Teil II
März 73 v. Chr. bis Quinctilis (Juli) 65 v. Chr.
Weder seine Herkunft noch Mangel an Intelligenz oder Geld waren das Problem des Publius Clodius; es fehlte ihm vielleicht an der Richtung. Er hatte kein festes Ziel vor Augen und hätte einer festen Führung durch die Älteren bedurft. Indes sagte ihm sein Instinkt, daß er etwas Besonderes sei. Doch war er bei weitem nicht der erste Nachkomme der Claudii, der das von sich meinte. Wenn es einen römischen Clan gab, der mit Individualisten reich gesegnet war, dann war es die Patrizierfamilie der Claudii. Recht seltsam, wenn man bedachte, daß die claudianische von allen Patrizierfamilien die jüngste war. Sie tauchte erst zu der Zeit auf, als König Tarquinius Superbus von Lucius Junius Brutus abgesetzt wurde und das Zeitalter der Republik begann. Natürlich waren die Claudii Sabiner, und Sabiner waren heißblütig, stolz, unabhängig, unbezähmbar und kriegerisch, sie mußten so sein, denn sie stammten aus der Gegend zwischen dem Apennin und dem nördlichen und östlichen Latium, einer rauhen, bergigen Gegend, in der es nur wenige freundliche Flecken gab.
Clodius’ Vater war jener Appius Claudius Pulcher gewesen, der es nicht vermocht hatte, das Vermögen der Familie zurückzugewinnen, nachdem sein Neffe, der Zensor Philippus, ihn aus dem Senat geworfen und seinen ganzen Besitz konfisziert hatte, als Strafe für seine starrköpfige Treue zum verbannten Sulla. Seine Mutter Caecilia Metella Balearica, eine Frau von erlesenem Adel, war bei seiner Geburt gestorben. Er war ihr sechstes Kind in nur sechs Jahren gewesen; drei Jungen und drei Mädchen hatte sie zur Welt gebracht. Die Wechselfälle des Krieges, in dem er immer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, hatten dafür gesorgt, daß Appius Claudius so gut wie nie zu Hause war; so war als Verantwortlicher für die Erziehung der Kinder nur der älteste Bruder Appius Claudius junior geblieben. Seine fünf Schutzbefohlenen waren allesamt ungestüme, eigenwillige Kinder, stets darauf aus, Verwüstungen anzurichten, aber der kleine Publius war der Schlimmste von allen. Hätte er eine feste Hand gehabt, dann wären Publius vielleicht ein paar von den Flausen ausgetrieben worden, die er in seiner Kindheit entwickelte, aber da seine fünf Geschwister ihn schrecklich verhätschelten, war er schon sehr früh in seinem Leben davon überzeugt gewesen, außergewöhnlich zu sein.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als sein Vater in Makedonien starb, teilte er seinem großen Bruder Appius mit, daß er seinen Namen in Zukunft auf die populäre Weise, Clodius, schreiben und auf den Familiennamen Pulcher verzichten werde. Pulcher bedeutete »schön«, und es stimmte, daß die meisten Claudii Pulchri stattliche, gutaussehende Menschen waren; der ursprüngliche Besitzer des Beinamens hatte ihn jedoch erhalten, weil er einen ausgesprochen unschönen Charakter hatte. »Das ist ja ein schönes Früchtchen!« hatten die Leute von ihm gesagt, und das Pulcher war geblieben.
Natürlich war es Publius Clodius gestattet worden, die Schreibweise seines Namens zu popularisieren; der Präzedenzfall war bereits durch seine drei Schwestern geschaffen, von denen sich die älteste Claudia, die mittlere Clodia und die jüngste Clodilla nannte. Der große Bruder Appius liebte seine Geschwister so abgöttisch, daß er ihnen alles gewährte, um das sie ihn baten. Wenn der heranwachsende Publius wegen seiner nächtlichen Alpträume lieber bei Clodia und Clodilla schlafen wollte — warum nicht? Die armen kleinen Würmer, ohne Mutter und ohne Vater! Der große Bruder Appius hatte Mitleid mit ihnen. Eine Tatsache, der sich der kleinste Bruder Publius Clodius durchaus bewußt war, und die er bedenkenlos zu nutzen wußte.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt, wo Publius Clodius seine toga virilis angezogen hatte und offiziell zum Mann geworden war, hatte der große Bruder Appius das dahingeschwundene Familienvermögen auf kluge Weise wieder beträchtlich vermehrt, indem er die Jungfer Servilia Gnaea geheiratet hatte; sie hatte sich auch noch um sechs andere aristokratische Waisen gekümmert, die Kinder aus den Familien Servilius Caepio, Livius Drusus und Porcius Cato. Ihre Mitgift war so gewaltig wie ihr auffälliger Mangel an Schönheit. Aber ihre Sorge um Waisenkinder hatte sie und Appius zusammengebracht, und sie gefiel dem sentimentalen großen Bruder so sehr, daß er sich prompt in seine zweiunddreißig Jahre alte Braut verliebte (er war einundzwanzig), sich mit ihr in einem Leben von einfältiger Zufriedenheit einrichtete, im jährlichen Rhythmus Nachkommen in die Welt setzte und auch auf diese Weise einer Tradition der Claudii gerecht wurde.
Der große Bruder hatte es auch geschafft, seine drei Schwestern trotz der dürftigen Mitgift außergewöhnlich gut zu verheiraten: Claudia ehelichte Marcius Rex, der bald Konsul werden würde; Clodia heiratete ihren Vetter Quintus Caecilius Metellus Celer (gleichzeitig der Halbbruder von Pompeius’ Frau Mucia Tertia) und Clodilla tat sich mit dem großen Lucullus zusammen, der genau dreimal so alt war wie sie. Drei ungeheuer reiche und angesehene Männer, zwei von ihnen bereits alt genug, um ihre familiäre Machtstellung gefestigt zu haben, etwas, was Celer gar nicht nötig hatte, denn er war der älteste Enkelsohn von Metellus Balearicus und gleichzeitig der Enkel des angesehenen Crassus Orator. Und das alles geriet dem jungen Publius Clodius zum Vorteil: Da Rex es auch nach mehreren Ehejahren noch nicht gelungen war, Claudia einen Sohn zu zeugen, rechnete Publius Clodius zuversichtlich damit, der Erbe von Quintus Marcius Rex zu werden.
Im Alter von sechzehn Jahren absolvierte Publius Clodius sein tirocinium fori, die Lehrzeit als Advokat der Rechte und angehender Politiker auf dem Forum Romanum. Anschließend spielte er auf dem Exerzierplatz in Capua ein Jahr lang Soldat und kehrte mit achtzehn Jahren in das Leben auf dem Forum zurück. Er bekam Lust, sich die Hörner abzustoßen, und merkte, daß die Mädchen für ihn schwärmten; also hielt Clodius Ausschau nach Herausforderungen, die mit den Vorstellungen von seiner eigenen Besonderheit zusammenpaßten. Und so entwickelte sich eine Leidenschaft für Fabia — eine der vestalischen Jungfrauen. Die Leute rümpften die Nase, wenn ein Mann ein Auge auf eine Vestalin warf — genau das amouröse Abenteuer, das Clodius gesucht hatte. In der Keuschheit einer jeden Vestalin lag das Glück Roms; die meisten Männer hüteten sich schon vor dem Gedanken, eine der Jungfrauen zu verführen. Nicht so Publius Clodius.
Niemand in Rom erwartete von den Vestalinnen, daß sie ein zurückgezogenes Leben führten. Sie durften auf Essenseinladungen gehen, vorausgesetzt der Pontifex Maximus und ihre Vorsteherin, die Vestalis Maxima, waren mit Veranstaltungsort und Begleitung einverstanden, und sie nahmen an allen priesterlichen Banketten teil, gleichberechtigt mit Priestern und Auguren. In den öffentlichen Bereichen des Domus Publica, des staatseigenen Hauses, das sie mit dem Pontifex Maximus teilten, durften sie Besuch von Männern empfangen, allerdings nur in Gegenwart einer Anstandsdame. Die Vestalinnen waren in der Regel auch nicht arm. Es war eine Ehre für eine Familie, eine Vestalin zu stellen, deshalb wurden viele Mädchen, die nicht gebraucht wurden, um eine familiäre Verbindung durch Heirat zu festigen, dem Staat als vestalische Jungfrau zur Verfügung überlassen. Die meisten kamen mit einer ausgezeichneten Mitgift, und die anderen wurden vom Staat damit ausgestattet.
Fabia — auch sie war achtzehn Jahre alt — war ein schönes, sanftmütiges, fröhliches und nur ein ganz klein wenig dummes Mädchen. Das ideale Angriffsziel für Publius Clodius, der großes Vergnügen an Schelmenstücken fand, mit denen er die zornige Mißbilligung der Leute provozieren konnte. Die Verführung einer vestalischen Jungfrau wäre ein solches Schelmenstück! Clodius wollte ja gar nicht so weit gehen, Fabia tatsächlich zu entjungfern, denn das hätte ein juristisches Nachspiel haben können, in dessen Verlauf man ihm womöglich sein heißgeliebtes Fell über die Ohren gezogen hätte. Nein, eigentlich wollte er nur sehen, wie Fabia vor Liebe und Verlangen nach ihm dahinschmolz.
Der Ärger begann, als er feststellen mußte, daß er einen Rivalen hatte: Lucius Sergius Catilina, ein stattlicher, dunkler, umwerfend gutaussehender, charmanter und gefährlicher Mann. Clodius hatte auch seine Reize, aber Catilina konnte er nicht das Wasser reichen; zum einen war er nicht so kräftig und hochgewachsen, zum anderen fehlte ihm die Ausstrahlung von Macht. Ja, Catilina war ein furchterregender Rivale. Um seine Person rankten sich viele, nie bestätigte Gerüchte von grandioser Ruchlosigkeit. Jeder wußte, daß er sein Vermögen während der Proskriptionen des Sulla gemacht hatte, und dabei hatte er nicht nur seinen Schwager angeprangert (der darauf hingerichtet wurde), sondern auch seinen Bruder (er wurde verbannt). Man sagt sogar, er habe seine damalige Frau ermordet, allerdings war er niemals wegen eines solchen Verbrechens belangt worden. Das schlimmste Gerücht aber besagt, er habe seinen eigenen Sohn umgebracht, weil seine jetzige Frau, die schöne und reiche Orestilla, sich geweigert habe, einen Mann zu heiraten, der bereits einen Sohn hatte. Jeder wußte, daß Catilinas Sohn gestorben war — und daß Catilina Orestilla geheiratet hatte. Aber hatte er den armen Jungen tatsächlich umgebracht? Das konnte niemand mit Sicherheit sagen. Doch eine fehlende Bestätigung hat noch keinem Gerücht den Wind aus den Segeln genommen.
Hinter Catilinas’ und Clodius’ Bemühungen um Fabia standen wahrscheinlich sehr ähnliche Motive. Beide Männer liebten es, ihren Schabernack zu treiben, sich über Roms Prüderie lustig zu machen und Empörung herauszufordern. Aber einen Unterschied gab es eben doch zwischen den Avancen des vierunddreißigjährigen Mannes von Welt, Catilina, und des achtzehnjährigen Grünschnabels Clodius: Die des einen waren von Erfolg gekrönt, die des anderen nicht. Dabei hatte Catilina es gar nicht auf Fabias Jungfernhäutchen abgesehen; dieses hochheilige Stückchen Haut blieb unversehrt, und rein faktisch gesehen blieb Fabia Jungfrau. Aber das arme Mädchen hatte sich unsterblich in Catilina verliebt und ließ so ziemlich alles andere mit sich geschehen. Was war denn schon dabei, wenn er ihr ein paar Küsse gab, wenn sie ihre Brüste entblößte, damit auch sie liebkost wurden, und wenn sie ihm schließlich gestattete, zuerst den Finger und dann sogar die Zunge in die herrlich samtigen Bereiche ihrer Scham einzuführen!
Ganz unschuldige Spielchen waren das, und die ekstatische Erregung, die sie ihr bereiteten, wollte sie als kostbaren Schatz für den Rest ihrer Zeit als Vestalin bewahren — und vielleicht noch darüber hinaus.
Die Vestalis Maxima hieß Perpennia; sie war leider keine sehr strenge Vorsteherin. Und der Pontifex Maximus Metellus Pius weilte gar nicht in Rom, denn er war gegen Sertorius in Spanien zu Felde gezogen. Die Zweitälteste Vestalin war Fonteia, danach kamen die achtundzwanzigjährige Licinia und Fabia mit ihren achtzehn Lenzen; Arruntia und Popillia waren beide erst siebzehn. Perpennia und Fonteia waren fast gleich alt, etwas über dreißig, und würden sich im Laufe der nächsten fünf Jahre zurückziehen. Und außer ihrer Rückkehr ins weltliche Leben, dem Wertverfall der Sesterze und der daraus resultierenden Sorge, daß ihr bisher so ansehnliches Vermögen nun doch nicht bis ins hohe Alter reichen könnte, hatten die beiden ältesten Vestalinnen nicht viel im Sinn; keine der beiden Frauen hatte vor, nach ihrer Amtszeit zu heiraten. Den ehemaligen Vestalinnen war die Ehe zwar nicht verboten, aber man glaubte, sie würde Unglück bringen.
Und an dieser Stelle kam Licinia ins Spiel. Sie war die drittälteste und von allen am besten gestellt. Auch wenn sie mit Licinius Murena näher verwandt war als mit Marcus Licinius Crassus, so war der große Plutokrat doch ihr Vetter und guter Freund. Licinia konsultierte ihn als erfahrenen Ratgeber in finanziellen Angelegenheiten, und die drei ältesten Vestalinnen steckten viel mit ihm zusammen und redeten über Geschäfte, Investitionen und lästige Väter, die auf profitable Mitgiften aus waren.
