Die Nachricht aus Etruria traf wenige Tage nach dem Essen beim Pontifex Maximus ein und wurde von Fulvia Nobilioris überbracht.

»Catilina hat Gaius Manlius nach Faesulae geschickt, damit er dort eine Armee aufstellt«, sagte sie zu Cicero. Sie kauerte auf einer Liege und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und Publius Furius macht das gleiche in Apulia.«

»Beweise?« fragte Cicero mit scharfer Stimme. Auch auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet.

»Die habe ich nicht, Marcus Tullius.«

»Hat Quintus Curius es dir erzählt?«

»Nein. Ich habe gestern abend nach dem Essen ein Gespräch zwischen ihm und Lucius Cassius belauscht. Sie glaubten, ich wäre schon schlafen gegangen. Seit den Wahlen haben sich alle sehr ruhig verhalten, sogar Quintus Cassius. Das war ein Schlag für Catilina, und ich habe den Eindruck, er mußte sich erst davon erholen. Gestern abend habe ich ihn zum erstenmal wieder etwas flüstern hören.«

»Weißt du, wann Manlius und Furius ihre Operationen begonnen haben?«

»Nein.«

»Du weißt also nicht, wie weit sie mit der Aushebung schon sind? Wenn ich zum Beispiel jemanden nach Faesulae schicken würde, könnte er mir die Bestätigung bringen?«

»Das weiß ich doch nicht, Marcus Tullius. Ich wollte, ich wüßte es!«

»Und Quintus Curius? Ist er versessen auf eine offene Revolution?«

»Ich bin mir nicht sicher.«

»Dann finde es heraus, Fulvia«, sagte Cicero, sorgsam bemüht, sich die Erregung nicht anmerken zu lassen. »Wenn wir ihn dazu überreden können, im Senat auszusagen, würde den Senatoren nichts anderes übrigbleiben, als mir zu glauben.«

»Sei unbesorgt, Mann, Fulvia wird ihr Bestes tun«, sagte Terentia und geleitete die Besucherin zur Tür.

Cicero war davon überzeugt, daß die Rebellenarmee auch Sklaven rekrutieren würde, also schickte er einen klugen und kräftigen Burschen nach Faesulae, damit er sich dort als Freiwilliger meldete. Cicero wußte nur zu gut, daß viele im Senat ihn für leichtgläubig hielten und glaubten, er wolle mit einer Staatskrise sein Konsulat aufwerten, also lieh er sich diesen Sklaven von Atticus aus; so konnte der Bursche wenigstens bezeugen, daß er Cicero persönlich nicht verpflichtet war. Doch leider hatte er nach seiner Rückkehr wenig zu berichten. Zweifellos ging da oben etwas vor — und nicht nur in Faesulae. Das Problem war nur, daß man ihm auf seine Anfrage erklärt hatte, Sklaven hätten in Etruria nichts zu suchen; es sei ein Land freier Männer, es gäbe dort genug freie Männer, die sich um Etrurias Interessen kümmmern würden. Was diese Antwort zu bedeuten hatte, war Cicero nicht ganz klar, denn Etruria war natürlich ebenso reichlich mit Sklaven ausgestattet wie jede andere Landschaft innerhalb oder außerhalb Italiens. Die ganze Welt war auf Sklaven angewiesen!

»Wenn es tatsächlich ein Aufstand ist, Marcus Tullius, dann ist es ein Aufstand freier Männer.«

»Und nun?« fragte ihn Terentia beim Essen.

»Ich muß dir ehrlich sagen, meine Liebe, ich weiß es nicht. Die Frage ist: Rufe ich den Senat zusammen und versuche es noch einmal, oder soll ich lieber warten, bis ich ein paar Freigelassene als Gewährsmänner habe, die mir unwiderlegbare Beweise liefern?«

»Ich habe das Gefühl, daß es sehr schwer ist, unwiderlegbare Beweise zu beschaffen, Mann. Kein Mensch im Norden Etrurias traut einem Fremden, sei er ein Sklave oder ein Freier. Das sind stammesbewußte, verschwiegene Leute da oben.«

»Gut«, seufzte Cicero, »dann rufe ich eben für übermorgen den Senat zusammen. Und wenn sonst nichts dabei herauskommt — Catilina wird wenigstens wissen, daß ich ihn nicht aus den Augen lasse.«

Es kam sonst nichts dabei heraus, wie Cicero es vorhergesehen hatte. Die Senatoren, die nicht mehr am Meer weilten, waren im besten Fall skeptisch, im schlimmsten Fall ließen sie sich zu Ausfällen hinreißen. Catilina war anwesend und ergriff auch das Wort, doch er blieb ungewöhnlich gelassen für einen Mann, dessen Chancen auf das Konsulat ein für allemal zunichte gemacht worden waren. Er schimpfte weder auf Cicero noch auf die Umstände; er saß ganz ruhig an seinem Platz und antwortete geduldig auf die ihm gestellten Fragen. Eine gute Taktik, die den Skeptikern imponierte und seinen Parteigängern Oberwasser gab. Kein Wunder also, daß die Wogen der Erregung nicht hoch schlugen; die Debatte plätscherte dahin und wäre wohl irgendwann ganz eingeschlafen, wenn nicht plötzlich die Türen aufgeflogen wären und Gaius Octavius in den Saal gebrüllt hätte: »Ich habe einen Sohn! Ich habe einen Sohn!«

Dankbar für den Anlaß, die Sitzung zu schließen, entließ Cicero seine Amtsdiener und mischte sich unter die Gratulanten, die sich um Octavius versammelt hatten.

»Hat er ein gutes Horoskop?« fragte Caesar. »Aber schlechte gibt es ja ohnehin nicht.«

»Es ist eher wundersam als gut, Caesar. Wenn ich dem Astrologen glauben darf, wird mein Sohn Gaius Octavius Junior eines Tages die Welt regieren.« Der stolze Vater kicherte. »Es hat mir natürlich gefallen, und ich habe dem Astrologen ein bißchen mehr gegeben.«

»In meinem Geburtshoroskop steht eine Menge über eine mysteriöse Krankheit in der Brust, wenn ich meiner Mutter glauben darf«, sagte Caesar. »Zeigen will sie’s mir aber nicht.«

»Und mir hatte er vorausgesagt, daß ich nie zu Geld kommen würde«, berichtete Crassus.

»Die Wahrsagerei macht die Frauen glücklich«, behauptete Philippus.

»Wer kommt mit mir die Geburt bei Juno Lucina eintragen?« fragte Octavius, der immer noch strahlte.

»Onkel Caesar Pontifex Maximus, wer sonst?« Caesar legte Octavius einen Arm um die Schultern. »Und anschließend will ich meinen neuen Neffen sehen.«

Achtzehn Tage des Oktober waren vergangen, ohne daß bedeutsame Informationen aus Etruria oder Apulia eingetroffen wären. Auch von Fulvia Nobilioris gab es nichts Neues. Gelegentlich ein Brief von einem der Gewährsmänner, die Cicero und Atticus losgeschickt hatten; aber sie machten wenig Hoffnung auf eindeutige Beweise, auch wenn jedes dieser Schreiben versicherte, daß zweifellos irgend etwas im Gange sei. Das Hauptproblem schien die Tatsache zu sein, daß es keine richtige Keimzelle gab. Mal etwas Unruhe und Betriebsamkeit in diesem, dann in jenem Ort, auf dem Gut eines Sullaschen Zenturios oder in der Taverne eines von Sullas Veteranen. Aber sowie ein fremdes Gesicht auftauchte, liefen sie alle unschuldig pfeifend durch die Gegend. Innerhalb der Mauern von Faesulae, Arretium, Volaterrae, Asernia, Larinum und all den anderen urbanen Siedlungen in Etruria und Apulia gab es außer einer wirtschaftlichen Flaute und schrecklicher Armut nichts zu entdecken. Überall standen Häuser und Höfe zum Verkauf, um erdrückende Schuldenlasten zu tilgen, aber von den vormaligen Besitzern war weit und breit nichts zu sehen.

