Es war ein tränenreicher Abschied von Silius und Cornificius. Natürlich überschütteten die Zenturios der Fimbrianer ihren Freund mit Geschenken, die zum Teil wertvoll und durchweg nützlich waren. Clodius ritt auf dem Rücken eines edlen kleinen Pferdes davon, und auch die Männer in seinem Gefolge waren gut beritten. Ein paar Dutzend Maultiere trugen die Beute. Clodius glaubte, durch eine sichere Gegend zu reiten, deshalb hatte er Silius’ Angebot einer Eskorte ausgeschlagen.
Es ging auch alles gut, bis er in Zeugma den Euphrat überquerte, um nach Cilicia Pedia und nach Tarsus weiterzuziehen. Zwischen ihm und den fruchtbaren Flußniederungen von Cilicia Pedia lagen jedoch die Amanusberge, ein lächerliches Küstengebirge, verglichen mit den Massiven, die Clodius erst kürzlich bewältigt hatte; er betrachtete sie mit Geringschätzung — bis eine Bande von arabischen Wegelagerern ihn in einem ausgetrockneten Flußbett überfiel und ihm sein gesamtes Hab und Gut, seine Taschen mit Geld und die edlen, kleinen Pferde raubte. Clodius mußte die Reise allein und auf dem Rücken eines Maultiers fortsetzen; immerhin hatten die Araber (die ihn zum Totlachen komisch fanden) ihm genügend Geld gelassen, um bis nach Tarsus zu kommen.
Als er dort war, mußte er feststellen, daß sein Schwager Rex noch immer nicht eingetroffen war. Clodius bezog eine Suite im Palast des Statthalters und setze sich an einen Tisch, um seine Liste der gehaßten Personen zu vervollständigen: Catilina, Cicero, Fabia, Lucullus und jetzt die Araber. Auch die Araber würden ihm dafür bezahlen!
Erst gegen Ende des Quinctilis trafen Quintus Marcius Rex und seine drei neuen Legionen in Tarsus ein. Er war mit Glabrio zusammen zum Hellespont gezogen und hatte beschlossen, durch Anatolien zu marschieren, statt an einer von Piraten wimmelnden Küste entlangzusegeln. In Lycaonia — so konnte er dem begeisterten Clodius berichten — hatte er von niemand anderem als Lucullus einen Hilferuf bekommen, dem es nach der Abreise des Freundes der Soldaten doch noch gelungen war, die Fimbrianer zum Marsch nach Pontus zu bewegen. In Talaura war Lucullus dann von einem Schwiegersohn des Tigranes namens Mithridates angegriffen worden und hatte dabei erfahren, daß die beiden Könige ihm hart auf den Fersen waren.
»Stell dir vor, er hatte doch tatsächlich die Stirn, mich um Hilfe zu bitten!« sagte Rex.
»Er ist schließlich auch dein Schwager«, erwiderte Clodius verschmitzt.
»Er ist Persona non grata in Rom, also hab’ ich mich natürlich geweigert. Ich glaube, er hat auch Glabrio um Hilfe gebeten, aber bei dem wird er wohl kein Glück gehabt haben. Zuletzt habe ich gehört, er soll umgekehrt sein, um nach Nisibis zurückzukehren.«
»Dort ist er nicht angekommen«, erwiderte Clodius, der über das Ende von Lucullus’ Marsch besser informiert war als über die Ereignisse in Talaura. »Als sie am Kreuzweg in Samosata waren, haben die Fimbrianer gestreikt. In Tarsus hat man sich erzählt, daß er jetzt nach Kappadokien unterwegs ist. Von dort aus will er weiter nach Pergamum.«
Natürlich wußte Clodius aus der Lektüre von Lucullus’ Briefen, daß man Pompeius dem Großen ein uneingeschränktes Kommando gegen die Piraten im Mittelmeer übertragen hatte, also ließ er das Thema Lucullus auf sich beruhen und wandte sich Pompeius zu.
»Und was mußt du tun, um dem widerlichen Pompeius Magnus bei seinem Feldzug gegen die Piraten zu helfen?« fragte er.
Quintus Marcius Rex rümpfte die Nase. »Gar nichts, wie es scheint. Der Bruder unseres gemeinsamen Schwagers Celer, dein Vetter Nepos, hat die Befehlsgewalt über die cilicischen Gewässer, dabei ist er kaum alt genug, dem Senat anzugehören. Ich soll meine Provinz regieren und mich ansonsten heraushalten.«
»So eine Unverschämtheit!« Clodius witterte einen lustigen Streich.
»Ganz genau«, sagte Rex steif.
»Ich habe Nepos in Tarsus nicht gesehen.«
»Du wirst ihn schon noch sehen. Bald. Seine Schiffe liegen bereit. Cilicia scheint das eigentliche Ziel von Pompeius’ Feldzug sein.«
»Ich denke«, sagte Clodius, »dann sollten wir in den cilicischen Gewässern noch ein paar gute Werke tun, bevor Nepos eintrifft, meinst du nicht?«
»Wie das?« Claudias Gatte kannte Clodius, aber von seiner Fähigkeit, Unheil zu stiften, schien er nichts zu wissen. Er war noch immer bereit, die charakterlichen Mängel seines Schwagers als jugendlichen Übermut abzutun.
»Ich könnte mir eine kleine Flotte nehmen und in deinem Namen auf Piratenjagd gehen«, sagte Clodius.
»Also. .. «
»Was spricht dagegen?«
»Nun — eigentlich kann es ja nichts schaden.« Noch schwankte Rex.
»Bitte, sag ja.«
»Also gut. Aber du darfst nur die Piraten ärgern.«
»Ich verspreche es dir«, sagte Clodius. Er stellte sich schon die Beute vor, die ihm den Verlust versüßen sollte, den er durch die verfluchten arabischen Wegelagerer am Amanus erlitten hatte.
Es war eher eine Flottille als eine Flotte, an deren Spitze Clodius der Admiral bereits acht Tage später aus dem Hafen segelte, zehn gut bemannte und ordentlich aufgetakelte Biremen, von denen weder Rex noch Clodius glaubte, daß Metellus Nepos sie vermissen würde, wenn er in Tarsus eintraf.
Clodius hatte nicht bedacht, daß Pompeius’ Besen bereits so kräftig gekehrt hatte, daß es in den Gewässern vor Zypern und Cilicia Tracheia (dem zerklüfteten westlichen Ende der Provinz, in dem sich viele Piratennester befanden) nun von flüchtenden Piratenflotten nur so wimmelte, von Piratenflotten, die wesentlich mehr Schiffe als zehn Biremen zählten. Er war noch keine fünf Tage auf See, als eine solche Flotte in Sicht kam, seine Flottille umzingelte und sie kaperte. Publius Clodius war nur eine kurze Zeit als Admiral beschieden gewesen.
Man brachte ihn zu einem Stützpunkt auf Zypern, nicht weit von Paphos, der Hauptstadt und dem Sitz des Regenten, jenes Ptolemaios, den man den Zyprioten nannte. Natürlich kannte Clodius die Geschichte von Caesar und seinen Piraten, und sie hatte einen grandiosen Eindruck auf ihn gemacht. Gut, wenn Caesar so etwas geschafft hatte, dann konnte ein Publius Clodius es auch! Also verkündete er seinen Häschern erst einmal mit herrischer Stimme, daß sein Lösegeld bei zehn und nicht etwa bei zwei Talenten anzusetzen sei, und die Tabellen der Piraten bestätigten, daß dies ein durchaus angemessenes Lösegeld für einen jungen Adligen wie Clodius war. Die Piraten, die Caesars Geschichte noch besser kannten als Clodius, versprachen ihm feierlich, daß sie zehn Talente verlangen würden.
»Wer wird mich auslösen?« fragte Clodius großspurig.
»In diesen Gewässern, Ptolemaios der Zypriote«, bekam er zur Antwort.