Und nun vergnügte sich Catilina direkt vor ihrer aller Augen mit Fabia, und auch Clodius stellte ihr nach. Zuerst verstand Fabia überhaupt nicht, was der junge Bursche von ihr wollte, denn verglichen mit Catilinas versierten Verführungskünsten waren Clodius’ Avancen eher plump und unausgereift. Und als Clodius sie zwischen den Küssen mit zärtlichen Worten überhäufte, machte sie den Fehler, über sein absurdes Verhalten zu lachen und ihn dann auch noch fortzuschicken. Noch auf dem Heimweg dröhnte dieses Lachen ihm in den Ohren. So ließ ein Publius Clodius nicht mit sich umspringen. Er war es gewöhnt, zu bekommen, was er wollte, und in seinem ganzen Leben hatte man ihn noch nie ausgelacht. Sein Selbstbild hatte einen so kräftigen Knacks bekommen, daß er auf sofortige Rache sann.
Er wählte dazu eine sehr römische Methode: die Klage vor Gericht. Aber nicht etwa eine harmlose Klage, wie Cato sie eingereicht hatte, nachdem Aemilia Lepida ihn sitzengelassen hatte, als er gerade achtzehn Jahre alt wr. Cato hatte auf Bruch des Eheversprechens geklagt. Publius Clodius klagte wegen Unzucht; selbst in einer Gesellschaft, in der die Todesstrafe eigentlich verpönt war — auch bei Verbrechen gegen den Staat —, war die Unzucht mit einer Vestalm ein Verbrechen, das ganz automatisch mit dem Tode bestraft wurde.
Er begnügte sich nicht mit seiner Rache an Fabia. Seine Anklage richtete er gegen Fabia (Unzucht mit Catilina), Licinia (Unzucht mit Marcus Crassus) sowie Arruntia und Popillia (Unzucht mit Catilina). Zwei Gerichte wurden zusammengestellt, vor dem einen wurde die Anklage gegen die Vestalinnen verhandelt, das andere verhandelte gegen die beschuldigten Liebhaber. Clodius’ Freund Plotius vertrat die Anklage gegen Catilina und Marcus Crassus.
Alle Angeklagten wurden freigesprochen, aber die Prozesse erregten ein großes Aufsehen, und der stets gegenwärtige Humor der Römer wurde kräftig genährt, als sich Crassus mit dem simplen Geständnis befreite, er sei nicht hinter Licinias Unschuld hergewesen, sondern hinter ihrem hübschen kleinen Anwesen in der Vorstadt. Glaubhaft? Die Geschworenen jedenfalls waren dieser Meinung.
Clodius hatte alles getan, um einen Schuldspruch für die Frauen zu erreichen, aber er sah sich einem ausgesprochen fähigen und erfahrenen Anwalt der Verteidigung gegenüber, Marcus Pupius Piso, dem ein erstaunliches Gefolge von jungen Advokaten zur Seite stand. Clodius wurde ein Opfer seiner Jugend und des Mangels an überzeugenden Beweisen. Er war endgültig besiegt, nachdem ein gewichtiges Gremium, bestehend aus Roms hochangesehensten Matronen, die intakte Jungfernschaft aller drei angeklagten Vestalinnen bestätigt hatte. Die Tatsache, daß sowohl der Richter als auch die Geschworenen gegen Clodius gestimmt hatten, vergrößerte sein Unglück noch; soviel Anmaßung und wilde Angriffslust waren ungewöhnlich bei einem so jungen Mann und hatte ihren Zorn geweckt. Junge Ankläger hatten brillant, aber auch ein wenig bescheiden zu sein, das Wort »Bescheidenheit« jedoch fehlte in Clodius’ Wortschatz.
»Laß in Zukunft die Finger von der Juristerei«, lautete Ciceros gutgemeinter Rat, nachdem alles vorbei war. Natürlich hatte Cicero als Mitglied von Pisos Verteidigungsmannschaft dem Prozeß beigewohnt, denn Fabia war die Halbschwester seiner Frau. »Du kaschierst deine Angriffslust und deine Vorurteile nicht gut genug. Dir fehlt die Distanz, die ein erfolgreicher Ankläger unbedingt haben muß.«
Mit dieser Bemerkung machte Cicero sich nicht gerade beliebt bei Clodius, doch Cicero war nur ein kleiner Fisch. Aber Catilina sollte ihm dafür bezahlen, daß er bei Fabia den Sieg davongetragen hatte, und auch dafür, daß er noch einmal davongekommen war.
Um alles nur noch schlimmer zu machen, schnitten ihn nach dem Prozeß auch die Leute, die er auf seiner Seite gewähnt hatte. Und obendrein handelte er sich eine der seltenen Gardinenpredigten seines Bruders Appius ein, der äußerst ungehalten und beschämt war.
»Die Leute halten dein Handeln für pure Bosheit, mein kleiner Publius, und ich kann es ihnen nicht verdenken«, sprach Appius. »Du mußt verstehen, daß die Leute heutzutage schon beim bloßen Gedanken an das Schicksal einer verurteilten Vestalin vom nackten Entsetzen gepackt werden. Lebendig eingemauert, mit einem Krug Wasser und einem Laib Brot. Und das Schicksal der Liebhaber: auf einen spitzen Pfahl gefesselt und zu Tode gepeitscht. Entsetzlich, einfach entsetzlich! Du hättest einen ganzen Berg von unwiderlegbaren Beweisen gebraucht, um eine Verurteilung zu erreichen, und hast nicht einmal ein kleines Häuflein zusammengebracht! Alle vier Vestalinnen kommen aus mächtigen Familien, die du furchtbar gegen dich aufgebracht hast! Ich kann dir nicht helfen, Publius, aber ich kann mir selber helfen, indem ich Rom für ein paar Jahre verlasse. Ich gehe nach Osten zu Lucullus. Das möchte ich auch dir vorschlagen.«
Doch Clodius wollte sich von niemandem den weiteren Verlauf seines Lebens vorschreiben lassen, auch nicht von seinem großen Bruder. Also grinste er höhnisch und wandte sich ab. Und damit verurteilte er sich dazu, vier Jahre lang tatenlos in einer Stadt herumzulungern, die ihn gnadenlos zurückwies, während Bruder Appius im Osten Taten vollbrachte, die allen Römern bewiesen, daß auch er ein wahrer Claudianer war, was das Unruhestiften betraf; weil seine Streiche jedoch erheblich zur Verunsicherung des König Tigranes beitrugen, wurden sie von den Römern bewundert.
Publius Clodius dagegen konnte niemanden mehr davon überzeugen, daß er fähig war, einen richtigen Schurken anzuklagen, und die richtigen Schurken, die einen Verteidiger brauchten, pfiffen auf ihn. So manchen hätte eine solche Ablehnung dazu veranlaßt, über sich selbst nachzudenken und sein Verhalten zu ändern, aber bei Clodius addierte sie sich nur zu seinen übrigen Schwächen: Sie hinderte ihn daran, Erfahrungen auf dem Forum zu machen, und verbannte ihn in eine kleine Gruppe von frustrierten Adligen, die als die ewigen Taugenichtse angesehen wurden. Vier Jahre lang tat Clodius nicht viel anderes, als in schäbigen Tavernen herumzusitzen, Mädchen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen zu verführen, Würfel zu spielen und seine Unzufriedenheit mit anderen zu teilen, die einen ähnlichen Groll gegen das aristokratische Rom hegten.
Schließlich trieb der pure Überdruß ihn zu dem Entschluß, sich mit sinnvolleren Dingen zu beschäftigen, denn eigentlich war Clodius nicht der Mann, der sich damit zufriedengab, den ganzen Tag mit ziellosem Nichtstun zu vergeuden. Er hielt sich für etwas Besonderes, also mußte er sich mit irgend etwas hervortun. Und wenn er das nicht bald in Angriff nahm, würde er so sterben, wie er gelebt hatte — vergessen und verachtet. Und das kam für ihn nicht in Frage. Es gab nur ein annehmbares Schicksal für Publius Clodius: Irgendwann wollte er der »Erste Mann in Rom« sein. Wie er das anstellen sollte, wußte er noch nicht. Jedenfalls wachte er eines Morgens auf — der Kopf schmerzte vom vielen Wein, der Geldbeutel war leer vom vielen Pech beim Würfelspiel — und war seines gegenwärtigen Lebens so überdrüssig, daß er es keinen Augenblick länger ertragen wollte. Er mußte etwas tun! Deshalb beschloß er, dorthin zu gehen, wo man etwas tun konnte. Er wollte nach Osten gehen und sich dem persönlichen Stab seines Schwagers Lucius Licinius Lucullus anschließen. O nein, nicht um sich Ruhm als tapferer, hervorragender Soldat zu erwerben! Militärische Ochsentouren waren ganz und gar nicht Clodius’ Sache. Aber was mochten sich einem als Angehöriger von Lucullus’ persönlichem Stab nicht alles für Gelegenheiten bieten? Sein großer Bruder hatte sich die Bewunderung der Römer doch auch nicht durch soldatische Heldentaten erworben, sondern indem er Tigranes in Antiochia so viel Ärger gemacht hatte, daß der König der Könige es schließlich bereuen mußte, daß er Appius Claudius Pulcher in die Schranken hatte weisen wollen, indem er ihm monatelang keine Audienz gewährte.
Und so reiste Publius Clodius nach Osten, kurz bevor sein Bruder von dort zurückerwartet wurde; das war zu Beginn des Jahres, welches auf das gemeinsame Konsulat von Pompeius und Crassus folgte. Es war dasselbe Jahr, in dem Caesar nach Hispania Ulterior reiste, um dort das Amt des Quästors zu bekleiden.
Nachdem er einen Weg gewählt hatte, auf dem er seinem Bruder nicht begegnen würde, erreichte Clodius den Hellespont und mußte erfahren, daß Lucullus damit beschäftigt war, Pontus, das Königreich des Mithridates, zu befrieden, das er soeben erobert hatte. Nachdem er die schmale Meeresenge nach Asia überquert hatte, mußte er auf der Suche nach Lucullus kreuz und quer durch das Land reisen. Clodius glaubte seinen Schwager zu kennen: ein urbaner, korrekter Aristokrat mit einer sprichwörtlichen Liebe zu den angenehmen Seiten des Lebens, gutem Essen, gutem Wein und fröhlicher Gesellschaft, zudem ein sehr reicher Mann, der gerade dabei war, sein Vermögen rapide zu vermehren. Für solche Vorgesetzten hatte Clodius etwas übrig. Ein Feldzug in Lucullus’ persönlichem Stab mußte eine höchst erquickliche Angelegenheit sein.
Er fand Lucullus in Amisus, einer prächtigen Stadt am Schwarzen Meer, im Herzen von Pontus. Amisus hatte der Belagerung widerstanden, auch wenn es dabei schwer beschädigt worden war; Lucullus war mit dem Wiederaufbau beschäftigt und versuchte, die Bewohner mit der römischen Herrschaft auszusöhnen.
Als Publius Clodius über seine Schwelle trat, nahm Lucullus ihm den Stoß offizieller Briefe ab (die Clodius geöffnet und mit großer Schadenfreude gelesen hatte) und wollte ihn am liebsten gleich wieder loswerden. Er gab seinem jüngsten Schwager die zerstreute Anweisung, sich dem Legaten Sornatius nützlich zu machen, und wandte sich sogleich wieder dem zu, was ihn am meisten beschäftigte: der bevorstehenden Invasion von Armenien, dem Königreich des Tigranes.
Erzürnt über diese offensichtliche Geringschätzung, schlich Clodius sich davon, aber nicht etwa, um jemandem seine Dienste anzubieten, schon gar nicht einem Niemand wie diesem Sornatius. Und so kam es, daß Clodius die Gassen und Seitenwege von Amisus erkundete, während Lucullus seine kleine Armee marschbereit machte. Natürlich sprach er fließend Griechisch; es hinderte ihn also nichts daran, mit jedem Freundschaft zu schließen, der ihm über den Weg lief, und viele waren fasziniert von einem Mann, der so ungewöhnlich, so egalitär eingestellt und so seltsam unrömisch zu sein schien.
Und so erfuhr er auch einiges über eine Seite des Lucullus, die er bis jetzt nicht gekannt hatte — über seine Armee und seine bisherigen Feldzüge.
König Mithridates war zwei Jahre zuvor, als er der erbarmungslosen römischen Kriegsführung nicht mehr gewachsen war, an den Hof seines Schwagers Tigranes geflohen; ihm fehlten die zweihundertfünfzigtausend erfahrenen Soldaten, die er im Kaukasus auf einer sinnlosen Strafexpedition gegen die albanischen Wilden verloren hatte, die über Colchis hergefallen waren. Mithridates hatte zwanzig Monate gebraucht, um Tigranes zu einem Treffen zu bewegen, und noch länger, um ihn dazu zu bringen, ihm bei der Rückeroberung seiner verlorenen Länder Pontus, Kappadokien, Armenia Parva und Galatien zu helfen.