Und Cicero war sehr, sehr müde. Er wußte, daß sich da etwas vor seinen Augen zusammenbraute, aber er konnte es nicht belegen und glaubte allmählich, daß erst der Tag der Revolte den Beweis dafür liefern würde. Auch Terentia war verzweifelt, und erstaunlicherweise erleichterte dies das Zusammenleben mit ihr. Ciceros fleischliche Gelüste waren nie sehr ausgeprägt gewesen, aber in diesen Tagen regte sich in ihm zuweilen der Wunsch, früh ins Bett zu gehen und Trost in ihren Armen und ihrem Körper zu suchen, der ihm so geheimnisvoll erschien, wie er unförmig war.

Beide lagen sie in tiefem Schlaf, als Tiro sie an jenem achtzehnten Oktober kurz nach Mitternacht weckte.

»Domine, domine!« flüsterte der geliebte Sklave an der Tür, und sein wunderbar zartes Gesicht wirkte über der Lampe wie eine Fratze aus der Unterwelt. »Domine, du hast Besuch!«

»Wie spät ist es?« stöhnte Cicero und hob die Beine über die Bettkante, während Terentia die Augen aufschlug.

»Sehr spät, domine.«

»Besuch, sagst du?«

»Ja, domine.«

Terentia setzte sich mühevoll im Bett auf, machte aber keine Anstalten, sich anzuziehen; was auch im Gange sein mochte, es betraf sie nicht — sie war eine Frau. Einschlafen konnte sie jedoch nicht mehr. Also würde sie sich gedulden müssen, bis Cicero zurückkam und ihr erzählte, was die Aufregung zu bedeuten hatte.

»Wer ist es, Tiro?« fragte Cicero und zog sich die Tunika über den Kopf.

»Marcus Licinius Crassus und zwei andere Edelleute, domine.«

»Du meine Güte!«

Cicero eilte unverzüglich hinaus ins Atrium seines Hauses, das ihm auf einmal viel zu klein erschien für einen Mann, der sich nach Ablauf dieses Jahres zu den Konsularen rechnen durfte.

Kein Zweifel, da stand Crassus — begleitet von Claudius Marcellus und Metellus Scipio. Der Verwalter zündete die Lampe an, Tiro hatte — für alle Fälle — Schreibpapier, Federn und Wachstafeln hervorgeholt, und die Geräusche aus der Küche deuteten darauf hin, daß Wein und Erfrischungen nicht lange auf sich warten lassen würden.

»Was ist los?« fragte Cicero ohne große Förmlichkeit.

»Du hattest recht, mein Freund«, antwortete Crassus und streckte ihm beide Hände entgegen. In der rechten hielt er ein offenes Blatt Papier, in der linken einen Stapel noch zusammengefalteter und versiegelter Briefe. Er gab Cicero das offene Schreiben. »Lies das, dann weißt du, was los ist.«

Es war ein kurzer Brief, verfaßt von einem geübten Schreiber, und er war an Crassus adressiert.

Ich bin ein Patriot, der durch unglückliche Umstände in einen Aufstand hineingezogen wurde. Daß ich Dir und nicht Marcus Cicero diese Briefe übersende, hat seinen Grund in dem Ansehen, das Du in Rom genießt. Niemand hat Marcus Cicero geglaubt. Ich hoffe, daß sie Dir glauben werden. Diese Briefe sind Kopien; die Originale durfte ich nicht entwenden. Ich kann es auch nicht riskieren, Dir Namen zu nennen. Aber ich kann Dir versichern, daß Feuer und Revolution über Rom kommen werden. Verlasse Rom, Marcus Crassus, und nimm alle mit, deren Leben Dir am Herzen liegt.

Noch konnte Cicero mit Caesar nicht ganz mithalten, wenn es um rasches, leises Lesen ging — aber es fehlte nicht viel; in wesentlich kürzerer Zeit, als Crassus benötigt hatte, hatte er den Brief gelesen und blickte auf.

»Beim Jupiter, Marcus Crassus, wie bist du daran gekommen?«

Crassus ließ sich schwer in einen Sessel fallen, während Metellus Scipio und Marcellus zusammen auf einer Liege Platz nahmen. Als ein Diener ihm Wein anbot, winkte Crassus ab.

»Wir hatten ein spätes Essen bei mir zu Hause«, sagte er, »und ich hab’s wohl ein wenig übertrieben. Marcus Marcellus und Quintus Scipio haben darüber nachgedacht, wie sie ihr Familienvermögen vergrößern können, ohne Senatsobliegenheiten zu verletzen, deshalb haben sie mich um Rat gefragt.«

»Stimmt«, fügte Marcellus vorsichtig hinzu; er war sich nicht sicher, ob Crassus’ unseriöse Geschäftspraktiken bei Cicero gut aufgehoben waren.

Aber Cicero hatte andere Sorgen als den schmalen Grat zwischen rechtmäßigen und illegalen Praktiken, also sagte er ungeduldig: »Ja, ja!« Und zu Crassus: »Erzähl weiter!«

»Vor einer Stunde hat jemand gegen die Tür gehämmert, aber als mein Verwalter aufgemacht hat, war niemand zu sehen. Zuerst hat er die Briefe gar nicht bemerkt. Sie lagen auf der obersten Stufe. Erst als der Stapel umgekippt ist, fielen sie ihm auf. Der eine, den ich geöffnet habe, war an mich persönlich adressiert, wie du sehen kannst. Ich habe ihn eigentlich eher aus Neugier geöffnet, nicht weil ich eine Vorahnung hatte — wer läßt einem schon auf so ungewöhnliche Weise Nachrichten zukommen, und zu so später Stunde?« Crassus blickte grimmig. »Nachdem ich ihn gelesen und Marcus und Quintus gezeigt hatte, haben wir beschlossen, sämtliche Briefe sofort zu dir zu bringen. Schließlich hast du den ganzen Wirbel entfacht.«

Cicero nahm die fünf ungeöffneten Päckchen, setzte sich und stützte einen Ellbogen auf den Tisch aus Zitrusholz mit einer Pfauenmustermaserung, für den er eine halbe Million Sesterzen geopfert hatte, selbst auf das Risiko hin, daß ein Kratzer seinen Wert empfindlich mindern könnte. Einen nach dem anderen hielt er die Briefe gegen das Licht und untersuchte die billigen Wachssiegel.

»Ein Wolfssiegel aus gewöhnlichem roten Wachs«, sagte er und seufzte. »Kann man in jedem Land kaufen.« Er steckte die Finger unter die Papierkante des letzten Briefes, zog einmal kräftig und brach das kleine, runde Wappenbild aus Wachs in zwei Hälften. Crassus und die beiden anderen sahen ihm ungeduldig zu. »Ich werde ihn vorlesen«, sagte er und klappte den Briefbogen auf. »Er trägt keine Unterschrift, aber er ist an Gaius Manlius adressiert.«

Fünf Tage vor den Kalenden des November wirst Du Deine Truppen sammeln und mit dem Einmarsch nach Faesulae die Revolution beginnen. Du hast behauptet, die Stadt würde mit fliegenden Fahnen zu Dir überlaufen. Wir vertrauen darauf. Egal, was Du sonst vorhast, als erstes mußt Du das Waffenarsenal einnehmen. Im Morgengrauen desselben Tages werden auch Deine vier Kollegen losmarschieren: Publius Furius gegen Volaterrae, Minucius gegen Arretium, Publicius gegen Saturnia, Aulus Fulvius gegen Clusium. Wir erwarten, daß alle diese Städte bei Sonnenuntergang in unserer Hand sind und unsere Armee um einiges größer ist. Vor allem aber müßte sie dank der Arsenale besser ausgerüstet sein.

