nun erst sackte Dajkovic auf die Knie, hustete und fiel um.
Gideon rappelte sich hoch und kickte Tuckers Faustfeuerwaffe unter der reglosen Gestalt weg. Dann kniete er sich über Dajkovic. Er kramte in dessen Taschen, fischte den Handschellenschlüssel heraus und schloss seine Handschellen auf. »Ganz ruhig«, sagte er und untersuchte die Wunde. Die Kugel war tief in den Rücken eingedrungen und hatte anscheinend einen Lungenflügel durchschlagen, aber, wie Gideon hoffte, andere lebenswichtige Organe verfehlt.
Plötzlich und unerwartet lächelte Dajkovic, während sich seine blutigen Lippen zu einer schauerlichen Grimasse verzogen. »Haben Sie es auf Band?«
Gideon tätschelte seine Jacke. »Komplett.«
»Klasse«, keuchte Dajkovic. Mit einem Lächeln im Gesicht verlor er das Bewusstsein.
Gideon schaltete das digitale Aufnahmegerät aus. Er fühlte sich matt, und das Zimmer fing an sich zu drehen, als er in der Ferne Sirenen hörte.