Natürlich hatte Lucullus seine Spione und wußte nur zu gut, daß die beiden Könige wieder versöhnt waren. Aber statt darauf zu warten, daß sie in Pontus einmarschieren würden, hatte Lucullus sich dafür entschieden, seinerseits zum Angriff überzugehen, Armenien zu erobern, Tigranes zu schlagen und ihn auf die Weise daran zu hindern, Mithridates zu unterstützen. Ursprünglich war es seine Absicht gewesen, keine Besatzungstruppen in Pontus zurückzulassen und darauf zu vertrauen, daß Rom und sein Einfluß für Ruhe in Pontus sorgen würden. Er hatte gerade erst das Amt des Statthalters in der Provinz Asia verloren, und jetzt mußte er aus den Briefen, die Publius Clodius ihm gebracht hatte, erfahren, daß die Feindschaft, die er in die Herzen des Ritterstands zu Hause in Rom gesät hatte, nun Früchte trug. Die Briefe hatten ihn darüber informiert, daß Dolabella nicht nur neuer Statthalter in Asia war, sondern daß ihm auch noch die »Aufsicht« über Bythinien übertragen worden war. Mehr brauchte Lucullus nicht zu wissen; offensichtlich schätzten die Ritter in Rom und die ihnen gefügigen Senatoren Inkompetenz mehr als militärische Erfolge. Dieser Publius Clodius, so dachte sich Lucullus, ist nicht gerade ein Glücksbote.
Die neun Kommissare, die Rom ihm gesandt hatte, bevor sein Einfluß dahingeschwunden war, trieben sich irgendwo in Pontus und Kappadokien herum; darunter war auch der Mann, der Lucullus von allen am nächsten stand, jetzt, da Sulla tot war: sein jüngerer Bruder Varro Lucullus. Aber Kommissare hatten keine Truppen, und der Ton der Briefe, die Publius Clodius überbracht hatte, ließ darauf schließen, daß sie nicht mehr lange Kommissare sein würden. Deshalb, entschied Lucullus, blieb ihm keine andere Wahl, als zwei seiner vier Legionen als Garnison in Pontus zurückzulassen, für den Fall, daß Mithridates versuchen würde, sein Königreich ohne die Unterstützung von Tigranes zurückzuerobern. Der Legat, den er für den fähigsten hielt, brachte gerade die Verwüstungen auf der Insel Delos wieder in Ordnung, und auch wenn er Sornatius als guten Mann einstufte, so war er von dessen militärischen Qualitäten doch nicht überzeugt genug und stellte ihm lieber noch einen Mann an die Seite. Der andere ranghohe Legat, Marcus Fabius Hadrianus, würde ebenfalls in Pontus bleiben müssen.
Nachdem er entschieden hatte, daß er zwei seiner vier Legionen in Pontus zurücklassen würde, wußte Lucullus auch, welche beiden Legionen es sein müßten: Die Legionen, die in die Provinz Cilicia gehörten, würden in Pontus bleiben, und er mußte mit seinen beiden Fimbrianer-Legionen nach Süden marschieren. Das waren unerfreuliche Aussichten! Er verabscheute diese Truppen. Die Männer waren jetzt seit sechzehn Jahren im Osten, und sie waren dazu verurteilt, niemals mehr nach Rom oder Italien zurückzukehren, denn sie hatten so viele Morde und Meutereien auf dem Kerbholz, daß der Senat ihnen die Rückkehr nicht erlauben wollte. Das ständige, gespannte Warten hatte gefährliche Männer aus ihnen gemacht, aber Lucullus, der sich ihrer seit vielen Jahren bediente, hielt sie in Schach, indem er sie während der Feldzüge gnadenlos vorwärtstrieb und ihnen in den winterlichen Kampfpausen alle Freuden der Sinne gewährte. Also kämpften sie bereitwillig und hegten — wenn auch widerwillig — eine gewisse Bewunderung für ihn. Trotzdem zogen sie es vor, weiterhin den Namen ihres ersten Kommandanten Fimbria zu tragen und sich Fimbrianer zu nennen. Lucullus war das ganz recht so. Ganz sicher wäre es ihm nicht lieber gewesen, wenn dieser verwegene Haufen als die Licinianer oder gar als die Lucullianer bekannt geworden wäre.
Clodius hatte Gefallen an Amisus gefunden und beschlossen, bei den Legaten Sornatius und Fabrius Hadrianus in Pontus zu bleiben; der Feldzug hatte seinen Reiz für ihn verloren, nachdem er erfahren hatte, daß Lucullus einen Fußmarsch von tausend Meilen plante.
Doch sein Plan wurde durchkreuzt: Er bekam den Befehl, Lucullus in seinem persönlichen Gefolge zu begleiten. Auch gut, so würde er wenigstens einigermaßen luxuriös leben können, dachte er. Bis er Lucullus’ Vorstellungen vom luxuriösen Leben bei einem Feldzug kennenlernen durfte. Das fand nämlich nicht statt. Vom sybaritischen Epikuräer, den Clodius in Rom und Amisus kennengelernt hatte, war nichts mehr übriggeblieben; der Lucullus auf dem Marsch, an der Spitze der Fimbrianer, wollte es nicht besser haben als ein gemeiner Soldat, und wenn er es nicht besser haben wollte, dann sollte auch kein Mitglied seines persönlichen Stabes Privilegien genießen. Sie ritten nicht etwa, sie marschierten
- wie die Fimbrianer. Sie aßen Haferschleim und trockenes Brot
- wie die Fimbrianer. Sie schliefen auf der Erde, deckten sich mit einem wollenen Mantel zu und formten sich ihr Kopfkissen aus Erde — wie die Fimbrianer. Sie badeten in eisigen Bächen oder zogen es vor zu stinken — wie die Fimbrianer. Für Lucullus war gut genug, was für die Fimbrianer gut genug war.
Aber das galt nicht für Publius Clodius, der bereits wenige Tage nach dem Abmarsch aus Amisus seine familiäre Beziehung zu Lucullus in die Waagschale warf und sich bitter beklagte.
Die blaßgrauen Augen des Feldherrn musterten ihn ausdruckslos; sie waren kälter als das Tauwetter, bei dem seine Armee gerade eine Landschaft durchquerte. »Wenn du es gemütlicher haben willst, Clodius, dann geh nach Hause«, sagte er.
»Ich will nicht nach Hause, aber ich will mehr Bequemlichkeit!« erwiderte Clodius.
»Entweder — oder. Beides gibt’s bei mir nicht.« Und damit wandte sein Schwager sich verächtlich von ihm ab.
Das war das letzte Gespräch, das Clodius mit ihm führte. Und auch die kleine Gruppe von Legaten und Militärtribunen, die den Feldherrn umgaben, luden nicht gerade zu jener Art Geselligkeit ein, die Clodius jetzt schmerzlich vermißte. Gute Freunde, Wein, Würfel, Weiber und ein paar derbe Späße; danach sehnte sich Clodius, während die Tage sich in Jahre zu verwandeln schienen und die Landschaft so rauh und unnahbar wurde wie Lucullus.
In Eusebeia Mazaca machten sie ein paar Tage Rast; Ariobarzanes Philoromaios, der König, gab dem traurigen Heereszug mit, was er entbehren konnte, und wünschte Lucullus gutes Gelingen.
Dann ging es weiter, durch eine Landschaft, die von Felsspalten und Abgründen zerrissen war, einem Labyrinth aus Tuffsäulen und Felsblöcken, die in prekärem Gleichgewicht auf fragilen Steinvorsprüngen thronten. Sie mußten doppelt so weit marschieren, um diese Abgründe zu umgehen, aber Lucullus trottete ungerührt weiter und forderte ein tägliches Marschpensum von mindestens dreißig Meilen. Sie marschierten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bauten das Lager im Halbdunkel auf und im Halbdunkel wieder ab — jeden Abend ein richtiges befestigtes Lager. Vor wem schützen wir uns? wollte Clodius oft in den blassen Himmel schreien, der so hoch über ihnen schwebte.
Schließlich kamen sie bei Tomisa an den Euphrat, der zu einem reißenden Strom aus schauerlichem, milchigblauem Schmelzwasser angeschwollen war. Clodius stieß einen Seufzer der Erleichterung aus — jetzt blieb dem Feldherrn keine Wahl. Er mußte eine Marschpause verordnen und abwarten, bis die Strömung wieder abgeschwollen war. Und was passierte wirklich? In dem Augenblick, wo die Armee rastete, begann der Euphrat sich wieder zu beruhigen, langsamer zu fließen, sich in eine fügsame, schiffbare Wasserstraße zu verwandeln. Lucullus und die Fimbrianer schifften sich nach Sophene ein, und sobald der letzte Mann das andere Ufer erreicht hatte, wurde aus dem Fluß wieder ein reißender Strom.
»Wir haben Glück«, stellte Lucullus zufrieden fest. »Und obendrein ist es ein gutes Omen.«
Das Land, durch das der Weg jetzt führte, war ein wenig freundlicher, die Berge waren nicht so hoch, saftiges Gras und wilder Spargel wuchsen auf den Hängen, und in schattigen Winkeln, wo ihre Wurzeln ein wenig Feuchtigkeit fanden, wuchsen sogar Bäume. Und was tat Lucullus? Er befahl seinen Legionären, in solch leichtem Gelände und gestärkt durch den Spargel, ein höheres Tempo einzuschlagen! Clodius hatte immer von sich geglaubt, er sei ebensogut in Form und so beweglich wie jeder andere Römer. Doch dieser Lucullus, der fast fünfzig Jahre alt war, war hundertmal ausdauernder als der zweiundzwanzigjährige Publius Clodius.
Sie überquerten den Tigris. Nach dem Euphrat war das ein Kinderspiel, denn er war weder so breit noch so reißend. Und dann, nachdem sie in zwei Monaten mehr als zweitausend Meilen zurückgelegt hatten, kam die Armee des Lucullus in Sichtweite der Stadt Tigranokerta.
Dreißig Jahre zuvor hatte sie noch gar nicht existiert. König Tigranes hatte sie erbauen lassen, um sich seinen Traum vom ewigen Ruhm und einem noch viel größeren Reich zu erfüllen — eine phantastische, steinerne Stadt mit hohen Mauern, Zitadellen, Türmen, Plätzen und Höfen, hängenden Gärten, herrlich glänzenden aquamarinfarbenen und leuchtendgelben und knallroten Fliesen, riesigen Standbildern von geflügelten Stieren, Löwen und bärtigen Königen unter hohen Tiaras. Man hatte den Platz nach allen nur erdenklichen Gesichtspunkten ausgewählt: sie war leicht zu verteidigen und verfügte über eigene Wasserquellen und einen nahen Nebenfluß des Tigris, der den Inhalt der Kanalisation, die Tigranes nach dem Vorbild von Pergamum angelegt hatte, fortschwemmte. Ganze Nationen waren besiegt worden, um ihren Aufbau zu finanzieren, und als die Fimbrianer über die Bergkuppe kamen und sie liegen sahen, spürten sie förmlich ihren Reichtum. Groß, in den Himmel wachsend, wunderschön war Tigranokerta. Weil es ihn nach einem hellenisierten Reich verlangte, hatte der König der Könige sie im griechischen Stil bauen lassen; doch die langen Jahre der Kindheit und Jugend im Reich der Parther wirkten noch nach: Als die dorische und ionische Perfektion ihn zu langweilen begann, ließ er die buntfarbenen Fliesen hinzufügen, die geflügelten Stiere und die in Stein gehauenen Herrscher. Und dann, immer noch unzufrieden mit den vielen flachen griechischen Gebäuden, fügte er die hängenden Gärten hinzu, die eckigen Steintürme und die Pylone.
In fünfundzwanzig Jahren hatte es niemand gewagt, König Tigranes schlechte Nachrichten zu überbringen; niemand wollte sich den Kopf oder die Hände abschlagen lassen, denn das war die Strafe, die einen Unglücksboten erwartete. Aber jetzt mußte ihn jemand darüber informieren, daß sich — aus den Bergen im Westen kommend — eine römische Armee der Stadt näherte.
Verständlich, daß das militärische Oberkommando (angeführt von einem Sohn des Tigranes, dem Prinzen Mithrabarzanes) einen sehr jungen Offizier dazu bestimmte, diese katastrophal schlechte Nachricht zu überbringen. Der König der Könige flüchtete sich in Panik — doch vorher ließ er den Unglücksboten noch aufhängen. Dann ergriff er Hals über Kopf die Flucht und ließ Königin Kleopatra zusammen mit seinen eigenen Frauen, seinen Konkubinen, seinen Schätzen und seiner von Mithrabarzanes befehligten Garnison zurück. Von den Gestaden des Kaspischen Meeres bis zum Ufer des Mittelmeeres, von überallher im Reich des Tigranes ergingen Aufrufe: Schickt ihm Truppen, schickt ihm Rüstungen, schickt ihm Beduinen aus der Wüste, wenn ihr keine anderen Soldaten findet! Denn Tigranes wäre niemals auf den Gedanken gekommen, die Römer, die doch selber unter Belagerung waren, könnten nach Armenien marschieren und an die Tür seiner nagelneuen Hauptstadt klopfen.
Während sein Vater in den Bergen — irgendwo zwischen Tigranokerta und dem Thospitissee — schmollte, führte Mithrabarzanes seine verfügbaren Truppen den römischen Invasoren entgegen, unterstützt von einigen Beduinenstämmen aus der näheren Umgebung. Lucullus schlug sie vernichtend, ging vor Tigranokerta in Stellung und belagerte die Stadt, obwohl seine Armee nicht einmal groß genug war, um die ganze Stadtmauer einzukreisen; er beschränkte sich auf Stadttore und Patrouillen. Da er sehr wachsam war, gelangte nur sehr wenig Verkehr aus der Stadt heraus und überhaupt keiner mehr hinein. Er war davon überzeugt, daß Tigranokerta einer langen Belagerung standgehalten hätte, aber er baute darauf, daß die Stadt gar nicht willens war, eine lange Belagerung durchzuhalten. Doch zuerst galt es, den König der Könige auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Dann erst folgte der zweite Schritt: die Kapitulation von Tigranokerta, einer Stadt, die ihren König nicht liebte, die nur schreckliche Angst vor ihm hatte. Er hatte diese neue Hauptstadt, die weit entfernt vom Norden Armeniens und seiner alten Hauptstadt Artaxata lag, mit Griechen bevölkert, die er gegen ihren Willen aus Syrien, Kappadokien und dem Osten Cilicias herbeigeschafft hatte; das war ein wichtiger Teil der Hellenisierung gewesen, die Tigranes seinem medischen Volk mit aller Gewalt aufzwingen wollte. Zivilisiert war man erst mit griechischer Kultur und griechischer Sprache. Medische Kultur war minderwertig und primitiv. Also hatte er kurzerhand eine ganze Anzahl Griechen umgesiedelt.