Am vierten Tag vor den Kalenden werden wir in Rom zuschlagen. Dazu brauchen wir keine Armee. Die Heimlichkeit leistet uns bessere Dienste. Wir töten die beiden Konsuln und alle acht Prätoren. Was mit den gewählten Konsuln und Prätoren geschieht, hängt davon ab, wie sie sich verhalten werden, aber gewisse Kräfte im Bereich der Wirtschaft müssen sterben: Marcus Crassus, Servilius Caepio Brutus, Titus Atticus. Durch ihre Vermögen wird unsere Unternehmung die nötigen Geldmittel erhalten.

Wir hätten lieber noch ein wenig gewartet, um unsere Streitkräfte besser zu rüsten, aber wir dürfen nicht warten, bis Pompeius Magnus nahe genug ist, um gegen uns vorzugehen. Wir sind noch nicht bereit für ihn. Er kommt auch noch dran, aber alles der Reihe nach. Mögen die Götter mit Dir sein.

Cicero legte den Brief zur Seite und starrte Crassus entgeistert an. »Beim Jupiter, Marcus Crassus!« rief er, und seine Hände zitterten. »In neun Tagen sollen wir umgebracht werden!«

Die beiden anderen Männer sahen im flackernden Licht der Lampen aschfahl aus, ihre Blicke sprangen zwischen Crassus und Cicero hin und her. Ihr Verstand weigerte sich, mehr als das Wort »sterben« aufzunehmen.

»Reiß die anderen auf«, verlangte Crassus.

In den anderen Briefen stand ungefähr das gleiche wie im ersten; sie waren an die vier anderen Männer adressiert, die bereits im ersten Brief erwähnt wurden.

»Er ist gerissen«, sagte Cicero und schüttelte den Kopf. »Mit nichts von dem, was dort in der ersten Person steht, könnte man Catalina festnageln. Kein Wort über die Männer hier in Rom, die daran beteiligt sind. Wir haben nur die Namen seiner militärischen Handlanger in Etruria, und die stecken bereits bis zum Hals in der Revolution, da spielt es keine Rolle mehr. Sehr klug!«

Metellus Scipio leckte sich über die Lippen und sagte mit heiserer Stimme: »Wer hat den Brief an Marcus Crassus geschrieben, Cicero?«

»Quintus Curius, vermute ich.«

»Curius? Der Curius, den man aus dem Senat geworfen hat?«

»Genau der.«

»Können wir ihn nicht dazu bringen, daß er aussagt?« fragte Marcellus.

Crassus schüttelte den Kopf. »Nein, das sollten wir nicht tun.

Sie würden ihn töten, und wir wären wieder genau da, wo wir jetzt sind — und hätten keinen Informanten mehr.«

»Wir können ihn in Schutzgewahrsam nehmen, noch bevor er ausgesagt hat«, schlug Metellus Scipio vor.

»Und ihn damit zum Schweigen bringen?« fragte Cicero. »In der Schutzhaft macht keiner den Mund auf. Nein, wir müssen Catilina dazu bringen, sich zu erklären.«

Marcellus zog die Stirn in Falten: »Und wenn Catilina gar nicht der Rädelsführer ist?«

»Immerhin möglich«, pflichtete Metellus Scipio ihm bei.

»Was muß ich denn noch tun, damit es endlich in eure Dickschädel hineingeht? Es kann nur Catilina sein!« schrie Cicero und schlug so fest auf die kostbare Oberfläche seines Tisches, daß der mit Gold und Elfenbein verzierte Fuß erzitterte. »Es ist Catilina! Es ist Catilina!«

»Beweise, Marcus«, sagte Crassus. »Du brauchst Beweise.«

»Irgendwie werde ich mir Beweise beschaffen«, sagte Cicero, »aber bis dahin müssen wir den Aufstand in Etruria niederschlagen. Ich werde den Senat für die vierte Stunde des morgigen Tages zusammenrufen.«

»Gut.« Crassus erhob sich. »Dann gehe ich jetzt nach Hause und lege mich schlafen.«

»Und du?« fragte ihn Cicero, als er zur Tür ging. »Glaubst du wenigstens, daß Catilina der Schuldige ist, Marcus Crassus?«

»Sehr wahrscheinlich, aber nicht gewiß«, lautete die Antwort.

»Ist das nicht wieder typisch?« fragte Terentia ein paar Augenblicke später, aufrecht im Bett sitzend. »Der Kerl würde sich nicht einmal zu einem Bündnis mit Jupiter Optimus Maximus verpflichten!«

»Und ich fürchte, viele andere im Senat auch nicht«, seufzte Cicero. »Trotzdem, mein Schatz, es wird Zeit, daß du Fulvia aushorchst. Wir haben lange nichts mehr von ihr gehört.« Er legte sich wieder hin. »Blas das Licht aus. Ich werde versuchen, noch ein bißchen zu schlafen.«

Cicero hatte nicht damit gerechnet, daß der Senat noch immer so große Zweifel daran hegte, daß Catilina tatsächlich als der Kopf eines Komplotts fungieren sollte, dessen Ziel ein Umsturz zu sein schien. Skepsis hatte er erwartet, aber keinen offenen Widerstand, und genau der formierte sich, als er die Briefe vorlas. Er hatte gehofft, daß die Geschichte zu einem senatus consultum de re publica defendenda führen würde — dem Erlaß des Kriegsrechts —, wenn er Crassus mit ins Spiel brachte, aber das Haus verweigerte es ihm.

»Du hättest die Briefe bis zum Beginn der Sitzung ungeöffnet lassen sollen«, kritisierte ihn Cato. Er war jetzt gewählter Volkstribun und hatte das Recht zu reden.

»Aber ich habe sie vor Zeugen geöffnet, die über jeden Zweifel erhaben sind!«

»Das spielt keine Rolle«, meinte Catulus. »Du hast ein Privileg des Senats verletzt.«

Während der ganzen Zeit hatten sich auf Catilinas Gesicht und in seinem Blick die der Situation angemessenen Gefühle widergespiegelt: Entrüstung, Ruhe, Unschuld, milde Erregung, Ungläubigkeit.

Als Cicero es nicht mehr ertrug, wandte er sich direkt an Catilina: »Lucius Sergius Catilina, gibst du zu, daß du die treibende Kraft hinter all diesen Ereignissen bist?« fragte er, und seine Stimme hallte von den Deckenbalken wider.

»Nein, Marcus Tullius Cicero, das gebe ich nicht zu.«

»Ist denn kein Mann im Saal, der mich unterstützt?« wollte der Erste Konsul wissen und ließ dabei den Blick von Crassus über Caesar zu Catulus und Cato wandern.

»Ich schlage vor«, sagte Crassus, nachdem es ziemlich lange still geblieben war, »daß dieses Haus den Ersten Konsul damit beauftragt, alle Aspekte dieser Angelegenheit noch einmal genau zu untersuchen. Eine Revolte in Etruria würde mich nicht überraschen, das gestehe ich dir zu, Marcus Tullius. Aber wenn selbst dein Kollege im Konsulat das Ganze für einen schlechten Scherz hält und bekanntgibt, daß er morgen nach Cumae zurückreisen wird, wie kannst du dann von uns anderen erwarten, daß wir in Panik aus der Stadt laufen?«

Und dabei blieb es. Cicero wurde beauftragt, weitere Beweise zu finden.

»Quintus Curius hat Marcus Crassus die Briefe gebracht«, erklärte Fulvia Nobilioris früh am nächsten Morgen, »aber er wird nicht für euch aussagen. Er hat viel zuviel Angst.«

»Hast du mit ihm geredet?«

»Ja.«

»Kannst du mir Namen nennen, Fulvia?«

»Nur die Namen von Quintus Curius’ Freunden.«

»Und die wären?«

»Lucius Cassius, wie du bereits weißt. Gaius Cornelius und Lucius Vargunteius, die damals zusammen mit meinem Curius aus dem Senat geworfen wurden.«

Plötzlich stellten ihre Worte die Verbindung zu einer Tatsache her, die Cicero tief in seinem Gedächtnis vergraben hatte. »Gehört der Prätor Lentulus Sura zu seinen Freunden?« fragte er, als er sich wieder erinnerte, wie dieser Mann ihn bei den Wahlen beschimpft hatte. Ja, Lentulus Sura war — obschon Konsul — einer der über siebzig Männer, die von den Zensoren Poplicola und Clodianus ausgeschlossen worden waren!