Er versuchte, bei den Piraten die Rolle Caesars zu spielen, aber es mangelte ihm an Caesars eindrucksvoller Erscheinung; seine Prahlereien und Drohungen klangen lächerlich, und auch wenn er wußte, daß Caesars Häscher mitgelacht hatten, war er immerhin wach genug, um zu begreifen, daß dieser Haufen sich nicht beeindrucken lassen würde, trotz der Rache, die Caesar genommen hatte. Also änderte er den Kurs und schlug eine Taktik ein, auf die sich niemand besser verstand als er — er machte sich daran, die Herzen der einfachen Leute zu gewinnen und Unfrieden zu stiften. Zweifellos hätte er damit auch Erfolg gehabt, wenn den zehn Anführern der Piraten nicht zu Ohren gekommen wäre, was er trieb. Sie warfen ihn in eine Zelle, wo er kein Publikum mehr hatte, außer den Ratten, die es auf sein Brot und sein Wasser abgesehen hatten.
Er war in den ersten Tagen des Sextilis gefangengenommen worden, und sechzehn Tage später war er bereits in diesem Kerker gelandet. Drei Monate verbrachte er zusammen mit seiner rättischen Gefolgschaft in der Zelle. Man ließ ihn schließlich heraus, weil der Besen des Pompeius so gründlich kehrte, daß den Piraten nichts anderes übrigblieb, als die Siedlung aufzulösen. Außerdem kam Clodius zu Ohren, daß Ptolemaios der Zypriote herzhaft gelacht hatte, als man ihm sagte, wie hoch der Römer sein eigenes Lösegeld veranschlagte. Zwei Talente hatte er schließlich geschickt, und mehr, so Ptolemaios der Zypriote, sei ein Publius Clodius auch nicht wert.
Unter normalen Umständen hätten die Piraten mit Clodius kurzen Prozeß gemacht, aber Pompeius und Metellus Nepos waren ihnen so dicht auf den Fersen, daß sie kein Todesurteil riskieren wollten: Es hatte sich herumgesprochen, daß die Gefangennahme nicht automatisch die Kreuzigung nach sich zog, daß Pompeius manchmal Milde walten ließ. Deshalb ließ man Publius Clodius einfach laufen, als die Schiffe und ihre Besatzungen davonsegelten. Ein paar Tage später segelte eine von Metellus Nepos’ Flotten vorbei; Publius Clodius wurde gerettet und durfte nach Tarsus und zu Quintus Marcius Rex zurückkehren.
Nach einem Bad und einem ausgiebigen Mahl vervollständigte er die Liste der gehaßten Personen: Catilina, Cicero, Fabia, Lucullus, die Araber und jetzt auch Ptolemaios der Zypriote. Früher oder später würden sie alle dran glauben müssen. Egal, wie lange es dauerte: Die Aussicht auf Rache war so süß, daß der Zeitpunkt kaum eine Rolle spielte. Wichtig war nur, daß es geschehen sollte. Und es würde geschehen.
Er traf Quintus Marcius Rex in schlechter Stimmung an, aber Clodius’ Scheitern war nicht der Grund dafür. Rex betrachtete es als sein eigenes Scheitern. Pompeius und Metellus Nepos hatten ihn kaltgestellt; sie hatten seine Schiffe requiriert und ihn dazu verurteilt, in Tarsus zu hocken und Däumchen zu drehen. Inzwischen waren sie mehr mit Aufklauben als mit Fegen beschäftigt; der Piratenkrieg war vorbei, und bei der Ernte ging Rex leer aus.
»Soviel ich weiß«, sagte Rex wütend zu Clodius, »will er nach seiner großen Rundreise durch Asia hier zu uns nach Cilicia kommen, um >einen Blick auf seine Reserven< zu werfen, wie er sich ausdrückte.«
»Pompeius oder Metellus Nepos?« fragte Clodius verwundert.
»Pompeius natürlich! Und seine Befehlsgewalt steht über meiner, sogar hier in meiner Provinz! Ich muß mit Schwamm und Nachttopf hinter ihm hertrotten!«
»Schöne Aussichten«, meinte Clodius sarkastisch.
»Unerträgliche Aussichten!« knurrte Rex. »Und deshalb wird Pompeius mich hier in Cilicia nicht antreffen. Jetzt, wo Tigranes nicht mehr in der Lage ist, sich südwestlich des Tigris zu halten, werde ich Syrien angreifen. Lucullus hat eine seiner Marionetten auf den syrischen Thron gesetzt — Antiochus Asiaticus nennt sich der Mann! Wir werden ja sehen. Syrien gehört zum Herrschaftsgebiet des Statthalters von Cilicia, also hole ich es mir.«
»Darf ich mit dir kommen?« fragte Clodius.
»Warum nicht?« Der Statthalter lächelte. »Schließlich hat Appius Claudius ziemliches Aufsehen erregt, als er monatelang in Antiochia herumlungerte, um eine Audienz bei Tigranes zu bekommen. Ich könnte mir vorstellen, daß sein kleiner Bruder dort höchst willkommen ist.«
Erst als er mit Quintus Marcius Rex in Antiochia eintraf, begriff Clodius, daß er hier das erste seiner Rachegelüste befriedigen konnte. Rex hatte von einem »Angriff« gesprochen, aber es kam überhaupt nicht zum Kampf; Lucullus’ Marionette Antiochus Asiaticus flüchtete, und Rex konnte sich selbst zum Königsmacher aufschwingen und einen gewissen Philippus auf den Thron setzen. In Syrien herrschte das Chaos, nicht zuletzt deshalb, weil Lucullus Tausende von Griechen freigelassen hatte, die in Scharen nach Hause geströmt waren. Nicht wenige jedoch hatten feststellen müssen, daß ihre Häuser und ihre Geschäfte von den Arabern übernommen worden waren, die Tigranes aus der Wüste geholt und denen er die Besitztümer der Griechen überlassen hatte, die von ihm im Zuge seiner Hellenisierung ins medische Armenien verschleppt worden waren. Rex war es ziemlich gleichgültig, wem in Antiochia, Zeugma, Samosata oder Damaskus die Häuser und Geschäfte gehörten. Aber seinem Schwager Clodius war es ganz und gar nicht gleichgültig. Araber! Wie er diese Araber haßte!
Er machte sich an die Arbeit. Er flüsterte Rex bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Ohr, auf welch perfide Weise die Araber den Griechen ihre Häuser und ihre Geschäfte weggenommen hätten, gleichzeitig suchte er jeden unzufriedenen und enteigneten Griechen von Einfluß auf, den er in Antiochia, Zeugma, Samosata und in Damaskus finden konnte. Nicht ein einziger Araber dürfe in Syrien bleiben, verkündete er immer wieder. Sollten sie doch in ihre Wüste, zu ihren Handelswegen zurückkehren, wo sie hingehörten!
Es war eine sehr erfolgreiche Kampagne. Schon bald lagen die ersten ermordeten Araber in den Rinnsteinen von Antiochia und Damaskus, oder sie trieben den breiten Euphrat herunter, und ihre sonderbaren Gewänder bauschten sich um ihre toten Körper. Als eine arabische Abordnung bei Rex in Antiochia vorsprach, fertigte er sie kurz und bündig ab. Clodius’ Einflüsterungen hatten ihre Wirkung getan.