Obwohl die beiden Könige wieder versöhnt waren, hatte Mithridates es nicht eilig, sich mit Tigranes zu vereinigen. Statt dessen lag er mit seiner Armee nördlich und westlich des Gebiets, in das Tigranes sich geflüchtet hatte; er hielt nicht viel von Tigranes’ militärischen Fähigkeiten. Er hatte seinen besten Feldherrn bei sich, seinen Vetter Taxiles, und als ihnen zu Ohren kam, daß Lucullus vor Tigranokerta lag und Tigranes eine riesige Armee zusammentrommelte, um die Stadt zu befreien, schickte Mithridates seinen Vetter zum König der Könige.
»Er soll die Römer nicht angreifen!« gab er Taxiles als Botschaft für Tigranes mit auf den Weg.
Tigranes war geneigt, den Rat zu beherzigen, obwohl er inzwischen hundertzwanzigtausend Mann Infanterie aus weit entfernten Gebieten wie Syrien und dem Kaukasus zusammengezogen hatte, und dazu noch fünfundzwanzigtausend jener gefürchteten Kavalleristen, die man Kataphrakte nannte, weil Pferd und Reiter von Kopf bis Fuß in Kettenpanzer gekleidet waren. Er lag noch gut fünfzig Meilen von seiner Hauptstadt entfernt in einem verschlafenen Tal, aber er mußte jetzt vorrücken. Der Großteil seines Nachschubs befand sich in den Getreidesilos und Lagerhäusern Tigranokertas, also mußte er einen Verteidigungsweg mit der Stadt herstellen, um seine riesige Armee mit Nahrungsmitteln versorgen zu können. Und das sollte angeblich gar nicht so schwer sein. Seine Spione hatten ihm berichtet, daß die Römer nicht genug Männer hatten, um den Belagerungsring um eine so große Stadt wie Tigranokerta zu schließen.
Den Berichten, denen zufolge die römische Armee als unbedeutend bezeichnet wurde, hatte er so lange keinen Glauben geschenkt, bis er selbst auf einem hohen Hügel hinter der Stadt stand und mit eigenen Augen sah, was das für eine Mücke war, die gewagt hatte, ihn zu stechen.
»Zu groß für eine Vorhut, zu klein für eine Armee«, befand er und gab den Angriffsbefehl.
Diese gewaltigen östlichen Heere waren jedoch Kampfeinheiten, die ein Marius oder ein Sulla niemals eingesetzt hätte, selbst wenn den beiden römischen Feldherren solch ein Überfluß an Soldaten zur Verfügung gestanden hätte. Truppen mußten klein und flexibel sein, leicht zu manövrieren und zu versorgen. Lucullus besaß zwei Legionen ausgezeichneter, wenn auch schlecht beleumundeter Soldaten, die seine Taktik so gut beherrschten wie er selbst, und dazu ein hübsches kleines Kontingent von zweitausendsiebenhundert Reitern aus Galatien, die schon seit Jahren bei ihm waren.
Die Belagerung war nicht ohne römische Verluste vonstatten gegangen; das lag hauptsächlich an dem mysteriösen zoroastrischen Feuer, über das König Tigranes verfügte. Die Griechen nannten es Naphtha, und es stammte aus einer persischen Festung irgendwo im Südwesten am Hyrkanischen Meer. Schleuderte man kleine, brennende Klumpen davon in hohem Bogen gegen die Belagerungstürme und Unterstände, dann spritzten sie beim Aufprall auseinander, setzten alles in Brand und glühten so heiß, daß sie mit nichts zu löschen waren. Sie brannten und verstümmelten, doch was noch schlimmer war: Sie verbreiteten helle Panik. Noch nie war jemand von seinen Männern mit so etwas in Berührung gekommen.
Und so setzte Tigranes seine gewaltige Streitmacht gegen die lästige Mücke in Bewegung, ohne zu ahnen, in was für ein Ungeheuer sich eine solche Mücke durch schlechte Laune verwandeln konnte. Jeder einzelne Römer in dieser kleinen Armee hatte die Nase gründlich voll von eintöniger Kost und dem Verzicht auf Frauen, von zoroastrischem Feuer und Kataphrakten — die auf ihren riesigen Gäulen Jagd auf Nachschubtrupps machten —, von Armenien im allgemeinen und Tigranes im besonderen. Von Lucullus bis hin zu den Fimbrianern und der galatischen Reiterei — alle brannten sie darauf, in die Schlacht zu ziehen. Sie brüllten vor Freude, als die Kundschafter berichteten, daß König Tigranes’ Armee endlich aufmarschiert war.
Nachdem er Mars Invictus ein besonderes Opfer versprochen hatte, gürtete sich Lucullus im Morgengrauen des sechsten Tages des römischen Oktobers die Lenden, um sich in die Schlacht zu stürzen. Er ließ die Belagerungsstellungen räumen, führte seine Leute auf einen Hügel zwischen der anrückenden armenischen Armee und der Stadt und traf seine Vorkehrungen. Auch wenn Lucullus nicht wissen konnte, daß Mithridates den König der Könige davor gewarnt hatte, die Römer anzugreifen, wußte er nur zu genau, wie er Tigranes zur Offensive verleiten konnte: Er würde seiner kleinen Armee befehlen, sich vor der armenischen Übermacht wie eine verängstigte Schafherde zusammenzudrängen. Und da alle Könige des Ostens davon überzeugt waren, daß die Schlagkraft einer Armee in der Zahl ihrer Soldaten lag, würde Tigranes zum Angriff übergehen.
Tigranes blies zum Angriff — und lief in sein Verderben. Niemand auf der Seite der Armenier, einschließlich Taxiles, schien den Vorteil einer erhöhten Stellung begriffen zu haben. Und es hatte auch keiner der armenischen Befehlshaber daran gedacht, eine Strategie oder eine Taktik zu entwickeln, das wurde Lucullus sehr bald klar, als die ungestümen Kämpfer seinen Hügel heraufgestürmt kamen. Er ließ das Ungeheuer los, und alles andere ergab sich von selbst.
In aller Ruhe verabreichte Lucullus ihnen von der Spitze des Hügels aus eine grausame Bestrafung; seine einzige Sorge war es, daß die Berge von Toten seine eigenen Leute behindern und den totalen Sieg vereiteln könnten. Aber als er seine galatischen Reiter losschickte, um Breschen durch die armenischen Gefallenen zu schlagen, sausten die Fimbrianer den Hügel hinunter wie Sensen durch ein Weizenfeld. Die Reihen der Armenier lösten sich auf, Tausende von Syrern und Kaukasiern gerieten zwischen die gepanzerten Kataphrakte, brachten Pferde und Reiter zu Fall und wurden dabei selbst zermalmt. Es starben viel mehr armenische Soldaten, als die wildgewordenen Fimbrianer hätten töten können.
In seinem Bericht an den römischen Senat schrieb Lucullus: »Mehr als hunderttausend tote Armenier und fünf tote Römer.«
König Tigranes mußte ein zweites Mal fliehen, und er war so fest davon überzeugt, gefangen zu werden, daß er die Tiara und das Diadem einem seiner Söhne in Verwahrung gab und den Prinzen dazu anhielt, schneller zu reiten, da er jünger und leichter sei. Der junge Mann jedoch vertraute Tiara und Diadem einem dubiosen Sklaven an, und so kam es, daß die Insignien der armenischen Oberhoheit sich zwei Tage darauf in Lucullus’ Besitz befanden.
Die Griechen, die man gezwungen hatte, in Tigranokerta zu leben, öffneten die Stadttore und waren so außer sich vor Freude, daß sie Lucullus auf den Schultern hineintrugen. Alle Entbehrungen gehörten der Vergangenheit an; mit ähnlicher Freude warfen die Fimbrianer sich in zärtliche Arme und weiche Betten, fraßen und soffen, hurten und plünderten. Die Beute war fürstlich. Achttausend Talente in Gold und Silber, dreißig Millionen Scheffel Weizen sowie Schätze und Kunstwerke von unermeßlicbem Wert.
Und aus dem Feldherrn wurde ein Mensch! Fasziniert beobachtete Publius Clodius, wie unter dem harten, kalten und unbarmherzigen Mann der letzten Monate wieder der Lucullus zum Vorschein kam, den er in Rom gekannt hatte. Zu seiner Erbauung stapelte man Handschriften vor ihm auf, und zu seinem Vergnügen ließ er sich Kinder bringen; nichts machte ihn glücklicher, als Mädchen im blühenden jugendlichen Alter in die Geheimnisse der Sexualität einzuweihen. Medische Mädchen, keine griechischen! Die Kriegsbeute wurde in einer feierlichen Zeremonie und mit lukullischer Fairneß aufgeteilt; jeder der fünfzehntausend Soldaten erhielt mindestens dreißigtausend Sesterzen, auch wenn das Geld natürlich erst ausgezahlt werden sollte, wenn es in harte römische Währung umgetauscht war. Der Weizen brachte zwölftausend Talente ein; der schlitzohrige Lucullus verkaufte den ganzen Haufen an Phraates, den König des Partherreichs.
Publius Clodius war nicht bereit, Lucullus die monatelangen Märsche und die Entbehrungen zu verzeihen, obwohl sein Anteil an der Beute mit hunderttausend Sesterzen recht üppig ausgefallen war. Irgendwo zwischen Eusebeia Mazaca und dem Kreuzweg bei Tomisa hatte er den Namen seines Schwagers auf die Liste derjenigen gesetzt, die noch dafür bezahlen würden, daß sie ihn beleidigt hatten. Catilina. Der kleine Fisch Cicero. Fabia. Und jetzt Lucullus. Beim Anblick des vielen Goldes und Silbers in den Tresorräumen — er hatte sogar mitgeholfen, es zu zählen — hatte er sich zunächst darauf konzentriert, herauszufinden, wie Lucullus versuchen würde, sie alle zu betrügen, wenn es um das Aufteilen der Beute ging. Dreißigtausend nur für jeden Legionär und jeden Reiter? Lächerlich! Bis er auf seinem Abakus ermittelt hatte, daß achttausend Talente geteilt durch fünfzehntausend Männer nicht mehr als dreizehntausend Sesterzen pro Mann ergaben — woher also kamen die restlichen siebzehntausend? Aus dem Verkauf des Weizens, lautete die lapidare Erklärung des Feldherrn, als Clodius ihn um Aufklärung bat.
Immerhin hatte die enttäuschende Rechenlektion Clodius auf eine Idee gebracht. Wenn er schon davon ausgegangen war, daß Lucullus seine Männer betrog — was würden sie wohl dazu sagen, wenn man unter ihnen den einen oder anderen Samen der Unzufriedenheit ausstreute?
Bis zur Besetzung von Tigranokerta hatte Clodius wenig Gelegenheit gehabt, Beziehungen zu irgend jemandem außerhalb der kleinen und wenig redseligen Gruppe von Legaten und Tribunen zu pflegen. Lucullus achtete streng auf Disziplin und hatte wenig übrig für Kumpanei zwischen einfachen Soldaten und den Männern seines Stabs. Aber jetzt, wo der Winter vorbei war und der neue Lucullus alle, die ihm geholfen hatten, in großzügiger Weise dafür entschädigen wollte, ließ die Wachsamkeit nach. So ließ er zum Beispiel jeden verfügbaren Schauspieler und Tänzer herbeischaffen und verpflichtete ihn dazu, vor seinen Soldaten aufzutreten. Ein Vergnügungsurlaub fern der Heimat, für Männer, die ihre Heimat nie wiedersehen würden. Es mangelte nicht an Unterhaltung. Und auch nicht an Wein.
Der Anführer der Fimbrianer war ein primus pilus-Zenturio, er befehligte die ältere der beiden Fimbrianer-Legionen. Sein Name war Marcus Silius, und wie die anderen war auch er — als gemeiner Soldat und noch nicht einmal alt genug, um sich zu rasieren — siebzehn Jahre zuvor mit Flaccius und Fimbria quer durch Makedonien nach Osten marschiert. Nachdem Fimbria im Machtkampf der beiden Sieger geblieben war, hatte Marcus Silius den Mord an Flaccus in Byzantium gebilligt. Er war mit nach Asia gezogen, hatte gegen König Mithridates gekämpft und war zu Sulla gekommen, nachdem Fimbria seine Macht verloren und Selbstmord begangen hatte. Er hatte für Sulla, für Murena und schließlich für Lucullus gekämpft. Zusammen mit den anderen hatte er Mitylene belagert und zwar inzwischen zum pilus prior aufgestiegen, einer hohen Position in der komplizierten Rangordnung der Zenturien. Die Jahre waren vergangen, ein Feldzug nach dem anderen war geführt worden. Sie alle hatten Rom als blutjunge Männer verlassen, denn damals hatte es Italien an erfahrenen Truppen gemangelt; jetzt, in Tigranokerta, hatten die meisten von ihnen schon ihr halbes Leben unter den Adlern gedient, aber ihre Gesuche um ehrenhafte Entlassung waren eines nach dem anderen abgelehnt worden. Marcus Silius, ihr Anführer, war ein verbitterter Mann von dreiundvierzig Jahren, der nur noch nach Hause wollte.