Aber Fulvia wußte nichts von Lentulus Sura. »Den jüngeren Cethegus jedoch, den habe ich hin und wieder mit Lucius Cassius gesehen. Und Lucius Statilius und den Gabinius mit dem Spitznamen Capito auch. Es sind nicht seine besten Freunde, deshalb ist es schwer zu sagen, ob sie an dem Komplott beteiligt sind.«

»Und wie steht’s mit dem Aufstand in Etruria?«

»Ich weiß nur, daß Quintus Curius sagt, er werde stattfinden.«

»Quintus Curius sagt also, daß er stattfindet«, wiederholte Cicero nachdenklich, nachdem Fulvia Nobilioris zur Tür geleitet worden war. »Catilina ist zu klug für Rom, meine Liebe. Ist dir jemals ein Römer begegnet, der ein Geheimnis für sich behalten konnte? Wie ich es auch drehe und wende, ich stehe vor einem Rätsel. Ach, wenn ich doch nur aus einem adligen Stall käme! Wenn ich Licinius oder Fabius oder Caecilius heißen würde, dann stünde Rom jetzt unter Kriegsrecht, und Catilina wäre ein Feind des Volkes. Aber ich heiße Tullius und stamme aus Arpinum, dem Land des Marius! Was ich sage, hat wenig Gewicht.«

»Stimmt«, bemerkte Terentia trocken.

Cicero schaute wie ein geprügelter Hund drein, sagte aber nichts.

Doch im nächsten Moment schlug er sich mit den Händen auf die Schenkel und sagte: »Gut, ich muß es eben weiter versuchen!«

»Du hast doch genug Schnüffler nach Etruria geschickt.«

»Sollte man denken. Aber in ihren Briefen steht, daß die Rebellion sich nicht auf die Städte konzentriert, daß die Städte von Stützpunkten auf dem Land aus eingenommen werden sollen.«

»In den Briefen steht auch, daß sie knapp mit Waffen sind.«

»Richtig. Als Pompeius Magnus Konsul war und dafür sorgte, daß nördlich von Rom Depots mit Waffen angelegt wurden, waren viele von uns dagegen. Ich gebe zu, seine Arsenale sind so schwer einzunehmen wie Nola, aber wenn eine Stadt im Aufruhr ist...«

»Bis jetzt sind die Städte noch nicht im Aufruhr. Sie haben zuviel Angst.«

»Sie sind vollgestopft mit Etruriern, und die Etrurier hassen Rom.«

»Diese Revolte ist das Werk von Sullas Veteranen.«

»Und die leben nicht in den Städten.«

»Eben.«

»Ob ich es noch einmal im Senat versuche?«

»Ja, Mann. Du hast nichts zu verlieren. Versuch es noch einmal.«

Und er machte gleich am nächsten Tag, dem einundzwanzigsten Tag des Oktober, einen erneuten Versuch. Seine Sitzung war spärlich besucht, ein weiterer Hinweis darauf, daß Roms Senatoren nicht viel von ihrem Ersten Konsul hielten — einem ehrgeizigen neuen Mann, der aus einer Mücke einen Elefanten machte und sich selbst so wichtig nahm, daß er seine Reden zur Lektüre für die Nachwelt verlegen ließ. Cato, Crassus, Catulus, Caesar und Lucullus waren anwesend, aber auf den Rängen zu beiden Seiten des Hauses waren viele Plätze frei geblieben. Catilina jedoch stellte sich sehr selbstbewußt zur Schau, ständig umgeben von Männern, die eine gute Meinung von ihm hatten und ihn für das Opfer einer Verfolgung hielten: Lucius Cassius, Publius Sulla — der Neffe des Diktators —, sein treuer Freund Antonius, Quintus Annius Chilo, beide Söhne des toten Cethegus, die beiden Brüder des Sulla, die nicht der Sippe des Diktators angehörten, aber trotzdem gute Beziehungen zu ihm hatten, der geistreiche Volkstribun Lucius Calpurnius Bestia und Marcus Porcius Laeca. Ob die alle dazugehören? fragte sich Cicero. Stehe ich der neuen Regierung Roms gegenüber? Dann ist nicht viel davon zu halten. Diese Männer sind samt und sonders Halunken.

Er holte tief Luft und begann...

»Und deshalb bin ich es leid, mir immer wieder an dem Ausdruck senatus consultum de re publica defendenda die Zunge abzubrechen«, verkündete er eine Stunde und viele sorgsam gewählte Worte später, »und deshalb werde ich einen neuen Namen für diesen letzten und äußersten Beschluß prägen, mit dem der Senat alle verpflichten kann: die Komitien, die Körperschaften der Regierung, die Institutionen und Bürger Roms. Ich werde diesen Erlaß von nun an Senatus Consultum Ultimum nennen. Und ich fordere euch auf, versammelte Väter, einen Senatus Consultum Ultimum zu erlassen.«

»Gegen mich, Marcus Tullius?« fragte Catilina lächelnd.

»Gegen eine Revolution, Lucius Sergius.«

»Aber du hast keinen einzigen Beweis, Marcus Tullius. Wir wollen Beweise, keine leeren Worte!«

Er würde erneut scheitern.

»Vielleicht wären wir eher geneigt, an eine Revolution in Etruria zu glauben, Marcus Tullius, wenn du mit deinen persönlichen Angriffen gegen Lucius Sergius aufhören würdest«, sagte Catulus. »Deine Beschuldigungen sind nicht in Tatsachen verankert, und das wiederum wirft einen langen Schatten des Zweifels auf jeden Verdacht ungewöhnlicher Unruhe nordwestlich des Tiber. Über Etruria gibt es nichts Neues zu berichten, und Lucius Sergius soll wohl als dein Sündenbock dienen. Nein, Marcus Tullius, wir glauben dir kein Wort, wenn du nicht weitaus schlüssigere Beweise lieferst als deine klugen Reden.«

»Ich habe den felsenfesten Beweis!« dröhnte es mit Donnerstimme vom Eingang her, und herein kam der Ex-Prätor Quintus Arrius.

Mit weichen Knien ließ Cicero sich auf seinem elfenbeinernen Stuhl nieder und starrte Arrius, der noch die verstaubte Reiterkleidung am Leib trug, mit offenem Mund an.

Gemurmel breitete sich aus, und die Blicke der Senatoren wanderten zu Catilina, der fassungslos zwischen seinen Freunden saß. »Komm aufs Podium und erzähle uns, was du weißt, Arrius!«

»In Etruria herrscht ein Aufstand«, sagte Arrius einfach. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sullas Veteranen haben ihre Höfe verlassen und sind eifrig dabei, Freiwillige auszubilden — größtenteils Männer, die in diesen harten Zeiten Haus und Eigentum verloren haben. Ich habe das Lager ein paar Meilen vor den Toren von Faesulae selbst gesehen.«

»Wie viele Männer stehen unter Waffen, Quintus Arrius?« wollte Caesar wissen.

»Etwa zweitausend.«

Das sorgte für einen Seufzer der Erleichterung, aber die Gesichter wurden sogleich wieder länger, als Arrius dem Haus mitteilte, daß es auch bei Arretium, Volaterrae und Saturnia ähnliche Lager gab und daß sehr wahrscheinlich auch Clusium beteiligt sei.

»Und ich, Quintus Arrius?« fragte Catilina mit lauter Stimme. »Ich soll der Anführer sein, obwohl ich hier in Rom sitze?«

»Soviel ich erfahren konnte, Lucius Sergius, ist ihr Anführer ein Mann namens Gaius Manlius, einer von Sullas Zenturios. Dein Name wurde nicht genannt, und ich habe keine belastenden Beweise gegen dich.«

Daraufhin brachen die Männer um Catilina herum in Jubel aus, und der Rest des Hauses wirkte erleichtert. Der Erste Konsul ließ sich seinen Verdruß nicht anmerken, dankte Quintus Arrius und bat das Haus noch einmal darum, ihm und seiner Regierung zu erlauben, gegen die rebellischen Truppen in Etruria vorzugehen.