»Das habt ihr König Tigranes zu verdanken«, sagte er. »Seit sechshundert Jahren haben Griechen in den fruchtbaren und besiedelten Teilen Syriens gewohnt. Und vorher waren hier die Phönizier. Ihr aber seid Skeniten von der östlichen Seite des Euphrat. Ihr habt an den Ufern unseres Meeres nichts verloren. König Tigranes ist für immer fort. In Zukunft gehört Syrien zum römischen Herrschaftsgebiet.«
»Das wissen wir«, erwiderte der Anführer der Abordnung, ein junger skenitischer Araber, der sich Abgarus nannte. Rex wußte nicht, daß dieser Name der ererbte Titel des skenitischen Königs war. »Wir wollen ja nur, daß der neue Herr in Syrien uns zugesteht, was unser geworden ist. Wir haben nicht darum gebeten, hier nach Antiochia geschickt zu werden, entlang des Euphrat die Fährzölle einzusammeln oder in Damaskus zu wohnen. Auch wir sind Entwurzelte, und unser Schicksal ist grausamer als das der Griechen.«
Quintus Marcius Rex hob die Augenbrauen. »Wieso, wenn ich fragen darf?«
»Weil den Griechen überall nur mit Freundlichkeit begegnet wurde, großer Statthalter. Sie waren hochangesehen und haben viel Geld verdient in Tigranokerta, in Nisibis, in Amida und Singara. Wir aber kommen aus einem rauhen, unwirtlichen Land, aus einer sandigen Einöde. Wenn wir uns des Nachts wärmen wollten, mußten wir uns zwischen die Leiber unserer Schafe legen oder uns vor das rauchige Feuer eines Reifens aus getrocknetem Dung setzen. Und das alles ist erst zwanzig Jahre her. Inzwischen haben wir Gras wachsen sehen, wir haben feines Weizenbrot gegessen und klares Wasser getrunken, wir haben im Luxus gebadet, in Betten geschlafen und Griechisch gelernt. Es wäre eine sinnlose Grausamkeit, uns jetzt wieder in die Wüste zu schicken. Hier in Syrien gibt es Wohlstand für alle! Laß uns bleiben, mehr verlangen wir nicht. Und zeige den Griechen, die uns verfolgen, daß du keine Barbarei dulden wirst, die eines jeden Mannes unwürdig ist, der sich Grieche nennt«, sagte Abgarus mit schlichter Würde.
»Ich kann wirklich nichts für euch tun«, antwortete Rex ungerührt. »Ich hab’ ja gar nicht angeordnet, daß man euch in die Wüste zurückschicken soll, aber ich will, daß hier in Syrien Frieden herrscht. Warum suchst du dir nicht die schlimmsten griechischen Unruhestifter und redest mit ihnen?«
Abgarus und seine Gefährten befolgten diesen Rat, auch wenn Abgarus den Römern ihre Falschheit und ihre stillschweigende Duldung des Mordes an seinem Volk nicht verzieh. Statt nach den griechischen Rädelsführern zu suchen, schlossen die skenitischen Araber sich zu schlagkräftigen Gruppen zusammen und fingen an, die eigentliche Quelle der wachsenden Unzufriedenheit unter den Griechen ausfindig zu machen. Es ging nämlich das Gerücht um, daß der wahre Schuldige kein Grieche, sondern ein Römer sei.
Zusammen mit seinem Namen, Publius Clodius, erfuhren sie, daß der junge Mann der Schwager des Statthalters war und aus einer der ältesten und angesehensten römischen Familien stammte, ja, daß er sogar mit Gnaeus Pompeius Magnus, dem Sieger über die Piraten, verschwägert war. Einen solchen Mann konnte man nicht töten. Verschwiegenheit mochte es in der Einöde der Wüste geben, aber nicht hier in Antiochia; irgend jemand würde zur gegebenen Zeit alles ausplaudern.
»Wir werden ihn nicht töten«, sagte Abgarus. »Aber wir werden ihm eine schmerzliche Lektion erteilen.«
Bei weiteren Erkundigungen stellte sich heaus, daß dieser Publius Clodius in der Tat ein recht merkwürdiger römischer Adliger war. Er lebte in einem ganz gewöhnlichen Haus im Elendsviertel von Antiochia und verkehrte an Orten, an denen römische Adlige normalerweise nicht verkehrten. Und genau das machte ihn zur leichten Beute. Abgarus schlug zu.
Gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen brachte man Publius Clodius in einen fensterlosen Raum, einen Raum ohne Wandbilder oder Dekorationen oder sonst irgend etwas, was ihn von unzähligen anderen Räumen in Antiochia unterschieden hätte. Und mehr als einen kurzen Blick ließ man Clodius ohnehin nicht darauf werfen, denn unmittelbar nachdem man ihm den Knebel aus dem Mund und die Binde vor den Augen genommen hatte, zog man ihm einen Sack über den Kopf und verschnürte ihn am Hals. Kahle Wände und braune Hände, mehr hatte er nicht gesehen, doch seine Blindheit war jetzt etwas gemildert — er konnte durch den Stoff des Sackes vage Umrisse und Bewegungen erkennen.
Sein Herz schlug schneller als das eines Vogels, Schweiß tropfte ihm von der Stirn, sein Atem ging stoßweise, flach und keuchend. Noch nie hatte Clodius solche Todesängste ausgestanden, nie war er so sicher gewesen, sterben zu müssen. Aber von wessen Hand? Und was hatte er verbrochen?
Eine Stimme sprach auf griechisch mit ihm, aber mit einem Akzent, den er als arabischen Akzent erkannte; jetzt wußte Clodius mit Sicherheit, daß er sterben würde.
»Publius Clodius aus der ehrwürdigen Familie Claudius Pulcher«, sagte die Stimme, »wir würden dich liebend gern töten, aber das ist nicht möglich. Es sei denn, du würdest auf Rache sinnen, nachdem wir dich freigelassen haben, auf Rache für das, was wir jetzt gleich mit dir anstellen werden. Wenn du versuchst, dich zu rächen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als dich zu töten, und ich schwöre bei allen unseren Göttern, daß wir es tun werden. Sei klug und verschwinde aus Syrien, nachdem wir dich freigelassen haben. Verschwinde aus Syrien und komm nie wieder hierher zurück, solange du lebst.«
»Was... habt... ihr... vor?« stammelte Clodius, der genau wußte, daß ihm Folter und Auspeitschung drohten.
»Nun, Publius Clodius«, sprach die Stimme mit unverkennbarer Belustigung, »wir werden dich zu einem von uns machen. Wir machen einen Araber aus dir.«
Hände hoben den Saum seiner Tunika hoch (Clodius trug in Antiochia keine Toga, das hätte nicht zu seinem Auftreten hier gepaßt) und entfernten auch den Lendenschurz, den ein Römer anlegte, wenn er nur in eine Tunika gehüllt auf die Straße ging. Clodius wehrte sich, verstand nicht, was mit ihm geschah, aber dann hoben ihn viele Hände auf eine glatte, harte Unterlage und hielten ihm Arme, Beine und Füße fest.
»Halt still, Publius Clodius«, sagte die Stimme, noch immer belustigt. »Mit so einem riesigen Ding hat unser Priester es nicht oft zu tun, es wird schnell gehen. Aber wenn du nicht ruhig hältst, schneidet er womöglich mehr ab als beabsichtigt.«
Andere Hände faßten seinen Penis an, zogen ihn in die Länge — was hatten sie mit ihm vor? Zuerst dachte Clodius an eine Kastration, rnachte sich naß und kotete sich ein, und das alles unter schallendem Gelächter seiner Peiniger. Er lag jetzt ganz still, aber er jammerte, schrie, stammelte, bettelte und heulte. Wo mochte er sich befinden, warum mußten sie ihn nicht knebeln?
Sie kastrierten ihn nicht, auch wenn das, was sie an der Spitze seines Penis’ machten, ihm schreckliche Schmerzen bereitete.
»So!« sagte die Stimme. »Du bist ein braver Junge, Publius Clodius! Und für immer einer von uns. Wenn du deinen Docht in den nächsten Tagen nicht in infizierte Löcher steckst, dann dürfte er bald abgeheilt sein.«
Kaum hatten sie ihm den Lendenschurz wieder um seinen kotbeschmierten Hintern gewickelt und ihm die Tunika übergezogen, da verlor Clodius das Bewußtsein, und er hätte hinterher nicht sagen können, ob seine Peiniger ihn betäubt hatten, oder ob er ganz einfach ohnmächtig geworden war.