Diese Information hatte sich Clodius nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt verschaffen müssen; selbst ein griesgrämiger Legat wie Sextilius machte hin und wieder den Mund auf, und dann redete er entweder über Silius oder über den primus pilus Zenturio der anderen Fimbrianer-Legion, Lucius Cornificius (der nicht aus der aufsteigenden Familie selben Namens stammte).
Es war auch nicht schwer gewesen, Silius’ Schlupfwinkel in Tigranokerta zu finden; er und Cornificius hatten einen kleinen Palast beschlagnahmt, der einem der Söhne des Tigranes gehört hatte, und wohnten dort zusammen mit ein paar reizvollen Frauen und einer Mannschaft von Sklaven, die für eine ganze Kohorte ausgereicht hätte.
Publius Clodius, Patrizier aus ehrwürdiger Familie, beehrte die Herren mit seinem Besuch, und wie die Griechen vor Troja hatte er Geschenke dabei. Nein, nicht etwa von der Größe des hölzernen Pferdes! Clodius brachte einen kleinen Beutel mit Pilzen mit, die er von Lucullus bekommen hatte (der gern mit solchen Dingen experimentierte), und dazu noch eine bauchige Korbflasche voll erlesenen Weins, die so groß war, daß drei Diener benötigt wurden, um sie herbeizuschaffen.
Man empfing ihn mit Argwohn. Beide Zenturios wußten nur zu gut, wer er war, in welcher Beziehung er zu Lucullus stand, und wie er sich während des Marsches, vor der belagerten Stadt und während der Schlacht verhalten hatte. Und das hatte ebensowenig Eindruck auf sie gemacht wie seine Erscheinung, denn Clodius war nicht besonders groß und ragte nicht heraus, wenn mehrere Männer beisammen standen. Sie kamen allerdings nicht umhin, seine Dreistigkeit zu bewundern: Er kam hereingeplatzt, als würde ihm der Palast gehören, ließ sich leutselig auf dem großen bestickten Sitzkissen zwischen den beiden Liegebetten nieder, auf denen die Männer ihre derzeitigen Gespielinnen umschlungen hielten, zog den Beutel mit Pilzen heraus und erklärte ihnen, was passieren würde, wenn sie diese außergewöhnliche Speise zu sich nehmen würden.
»Ein erstaunliches Zeug!« sagte Clodius, und dabei hüpften seine lebhaften Augenbrauen nach oben und unten. »Bedient euch, aber ihr müßt ganz langsam kauen. Es dauert eine Weile, bis ihr etwas spürt.«
Silius machte keinerlei Anstalten, der Einladung zu folgen, und Clodius dachte nicht daran, mit gutem Beispiel voranzugehen und auf einem der verschrumpelten Hütchen herumzukauen.
»Was willst du?« fragte ihn Silius schroff.
»Mit euch reden«, antwortete Clodius und lächelte zum erstenmal.
Das Lächeln des Publius Clodius hatte eine frappierende Wirkung auf diejenigen, die es noch nie gesehen hatten; es machte sein ansonsten eher angespanntes, ängstliches Gesicht so liebenswürdig und anziehend, daß seine Umgebung sich fast immer davon anstecken ließ. Und so lächelten plötzlich auch Silius, Cornificius und sogar die beiden Frauen.
Aber so leicht ließ sich ein Fimbrianer nicht einfangen. Clodius war der Feind, ein weitaus gefährlicherer Feind als jeder Armenier, Syrer oder Kaukasier. Und so hatte sich Silius seine geistige Unabhängigkeit bewahrt, nachdem sein Lächeln wieder abgeklungen war, und hegte noch immer Argwohn gegen Clodius’ Absichten.
Clodius hatte damit gerechnet und war vorbereitet. Während der vier demütigenden Jahre, in denen er in Rom herumgelungert hatte, war es ihm keineswegs entgangen, daß man als Mann von hoher Geburt von allen, die unter einem standen, äußerst mißtrauisch beäugt wurde und daß Männer von niederer Herkunft sich in der Regel keinen vernünftigen Grund dafür denken konnten, weshalb jemand von hoher Geburt den Wunsch haben sollte, sich unter sie zu mischen. Ohne Ziele, von seinesgleichen verachtet und auf der verzweifelten Suche nach einer Beschäftigung, war Clodius damals bestrebt gewesen, das Mißtrauen der gesellschaftlich unter ihm Stehenden zu zerstreuen. Jeder Erfolg hatte ihn in eine tröstliche Erregung versetzt, aber er hatte auch wirklichen Gefallen an der Gesellschaft dieser Menschen gefunden; es gefiel ihm, besser erzogen und intelligenter zu sein als alle anderen um ihn herum, es verschaffte ihm ein Gefühl der Überlegenheit, nach dem er unter seinesgleichen vergeblich gesucht hatte. Er kam sich vor wie ein Riese. Und den Leuten vermittelte er das Gefühl, als sei hier ein Hochwohlgeborener, dem sie etwas bedeuteten, der eine ehrliche Zuneigung zu einfachen Menschen und einfachen Verhältnissen gefaßt hatte. Er hatte es gelernt, sich bei diesen Menschen einzuschleichen und zu Hause zu fühlen. Er sonnte sich in einer ganz neuen Art der Bewunderung.
Er bediente sich der Methode des Redens. Keine großen Worte, keine unerwünschten Anspielungen auf griechische Dramatiker oder Dichter, nicht der geringste Hinweis darauf, daß ihm irgend etwas an seiner Gesellschaft oder den Getränken oder der Umgebung nicht gefallen könnte. Und während er redete, versorgte er seine Umgebung mit Wein und gab vor, selbst ungeheure Mengen davon in sich hineinzuschütten — dabei achtete er sorgsam darauf, am Ende der Nüchternste von allen zu sein. Er verstand es äußerst geschickt, unter den Tisch zu rollen, vom Hocker zu kippen, nach draußen zu stürzen, um sich angeblich zu übergeben. Beim ersten Kontakt bewahrten sich seine Opfer noch eine gewisse Zurückhaltung, aber er kam wieder, versuchte es erneut, kam ein drittes und auch ein viertes Mal, und schließlich mußte sogar der mißtrauischste Mann zugeben, daß dieser Publius Clodius ein wirklicher Pfundskerl war, ein stinknormaler Bursche, der nur das Pech hatte, in die falschen Kreise geboren worden zu sein. Und nachdem solches Vertrauen hergestellt war, konnte er sie formen wie Wachs in seiner Hand, vorausgesetzt, er achtete darauf, ihnen niemals zu nahe zu treten und ihre innersten Gefühle nicht zu verletzen. Er hatte sehr bald gemerkt, daß es Tölpel waren, um die er sich bemühte, ungehobelte, ungebildete Kerle, die sich nach Anerkennung sehnten und nur darauf warteten, sich formen zu lassen.
Marcus Silius und Lucius Cornificius unterschieden sich nicht wesentlich von irgendwelchen römischen Tavernenhockern, auch wenn sie Italien schon mit siebzehn Jahren verlassen hatten. Es waren harte, grausame, skrupellose Männer. Aber für Publius Clodius waren die beiden Zenturios wie warmer Lehm in der Hand eines meisterhaften Bildhauers. Ein leichtes Spiel. Kinderleicht...
Nachdem Silius und Cornificius sich selbst eingestanden hatten, daß sie ihn mochten, daß er sie amüsierte, begann Clodius damit, ihnen Honig um den Bart zu schmieren, sie nach ihrer Meinung zu diesem und jenem Problem zu fragen — und dabei wählte er stets Dinge, über die sie Bescheid wußten, für die sie sich zuständig fühlten. Und dann gab er ihnen das Gefühl, sie zu bewundern: ihre Unerbittlichkeit, ihre Ausdauer im soldatischen Dienst und damit ihre ungeheure Bedeutung für Rom. Und so wurde er zu einem von ihnen, zu ihrem Freund, einem Licht in der Dunkelheit; er war einer von DENEN, jetzt gehörte er zu UNS, dachten sie, und er hat die Möglichkeit, DIE dort im Senat und in der Volksversammlung auf jeden mißlichen Zustand, den er sieht, aufmerksam zu machen. Er war zwar noch jung, fast noch ein Knabe! Aber auch Knaben wurden älter, und mit dreißig würde Publius Clodius die geheiligten Portale des Senats durchschreiten; den cursus honorum würde er so ungehindert hinaufsteigen, wie Wasser über polierten Marmor fließt. Er war schließlich ein Claudier, Mitglied einer Familie, die bislang in jeder Generation seit Bestehen der Republik einen Konsul gestellt hatte. Einer von DENEN. Und doch einer von UNS.
Erst bei seinem fünften Besuch kam Clodius auf das Thema Kriegsbeute und deren Aufteilung zu sprechen.
»Elender Geizhals!« murmelte Clodius vor sich hin.
»Wie?« Silius spitzte die Ohren.
»Mein hochgeschätzer Schwager Lucullus. Treue Soldaten wie eure Männer speist er mit einem Almosen ab. Dreißigtausend Sesterzen pro Mann, und das bei achttausend Talenten, die wir in Tigranokerta gefunden haben!«
»Er hat uns abgespeist?« fragte Cornificius erstaunt. »Er hat immer gesagt, daß er die Beute lieber auf dem Schlachtfeld aufteilt, damit das Schatzamt uns später nicht über den Tisch ziehen kann!«
»Genau das sollt ihr glauben«, sagte Clodius und ließ den Wein über den Becherrand schwappen. »Könnt ihr rechnen?«
»Rechnen?«
»Du weißt schon, subtrahieren und addieren und multiplizieren und dividieren.«
»Ja, ein bißchen«, sagte Silius, um nicht ungebildet zu erscheinen.
»Ja, das ist einer der Vorteile eines Hauslehrers. Als junger Bursche mußt du eine Aufgabe nach der anderen lösen. Und wenn du es nicht schaffst, prügelt man dich windelweich!« Clodius kicherte. »Also habe ich mich hingesetzt und ein bißchen gerechnet. Ich habe die Talente in unsere guten alten römischen Sesterzen umgerechnet, das Ganze dann durch fünfzehntausend dividiert. Und ich kann dir sagen, Marcus Silius, die Männer in deinen beiden Legionen hätten zehnmal soviel kriegen müssen wie die dreißigtausend Sesterzen pro Mann! Mein Herr Schwager, dieser großspurige Schuft — wie ein Wohltäter ist er auf den Marktplatz gekommen, und dabei hat er jeden einzelnen von euch Fimbrianern hintergangen!« Clodius schlug sich mit der Faust in die Handfläche.
Sie glaubten ihm, nicht nur, weil sie ihm glauben wollten, sondern auch, weil er mit ungeheurer Kompetenz zu reden schien, weil er eine Zahlenkolonne nach der anderen vor ihnen abspulte, eine einzige Litanei von Lucullus’ Betrügereien, seit er vor sechs Jahren in den Osten gekommen war, um noch einmal das Kommando über die Fimbrianer zu übernehmen. Wie konnte jemand, der soviel wußte, die Unwahrheit sagen? Und aus welchem Grund hätte er lügen sollen? Silius und Cornificius glaubten ihm.
Der Rest war ein Kinderspiel. Während die Fimbrianer den Winter in Tigranokerta durchfeierten, flüsterte Publius Clodius ihren Zenturios etwas ins Ohr, und die Zenturios flüsterten es ihren Fußsoldaten ins Ohr, und die Fußsoldaten flüsterten es den galatischen Reitern ins Ohr. Einige der Männer hatten Frauen in Amisus zurückgelassen, und als die beiden cilicischen Legionen unter Sornatius und Fabius Hadrianus von Amisus nach Zela marschierten, zogen die Frauen mit ihnen, wie Soldatenfrauen es immer tun. Kaum jemand konnte schreiben, und trotzdem verbreitete sich die Nachricht von Tigranokerta bis nach Pontus: Lucullus hatte die Armee immer wieder um ihren rechtmäßigen Anteil an der Kriegsbeute betrogen. Es machte sich auch niemand die Mühe, Clodius’ Rechenkünste zu überprüfen. Da glaubte man lieber, man sei betrogen worden, winkte doch als Belohnung für eine solche Überzeugung das Zehnfache von dem, was Lucullus einem zugestanden hatte. Und außerdem war Clodius ein hochintelligenter Bursche! So einer verrechnet sich nicht! Nein, Clodius sagte bestimmt die Wahrheit! Der kluge Clodius. Er hatte das Geheimnis der Demagogie begriffen: Erzähl den Leuten, was sie hören wollen, und niemals das, was sie nicht hören wollen.
Lucullus war inzwischen nicht untätig gewesen, trotz seiner Beschäftigung mit kostbaren Handschriften und minderjährigen Mädchen. Er hatte kurze Reisen nach Syrien unternommen und alle verschleppten Griechen wieder nach Hause geschickt. Das südliche Reich des Tigranes zerfiel, und Lucullus sorgte dafür, daß Rom sein Erbe war. Es gab nämlich noch einen dritten König im Osten, der für Rom eine Bedrohung war, Phraates, der König des Partherreiches. Sulla hatte mit dessen Vater einen Vertrag geschlossen, in dem festgelegt worden war, daß alle Gebiete westlich des Euphrat an Rom fielen und alles, was östlich des Euphrat lag, zum Königreich der Parther gehörte.