»Ich verlange eine Abstimmung«, sagte er. »Alle, die für den Erlaß eines Senatus Consultum Ultimum stimmen, um die Rebellion in Etruria niederzuwerfen, mögen sich rechts von mir aufstellen. Und alle, die dagegen stimmen, mögen bitte nach links gehen.«

Alle gingen nach rechts, selbst Catilina und seine Anhänger, Catilina mit einem Blick, als wollte er sagen: Und nun mach, was du willst, du Emporkömmling aus Arpinum!

Nachdem alle an ihren Platz zurückgekehrt waren, ergriff der Prätor Lentulus Sura das Wort: »Konzentrationen von Truppen müssen allerdings nicht unbedingt bedeuten, daß ein ernsthafter Aufstand bevorsteht, jedenfalls nicht sofort. Hast du etwas von einem Termin gehört, Quintus Arrius — fünf Tage vor den Kalenden des November zum Beispiel, jenes Datum, das in den Briefen an Marcus Crassus genannt wird?«

»Ich habe kein Datum gehört«, antwortete Arrius.

»Ich frage nur«, fuhr Lentulus Sura fort, »weil die Staatskasse im Moment nicht in der Lage ist, große Summen für umfangreiche Rekrutierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Darf ich vorschlagen, Marcus Tullius, daß du für den Augenblick dein... äh... >Senatus Consultum Ultimum< in eingeschränkter Form anwendest?«

Cicero erkannte viel Zustimmung in den Gesichtern, deshalb beschied er sich zunächst damit, sämtliche berufsmäßigen Gladiatoren aus Rom zu verbannen.

»Wie, Marcus Tullius, und keine Anweisung, Waffen auszugeben an alle Bürger dieser Stadt, die berechtigt sind, in Zeiten der Gefahr welche zu tragen?« fragte Catilina süßlich.

»Nein, Lucius Sergius, ich beabsichtige keine solche Anweisung, bis ich bewiesen habe, daß du und die Deinen Feinde dieses Staates seid!« fauchte Cicero. »Warum sollte ich Waffen ausgeben an Leute, von denen ich weiß, daß sie sie irgendwann gegen die loyalen Bürger richten werden?«

»Dieser Mann ist gemeingefährlich!« rief Catilina und zeigte auf Cicero. »Er hat nicht den geringsten Beweis, und doch läßt er nicht von seinen bösartigen Verleumdungen gegen mich ab!«

Catulus jedoch erinnerte sich auf einmal daran, wie er und Hortensius sich im Jahr zuvor gefühlt hatten, als sie sich gegen Catilina verschworen und Cicero — als dem geringeren Übel — zu dem Amt verholfen hatten. War Catilina vielleicht doch der Rädelsführer? Gaius Manlius war sein Klient. Ebenso Publius Furius, einer der anderen Aufständischen. Vielleicht sollte man herausfinden, ob Minucius, Publicus und Aulus Fulvius auch Catilinas Klienten waren. Im Grunde war nicht ein einziger der Männer aus diesem Kreis unbescholten und rechtschaffen! Lucius Cassius war ein vollgefressener Dummkopf, und was Publius Sulla und Publius Autronius betraf — waren sie nicht beide ihres Amtes als Konsul enthoben worden, bevor sie es überhaupt antreten konnten? Und kursierten damals nicht die wildesten Gerüchte, die besagten, sie hätten ihre Nachfolger Lucius Cotta und Torquatus ermorden wollen? Catulus beschloß, das Wort zu ergreifen.

»Laß Marcus Tullius in Ruhe, Lucius Sergius!« forderte er ungeduldig. »Wir können uns vielleicht mit eurem kleinen Privatkrieg abfinden, aber wir müssen keineswegs hinnehmen, daß ein privatus dem ordentlich gewählten Ersten Konsul vorschreibt, wie er sein... äh... >Senatus Consultum Ultimum< zu vollziehen hat. Ich bin mit Marcus Tullius einer Meinung. Von heute an werden wir das Geschehen in Etruria genauestens im Auge behalten. Doch zu diesem Zweck müssen an niemanden in dieser Stadt Waffen ausgegeben werden.«

»Du kommst voran, Cicero«, meinte Caesar, als die Versammlung sich auflöste. »Sogar Catulus fängt an, sich Gedanken über Catilina zu machen.«

»Und was meinst du?«

»Ich halte ihn für einen echten Halunken. Was meinst du wohl, warum ich Quintus Arrius nach Etruria geschickt habe?«

»Du hast Quintus Arrius den Auftrag gegeben?«

»Nun, du bist ja nicht weitergekommen, oder? Ich habe Arrius ausgewählt, weil er in Sullas Armee gedient hat und weil er bei Sullas Veteranen äußerst beliebt ist. Es laufen ein paar Gestalten in Roms höheren Kreisen herum, die bei diesen unzufriedenen alten Haudegen nur Mißtrauen wecken würden, aber Arrius betrachten sie als einen von ihnen«, erklärte Caesar.

»Dann bin ich dir sehr verbunden.«

»Denk dir nichts dabei. Wie allen Patriziern fällt es mir schwer, einen von uns fallenzulassen, aber ich bin kein Narr, Cicero. Ich will keinen Aufstand, und noch weniger kann ich es mir leisten, mit einem Patrizier in einen Topf geworfen zu werden, der einen Aufstand plant. Mein Stern ist noch im Aufsteigen. Schade, daß Catilinas Stern bereits gesunken ist, aber es ist nun einmal so. Catilina ist ein erloschenes Licht in der römischen Politik.« Caesar zuckte die Achseln. »Mit erloschenen Lichtern will ich nichts zu schaffen haben. Und vielen von uns geht es genauso, von Crassus bis hin zu Catulus. Das zeigt sich jetzt ganz deutlich.«

»Ich habe Männer da oben in Etruria. Sollte der Aufstand fünf Tage vor den Kalenden beginnen, wird Rom es innerhalb eines Tages erfahren.«

Aber Rom erfuhr es nicht innerhalb eines Tages. Der vierte Tag vor den Kalenden des November verging, und nichts geschah. Die Konsuln und Prätoren, die nach Ankündigung der Briefe ermordet werden sollten, gingen unbehelligt ihren Geschäften nach, und aus Etruria war von einer Revolution nichts zu vernehmen.

Zweifel und bange Erwartungen quälten Cicero; Catilinas fortwährende Verspottungen trugen nicht gerade zu einer Verbesserung seiner Stimmung bei, ebensowenig wie die Zurückhaltung, die er bei Catulus und Crassus spürte. Was ging da vor sich? Warum kamen keine Nachrichten?

Auch am Morgen der Kalenden des November war Cicero noch ohne Neuigkeiten. Er war während dieser schrecklichen Tage des Wartens auf Ereignisse nicht völlig tatenlos geblieben. Er ließ die Stadt von Teilen der in Capua stationierten römischen Truppen umstellen, postierte in Oriculum eine Kohorte, eine andere in Tibur, eine in Ostia, eine in Praeneste und zwei weitere in Veii. Mehr konnte er nicht tun, denn mehr kampfbereite Truppen gab es nicht, nicht einmal in Capua.

Nach der Mittagsstunde der Kalenden überstürzten sich dann die Ereignisse. Aus Praeneste traf eine verzweifelte Bitte um Hilfe ein, man werde angegriffen. Dann ein weiterer Hilferuf aus Faesulae, das ebenfalls angegriffen wurde. Der Aufstand hatte, wie in den Briefen angekündigt, tatsächlich schon vor fünf Tagen begonnen. Als die Sonne unterging, berichteten weitere Nachrichten von Unruhen unter Sklaven in Capua und Apulia. Cicero rief für den nächsten Tag den Senat zusammen.