Er erwachte in seinem eigenen Haus, in seinem eigenen Bett; der Kopf tat ihm weh und die Wunde zwischen den Beinen schmerzte so sehr, daß er diesen Schmerz als erstes registrierte, noch bevor die Erinnerung an das Geschehene ihn wieder einholte. Er sprang aus dem Bett, hielt die Luft an vor Angst, daß ihm da unten vielleicht gar nichts geblieben sein könnte, legte eine Hand unter seinen Penis und sah nach, was noch übrig war. Alles, so schien es, aber zwischen Streifen getrockneten Blutes schimmerte etwas Purpurfarbenes. Etwas, das er sonst nur sehen konnte, wenn sein Glied erigiert war. Er hatte es noch immer nicht richtig begriffen, denn auch wenn er schon einmal davon gehört hatte, so wußte er doch nur von den Ägyptern und den Juden, daß sie das zu tun pflegten, und er kannte weder einen Ägypter noch einen Juden. Ganz langsam dämmerte es ihm, und jetzt erst fing Publius Clodius an zu weinen. Also taten es auch die Araber, denn sie hatten ihn ja zu einem von ihnen gemacht. Sie hatten ihn beschnitten, ihm die Vorhaut abgetrennt.
Publius Clodius segelte mit dem nächsten Schiff nach Tarsus ab, es war eine ruhige Fahrt durch Gewässer, die endlich von den Piraten befreit waren — Pompeius sei Dank! In Tarsus nahm er ein Schiff nach Rhodos, und von Rhodos segelte er weiter nach Athen. Inzwischen war seine Wunde so gut verheilt, daß ihm nur noch beim Urinieren einfiel, was die Araber mit ihm gemacht hatten. Es war Herbst, aber er widerstand den Stürmen in der Ägäis und kam sicher in Athen an. Von dort fuhr er nach Patras, ließ sich nach Tarentum übersetzen und mußte sich mit dem Gedanken abfinden, daß er nun bald zu Hause sein würde. Er, ein beschnittener Römer.
Der Weg auf der Via Appia nach Norden war der schlimmste Teil der Reise, denn jetzt begriff er, wie teuflisch der Einfall der Araber gewesen war. Solange er lebte, durfte er niemanden mehr seinen Penis sehen lassen, denn wenn die Geschichte bekannt werden würde, wäre er der Lächerlichkeit preisgegeben, einem Gespött, gegen das keine Prahlerei der Welt mehr etwas ausrichten könnte. Mit dem Urinieren und Defäkieren würde er fertig werden; er müßte eben lernen, sich zu beherrschen, bis er sicher sein konnte, unbeobachtet zu sein. Aber sexuelle Vergnügungen? So etwas gehörte der Vergangenheit an. Er würde nie mehr in den Armen einer Frau liegen dürfen, es sei denn, er kaufte sich eine Fremde, bediente sich ihrer im Dunkeln und warf sie wieder hinaus, bevor es hell wurde.
Anfang Februar traf er zu Hause ein, in dem Haus auf dem Palatin, das sein großer Bruder Appius Claudius sich mit dem Geld seiner Frau gekauft hatte. Sein großer Bruder Appius brach bei seinem Anblick in Tränen aus, so alt und müde erschien ihm Clodius; das Nesthäkchen der Familie war erwachsen geworden, und das offensichtlich nicht ohne Schmerzen. Natürlich schluchzte auch Clodius, und es dauerte eine Weile, bis die lange Geschichte seiner Leiden und Strapazen aus ihm herausbrach. Nach drei langen Jahren im Osten kehrte er nun mittelloser zurück, als er damals aufgebrochen war; um nach Hause reisen zu können, habe er sich Geld von Quintus Marcius Rex borgen müssen, der darüber keineswegs erfreut gewesen sei, weder über das Darlehen noch über Clodius’ unerklärliche Abreise oder über seine Zahlungsunfähigkeit.
»Und dabei hatte ich soviel!« jammerte Clodius. »Zweihunderttausend in Bargeld, Juwelen und Gold; Pferde, die ich in Rom für fünfzigtausend das Stück hätte verkaufen können — alles weg! Geklaut von einer Bande dreckiger, stinkender Araber!«
Der große Bruder Appius klopfte Clodius auf die Schulter, erstaunt über die große Ausbeute: Er hatte bei Lucullus nicht halb soviel verdient! Natürlich erfuhr er nichts über Clodius’ Beziehung zu den Zenturios der Fimbrianer und darüber, daß sein kleiner Bruder auf diese Weise zu der Beute gekommen war. Er selbst saß inzwischen im Senat und erfreute sich eines angenehmen Lebens, sowohl privat als auch beruflich. Für seine Amtszeit als Quästor in Brundisium und Tarentum war er inzwischen öffentlich belobigt worden, ein phantastischer Start in eine hoffentlich große politische Karriere. Und auch für Publius Clodius hatte er großartige Neuigkeiten, und er verkündete sie seinem kleinen Bruder, sobald die erste Wiedersehensfreude sich gelegt hatte.
»Du brauchst dir um deine Mittellosigkeit keine Sorgen mehr zu machen, Bruderherz«, sagte Appius Claudius, »denn du wirst nie wieder mittellos sein!«
»Wirklich? Wie meinst du das?« fragte Clodius verwirrt.
»Man hat mir eine Heirat für dich angetragen — und was für eine! Nie hätte ich davon zu träumen gewagt, und wenn mir Apollo im Schlaf erschienen wäre. Kleiner Publius, es ist wunderbar! Unglaublich!«
Als Clodius bei dieser Ankündigung weiß wie die Wand wurde, schrieb Appius es dem freudigen Schock zu.
»Wer ist es denn?« stammelte Clodius. Und dann noch: »Warum ich?«
»Fulvia!« posaunte der große Bruder heraus. »Fulvia! Die Erbin der Gracchen und der Fulvii; Tochter der Sempronia, einziges Kind des Gaius Gracchus, Großenkelin von Cornelia, der Mutter der Gracchen, verwandt mit den Aemilii und den Cornelii Scipiones.«
»Fulvia? Kenne ich sie?« fragte Clodius verdutzt.
»Kann sein, daß sie dir noch nicht aufgefallen ist, aber sie hat dich gesehen«, sagte Appius Claudius. »Damals, als du die Vestalinnen angeklagt hast. Sie kann nicht älter als zehn gewesen sein, jetzt ist sie achtzehn.«
»Du meine Güte! Sempronia und Fulvius Bambalio, das unnahbarste Paar in ganz Rom.« Clodius war ganz benommen. »Die können sich Jeden aussuchen. Warum gerade mich?«
»Du wirst es verstehen, wenn du mit Fulvia gesprochen hast«, sagte Appius Claudius und grinste. »Sie ist nicht umsonst die Enkeltochter des Gaius Gracchus! Alle Legionen Roms könnten Fulvia nicht zu etwas zwingen, was Fulvia nicht tun will. Sie selbst hat dich ausgesucht.«
»Und wer erbt das ganze Geld?« fragte Clodius. Er erholte sich langsam von dem Schrecken und begann darüber nachzudenken, wie er es anstellen konnte, daß diese Pflaume ihm doch noch in den Schoß fiel. In den beschnittenen Schoß.
»Fulvia. Ihr Vermögen ist größer als das von Marcus Crassus.«
»Aber die lex Voconia... sie darf nicht erben!«
»Mein lieber Publius, natürlich darf sie erben!« sagte Appius Claudius. »Cornelia, die Mutter der Gracchen, hatte sich vom Senat für Sempronia eine Befreiung von der lex Voconia beschafft, und Sempronia und Fulvius haben das gleiche für Fulvia erreicht. Was meinst du wohl, weshalb der Volkstribun Gaius Cornelius alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um dem Senat das Recht zu solchen Sonderregelungen abzusprechen? Seine größte Wut richtete sich gegen Sempronia und Fulvius Bambalio, weil sie den Senat gebeten haben, Fulvia erben zu lassen.«
»Tatsächlich?« fragte Clodius, der immer verwirrter wurde.
»Aber gewiß, du warst ja im Osten und viel zu beschäftigt, um nach Rom zu schauen, als das alles passiert ist.« Appius Claudius strahlte wie ein Kind. »Das war vor zwei Jahren.«
»Fulvia wird also das ganze Vermögen erben«, sagte Clodius langsam.