Lucullus hatte die dreißig Millionen Scheffel Weizen, die er in Tigranokerta gefunden hatte, an die Parther verkauft, damit die Armenier sich damit nicht die Bäuche füllen konnten. Doch während nun Frachtkahn auf Frachtkahn den Tigris abwärts nach Mesopotamien und in das Königreich der Parther fuhr, sandte ihm König Phraates eine Nachricht und forderte ihn auf, den Vertrag mit Rom zu denselben Konditionen zu erneuern. Er lautete: Alles, was westlich des Euphrat lag, gehört Rom, die Gebiete östlich davon gehören König Phraates. Doch dann erfuhr Lucullus, daß Phraates auch mit dem flüchtigen Tigranes verhandelte, der die Rückgabe der siebzig Täler in Media Atropatene versprach, falls die Parther sich mit ihm gegen Rom verbündeten. Sie waren hinterhältige Gesellen, diese östlichen Könige; man durfte ihnen nicht über den Weg trauen. Für sie galten die Werte des Ostens, und diese Werte waren unstet wie Wüstensand.
Auf einmal hatte Lucullus Visionen von unermeßlichen Reichtümern, wie noch kein Römer sie sich erträumt hatte. Wenn man sich vorstellte, was es in Seleuceia am Tigris, in Ctesiphon, in Babylon und in Susa alles zu finden gab! Wenn zwei römische Legionen und nicht einmal dreitausend galatische Reiter ein armenisches Großheer buchstäblich auslöschen konnten, dann müßten doch vier römische Legionen und die galatische Reiterei den ganzen Osten bis hin nach Mesopotamien und an das Kaspische Meer erobern können! Was sollten ihm die Parther an Widerstand entgegensetzen, nach allem, was Tigranes mobilisiert hatte? Von den Kataphrakten bis zum zoroastrischen Feuer, Lucullus’ Armee war damit fertig geworden. Er brauchte nur noch die beiden cilicischen Legionen aus Pontus.
Lucullus entschied sich rasch. Im Frühling würde er nach Mesopotamien marschieren und das Königreich der Parther niederwerfen. Das wäre ein Schock für den Ritterstand und seine Parteigänger im Senat! Lucius Licinius Lucullus würde es ihnen zeigen! Der ganzen Welt würde er es zeigen!
Er sandte eine Botschaft nach Zela: Schickt mir auf der Stelle die cilicischen Legionen nach Tigranokerta. Wir marschieren nach Babylon und Elymais. Wir werden unsterblich sein! Wir werden Rom den ganzen Osten zu Füßen legen und seine letzten Feinde vernichten.
Natürlich erfuhr Clodius von diesen Plänen, als er den Flügel des Palastes besuchte, in dem Lucullus sein Quartier aufgeschlagen hatte. Lucullus hegte seinem Schwager gegenüber freundlichere Gefühle, seit dieser ihm aus dem Weg ging und auch nicht mehr versuchte, seine jungen Militärtribune zu allerlei Schabernack anzustiften, wie er es im vergangenen Jahr, auf dem Marsch von Pontus, noch versucht hatte.
»Ich mache Rom reicher, als es jemals war«, sagte Lucullus glücklich. Sein langes Gesicht war sanfter geworden. »Marcus Crassus schwafelt vom Reichtum, der in Ägypten zu holen sei, aber gegen das Königreich der Parther ist Ägypten ein Armenhaus. Vom Indus bis zum Euphrat treibt König Phraates seinen Tribut ein. Und wenn ich Phraates besiegt habe, werden diese Abgaben direkt in unser geliebtes Rom fließen. Wir werden neue Schatzkammern bauen müssen, um sie verwahren zu können!«
Clodius eilte zu Silius und Corrnficius.
»Was haltet ihr von seiner Idee?« fragte Clodius scheinbar arglos.
Die beiden Zenturios hielten sehr wenig davon, und Silius machte es ihm klar.
»Du kennst die Ebene nicht«, erklärte er Clodius, »aber wir. Wir waren schon überall. Ein Sommerfeldzug am Tigris entlang, den ganzen Weg bis nach Elymais? Bei der Hitze und der Feuchtigkeit? Die Parther sind in Hitze und Feuchtigkeit aufgewachsen. Wir gehen dabei drauf.«
Clodius hatte an Beute gedacht, nicht an das Klima. Jetzt dachte er an das Klima. Unter Lucullus zu marschieren, sich mit Hitzschlägen und Schweißkrämpfen herumzuplagen? Schlimmer als alles, was er bis jetzt ertragen mußte!
»Gut«, sagte er kühl, »dann laßt uns dafür sorgen, daß dieser Feldzug nicht stattfindet.«
»Die cilicischen Legionen!« sagte Silius sofort. »Ohne die können wir nie und nimmer in ein topfebenes Land marschieren. Das weiß Lucullus. Für ein funktionierendes Verteidigungsquadrat braucht er vier Legionen.«
»Er hat Sornatius schon einen Boten geschickt«, sagte Clodius düster.
»Laß den Boten schnell wie der Wind sein, Sornatius ist frühestens in einem Monat marschbereit«, erwiderte Cornificius zuversichtlich. »Er ist ganz allein in Zela, Fabius Hadrianus ist nach Pergamum abgereist.«
»Woher weißt du das?« fragte Clodius neugierig.
»Wir haben unsere Informanten.« Silius grinste. »Wir müssen eben einen eigenen Mann nach Zela schicken.«
»Und was soll der tun?«
»Den Cilicianern klarmachen, daß sie bleiben sollen, wo sie sind. Wenn denen zu Ohren kommt, wo sie hinmarschieren sollen, dann werfen sie die Waffen weg und rühren sich nicht von der Stelle. Wenn Lucullus dort wäre, könnte er ihnen vielleicht Beine machen, aber Sornatius hat weder den Mut noch den Grips, um mit einer Meuterei fertig zu werden.«
Clodius tat erschrocken. »Meuterei?« preßte er hervor.
»Keine richtige Meuterei«, beruhigte ihn Silius. »Drei Männer sind ja jederzeit bereit, für Rom den Kopf hinzuhalten — aber eben in Pontus. Das ist keine richtige Meuterei.«
»Stimmt«, gab sich Clodius erleichtert. »Wen kannst du nach Zela schicken?« fragte er.
»Meinen persönlichen Burschen.« Cornificius erhob sich. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich schicke ihn gleich los.«
Er ließ Clodius und Silius allein zurück.
»Du bist uns eine große Hilfe«, sagte Silius dankbar. »Wir sind heilfroh, daß wir dich kennen, Publius Clodius.«
»Nicht halb so froh wie ich darüber bin, euch zu kennen.«
»Ich habe früher einen Patrizier ganz gut gekannt«, sagte Silius nachdenklich und drehte den goldenen Becher zwischen den Fingern.
»Ach, wirklich?« Das interessierte Clodius tatsächlich; man konnte nie wissen, wohin solche Gespräche führten; daraus ließ sich zuweilen Kapital schlagen. »Wen? Und wann war das?«
»In Mytilene, vor elf oder zwölf Jahren.« Silius spuckte auf den Marmorboden. »Auch ein Feldzug mit Lucullus! Ich scheine nicht von dem Kerl loszukommen. Wir waren alle in einer Kohorte, lauter Männer, denen Lucullus nicht über den Weg traute. Wir haben damals noch eine Menge von Fimbria gehalten. Also hat Lucullus uns zu den Bogenschützen gesteckt und diesen hübschen Grünschnabel zu unserem Kommandanten gemacht. Sein Name war Gaius Julius Caesar.«
»Caesar?« Clodius richtete sich kerzengerade auf. »Den kenne ich, das heißt, ich habe von ihm gehört. Lucullus haßt ihn wie die Pest.«
»Schon damals. Deshalb hat er ihn ja zusammen mit uns zu den Bogenschützen gesteckt. Aber es hat nicht funktioniert. Der Kerl war kalt wie Eis. Und kämpfen konnte der! Der hat den Kopf nie ausgeschaltet, deshalb war er so gut. Hat mir in dieser Schlacht das Leben gerettet, und allen anderen auch. Aber mir ganz persönlich. Ich weiß heut noch nicht, wie er das fertiggebracht hat. Ich war schon Asche auf dem Feuer, Publius Clodius, Asche auf dem Feuer.«
»Sie haben ihm die Bürgerkrone verliehen«, sagte Clodius. »Deshalb kann ich mich so gut an ihn erinnern. Es gibt nicht viele Advokaten, die mit einem Eichenkranz auf dem Kopf vor Gericht auftreten. Ein Neffe von Sulla.«
»Und der Neffe von Gaius Marius«, fügte Silius hinzu. »Das hat er uns vor der Schlacht erzählt.«
»Stimmt, eine seiner Tanten hat Marius geheiratet und die andere Sulla.« Clodius schaute zufrieden. »Er ist eine Art Vetter von mir, Marcus Silius, das ist der Grund.«
»Der Grund für was?«
»Für seine Tapferkeit, und daß du ihn gemocht hast.«
»Und ob ich ihn gemocht hab’. Ich war traurig, als er mit Thermus und den Soldaten aus Asia nach Rom zurückgekehrt ist.«
»Und die armen Fimbrianer mußten wieder einmal im Osten bleiben«, sagte Clodius leise. »Ach, laßt den Kopf nicht hängen. Ich schreibe an alle meine Bekannten in Rom, damit der Senatserlaß endlich aufgehoben wird!«
»Du bist ein wahrer Freund der Soldaten, Publius Clodius.« Silius’ Augen füllten sich mit Tränen. »Wir werden es nicht vergessen.«
Clodius war bewegt. »Freund der Soldaten? Nennt ihr mich so?«
»So nennen wir dich.«
»Das werde ich nicht vergessen, Marcus Silius.«
Mitte März traf ein erschöpfter und halb erfrorener Bote aus Pontus ein, um Lucullus darüber in Kenntnis zu setzen, daß die cilicischen Legionen sich weigerten, Zela zu verlassen. Sornatius und Fabius Hadrianus hatten alles versucht, aber die Cilicier rührten sich nicht vom Fleck, auch nicht nach einer ernsten Warnung des Statthalters Dolabella. Und das war nicht die einzige unangenehme Nachricht aus Zela. Sornatius schrieb, irgend jemand müsse den Soldaten der beiden cilicischen Legionen eingeredet haben, sie seien von Lucullus während der ganzen sechs Jahre seit seiner Rückkehr nach Osten um ihren gerechten Anteil an der Kriegsbeute betrogen worden. Zweifellos hatte die Angst vor der Hitze am Tigris zu der Meuterei geführt, aber das Gerücht von Lucullus’ Betrug hatte ein übriges getan.
Von dem Fenster aus, an dem Lucullus saß, sah man quer über die Stadt, genau in die Richtung, in der Mesopotamien lag; Lucullus hatte den Blick auf den entfernten Horizont mit den niedrigen Bergen gerichtet, ohne wirklich etwas zu sehen; er versuchte gerade, sich von einem Traum zu trennen, dessen Erfüllung ihm bereits greifbar erschienen war. Narren! Wahnsinnige! Er, ein Licinius Lucullus, sollte sich an Männern bereichert haben, die unter seinem Kommando standen? Er, ein Licinius Lucullus, sollte sich auf das Niveau dieser geldgierigen, auf schnellen Reichtum bedachten römischen Steuerpächter herabbegeben haben? Wer hatte ein solches Gerücht in die Welt gesetzt? Und warum hatten sie nicht selbst gemerkt, was für ein Unsinn das war? Ein paar einfache Rechnungen, mehr wäre nicht nötig gewesen.
Sein Traum von der Eroberung des Partherreichs war ausgeträumt. Mit weniger als vier Legionen in ein vollkommen flaches Land einzurücken, wäre Selbstmord, und Lucullus war kein Selbstmörder. Seufzend erhob er sich und ging Sextilius und Fannius suchen, seine beiden ältesten Legaten in Tigranokerta.
»Und was hast du jetzt vor?« fragte ihn Sextilius fassungslos.
»Ich werde das tun, was mit meinen Truppen machbar ist«, antwortete Lucullus, der sich mit jeder Sekunde mehr verhärtete. »Ich ziehe nach Norden, hinter Tigranes und Mithridates her. Ich werde sie zum Rückzug zwingen, bis sie in Artaxata in der Falle sitzen, und dann reibe ich ihre Armeen auf.«
»Es ist noch zu früh im Jahr, um so weit nach Norden zu marschieren«, meinte Lucius Fannius besorgt. »Wir können frühestens im Sextilis aufbrechen. Und dann bleiben uns nur vier Monate. Dort oben ist das Land an keiner Stelle flacher als fünfzehnhundert Meter, und die Vegetationszeit dauert nur einen kurzen Sommer. Viel Proviant können wir auch nicht mitnehmen — ich glaube, dort oben sind massive Berge. Aber du willst sicher rechts um den Thospitissee herumziehen.«
»Nein, ich ziehe links am Thospitissee vorbei«, antwortete Lucullus; inzwischen hatte er sich in den Gedanken an diesen Feldzug festgebissen. »Wenn wir nur vier Monate haben, können wir uns keinen Umweg von zweihundert Meilen leisten, nur weil es sich dort leichter laufen läßt.«
Seine Legaten machten betroffene Gesichter, aber keiner wagte zu widersprechen. Diesen Ausdruck auf Lucullus’ Gesicht kannten sie. Kein Argument hätte ihn umstimmen können. »Und was machen wir bis dahin?« fragte Fannius.