Erstaunlich, wie nützlich die Institution der Triumphzüge sein konnte! Seit fünfzig Jahren hatte die Anwesenheit von siegreichen Armeen auf dem Marsfeld bei jeder Staatskrise dafür gesorgt, daß Rom von allen äußeren Gefahren verschont geblieben war. Die gegenwärtige Krise machte da keine Ausnahme. Quintus Marcius Rex und Metellus Creticus das Zicklein warteten beide auf dem Marsfeld auf ihren Triumphzug. Natürlich hatte keiner von ihnen mehr als eine Legion dabei, aber es waren Veteranenlegionen. Mit voller Rückendeckung durch den Senat schickte Cicero Befehle zum Marsfeld hinaus — Metellus das Zicklein sollte nach Süden gegen Apulia ziehen und auf dem Weg Praeneste entlasten, während man Marcius Rex nach Norden gegen Faesulae schickte.

Cicero hatte acht Prätoren zur Verfügung, Lentulus Sura in Gedanken jedoch schon ausgeschlossen. Er gab Quintus Pompeius Rufus den Auftrag, sich nach Capua zu begeben und unter den vielen Veteranen, die sich auf ihre Ländereien in Campania zurückgezogen hatten, einige Truppen auszuheben. Auf wen konnte er sonst noch zählen? Gaius Pomptinus war Soldat und außerdem ein guter Freund Ciceros; für ihn würde sich in Rom eine wichtigere Aufgabe finden lassen. Cosconius war zwar der Sohn eines ausgezeichneten Feldherrn, selbst aber nicht der richtige Mann für die Meisterung der gegenwärtigen Herausforderungen. Auch Roscius war ein guter Freund Ciceros, aber er taugte eher zum Diplomaten als zum Feldherrn oder Truppenwerber. Sulpicius war kein Patrizier, trotzdem schien er ein wenig mit Catilina zu sympathisieren, und auch dem Patrizier Valerius Flaccus traute Cicero nicht über den Weg. Blieb also nur noch der praetor urbanus Metellus Celer. Pompeius’ Mann und absolut loyal.

»Quintus Caecilius Metellus Celer, ich beauftragte dich damit, nach Picenum zu reiten und dort Soldaten für Rom zu werben«, sagte Cicero.

Celer erhob sich mit nachdenklichem Gesicht. »Natürlich würde ich das gern tun, Marcus Tullius, aber es gibt da eine Schwierigkeit: Als Stadtprätor darf ich nicht länger als zehn Tage hintereinander aus Rom fort sein.«

»Unter einem Senatus Consultum Ultimum darfst du alles tun, womit der Senat dich beauftragt, ohne damit Gesetz oder Tradition zu brechen.«

»Ich wünschte, ich könnte deiner Interpretation zustimmen«, unterbrach ihn Caesar, »aber ich sehe das anders, Marcus Tullius. Der Beschluß erstreckt sich nur auf die Krise, normale Verwaltungsaufgaben werden durch ihn nicht außer Kraft gesetzt.«

»Ich brauche Celer, um mit der Krise fertig zu werden!« rief Cicero.

»Dir stehen fünf weitere Prätoren zur Verfügung, die noch keine Aufgabe haben«, sagte Caesar.

»Ich bin der Erste Konsul. Ich schicke den Prätor, den ich für den geeignetsten halte!«

»Auch wenn du damit gegen das Gesetz verstößt?«

»Ich verstoße nicht gegen das Gesetz! Das Senatus Consultum Ultimum setzt alle anderen Belange außer Kraft, auch die normalen Verwaltungsaufgaben<, wie du Celers Mission nennst!« Cicero war die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Er brüllte: »Würdest du auch einem formal eingesetzten Diktator das Recht abstreiten, Celer für länger als zehn Tage aus der Stadt zu schicken?«

»Nein, das würde ich nicht«, entgegnete Caesar ruhig. »Warum dann nicht gleich auf die korrekte Weise, Marcus Tullius? Leg dein Spielzeug beiseite und fordere diese Körperschaft auf, einen Diktator und einen magister equitum zu ernennen, damit sie gegen Gaius Manlius in den Krieg ziehen.«

»Eine ausgezeichnete Idee!« höhnte Catilina, der, umgeben von allen seinen Anhängern, an seinem angestammten Platz saß.

»Das letztemal, als Rom einen Diktator hatte, wurde es von ihm wie von einem König regiert!« brüllte Cicero. »Das Senatus Consultum Ultimum wurde eingeführt, um mit einer Krise fertig zu werden, ohne einem einzigen Mann die alleinige Befehlsgewalt zu geben!«

»Wie, und du hättest hier nicht die alleinige Befehlsgewalt, Cicero?« fragte Catilina.

»Ich bin der Erste Konsul!«

»Und du triffst alle Entscheidungen, als wärst du ein Diktator.«

»Ich bin nur das Instrument des Senatus Consultum Ultimum!«

»Du bist das Instrument der chaotischen Zustände, die in der Verwaltung herrschen«, sagte Caesar. »In etwas mehr als einem Monat treten die neuen Volkstribunen ihr Amt an, und in den Tagen vor und nach diesem Ereignis muß der Stadtprätor in Rom anwesend sein.«

»Keine einzige Gesetzestafel schreibt so etwas vor!«

»Aber es gibt ein Gesetz, das besagt, der Stadtprätor darf nicht länger als zehn Tage hintereinander aus Rom fort sein.«

»Schon gut! Schon gut!« schrie Cicero. »Macht doch, was ihr wollt! Quintus Caecilius Metellus Celer, ich beordere dich nach Picenum, aber ich verlange, daß du an jedem elften Tag zurückkehrst! Außerdem wirst du sechs Tage vor Amtsantritt der neuen Volkstribunen nach Rom zurückkehren und bis zum sechsten Tag nach ihrem Amtsantritt in der Stadt bleiben!«

In diesem Moment überreichte einer der Schriftführer dem aufgebrachten Ersten Konsul eine Notiz. Cicero las sie durch und lachte kurz auf. »Nun, Lucius Sergius!« sagte er zu Catilina. »Da scheint sich noch ein kleines Problem für dich zu ergeben. Lucius Aemilius Paullus beabsichtigt, dich unter Berufung auf die lex Plautia de vi anzuklagen. Er hat es gerade von der Rostra verkündet.« Cicero räusperte sich vernehmlich. »Du weißt sicher, wer Lucius Aemilius Paullus ist! Ein Patrizier wie du und ein Revolutionär obendrein! Nach mehrjähriger Abwesenheit ist er nach Rom zurückgekehrt und kann mit seinem Bruder Lepidus, was das öffentliche Leben betrifft, keinesfalls konkurrieren, aber anscheinend bemüht er sich zu zeigen, daß in seinem adligen Körper kein Tropfen revolutionären Blutes mehr fließt. Und da glaubst du immer noch, nur wir Emporkömmlinge seien gegen dich? Du wirst doch einen Aemilius nicht als Emporkömmling bezeichnen wollen, oder?«

»Oh, oh, oh!« höhnte Catilina, hob die rechte Hand und ließ sie künstlich zittern. »Du siehst, wie ich bibbere, Marcus Tullius! Man will mich der Anstiftung zum öffentlichen Aufruhr anklagen? Wann sollte ich das getan haben?« Er blieb sitzen, aber er blickte mit gekränkter Miene um sich. »Vielleicht sollte ich mich in eigener Person in die Obhut eines dieser adligen Herren geben, ja, Marcus Tullius? Würde dir das gefallen?« Er blickte Mamercus an. »He, Mamercus Aemilius Lepidus Princeps Senatus, möchtest du mich nicht als deinen Gefangenen in dein Haus aufnehmen?«

Mamercus, das Oberhaupt der Aemilii Lepidi und deshalb auch ein naher Verwandter des zurückgekehrten Exilanten Paullus, schüttelte nur lächelnd den Kopf. »Ich kann auf dich verzichten, Lucius Sergius.«

»Und wie wär’s mit dir, Erster Konsul?« wollte Catilina von Cicero wissen.

»Wie, ich sollte meinem Haus einen potentiellen Mörder zumuten? Nein, danke!« sagte Cicero.

