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»Ich hab uns beiden für heute Abend einen Film mitgebracht«, sagte Gideon, setzte sich auf das weiße Ledersofa in der Lounge des Essex House und schenkte Mindy Jackson ein strahlendes Lächeln. Er wandte sich zum Kellner um. »Bringen Sie mir bitte, was sie hat, wet und dirty, mit zwei Oliven.«

»Was für einen Film?«, fragte Jackson.

»Die Mark-Wu-Show.« Er legte die DVD ab. »Zeigt ihn vom Zeitpunkt, als er aus dem Flugzeug gestiegen ist, bis zum Taxistand.«

Sie lachte.

»Was ist daran so komisch?«

»Ich kenne den Film schon. Er ist Mist – nichts darauf. Nada.«

Gideon spürte, dass er rot wurde. »Du hast ihn schon gesehen?«

»Machst du Witze? Das war das Erste, was wir uns angesehen haben. Wie bist du da drangekommen?«

Die Drinks kamen, und Gideon trank einen Schluck, um seine Enttäuschung zu verbergen. »Ich habe die diplomatischen Stempel eingesetzt, die du auf meinen Pass gedrückt hast. Und ein bisschen Geschrei.«

»Eines Tages wirst du noch auf jemanden treffen, der auf deinen Quatsch nicht hereinfällt.«

»So weit, so gut.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht jeder in der Welt ist dümmer als du.«

»Ich habe das noch nie erlebt«, sagte er. »Willst du dir den Film mit mir ansehen – oben auf unserem Zimmer?«

»Unserem Zimmer?« Ihr Lächeln wurde ein wenig kühl. »Was in Dubai passiert ist, bleibt in Dubai. Wir sehen uns den Film auf meinem Zimmer an. Du suchst dir ein eigenes Zimmer. Kein Zusammentun mehr, um deine reizende Formulierung zu verwenden.«

Gideon strengte sich an, dreinzuschauen, als sei es ihm egal.

Sie trank aus und erhob sich. »Du wirst enttäuscht sein.«

»Ich bin es schon.«

Oben in ihrem Zimmer, schaltete er den Player ein und schob die DVD hinein. Das erste Bild zeigte im Weitwinkel das Gate, Zeit, Datum und Ortsangabe liefen am unteren Bildrand entlang. Kurz darauf erschien Wu. Er sah ziemlich so aus, wie Gideon ihn in Erinnerung hatte: Halbglatze, hohe Stirn, unscheinbar, irgendwie blass. Er ging durchs Bild und schlängelte sich durch eine Gruppe Passagiere, die auf den nächsten Flug warteten.

Dann sah man eine Reihe schnell aufeinanderfolgender Bilder, die zeigten, wie Wu durch die Ankunftshalle ging, die Passkontrolle betrat, in der endlosen NICHT-US-BÜRGER-Schlange wartete, durch die Passkontrolle stürmte, durch die Zollabfertigung eilte, dann hinausging und mit der Rolltreppe hinunterfuhr.

»Hey! Da bist du!«, sagte Jackson. »Wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Schicke Chauffeursuniform.«

»Sehr witzig.«

Die DVD endete draußen vor dem Terminal und zeigte, wie der Escape davonfuhr.

Gideon rieb sich die Augen. Er kam sich vor wie ein Vollidiot, weil er am Flughafen ein derartiges Risiko eingegangen war – ein Risiko, das sich durchaus noch rächen konnte –, ohne dass es ihm etwas gebracht hatte.

»Ich bin müde«, sagte Jackson. »Ich hab Jetlag, ich habe gestern Nacht kein Auge zugetan, und zwar dank dir. Macht es dir etwas aus?«

Gideon starrte auf ein Standbild des Taxis. »Da ist eine Sache, die ich mir noch einmal ansehen möchte …«

»Raus.«

»Nein, wirklich. Ich möchte mir noch einmal etwas ansehen. Ganz am Anfang.«

»Was?«

»Als Wu durch diese wartenden Leute geht. Hast du gesehen, dass da eine Asiatin mit einem Jungen stand?«

»Da standen jede Menge Asiaten.«

»Ja, aber … ich möchte mir das noch einmal ansehen.«

Sie seufzte und drehte sich wieder zum Bildschirm um. Sie schauten sich das Ganze noch einmal an.

»Da!«, rief Gideon derart unvermittelt, dass Mindy erschrak.

»Ich habe nichts gesehen.«

»Sieh noch mal hin.« Er spielte das Video zurück und ging es in Zeitlupe durch.

»Ich hab immer noch nichts gesehen. Glaub mir, unsere Experten haben das Video bis in alle Einzelheiten analysiert.«

»Sei still und sieh hin … Da!« Er hielt das Bild an. »Eine Manipulation mit verdeckter Handfläche.«

»Eine was?«

Er merkte, wie er errötete. »Ich habe mal Zauberei studiert.« Über die Gründe für seine Studien ließ er sich allerdings nicht weiter aus. »Man lernt dabei, kleine Stücke Papier zu manipulieren. Zauberer nennen solche Handgriffe ›Manipulationen‹. Normalerweise verwendet man sie bei Kartentricks.« Er spulte die DVD zurück und ging sie nochmals durch, Bild für Bild. »Schau. Der Junge lässt den Teddybär fallen, während Wu näher kommt … die Frau beugt sich nach unten, um den Teddy aufzuheben … jeder Zuschauer würde ihrer Hand folgen und darauf achten, wie sie damit den Teddybär aufhebt. Aber sieh dir mal ihre linke Hand an … du erkennst, wie ihre linke Handfläche nach oben weist, das Handgelenk gerade … Dann geht Wu vorbei, und hinterher ist ihre linke Hand geschlossen und das Handgelenk leicht angewinkelt.«

Er spielte die Frequenz noch einmal durch, Bild für Bild.

»Ich hab’s gesehen, glaube ich«, sagte sie zweiflerisch. »Er hat ihr irgendetwas gegeben.«

»Nein, nein! Umgekehrt – sie hat ihm etwas gegeben. Und sie hat das auf eine Weise getan, dass niemand, aus keinem Blickwinkel, es erkennen konnte.«

»Und warum sollte sie ihm etwas zustecken?«

»Keine Ahnung.« Er hielt das Standbild an, holte sich ein kleines Blatt Hotel-Notizpapier und demonstrierte ihr den Trick.

»Ich glaub’s einfach nicht. Aber wenn sie ihm einen Zettel zugesteckt hat, wo ist der jetzt?«

»Wer weiß? Ich nehme an, er hat ihn vernichtet, als ihm klarwurde, dass er verfolgt wird.«

»Diese Frau«, sagte Jackson, »ist der Schlüssel. Wir müssen sie finden.«

Gideon nickte.

Sie wandte sich zu ihm um. »Wir teilen den Auftrag auf. Du suchst nach dem Jungen, ich nach der Frau.«

»Wie soll ich denn den Jungen finden …?« Plötzlich aber hielt er inne, denn er hatte noch etwas auf dem Video entdeckt; etwas, das Mindy und alle anderen offenbar übersehen hatten.

Sie zog bereits ihren Mantel an und griff nach ihrer Handtasche. »Ruf mich an, wenn du etwas gefunden hast. Ich tue das Gleiche.«