»Wir lassen die Fimbrianer hier im Luxus schwelgen«, antwortete Lucullus verächtlich. »Von der Nachricht werden sie ohnehin begeistert sein!«
Anfang des Monats Sextilis verließ die Armee des Lucullus schließlich Tigranokerta, aber nicht etwa, um nach Süden in die Hitze zu marschieren. Von dieser neuen Marschrichtung (das hatte Clodius von Silius und Comificius erfahren) waren die Fimbrianer, die am liebsten in Tigranokerta geblieben wären, nicht gerade begeistert. Aber wenigstens das Wetter würde auszuhalten sein, und ein echter Fimbrianer ließ sich schließlich von keinem Berg in ganz Asia einschüchtern! Sie hatten sie alle erklommen, wie Silius selbstgefällig feststellte. Und außerdem, vier Monate waren nicht mehr als ein hübscher kleiner Ausflug. Im Winter würden sie es sich wieder in Tigranokerta gemütlich machen können.
In eisigem Schweigen führte Lucullus die Marschkolonne an. Bei einem Besuch in Antiochia hatte er erfahren, daß er als Statthalter von Cilicia abgesetzt worden war; Quintus Marcius Rex, der Erste Konsul dieses Jahres, sollte die Provinz bekommen, und Rex wäre am liebsten schon während seines Konsulats nach Osten aufgebrochen. Er hatte drei nagelneue Legionen zu seiner Verfügung, wie Lucullus zu seiner großen Empörung hören mußte. Er, Lucullus, hätte nicht eine einzige aus Rom loseisen können, und wenn sein Leben davon abgehangen hätte!
»Mir soll es recht sein«, sagte Publius Clodius selbstgefällig. »Auch Rex ist mein Schwager, vergiß das nicht. Ich bin wie eine Katze — ich falle immer auf die Beine! Wenn du mich nicht mehr willst, Lucullus, dann schließe ich mich Rex in Tarsus an.«
»Nur nicht so eilig!« knurrte Lucullus. »Ich vergaß zu erwähnen, daß Rex nicht so bald nach Osten aufbrechen kann. Zuerst ist der Zweite Konsul gestorben und dann auch noch der Ersatzkonsul; Rex muß bis zum Ende seines Konsulats in Rom bleiben.«
»Aha!« sagte Clodius, drehte sich um und ging hinaus.
Nach Marschbeginn war es für Clodius unmöglich geworden, unbemerkt nach Silius oder Comificius Ausschau zu halten; in dieser Anfangsphase versteckte er sich lieber zwischen den Militärtribunen, ohne etwas zu sagen oder zu tun. Er war davon überzeugt, daß sich im Laufe der Zeit genügend Gelegenheiten ergeben würden, denn ein Gefühl sagte ihm, daß Lucullus das Glück abhanden gekommen war. Er war nicht der einzige, der so etwas dachte; die Tribunen und sogar die Legaten murmelten hinter vorgehaltener Hand von Lucullus’ Pechsträhne.
Seine Späher hatten ihm geraten, am Canirites entlangzumarschieren, einem Seitenarm des Tigris, der nahe an Tigranokerta vorbeifloß und in einem Felsmassiv südöstlich des Thospitissee entsprang. Leider waren seine Späher Araber aus der Ebene; Lucullus hatte in Tigranokerta niemanden auftreiben können, der aus dieser Gegend südöstlich des Thospitissees stammte. Eigentlich hätte ihm das eine Warnung vor dem Land sein müssen, in das er sich wagte, aber die Weigerung der cilicischen Legionen hatte ihn so tief getroffen, daß er noch immer keinen kühlen Kopf hatte. Immerhin war er geistesgegenwärtig genug gewesen, ein paar der galatischen Reiter vorauszuschicken. Sie kehrten schon bald zurück und teilten ihm mit, daß der Canirites einen kurzen Lauf habe und in einer schroffen Felswand ende, die keine Armee der Welt überqueren könne, nicht einmal zu Fuß.
»Wir sind einem nomadischen Schäfer begegnet«, berichtete der Kommandant des Trupps. »Der Mann hat uns empfohlen, bis zum Lycus zu marschieren, dem nächsten großen Nebenfluß des Tigris, etwas weiter südlich. Er ist länger und schlängelt sich durch dasselbe Felsmassiv hindurch. Er glaubt, daß sein Quellgebiet nicht so schroff ist und wir von dort aus in die Ebene am Thospitissee hinunterklettern können. Und ab da ist der Weg leichter, meint der Mann.«
Ob dieser Verzögerung machte Lucullus ein finsteres Gesicht und schickte seine Araber zurück. Als er nach dem Schäfer fragte, mit dem Hintergedanken, ihn zum Späher zu machen, berichteten ihm seine Galater mit Bedauern, der Halunke sei ihnen samt seinen Schafen entwischt und nirgends mehr zu finden.
»Also gut, marschieren wir zum Lycus«, befahl der Feldherr.
»Wir haben achtzehn Tage verloren«, wagte Sextilius schüchtern zu bemerken.
»Das ist mir klar.«
Und so folgten die Fimbrianer und die Reiterei dem Lauf des Lycus in immer höhere Regionen, in ein immer schmaler werdendes Tal. Keiner von ihnen war dabeigewesen, als Pompeius eine neue Route über die westlichen Alpen entdeckt hatte, sonst hätte er den anderen erzählen können, daß Pompeius’ Unternehmung, verglichen mit diesem Marsch, ein Kinderspiel war. Und die Armee kletterte weiter, quälte sich zwischen riesigen Felsbrocken hindurch, die der Fluß abgeworfen hatte, der inzwischen ein reißender Bach war, durch den man nicht mehr waten konnte; er wurde immer schmaler, tiefer, wilder.
Hinter einer Kante kamen sie auf einen mit spärlichem Gras bewachsenen Felsrücken, nicht gerade eine Mulde, aber wenigstens bot er den Pferden, die immer magerer und immer hungriger geworden waren, ein wenig Futter. Doch die Männer konnte er nicht aufheitern, denn das andere Ende — dort verlief offensichtlich die Wasserscheide — sah abschreckend aus. Und mehr als drei Tage Rast wollte Lucullus ihnen nicht gewähren; sie waren nun seit einem Monat unterwegs und noch nicht viel weiter nördlich als Tigranokerta.
Als sie in diese furchterregende Wildnis heinmarschierten, erhob sich rechts von ihnen ein riesiger Fünftausender; sie befanden sich selbst schon in dreitausend Meter Höhe; sie keuchten unter dem Gewicht ihrer Tornister, wunderten sich darüber, daß sie Kopfschmerzen bekamen, und wußten nicht mehr, wie sie ihre Lungen mit der kostbaren Luft füllen sollten. Ein anderer Bach war ihr einziger Ausweg, auf beiden Seiten ragten die Felswände so steil empor, daß auch der Schnee keinen Halt mehr an ihnen fand. Manchmal schafften sie nicht einmal eine Meile am Tag, kletterten über Felsen, klammerten sich an die Wände des brodelnden Katarakts, dem sie folgten, verzweifelt bemüht, nicht hineinzustürzen und zermalmt zu werden.
Keiner hatte ein Auge für die Schönheiten der Natur; dazu war die Anstrengung zu groß. Und es schien nicht wegsamer werden zu wollen; die Tage zogen sich dahin, und die Stromschnelle wurde nicht ruhiger, dafür noch breiter und tiefer. Nachts war es bitterkalt, obwohl doch Hochsommer war, und tagsüber bekamen sie die Sonne nicht zu spüren, so hoch waren die Felswände, von denen sie eingeschlossen waren. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
Doch dann, als die Schlucht sich ein wenig öffnete und die Pferde ein paar Halme gefunden hatten, sahen sie den blutgetränkten Schnee. Die Felsen waren nicht mehr so steil, wenn auch kaum weniger hoch, und in ihren Spalten und Rinnen hatten sich Schneefelder gehalten. So sah Schnee auf einem Schlachtfeld aus, nachdem das Gemetzel vorüber war: bräunlichrot vor Blut.
Clodius eilte zu Cornificius, dessen Legion der ranghöheren Legion des Silius voranging.
»Was hat das zu bedeuten?« rief Clodius verängstigt.
»Es bedeutet, daß wir in den sicheren Tod marschieren«, antwortete Cornificius.
»Hast du das schon einmal gesehen?«
»Wie hätten wir es vorher sehen können, wenn es doch hier als unser Omen liegt!«
»Wir müssen umkehren!« Clodius zitterte vor Angst.
»Zu spät«, sagte Cornificius.
Also zogen sie weiter. Sie hatten es jetzt etwas leichter, weil der Fluß sich zwei Höhlungen in den Fels gefressen hatte, und weil es bergab ging. Doch dann ließ Lucullus verkünden, sie befänden sich zu weit östlich, und so mußten die Soldaten, die noch immer wie gebannt auf den blutgetränkten Schnee starrten, wieder bergauf klettern. Keinerlei Hinweise auf menschliches Leben, dabei hatten sie den Befehl, jeden Nomaden, der ihnen über den Weg lief, gefangenzunehmen. Aber wer sollte hier oben schon leben, mit dem blutgetränkten Schnee vor Augen?
Zweimal kletterten sie auf über dreitausend Meter und stolperten wieder bergab; der zweite Paß kam ihnen weniger erschreckend vor, denn aus dem blutgetränkten Schnee wurde wieder ganz normaler, weißer Schnee, und als sie oben auf dem zweiten Paß ankamen, sahen sie in der Ferne den Thospitissee — leuchtend blau lag er im Sonnenschein.
Die Ebene, in die sie mit weichen Knien hinunterkletterten, erschien ihnen wie das Elysische Feld, auch wenn sie noch in fünfzehnhundert Meter Höhe lag und nirgends etwas angepflanzt war, denn wer sollte einen Boden pflügen, der bis zum Sommer gefroren war und den schon die ersten Herbstwinde wieder steinhart gefrieren ließen? Es gab keine Bäume, aber es wuchs Gras; die Pferde wurden kräftiger, die Männer jedoch nicht, auch wenn es zumindest wilden Spargel zu essen gab.
Lucullus drängte zur Eile. Nach zwei Monaten waren sie erst sechzig Meilen nördlich von Tigranokerta angelangt. Immerhin hatten sie das Schlimmste hinter sich. Sie kamen jetzt schneller voran. Am Rand des Sees stießen sie auf ein kleines Dorf von Nomaden, die Getreide angebaut hatten. Sie nahmen ihnen alles, um ihre schrumpfenden Vorräte aufzustocken. Ein paar Meilen weiter fanden sie noch mehr Getreide; sie nahmen es mit, zusammen mit jedem Schaf, das den Männern über den Weg lief. Die Luft kam ihnen nicht mehr so dünn vor, nicht etwa, weil sie nicht dünn gewesen wäre, sondern weil sie sich langsam an die Höhe gewöhnten.
Es war kein furchterregender Fluß, der von den schneebedeckten Gipfeln im Norden kam und in den See mündete. Er war ziemlich breit und ruhig und führte genau in die Richtung, in der Lucullus weiterziehen wollte. Die Bauern, die einen medischen Dialekt sprachen, hatten ihm durch den medischen Dolmetscher, den sie gefangengenommen hatten, mitteilen lassen, daß es zwischen hier und dem Tal des Araxes, in dem Artaxata lag, nur noch eine einzige Bergkette zu überwinden gab. Böse Berge? fragte er. Nein, nicht so böse wie die Berge, aus denen die fremde Armee gekommen ist, lautete die Antwort.
Als die Fimbrianer das Flußtal verließen, um in die sanften Hügel des freundlicheren Hochlandes hinaufzusteigen, wurden sie von einem Trupp Kataphrakte angegriffen. Den Fimbrianern war durchaus nach einem kleinen Kräftemessen zumute, und so räumten sie auch ohne die Hilfe der Galater kräftig unter den gepanzerten Reitern und ihren Pferden auf. Beim zweiten Trupp von Kataphrakten waren die Galater an der Reihe, und auch sie entledigten sich der Aufgabe mit Bravour. Die Männer hielten nach weiteren Angreifern Ausschau.
Es kamen keine mehr. Und nach einem weiteren Tagesmarsch wußten sie auch, warum. Das Land war ziemlich eben, aber es hielt — soweit das Auge in jede Richtung auch reichte — ein neues Hindernis für sie bereit: etwas so Bizarres und Schreckliches, daß sie sich zu fragen begannen, welchen der Götter sie beleidigt haben mochten, daß er ihnen diesen Alptraum schickte.
Und auch die Blutflecken waren wieder da, diesmal nicht auf dem Schnee, sondern quer über die Landschaft verteilt.
Was sie erblickten, waren Felsen. Messerscharfe Felsen, zwischen drei und fünfzehn Meter hoch, die sich unbarmherzig und ohne Ende aneinanderreihten und übereinandertürmten und ohne eine sinnvolle Ordnung in alle Richtungen wiesen.
Silius und Cornificius suchten um eine Unterredung mit dem Feldherrn nach.
»Wir können diese Felsen nicht überqueren«, sagte Silius mit tonloser Stimme.
»Diese Armee kann alles überqueren, das hat sie oft genug bewiesen«, antwortete Lucullus, verärgert über den Protest.
»Es gibt keinen Weg«, sagte Silius.
»Dann schlagen wir uns einen«, entgegnete ihm Lucullus.
»Nicht zwischen diesen Felsen hindurch«, sagte Cornificius. »Ich weiß es, denn ich habe es ein paar Männer ausprobieren lassen. Das Material, aus dem diese Felsen sind, ist härter als unsere Dolche.«
»Dann klettern wir eben drüber«, erwiderte Lucullus.
Er wollte nicht nachgeben. Der dritte Monate ging zu Ende. Er mußte Artaxata erreichen. Und so betrat seine kleine Armee das Lavafeld, in dem sich in grauer Vorzeit ein großer See gebildet hatte. Die Männer zitterten vor Angst, denn diese »Felsen« waren mit blutroten Flechten bewachsen. Es war eine entsetzlich quälende Schinderei, so als würden Ameisen über einen Acker aus Tonscherben kriechen. Aber Menschen waren keine Ameisen; diese seltsamen Felsen schnitten und stachen ins Fleisch, eine entsetzliche Tortur. Und es führte auch kein Weg um sie herum, denn in jeder Himmelsrichtung säumten schneebedeckte Berge den Horizont, manche näher, manche weiter entfernt.