»Fulvia wird das ganze Vermögen erben. Und du, lieber kleiner Bruder, wirst Fulvia erben.«
Aber würde er Fulvia tatsächlich erben? Er achtete ganz besonders auf den richtigen Sitz der Toga und darauf, daß er ordentlich gekämmt und rasiert war, als er am nächsten Morgen aufbrach, um Sempronia und ihren Gatten zu besuchen; er war das letzte Mitglied jener Sippe der Fulvii, der Gaius Sempronius Gracchus so leidenschaftlich unterstützt hatte. Es war weder ein außergewöhnlich großes noch ein sehr schönes Haus, stellte Clodius fest, während ein älterer Verwandter ihn ins Atrium führte, und es lag auch nicht in der besten Gegend des Carinae: Der Tellus-Tempel (ein heruntergekommener Bau, den man dem Verfall preisgegeben hatte) verstellte den Blick auf den Palus Ceroliae und hinüber zum Aventin, und keine zwei Straßen weiter ragten die Mietshäuser des Esquilinus in den Himmel.
Der Verwalter hatte ihm bereits mitgeteilt, daß Marcus Fulvius Bambalio unpäßlich war; Sempronia, die Dame des Hauses, würde ihn empfangen. Clodius kannte das Sprichwort, wonach alle Frauen ihren Müttern ähnlich sehen, deshalb sank ihm beim Anblick der berühmten und geheimnisumwitterten Sempronia der Mut: eine typische Cornelierin, rundlich und nicht besonders attraktiv. Sie war erst kurz vor dem Freitod des Gaius Sempronius Gracchus geboren worden und als einziges überlebendes Kind der ganzen unglücklichen Familie hatte man sie als eine Art Ehrenschuld dem einzigen überlebenden Kind der fulvischen Verbündeten von Gaius Gracchus gegeben, die in den Nachwehen der gescheiterten Revolution alles verloren hatten. Sie waren während Gaius Marius’ viertem Konsulat vermählt worden, und während Fulvius (der es vorgezogen hatte, den neuen Nachnamen Bambalio anzunehmen) daranging, ein neues Vermögen zu verdienen, war seine Frau bemüht, sich unsichtbar zu machen. Das war ihr so gut gelungen, daß nicht einmal Juno Lucina zu ihr gefunden hatte, denn sie war kinderlos geblieben. Im Alter von neununddreißig Jahren nahm sie am Fest des Lupercus teil und hatte das Glück, von einem Riemen aus gegerbtem Ziegenfell getroffen zu werden, als die Priester des Kollegiums nackt durch die Stadt liefen und tanzten. Die Kur gegen Unfruchtbarkeit schlug niemals fehl, auch nicht bei Sempronia. Neun Monate später brachte sie ihr einziges Kind zur Welt — Fulvia.
»Willkommen, Publius Clodius«, sagte sie und deutete auf einen Sessel.
»Frau Sempronia, es ist mir eine große Ehre«, erwiderte Clodius, indem er seine höflichsten Umgangsformen aufbot.
»Ich nehme an, Appius Claudius hat dich in Kenntnis gesetzt.« Ihr Blick musterte ihn, aber ihr Gesicht verriet nichts über das Urteil.
»Ja.«
»Und? Bist du interessiert daran, meine Tochter zu heiraten?«
»Es ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt hätte.«
»Das Geld — oder die Verbindung?«
»Beides«, sagte er. Warum hätte er sich verstellen sollen? Niemand wußte besser als Sempronia, daß er ihre Tochter noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
Sie nickte, keineswegs verärgert. »Ich habe mich nicht für diese Ehe stark gemacht, und auch Marcus Fulvius zerspringt nicht gerade vor Glück darüber.« Ein Seufzer, ein leichtes Achselz\1cken. »Aber Fulvia ist nicht umsonst die Enkeltochter von Gaius Gracchus. In mir hat der gracchische Geist keine Heimstatt gefunden, so wie mein Gatte nicht den Geist und das Feuer der Fulvii geerbt hat. Das muß die Götter geärgert haben. Fulvia hat unser beider Anteile mitbekommen. Ich weiß nicht, welche Laune sie auf dich gebracht hat, Publius Clodius, aber sie wählte dich, und das bereits vor acht Jahren. Schon damals faßte sie den Entschluß, nie einen anderen zu heiraten, und dabei ist sie geblieben. Weder Marcus Fulvius noch ich werden mit ihr fertig, sie ist zu stark für uns. Wenn du sie willst, kannst du sie haben.«
»Und ob er mich will!« sagte eine junge Stimme in der offenen Tür zum Peristylium.
Und herein kam Fulvia, nicht geschritten, sondern gelaufen; das entsprach ihrem Charakter — sie stürzte sich auf das, was sie haben wollte, zum Nachdenken hatte sie keine Zeit.
Zu Clodius’ Überraschung stand Sempronia auf und ging hinaus. Keine Anstandsdame? Wie entschlossen war diese Fulvia?
Clodius brachte kein Wort hervor; er war viel zu sehr mit Schauen beschäftigt. Fulvia war wunderschön! Sie hatte dunkelblaue Augen, lustiges, fransiges, hellbraunes Haar, schön geformte Lippen, eine scharf geschnittene Nase, war fast so groß wie er und hatte eine recht üppige Figur. Apart, außergewöhnlich, ganz anders als alle berühmten Familien in Rom. Woher war sie gekommen? Natürlich kannte er die Geschichte von Sempronia und dem Fest des Lupercus, und jetzt glaubte er beinahe, daß Fulvia eine Heimsuchung war.
»Also, was hast du mir zu sagen?« wollte dieses außergewöhnliche Geschöpf von ihm wissen und setzte sich auf den Platz ihrer Mutter.
»Daß mir bei deinem Anblick die Luft wegbleibt.«
Das gefiel ihr, ihr Lächeln entblößte wunderschöne Zähne, groß, schneeweiß, leidenschaftlich. »Das ist gut.«
»Warum ich, Fulvia?« fragte er, und seine Gedanken kreisten bereits um sein größtes Problem, die Beschneidung.
»Weil du ein unkonventioneller Mensch bist«, antwortete sie ohne zu zögern. »So wie ich. Weil du fühlst. So wie ich. Dich berühren die Dinge so, wie sie meinen Großvater Gaius Gracchus berührt haben. Ich verehre meine Vorfahren! Und als ich damals gesehen habe, wie du allen Widrigkeiten zum Trotz vor Gericht gekämpft hast, obwohl Pupius Piso und Cicero und alle anderen dich verhöhnt haben, da hätte ich alle, die dich fertigmachen wollten, umbringen mögen. Sicher, ich war erst zehn Jahre alt, aber damals wußte ich, daß ich meinen Gaius Gracchus gefunden hatte.«
Clodius wäre nie auf die Idee gekommen, sich mit einem der Gracchus-Brüder zu vergleichen, aber Fulvia hatte ihn da auf einen faszinierenden Gedanken gebracht. Warum sollte er sich nicht auf eine solche Karriere spezialisieren: ein aristokratischer Demagoge im Dienste der Unterprivilegierten? Paßte das nicht wunderbar zu seinem bisherigen Lebenslauf? Und wie leicht ihm das fallen würde, ihm, der eine ausgesprochene Begabung für den Umgang mit den einfachen Menschen hatte, die keinem der Gracchen jemals zu eigen war!
»Für dich werde ich es versuchen«, sagte er und schenkte ihr sein schönstes Lächeln.