»Und du, praetor urbanus —«

»Unmöglich«, antwortete Metellus Celer. »Ich reise morgen früh nach Picenum.«

»Und wie wär’s mit einem plebejischen Claudius? Meldest du dich freiwillig, Marcus Claudius Marcellus? Vor ein paar Tagen bist du deinem Herrn Crassus noch so schnell hinterhergelaufen!«

»Ich weigere mich«, sagte Marcellus.

»Ich habe eine bessere Idee, Lucius Sergius«, warf Cicero ein. »Warum verschwindest du nicht aus Rom und bekennst dich offen zu deinem Aufstand?«

»Ich denke nicht daran, aus Rom zu verschwinden, und es ist nicht mein Aufstand«, erwiderte Catilina.

»Wenn das so ist, erkläre ich die Versammlung für geschlossen«, sagte Cicero. »Rom ist geschützt, so gut es uns möglich ist. Jetzt können wir nur abwarten, was als nächstes geschieht. Früher oder später wirst du dich verraten, Catilina.« »Ich wünschte«, sagte er später zu Terentia, »mein vergnügungssüchtiger Kollege Hybrida würde nach Rom zurückkehren! Hier ist ganz offen der Notstand ausgerufen, und er aalt sich an seinem Privatstrand unten in Cumae in der Sonne!«

»Kannst du ihn mit Hilfe des Senatus Consultum Ultimum nicht zur Rückkehr zwingen?« fragte Terentia.

»Das nehme ich an.«

»Dann tu’s, Cicero! Du wirst ihn brauchen.«

»Ihn plagt die Gicht.«

»Die Gicht hat er im Kopf«, lautete Terentias Urteil.

Ungefähr fünf Stunden vor Sonnenaufgang des siebten November wurden Cicero und Terentia erneut von Tiro aus tiefem Schlaf geweckt.

»Du hast Besuch, domina«, sagte der allseits beliebte Sklave.

Die Frau des Ersten Konsuls zeigte keinerlei Anzeichen ihres sonst so beklagten Rheumatismus, als sie behende aus dem Bett sprang (natürlich züchtig mit einem Nachthemd bekleidet — in Ciceros Haus wurde nicht nackt geschlafen).

»Es ist Fulvia Nobilioris«, sagte sie zu Cicero und rüttelte ihn an der Schulter. »Los, Mann, wach endlich auf!« Oh, welche Freude! Endlich gehörte auch sie dem Kriegsrat an!

»Quintus Curius schickt mich«, verkündete Fulvia Nobilioris. Ihr Gesicht wirkte nackt und alt, sie hatte keine Zeit mehr gehabt, Schminke aufzutragen.

»Ist er vernünftig geworden?« fragte Cicero scharf.

»Ja.« Die Besucherin nahm den Becher unverdünnten Wein, den Terentia ihr gegeben hatte, trank einen Schluck und schüttelte sich. »Sie haben sich um Mitternacht im Haus von Marcus Porcius Laeca getroffen.«

»Wer?«

»Catilina, Lucius Cassius, mein Quintus Curius, Gaius Cethegus, die beiden Sulla-Brüder, Gabinius Capito, Lucius Statilius, Lucius Vargunteius und Gaius Cornelius.«

»Und Lentulus Sura?«

»War nicht dabei.«

»Dann scheine ich mich in ihm getäuscht zu haben.« Cicero beugte sich vor. »Los, erzähl weiter! Was ist passiert?«

»Sie haben sich getroffen, um den Fall Roms zu planen und die Rebellion voranzutreiben«, sagte Fulvia Nobilioris. Ihre Wangen röteten sich ein wenig, der Wein tat seine Wirkung, »Gaius Cethegus wollte Rom sofort einnehmen, aber Catilina will lieber abwarten, bis die Aufstände in Apulia, Umbria und Bruttium ausgebrochen sind. Er hat die Nacht der Saturnalien vorgeschlagen, weil es die Nacht ist, in der ganz Rom feiert, die Sklaven das Regiment führen und alle betrunken sind. Er meint, so lange werden sie noch brauchen, um die Revolte richtig anzuheizen.«

Cicero nickte. Da war etwas dran: Die Saturnalien fanden am siebzehnten Tag des Dezember statt, bis dahin waren es noch sechs Marktperioden. Inzwischen würde ganz Italien in Flammen stehen. »Und wer hat gewonnen, Fulvia?« wollte er wissen.

»Catilina, aber bei einer Sache hat Cethegus sich durchgesetzt.«

»Bei welcher?« fragte der Erste Konsul freundlich nach, als sie stockte und zu zittern anfing.

»Sie haben beschlossen, dich sofort zu ermorden.«

Seit der Lektüre der Briefe wußte er, daß man ihn umbringen wollte, aber als er es jetzt aus dem Mund dieser armen, furchtsamen Frau hörte, überkam ihn eine Angst, wie er sie bisher noch nicht gekannt hatte. Er sollte sofort ermordet werden! Sofort! »Wie und wann?« fragte er. »Los, Fulvia, sag es mir! Ich stelle dich nicht vor Gericht. Du verdienst Belohnung, nicht Strafe! Sag es mir!«

»Lucius Vargunteius und Gaius Cornelius werden sich morgen bei Sonnenaufgang zusammen mit deinen Klienten hier in deinem Haus einfinden«, sagte sie.

»Aber sie sind nicht meine Klienten«, erwiderte Cicero verdutzt.

»Ich weiß. Aber sie wollen dich bitten, sie als Klienten aufzunehmen, um ihnen die Rückkehr ins öffentliche Leben zu erleichtern. Und wenn sie erst einmal drinnen sind, werden sie dich um ein privates Gespräch in deinem Arbeitszimmer bitten, um ihre Bitte vorzutragen. Dort wollen sie dich erdolchen und die Flucht ergreifen, bevor deine Klienten begriffen haben, was geschehen ist«, sagte Fulvia.

»Dann ist es einfach.« Cicero seufzte erleichtert. »Ich werde die Türen verriegeln, einen Wachposten im Peristylium aufstellen und meine Klienten nicht empfangen, weil ich krank bin. Und schon gar nicht werde ich den ganzen Tag draußen herumlaufen. Es ist Zeit für Beratungen.« Er stand auf und tätschelte Fulvia Nobilioris die Hand. »Ich danke dir von ganzem Herzen. Und sage Quintus Curius, daß er sich mit seinem beherzten Eingreifen einen uneingeschränkten Straferlaß verdient hat. Aber sage ihm bitte auch, daß er zum Helden avancieren kann, wenn er das alles übermorgen im Senat bezeugt. Ich werde dafür sorgen, daß ihm nichts geschieht. Mein Wort darauf.«

»Ich werde es ihm sagen.«

»Was genau hat Catilina an den Saturnalien vor?«

»Sie haben irgendwo ein großes Waffenversteck. Den Ort kennt Quintus Curius nicht. An alle Rebellen sollen Waffen ausgegeben werden. Sie wollen an zwölf verschiedenen Stellen in der Stadt Feuer legen, unter anderem auf dem Kapitol, dem Palatin, dem Carinae und an beiden Enden des Forums. Außerdem haben sie einige Männer bestimmt, die sämtliche Magistrate in ihren Häusern ermorden sollen.«

»Bis auf mich. Ich bin ja schon tot.«

»Ja.«

»Geh jetzt besser, Fulvia«, sagte Cicero und nickte seiner Frau zu. »Womöglich kommen Vargunteius und Cornelius schon etwas früher, und sie dürfen dich auf keinen Fall zu sehen bekommen. Bist du in Begleitung?«

»Nein«, flüsterte sie. Ihr Gesicht war wieder blaß.

»Dann gebe ich dir Tiro und vier andere Männer mit.«

Gleich nachdem sie Fulvia Nobilioris’ Heimweg organisiert hatte, kam Terentia in Ciceros Arbeitszimmer marschiert. »Eine feine Verschwörung!« wetterte sie.