Irgendwo nördlich des Thospitissees hatte Clodius beschlossen, auf Lucullus keine Rücksicht mehr zu nehmen, und zusammen mit Silius zu marschieren. Und als der Feldherr ihn zurückbeordern ließ (nachdem Sextilius ihm verkündet hatte, sein Schwager sei desertiert, um sich mit einem Zenturio zu verbrüdern), weigerte sich Clodius.
»Richtet meinem Herrn Schwager aus«, trug er dem Tribunen auf, der ihn zurückholen sollte, »daß ich mich hier sehr wohl fühle. Wenn er mich vorne bei sich haben will, dann muß er mich in Eisen legen lassen.«
Lucullus hielt es für klüger, diese Antwort zu ignorieren. Und sein Stab war ohnehin froh, den ständigen Nörgler und Unruhestifter endlich los zu sein. Der Verdacht, Clodius könnte etwas mit der Meuterei der cilicischen Legionen zu tun haben, war bislang noch nicht aufgetaucht, und da die Fimbrianer ihrem Widerwillen gegen die schrecklichen Felsen lediglich durch einen offiziellen Protest ihres Zenturios Ausdruck gegeben hatten, mußte man auch nicht mit einer Meuterei rechnen.
Vielleicht wäre es auch nie dazu gekommen, hätte es den Berg Ararat nicht gegeben. Fünfzig Meilen lang ertrugen die Legionäre das zerklüftete Lavafeld, dann hatten sie wieder grasigen Untergrund erreicht. Welche Wohltat! Hätte da nicht mitten auf ihrem Weg nach Norden dieser gewaltige Berg in die Höhe geragt, den keiner von ihnen je zuvor gesehen hatte. Über fünftausend Meter hoch, ganz mit Schnee bedeckt, und an seiner östlichen Flanke noch ein zweiter Kegel, nicht ganz so hoch, aber kaum weniger furchterregend.
Die Fimbrianer legten die Schilde und Speere ab und schauten hin. Und dann fingen sie an zu weinen.
Diesmal führte Clodius die Abordnung an, die beim Feldherrn vorsprach, und Clodius würde sich nicht ins Bockshorn jagen lassen.
»Wir weigern uns, auch nur einen Schritt weiterzugehen«, sagte er, und hinter ihm nickten Silius und Cornificius mit den Köpfen.
Als Lucullus dann auch noch Bogitarus in sein Zelt treten sah, wußte er, daß er verloren hatte, denn Bogitarus war der Kommandant seiner galatischen Reiter, ein Mann, an dessen Loyalität nicht zu zweifeln war.
»Bist du derselben Meinung, Bogitarus?« fragte ihn Lucullus.
»Ja, Lucius Licinius. Meine Pferde kommen nicht über einen solchen Berg, nicht nach diesen Felsen. Ihre Hufe sind aufgerissen bis zu den Fesseln, sie haben so viele Eisen verloren, daß die Schmiede nicht mehr nachkommen, und der Stahl geht uns aus. Ganz abgesehen davon, daß wir seit Tigranokerta keine Holzkohle mehr bekommen haben. Wir würden dir in den Hades folgen, Lucius Licinius, aber wir folgen dir nicht über diesen Berg«, sagte Bogitarus.
»Danke, das reicht, Bogitarus«, erwiderte Lucullus. »Geht jetzt. Ich möchte mit Publius Clodius sprechen.«
»Heißt das, wir gehen zurück?« fragte Silius mißtrauisch.
»Nicht zurück, es sei denn, ihr habt Lust auf die Felsen. Wir marschieren nach Westen zum Arsanias. Dort finden wir Getreide.«
Bogitarus war bereits gegangen, jetzt folgten ihm die Zenturios der Fimbrianer. Lucullus und Clodius waren allein.
»Was hast du mit dieser ganzen Sache zu tun?« fragte Lucullus.
Hämisch lächelnd musterte Clodius den Feldherrn von Kopf bis Fuß. Wie heruntergekommen der Mann war! Man sah ihm seine fünfzig Jahre an. Und etwas fehlte jetzt in seinem Blick: die kühle Festigkeit, die ihm alle Tore geöffnet hatte. In seinen müden Augen glaubte Clodius das Wissen um die Niederlage zu erkennen.
»Was ich mit der Sache zu tun habe?« wiederholte Clodius und lachte. »Mein lieber Lucullus, ich bin ihr Urheber! Glaubst du im Ernst, irgendeiner von den Kerlen hätte soviel Weitblick? Oder soviel Mut? Ich habe das alles angezettelt, ich allein!«
»Und die cilicischen Legionen?« fragte Lucullus langsam.
»Auch das. Mein Werk.« Clodius wippte auf den Zehen. »Wenn du mich jetzt nicht mehr haben willst, gehe ich. Bis ich in Tarsos bin, müßte mein Schwager Rex auch dort sein.«
»Du wirst nirgendwo hingehen. Misch dich von mir aus wieder unter deine fimbrianischen Lakaien.« Lucullus lächelte düster. »Ich bin dein Kommandant, und mir ist das prokonsularische Kommando übertragen worden, gegen Mithridates und Tigranes zu kämpfen. Ich gebe dir nicht die Erlaubnis, zu gehen. Du wirst bei mir bleiben, und wenn ich deinen Anblick bis zum Erbrechen ertragen muß.«
Mit dieser Antwort hatte Clodius nicht gerechnet. Er warf Lucullus noch einen wütenden Blick zu und stürmte hinaus.
Auch wenn Lucullus sich nach Westen wandte, von Wind und Schnee wurden sie nicht verschont, denn die günstige Zeit für Feldzüge war abgelaufen. Innerhalb der Gnadenfrist waren sie bis zum Ararat gekommen, nicht weiter als zweihundert Meilen von Tigranokerta entfernt, so weit, wie auch ein Vogel fliegen konnte. Als er an die Ufer des Arsanias kam, des größten der nördlichen Nebenflüsse des Euphrat, war das Getreide bereits geerntet, und die spärliche Bevölkerung hatte sich in die höhlenartigen, in den Tuffstein gehauenen Behausungen zurückgezogen und jeden eßbaren Krümel mitgenommen. Gut, Lucullus war von seinen eigenen Soldaten besiegt worden, aber derlei Widrigkeiten kannte er, und er dachte nicht daran, hier stehenzubleiben, wo er im Frühling eine leichte Beute von Mithridates und Tigranes werden würde.
Er zog zurück nach Tigranokerta, wo es Vorräte gab, wo Freunde auf ihn warteten, aber wenn die Fimbrianer geglaubt hatten, dort in Ruhe überwintern zu können, wurden sie bitter enttäuscht. Es war ruhig in der Stadt, man schien sich mit Lucius Fannius, dem Mann, den er als Gouverneur dort zurückgelassen hatte, arrangiert zu haben. Nachdem er Getreide und anderen Proviant gesammelt hatte, marschierte Lucullus weiter nach Süden, um die Stadt Nisibis zu belagern, die am Mygdonius lag, in einem trockeneren, flacheren Gebiet.
Die Stadt Nisibis, die in einer schwarzen, regnerischen Novembernacht fiel, barg fette Beute und garantierte ein leichtes, üppiges Leben. Die Fimbrianer richteten sich dort ein, machten Clodius zu ihrem Glücksbringer und verbrachten einen angenehmen Winter unterhalb der Schneegrenze. Und als Lucius Fannius kaum einen Monat später in der Stadt eintraf, um seinem Kommandanten zu berichten, daß König Tigranes wieder in Tigranokerta Einzug gehalten hatte, da wickelten sie Clodius in Efeu und trugen ihn auf ihren Schultern einmal um den Marktplatz von Nisibis, weil sie ihr Glück ihm zu verdanken glaubten. Hier waren sie sicher und hatten sich obendrein die Belagerung von Tigranokerta erspart.
Im April — der Winter ging zu Ende, und die Aussicht auf einen neuen Feldzug gegen Tigranes bot ein wenig Trost — erfuhr Lucullus, daß man ihm alles genommen hatte, außer dem wertlosen Titel eines Oberbefehlshabers gegen zwei Könige. Die Ritter hatten sich der Plebejischen Versammlung bedient, um ihm auch noch seine letzten beiden Provinzen zu nehmen, Bythinien und Pontus, und schließlich war er auch seiner vier Legionen beraubt worden: Die Fimbrianer durften endlich nach Hause, und Manius Acilius Glabrio, der neue Statthalter von Bythinien-Pontus, sollte die cilicischen Soldaten erhalten. Der Oberbefehlshaber des Krieges gegen die zwei Könige hatte keinen einzigen Soldaten mehr, um den Kampf fortzusetzen. Er hatte nur noch sein Kommando.
Daraufhin beschloß Lucullus, den Fimbrianern die Neuigkeit von ihrer ehrenhaften Entlassung vorzuenthalten. Was sie nicht wußten, würde sie nicht heiß machen. Natürlich erfuhren die Fimbrianer trotzdem, daß sie nach Hause zurückkehren durften. Clodius hatte die offiziellen Schreiben abgefangen und ihren Inhalt gelesen, bevor sie Lucullus erreichten. Gleich nach den Schreiben aus Rom trafen Nachrichten aus Pontus ein, die Lucullus darüber informierten, daß König Mithridates es zurückerobert hatte. Glabrio würde die cilicischen Legionen also doch nicht erben: sie waren in Zela aufgerieben worden.
Als der Befehl gegeben wurde, nach Pontus zu marschieren, tauchte Clodius bei Lucullus auf. »Die Armee weigert sich, Nisibis zu verlassen«, verkündete er.
»Die Armee wird nach Pontus marschieren, Publius Clodius, um unsere überlebenden Landsleute zu retten«, erwiderte Lucullus.
»Aber du hast nicht mehr den Befehl über die Armee!« frohlockte der triumphierende Clodius. »Die Fimbrianer haben ihren Dienst unter den Adlern beendet, sie dürfen nach Rom zurückkehren, sobald du ihnen die Entlassungspapiere geschrieben hast. Und das wirst du noch hier in Nisibis tun. Damit du sie nicht wieder um ihren Anteil an der Kriegsbeute betrügen kannst.«
In diesem Moment begriff Lucullus alles. Sein Atem ging keuchend, er fletschte die Zähne und ging, Mordlust in den Augen, auf Clodius los. Clodius wich hinter einen Tisch zurück und achtete darauf, näher an der Tür zu sein als Lucullus.
»Rühr mich nicht an!« brüllte er. »Wenn du mich anrührst, bringen sie dich um!«
Lucullus blieb stehen. »So sehr lieben sie dich?« fragte er. Selbst solchen Einfaltspinseln wie Silius und den anderen Zenturios der Fimbrianer hätte er nicht soviel Gutgläubigkeit zugetraut.
»Sie lieben mich bis in den Tod. Ich bin der Freund der Soldaten.«
»Du bist eine Hure, Clodius, du würdest dich an den allerletzten Abschaum dieser Welt verkaufen, wenn man dich dafür lieben würde«, sagte Lucullus mit unverhohlener Verachtung.
Warum es ihm ausgerechnet in diesem Augenblick in den Sinn kam, bei diesem Wutanfall, hätte Clodius hinterher nicht zu erklären gewußt. Aber es schoß ihm in den Kopf, und er antwortete boshaft und voller Häme: »Eine Hure? Ich? Aber nicht so eine Hure wie dein Weib, Lucullus! Meine liebe kleine Schwester Clodilla, die ich ebensosehr liebe, wie ich dich hasse! Aber sie ist eine Hure, Lucullus. Wahrscheinlich liebe ich sie deshalb so. Du denkst, daß du sie als erster hattest, ja? Sie war ja erst fünfzehn, als du sie geheiratet hast. Lucullus der Päderast, der den Mädchen und Knaben die Unschuld raubt! Hast wohl gedacht, du hättest Clodilla als erster gehabt, wie? Nein, das hast du nicht!« schrie Clodius, so außer sich vor Wut, daß er Schaum vor dem Mund hatte.
Lucullus war aschfahl geworden. »Was willst du damit sagen?« flüsterte er.
»Ich will damit sagen, daß ich sie als erster gehabt habe, großer und mächtiger Lucius Licinius Lucullus! Ich hatte sie als erster! Genau wie Claudia. Wir haben in einem Bett geschlafen, und wir haben viele Spielchen getrieben, Lucullus, und je größer ich geworden bin, desto toller haben wir’s getrieben! Ich habe sie beide besessen, Hunderte von Malen habe ich sie besessen. Ich habe meine Finger in sie hineingesteckt, und dann hab ich etwas anderes in sie hineingesteckt! Ich habe an ihnen gelutscht und herumgeknabbert, ich habe Sachen mit ihnen angestellt, die du dir nicht einmal vorstellen kannst! Und weißt du was?« fragte er lachend. »Clodilla findet, daß du ein armseliger Ersatz für ihren kleinen Bruder bist!«
Neben dem Tisch, der Clodius von Clodillas Ehemann trennte, stand ein Sessel; plötzlich schien alles Leben aus Lucullus gewichen zu sein, er stolperte auf den Sessel zu und ließ sich hineinfallen. Er rang hörbar nach Atem.
»Ich entlasse dich aus meinen Diensten, Freund der Soldaten, denn die Zeit des Erbrechens ist jetzt gekommen. Ich verfluche dich! Geh zu Rex nach Cilicia!«