Ihr stockte der Atem, sie schluckte vernehmlich. Aber dann sagte sie etwas Seltsames: »Ich bin ein sehr eifersüchtiger Mensch, Publius Clodius, und deshalb werde ich keine einfache Ehefrau sein. Wenn du es auch nur wagst, andere Frauen anzusehen, kratze ich dir die Augen aus!«
»Ich kann es mir gar nicht leisten, andere Frauen anzusehen«, erwiderte er nüchtern, und schneller, als ein Schauspieler die Maske wechseln kann, wechselte er von der Komödie zur Tragödie. »Es könnte sogar sein, daß auch du mich nicht mehr ansehen magst, wenn du erst mein Geheimnis kennst, Fulvia.«
Er brachte sie nicht im geringsten in Verlegenheit, im Gegenteil, sie beugte sich interessiert vor. »Dein Geheimnis?«
»Mein Geheimnis. Und was für ein Geheimnis. Ich werde dir nicht den Schwur abverlangen, es zu bewahren, denn es gibt nur zwei Sorten von Frauen. Die einen schwören und erzählen es trotzdem, die anderen bewahren es auch dann, wenn sie nicht geschworen haben. Zu welcher Sorte gehörst du, Fulvia?«
»Kommt darauf an«, sagte sie lächelnd. »Zu beiden, glaube ich. Also werde ich nicht schwören. Aber ich bin treu, Publius Clodius. Wenn dein Geheimnis dich in meinen Augen nicht erniedrigt, dann werde ich es bewahren. Ich habe dich zu meinem Gefährten erwählt, und ich bin treu. Ich würde für dich sterben.«
»Stirb nicht für mich, Fulvia, lebe für mich!« rief Clodius, der sich schneller verliebte, als der Korkball eines Kindes einen Wasserfall hinunterstürzen kann.
»Erzähl’s mir!« sagte sie, und es klang wie das Fauchen einer wilden Katze.
»Als ich bei meinem Schwager in Syrien war«, begann Clodius, »wurde ich von einer Bande skenitischer Araber entführt. Weißt du, was das für Leute sind?«
»Nein.«
»Das ist ein Wüstenvolk in Asia, und sie haben sich die Stellungen und den Besitz der Griechen angeeignet, die Tigranes nach Armenien deportiert hatte. Als die Griechen nach Tigranes’ Sturz zurückkehrten, waren sie mittellos. Die skenitischen Araber hatten alles unter Kontrolle. Das fand ich schrecklich, und deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, daß die Griechen ihren Besitz zurückbekamen und die Skeniten wieder in die Wüste geschickt wurden.«
»Ich verstehe.« Sie nickte. »Es ist deine Natur, für die Rechtlosen zu kämpfen.«
»Und zur Belohnung«, berichtete Clodius verbittert, »haben diese Wüstensöhne mich verschleppt und mir etwas angetan, was für einen Römer unerträglich ist, etwas, das so schändlich und beschämend ist, daß ich nicht mehr in Rom leben könnte, wenn es bekannt würde.«
Die unterschiedlichsten Gefühle spiegelten sich in Fulvias dunkelblauen Augen, als sie die einzelnen Möglichkeiten durchspielte. »Was könnten sie dir schon angetan haben?« fragte sie schließlich, ein wenig ratlos. »Vergewaltigung oder Sodomie können es nicht sein, denn das würde man verstehen und dir vergeben.«
»Was weißt du schon von Vergewaltigung und Sodomie?«
Sie blickte kokett. »Ich kenne mich aus, Publius Clodius.«
»Nun, das war es aber nicht. Sie haben mich beschnitten.«
»Was haben sie getan?«
»So gut kennst du dich doch nicht aus, was?«
»Ich habe das Wort noch nie gehört. Was bedeutet es?«
»Sie haben mir meine Vorhaut abgeschnitten.«
»Deine was?« fragte sie und deckte damit nur eine weitere Schicht ihres Unwissens auf.
Clodius seufzte. »Es wäre besser für die römischen Jungfrauen, wenn die Wandmalereien nicht immer nur den Priapus zeigen würden«, sagte er. »Wir Männer laufen nicht ständig mit Erektionen herum.«
»Das weiß ich.«
»Aber du scheinst nicht zu wissen, daß die Eichel an unserem Penis von einer Hülle verdeckt ist, wenn wir Männer nicht erigiert sind. Diese Hülle nennt man Vorhaut«, erklärte Clodius. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Manche Leute schneiden sie ab, damit die Eichel immer entblößt ist. Das nennt man Beschneidung. Die Juden und die Ägypter machen das so. Und anscheinend auch die Araber. Und das haben sie mit mir gemacht. Sie haben mich als Ausgestoßenen gebrandmarkt, als unrömischen Außenseiter!«
Ihr Gesicht glich einem Theaterhimmel, ständig wechselte die Bewölkung. »Mein armer Clodius!« rief sie. Ihre Zunge kam heraus, befeuchtete die Lippen. »Laß mich mal sehen!« sagte sie.
Allein der Gedanke verursachte Zittern und Beben; Clodius stellte nun fest, daß eine Beschneidung keineswegs zur Impotenz führt, ein Schicksal, das die ständige Schlaffheit seines Glieds seit Antiochia ihm bereits zu verheißen schien. Außerdem wurde ihm plötzlich bewußt, daß er in mancher Hinsicht prüde war. »Nein, auf gar keinen Fall darfst du das sehen!« schnaubte er.
Aber sie kniete bereits vor seinem Sessel; ihre Hände teilten hastig die Toga, schoben die Tunika zur Seite. Mit einer Mischung aus Übermut, Vergnügen und Enttäuschung sah sie zu ihm hoch, dann deutete sie auf die bronzene Lampe, eine Darstellung des Priapus — der Docht der Kerze stand aus dem erigierten Glied hervor. »Er sieht ja genauso aus wie der da«, sagte sie kichernd. »Ich will ihn runterhängen sehen, nicht stehen!«
Clodius sprang aus dem Sessel, ordnete seine Kleider und warf einen ängstlichen Blick in Richtung Tür. Jeden Moment konnte Sempronia zurückkehren. Aber sie kam nicht, und auch sonst schien niemand mitangesehen zu haben, wie die Tochter des Hauses ihren zukünftigen Besitz inspiziert hatte.
»Wenn du ihn runterhängen sehen willst, mußt du mich heiraten«, sagte er.
»Oh, mein Schatz, liebster Clodius, natürlich werde ich dich heiraten!« rief sie und sprang auf. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Und wenn es tatsächlich eine solche Schande ist, dann kannst du wenigstens keine anderen Frauen anschauen, nicht wahr?«
»Ich gehöre dir ganz allein«, sagte Publius Clodius und unterdrückte Tränen. »Ich bete dich an, Fulvia! Ich küsse den Boden unter deinen Füßen!«
Clodius und Fulvia wurden gegen Ende des Quinctilis getraut, gleich nach den letzten Wahlen, die einige Überraschungen gebracht hatten. Zuerst hatte Catalina den Antrag gestellt, bei den Konsularwahlen im folgenden Jahr in absentia kandidieren zu können. Catilina wurde in Africa zurückgehalten, aber dafür waren andere Männer lange vor den Wahlen nach Rom zurückgekehrt. Kaum jemand zweifelte daran, daß Catilinas africanische Statthalterschaft nur seiner eigenen Bereicherung gedient hatte; die africanischen Pächter — Steuerpächter und andere —, die nach Rom gekommen waren, machten keinen Hehl aus ihrer Absicht, Catilina im Augenblick seiner Rückkehr wegen Erpressung und unlauteren Profits vor Gericht stellen zu lassen. Und so hatte Volcatius Tullus, der für die kurulischen Wahlen zuständige Konsul, Catilinas Antrag auf eine Kandidatur in absentia klugerweise abgelehnt.