»Meine Liebe, ohne dich wäre ich längst ein toter Mann.«

»Das ist mir klar«, sagte sie und setzte sich. »Ich habe das Personal angewiesen, alle Türen und Fenster zu verriegeln, sobald Tiro mit den Männern zurück ist. Schreib schnell auf ein Stück Papier, du seist krank und könntest niemanden empfangen. Ich lasse es an der Vordertür anbringen.«

Cicero tat wie befohlen und überließ seiner Frau die logistischen Angelegenheiten. Was für einen hervorragenden Feldherrn sie abgeben würde! Sie dachte an alles, ließ jede Öffnung des Hauses vernageln.

»Du mußt mit Catulus, Crassus und Hortensius reden, wenn er vom Meer zurückgekehrt ist. Und auch mit Mamercus und Caesar«, sagte sie, nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren.

»Nicht vor heute nachmittag«, erwiderte Cicero zaghaft. »Erst wenn ich außer Gefahr bin.«

Tiro war am oberen Fenster postiert und hatte von dort einen guten Ausblick auf den Eingang. Eine Stunde nach Sonnenaufgang konnte er verkünden, daß Vargunteius und Cornelius sich wieder getrollt hatten, aber erst, nachdem sie sich ein paarmal am Schloß von Ciceros massiver Eingangstür zu schaffen gemacht hatten.

»Wie widerwärtig!« rief Cicero. »Ich, der Erste Konsul, muß mich in meinem eigenen Haus verbarrikadieren! Laß sämtliche Konsulare Roms zu mir holen, Tiro! Morgen werde ich Catilina davonjagen!«

Fünfzehn Konsulare erschienen — Mamercus, Poplicola, Catulus, Torquatus, Crassus, Lucius Cotta, Vatia Isauricus, Curio, Lucullus, Varro Lucullus, Volcatius Tullus, Gaius Marcius Figulus, Glabrio, Lucius Caesar und Gaius Piso. Weder die designierten Konsuln noch der designierte Stadtprätor Caesar waren eingeladen worden; Cicero hatte beschlossen, nur einen beratenden Kriegsrat einzuberufen.

»Leider ist es mir nicht gelungen, Quintus Curius zu einer öffentlichen Aussage zu bewegen«, sagte er mit ernster Stimme, nachdem alle Männer in seinem viel zu kleinen Atrium Platz genommen hatten (er mußte sich endlich Geld für ein größeres Haus beschaffen!). »Ich habe also keine Beweise. Auch Fulvia Nobilioris würde nicht aussagen, selbst wenn der Senat bereit wäre, sich die Aussage einer Frau anzuhören.«

»Wie dem auch sei, Cicero, ich glaube dir jetzt«, sagte Catulus. »Ich traue dir gar nicht zu, dir so viele Namen aus den Fingern zu saugen.«

»Oh, ich danke dir, Quintus Lutatius!« fauchte Cicero mit blitzenden Augen. »Deine Solidarität wärmt mir das Herz, nur hilft sie mir nicht, zu entscheiden, was ich morgen dem Senat erzählen soll!«

»Konzentriere dich auf Catilina und vergiß die anderen«, lautete Crassus’ Rat. »Ziehe eine deiner phantastischen Reden aus dem Armel und richte sie gegen Catilina. Du mußt ihn dazu zwingen, Rom zu verlassen. Der Rest der Bande kann ruhig hierbleiben — wir lassen sie schon nicht aus den Augen. Schlag den Kopf ab, den Catilina auf Roms kräftigen, aber kopflosen Körper setzen wollte.«

»Er wird nicht gehen wollen, wenn er nicht schon weg ist«, erwiderte Cicero düster.

»Vielleicht doch«, sagte Lucius Cotta, »wenn wir bestimmte Leute davon überzeugen können, seine Nähe im Senat zu meiden. Ich werde mit Publius Sulla reden, und Crassus könnte Autronius aufsuchen, den er gut kennt. Das sind bei weitem die dicksten Fische in Catilinas Teich, und ich wette: Wenn diese beiden ihm beim Betreten des Hauses aus dem Weg gehen, dann verlassen ihn auch die anderen, deren Namen wir heute erfahren haben. Überlebenswille ist der Todfeind jeglicher Loyalität.« Er erhob sich lächelnd. »Und nun laßt Cicero allein, Kollegen Konsulare, damit er seine größte Rede schreiben kann.«

Cicero hatte alles gegeben, soviel wurde am nächsten Tag klar, als er den Senat im Tempel des Jupiter Stator an der Ecke der Velia zusammengerufen hatte, einem Versammlungsort, der schwer anzugreifen und leicht zu verteidigen war. Deutlich sichtbar waren rund um das Gebäude Wachposten aufgestellt, und die hatten natürlich eine besonders große Menge von berufsmäßigen Forumsgängern herbeigelockt. Catilina erschien früh, wie Lucius Cotta es vorhergesagt hatte, und so kam die Strategie, seine Nähe demonstrativ zu meiden, für alle sichtbar zur Anwendung. Nur Lucius Cassius, Gaius Cethegus, der designierte Volkstribun Bestia und Marcus Porcius Laeca setzten sich zu ihm und bedachten Publius Sulla und Autronius mit wütenden Blicken.

Eine sichtbare Veränderung ging mit Catilina vor. Zuerst wandte er sich an Lucius Cassius und flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann tuschelte er mit den drei anderen. Alle vier schüttelten sie zunächst vehement die Köpfe, aber Catilina setzte sich durch. Schweigend erhoben sie sich und ließen ihn ganz allein sitzen.

Währenddessen stürzte Cicero sich in seine Rede; er erzählte die Geschichte von einem nächtlichen Geheimtreffen, das zum Ziel hatte, die Ordnung in Rom zu stürzen, und er nannte alle Namen der Beteiligten und auch den Namen des Mannes, in dessen Haus das Treffen stattgefunden hatte. Und immer wieder forderte er Lucius Sergius Catilina auf, Rom zu verlassen, die Stadt von seiner verhängnisvollen Gegenwart zu befreien.

Catilina unterbrach ihn nur ein einziges Mal.

»Willst du, daß ich ins freiwillige Exil gehe, Cicero?« fragte er mit lauter Stimme, denn vor den offenen Türen spitzte eine Menschenmenge die Ohren, um nur ja kein Wort zu verpassen. »Nur zu, Cicero, frag das Haus, ob ich ins freiwillige Exil gehen soll! Wenn es mich dazu auffordert, werde ich gehen!«

Cicero antwortete nicht darauf. Er redete weiter. Geh fort, verlasse Rom — das war sein Thema.

Und nach der langen Zeit der Ungewißheit ging alles plötzlich sehr schnell. Als Cicero geendet hatte, erhob sich Catilina und nahm eine majestätische Haltung an.

»Ich werde gehen, Cicero! Ich verlasse Rom! Ich möchte gar nicht in einer Stadt bleiben, die von einem Pächter aus Arpinum regiert wird, einem Fremden, der weder ein Römer noch ein Latiner ist! Du bist ein samnitischer Bauerntölpel, Cicero, ein Kuhbauer aus den Bergen, ohne Vorfahren und ohne Reputation! Meinst du etwa, du würdest mich zwingen, ins Exil zu gehen? Nein, du bestimmt nicht! Catulus, Mamercus, Cotta und Torquatus zwingen mich dazu. Ich gehe, weil sie mich verlassen haben, nicht wegen deinem armseligen Geschwätz! Wenn ein Mann von seinen Freunden verlassen wird, dann ist er erledigt. Deshalb gehe ich.«

Draußen ertönten Laute der Verwunderung, als Catilina sich einen Weg durch die Menge der Forumsbesucher bahnte. Dann war es still.

Es erhoben sich mehrere Senatoren, um von jenen abzurücken, die Cicero in seiner Rede erwähnt hatte, sogar ein Bruder rückte von seinem Bruder ab — Publius Cethegus hatte sich entschieden, sowohl Gaius als auch der Verschwörung den Rücken zu kehren.

»Ich hoffe, du bist jetzt glücklich, Marcus Tullius«, sagte Caesar.