Dann wurde ein noch größerer Skandal ruchbar. Den siegreichen Kandidaten für das Konsulat des nächsten Jahres, Publius Sulla und seinem lieben Freund Publius Autronius, konnte massive Bestechung nachgewiesen werden. Möglich, daß Gaius Pisos lex Calpurnia gegen die Bestechung ein leckes Schiff war, aber die Beweise gegen Publius Sulla und Autronius waren so wasserdicht, daß auch eine schlampige Gesetzgebung die beiden nicht retten konnte. Also bekannte sich das überführte Duo sogleich schuldig und erklärte sich zu einem Rechtshandel mit den amtierenden Konsuln und den beiden neugewählten Konsuln Lucius Cotta und Lucius Manlius Torquatus bereit. Ergebnis dieses klugen Winkelzugs: Die Anklage wurde fallengelassen, dafür mußten die beiden gewaltige Geldstrafen zahlen und einen Eid schwören, daß sie sich niemals wieder um ein öffentliches Amt bewerben würden. Sie hatten es Gaius Pisos Bestechungsgesetz zu verdanken, daß sie davongekommen waren, denn darin waren solche Lösungen vorgesehen. Lucius Cotta, der für eine Anklage plädiert hatte, mußte mit kreidebleichem Gesicht ansehen, wie seine drei Kollegen dafür stimmten, daß die Missetäter ihr Bürgerrecht, ihren Wohnsitz und große Teile ihrer riesigen Vermögen behalten durften.
Das alles berührte Clodius nicht besonders. Er hatte, wie schon vor acht Jahren, ein anderes Ziel: Catilina. Seine Racheträume raubten ihm beinahe den Verstand, so daß er die africanischen Kläger schließlich dazu überredete, ihm die Anklage gegen Catilina anzuvertrauen. Eine phantastische Gelegenheit! Gerade jetzt, wo er das aufregendste Mädchen der Welt geheiratet hatte, würde er es Catilina heimzahlen können! Alle Belohnungen kamen auf einmal, nicht zuletzt deshalb, weil Fulvia sich als leidenschaftliche Parteigängerin und Helferin erwies, das genaue Gegenteil der Stubenhockerin, die so manch anderer Mann sich vielleicht gewünscht hätte.
Zunächst machte sich Clodius mit großer Hast daran. Beweise und Zeugen zu sammeln, aber der Fall Catilina war eine jener ärgerlichen Angelegenheiten, bei denen nichts schnell genug voranging, weder das Auffinden von Beweisen noch die Ermittlung von geeigneten Zeugen. Eine Reise nach Utica und Hadrumetum kostete ihn zwei Monate, und noch mehrmals würde er in dieser Angelegenheit nach Africa reisen müssen. Clodius fluchte und machte sich Sorgen, bis Fulvia zu ihm sagte: »Denk doch einmal nach, mein lieber Publius. Warum zögerst du den Fall nicht einfach hinaus? Wenn er nicht vor dem nächsten Quinctilis abgeschlossen ist, dann wird Catilina sich zum zweitenmal in Folge nicht um das Konsulat bewerben können, oder?«
Clodius begriff sofort, was für ein guter Rat das war, und machte fortan im Schneckentempo weiter. Er würde für Catilinas Verurteilung sorgen, aber warum sollte er sich nicht viele Monde Zeit dafür lassen? Hervorragende Idee!
Jetzt fand er auch Zeit, über Lucullus nachzudenken, dessen Karriere in einer Katastrophe zu enden schien. Durch die lex Manilia war Pompeius mit dem lucullischen Kommando gegen Mithridates und Tigranes betraut worden, und er machte von seinem Recht Gebrauch. Er hatte sich mit Lucullus in Danala, einer entlegenen galatischen Zitadelle, getroffen, und dabei hatten sie sich so erbittert gestritten, daß Pompeius (der sich bis dahin geweigert hatte, Lucullus mit seinem imperium maius an die Wand zu drücken) ein förmliches Dekret erließ, mit dem er Lucullus’ Handlungen ächtete und den Feldherrn schließlich aus Asia verbannte. Und dann verpflichtete Pompeius die Fimbrianer neu; sie hatten zwar die Erlaubnis, nach Rom zurückzukehren, aber einem solch gewaltigen Ortswechsel mochten sie sich doch nicht aussetzen. Da erschien es ihnen als gute Aussicht, in den Legionen des Pompeius zu dienen.
Auf derartig furchtbare Weise gedemütigt, kehrte Lucullus auf der Stelle nach Rom zurück, ließ sich auf dem Marsfeld nieder und wartete auf seinen Triumph. Er war sich sicher, daß der Senat ihm den nicht verweigern würde. Aber Pompeius’ Volkstribun, sein Neffe Gaius Memmius, verkündete dem Haus, daß er ein Gesetz in der Plebejischen Versammlung einbringen werde, das es dem Senat verbieten sollte, Lucullus einen Triumphzug zu gewähren, wäre das Haus nicht von sich aus bereit, so zu entscheiden. Der Senat, so Memmius, habe nicht das verfassungsmäßige Recht, solche Gunstbezeigungen zu verteilen. Catulus, Hortensius und die anderen boni wehrten sich mit Zähnen und Klauen gegen Memmius, aber die nötige Unterstützung bekamen sie nicht zusammen. Die meisten Senatoren waren der Auffassung, daß ihr Recht, Triumphzüge zu gewähren, wichtiger war als die Person des Lucullus; warum also sollte man es Memmius gestatten, einen unerwünschten Präzedenzfall zu schaffen?
Lucullus wollte nicht nachgeben. An jedem Senatstag ersuchte er aufs neue um einen Triumphzug. Sein geliebter Bruder Varro Lucullus hatte ebenfalls Ärger mit Memmius, der ihm wegen viele Jahre zurückliegender angeblicher Unterschlagungen an den Kragen wollte. Aus all dem konnte man den gesicherten Schluß ziehen, daß Pompeius zu einem bösen Feind der beiden Lucullus- Brüder — und der boni — geworden war. Bei ihrem Treffen in Danala hatte Lucullus Pompeius unterstellt, den ganzen Ruhm für die Feldzüge einzuheimsen, die er, Lucullus, gewonnen habe. Eine tödliche Beleidigung für Pompeius. Und was die boni betraf, so waren sie noch immer erbitterte Gegner jedes Sonderkommandos für den großen Feldherrn.
Man hätte vielleicht erwarten können, daß Lucullus’ Frau Clodilla ihm in seinem vornehmen Landhaus auf dem Pincio, gleich hinter der Stadtgrenze, einen Besuch abstatten würde. Aber sie dachte nicht daran. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war sie jetzt eine richtige Frau von Welt, verfügte über das Vermögen ihres Gatten und ließ sich von niemandem — außer ihrem großen Bruder Appius — auf die Finger schauen. Liebhaber hatte sie viele, nur war ihr Ruf nicht der allerbeste.
Zwei Monate nach Lucullus’ Rückkehr bekam sie Besuch von Publius Clodius und Fulvia. Die beiden hatten keineswegs die Absicht, eine Versöhnung einzuleiten. Statt dessen berichtete ihr Clodius (und Fulvia hörte begierig zu), was er Lucullus in Nisibis für einen Bären aufgebunden hatte, nämlich daß er, Clodia und Clodilla im Bett so einiges miteinander getrieben hätten. Ein großartiger Spaß, fand auch Clodilla.
»Willst du ihn zurückhaben?« fragte Clodius.
»Wen, Lucullus?« Ihre Augen wurden groß. »Nein, bestimmt nicht! Er ist ein alter Mann, er war schon ein alter Mann, als er mich vor zehn Jahren geheiratet hat — er mußte jedesmal ein Aphrodisiakum nehmen, damit sich überhaupt etwas bei ihm rührte!«
»Warum besuchst du ihn dann nicht auf dem Pincio und sagst ihm, daß du dich von ihm scheiden läßt?« Clodius machte ein todernstes Gesicht: »Und sollte dir nach ein bißchen Rache zumute sein, dann bestätige doch einfach das, was ich ihm in Nisibis erzählt habe. Es ist natürlich möglich, daß er die Sache publik machen will. Dann könnte es hart für dich werden. Ich wäre geneigt, meinen Teil des öffentlichen Zorns auf mich zu nehmen, und Clodia auch. Aber wir hätten Verständnis, wenn du nicht dazu bereit wärst.«
»Nicht dazu bereit?« quiekte Clodilla. »Es wäre mir ein Vergnügen! Soll er es doch verbreiten! Wir brauchen’s ja nur abzustreiten, unter vielen Tränen und Unschuldsbeteuerungen. Dann wissen die Leute nicht, was sie glauben sollen. Jeder weiß, wie die Dinge zwischen dir und Lucullus stehen. Diejenigen, die auf seiner Seite sind, werden seiner Version Glauben schenken. Die in der Mitte werden schwanken. Und die auf unserer Seite sind, wie Bruder Appius, werden sich darüber empören, wie schrecklich man uns beleidigt hat.«
»Geh hin und laß dich scheiden«, sagte Clodius. »Auch wenn er sich im Gegenzug von dir scheiden läßt, einen ansehnlichen Anteil an seinem Vermögen kann er dir nicht verweigern. Du hast keine Mitgift, auf die du zurückgreifen könntest.«
»Gar nicht dumm«, säuselte Clodia.
»Und du könntest jederzeit wieder heiraten«, meinte Fulvia.
Das dunkle, bezaubernde Gesicht ihrer Schwägerin nahm einen bösen Ausdruck an. »Ganz bestimmt nicht!« fauchte sie. »Ein Ehemann war schon zuviel! Vielen Dank! Ich will mein Leben selber in die Hand nehmen. Es war ein Vergnügen, Lucullus so weit im Osten zu wissen. Ich habe mir auf seine Kosten ein hübsches Sümmchen auf die hohe Kante gelegt. Aber die Idee, ihm mit der Scheidung zuvorzukommen, gefällt mir. Bruder Appius wird eine Regelung für mich treffen, bei der ich für den Rest meines Lebens versorgt bin.«
Fulvia kicherte vergnügt. »Es wird einigen Aufruhr in Rom verursachen!«
Es verursachte in der Tat einigen Aufruhr in Rom. Obwohl Clodilla sich von Lucullus scheiden ließ, trennte er sich öffentlich von ihr, indem er einen seiner ältesten Klienten von der Rostra herunter eine Erklärung verlesen ließ, die da lautete: Er lasse sich nicht nur wegen des vielfachen Ehebruchs scheiden, den sie während seiner Abwesenheit begangen habe, sondern auch wegen ihrer inzestuösen Beziehungen zu ihrem Bruder Clodius und ihrer Schwester Clodia.
Natürlich waren die meisten Leute bereit, es zu glauben, hauptsächlich, weil es eine so schön anrüchige Geschichte war, aber auch, weil die Claudii Clodii Pulchri ein so verrückter Haufen waren — genial, unberechenbar und launenhaft. Und das seit Generationen! Eben Patrizier.
Der arme Appius Claudius nahm es besonders schwer, aber er war nicht so unvernünftig, jetzt den Kampf aufzunehmen; seine beste Verteidigung war es, über das Forum zu stolzieren und ein Gesicht zu machen, als sei Inzest das letzte Thema, das ihn interessierte, und die Leute verstanden den Wink. Rex war als einer von Pompeius’ ältesten Legaten im Osten geblieben, aber Clodia, seine Frau, bediente sich derselben Strategie wie ihr großer Bruder Appius.
Der mittlere der drei Brüder, Gaius Claudius, war für einen Claudianer geistig ein wenig minderbemittelt, deshalb eignete er sich nicht als Zielscheibe für die Spötter auf dem Forum. Zum Glück tat auch Clodias Mann Celer Dienst im Osten, wie auch sein Bruder Nepos; die beiden wären nicht so leicht abzuspeisen gewesen und hätten unbequeme Fragen gestellt. Und so liefen die drei vermeintlichen Missetäter mit unschuldigen und beleidigten Gesichtern herum, und wenn sie unter sich waren, wälzten sie sich auf dem Boden vor Lachen. Was für ein wunderbarer Skandal!
Das letzte Wort hatte jedoch Cicero. »Inzest«, erklärte er mit ernster Stimme einer größeren Gruppe von berufsmäßigen Forumsgängern, »ist ein Spiel für die ganze Familie.«
Clodius bedauerte seine Voreiligkeit, als der Prozeß gegen Catilina schließlich begonnen hatte, denn viele der Geschworenen sahen ihn mit Befremden an und ließen ihre Zweifel in ihr Urteil einfließen. Es war ein hartes, erbittertes Ringen, und zum erstenmal focht Clodius einen tapferen Kampf; er hatte sich Ciceros Ratschlag zu Herzen genommen, verzichtete auf Boshaftigkeit und Vorurteile und führte eine geschickte Anklage. Daß er verlor und Catilina freigesprochen wurde, konnte man nicht einmal einem Bestechungsversuch zuschreiben, und Clodius hatte so viel dazugelernt, daß er auch nicht von Bestechung sprach, als das Urteil ABSOLVO verkündet wurde. Sie hatten einfach nur Glück gehabt, sagte er sich, und zudem einen ausgezeichneten Verteidiger.
»Du hast deine Sache gut gemacht«, lobte ihn Caesar hinterher. »Es war nicht deine Schuld, daß du verloren hast. Selbst die Zahlmeister unter den Geschworenen waren so konservativ, daß Catulus dagegen wie ein Radikaler wirkte.« Er zuckte die Achseln. »Gegen einen Verteidiger wie Torquatus konntest du nicht gewinnen, jedenfalls nicht, nachdem das Gerücht die Runde machte, Catilina habe ihn letztes Jahr am Neujahrstag umbringen lassen wollen. Mit seiner Verteidigung hat Torquatus ihnen allen klargemacht, daß er solchen Gerüchten keinen Glauben schenkt, und das hat die Geschworenen beeindruckt. Du hast dich trotzdem gut geschlagen. Deine Anklage war sauber aufgebaut.«
Publius Clodius konnte Caesar gut leiden; er glaubte, in diesem Mann einen ihm verwandten rastlosen Geist ausgemacht zu haben, und beneidete ihn um die Selbstbeherrschung, die er an sich selber so schmerzlich vermißte. Als das Urteil verkündet wurde, hätte er am liebsten vor Wut aufgeheult. Dann war sein Blick auf Caesar und Cicero gefallen, und etwas in ihren Gesichtern hatte ihn nachdenklich werden lassen. Er würde seine Rache bekommen, wenn nicht heute, dann eben später. Wenn er sich wie ein schlechter Verlierer aufführte, würde das nur Catilina zugute kommen.
»Wenigstens kann er sich jetzt nicht mehr um das Konsulat bewerben«, sagte Clodius zu Caesar und seufzte. »Das ist auch ein kleiner Sieg.«
»Ja, jetzt muß er noch ein Jahr warten.«
Sie gingen die Via Sacra hinauf zu dem Gasthof an der Ecke zum Clivus Orbius, die imposante Fassade von Fabius Allobrogicus’ Torbogen über dem heiligen Weg vor sich. Caesar war auf dem Heimweg, und Clodius hatte das Gasthaus zum Ziel, wo seine africanischen Klienten eingekehrt waren.
»Ich habe in Tigranokerta einen Freund von dir kennengelernt«, sagte Clodius.
»Ach, wirklich? Wer könnte das gewesen sein?«
»Ein Zenturio namens Marcus Silius.«
»Silius? Silius aus Mitylene? Ein Fimbrianer?«
»Genau der. Er bewundert dich sehr.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ein guter Mann. Jetzt darf er endlich nach Hause.«
»Anscheinend nicht, Caesar. Er hat mir aus Galatien geschrieben. Die Fimbrianer haben sich von Pompeius anwerben lassen.«
»Das habe ich mir gedacht. Diese alten Haudegen, ständig jammern sie, daß sie nach Hause wollen, aber kaum ergibt sich ein interessanter Feldzug, schon hat die Heimat ihren Reiz verloren.« Caesar streckte ihm lächelnd seine Hand entgegen. »Ave, Publius Clodius. Ich werde deine Karriere mit Interesse verfolgen.«
Clodius blieb eine Weile vor dem Gasthof stehen und starrte ins Leere. Als er schließlich hineinging, sah er aus wie der Klassenälteste einer Schule — aufrecht, achtunggebietend und unbestechlich.